GregorH
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Interview mit Brian McCall, Autor von "The Church and the Usurers"

The Church and the Usurers: Unprofitable Lending for the Modern Economy von Brian M. McCall

F. Herr McCall, vielen Dank für ihre Bereitschaft mit uns über Ihr neues Buch The Church and the Usurers: Unprofitable Lending for the Modern Economy zu sprechen. Warum haben Sie zu diesem Zeitpunkt ein Buch über Zinsen (engl. usury) geschrieben?

A. Es gibt zwei Hauptmotive, warum ich jahrelang für dieses Buch recherchiert habe. Seit einigen Jahrzehnten behaupten viele, die Kirche habe ihre Lehrmeinung zur Zinsenfrage geändert; nachdem die Zinsennahme ursprünglich verboten war, würde sie jetzt sagen, daß die Zinsennahme nicht unmoralisch sei. Viele Liberale, die diesen angeblichen Wandel in der Morallehre behaupten, argumentieren, daß die Kirche ihre Morallehre ändern kann wie zum Beispiel bei der Verhütung. Ich argumentiere in diesem Buch hingegen, daß die Kirche ihre Morallehre zur Zinsenfrage nicht geändert hat (weil so eine Änderung unmöglich ist). Der zweite Grund ist die tiefgreifende Finanzkrise, die seit 2007 andauert, und die den Steuerzahler hunderte Milliarden Dollar gekostet hat. Die Wurzel der Krise ist unser Geld- und Finanzsystem, das in der gewinnorientierten (for-profit) Geldleihe verwurzelt ist. Obwohl ich sicherlich keine über Nacht wirksame Zauberlösung anbieten kann, kann ich mit Bestimmtheit sagen, daß wir keine Lösung finden werden, bis wir die Ursache nicht genau diagnostiziert haben. Das Buch argumentiert, daß ein bedeutsamer Grund in der gewinnorientierten Geldleihe liegt.

F. Was ist genau unter Zinsen zu verstehen, von denen die Kirche immer gelehrt hat, daß sie ein moralisches Übel wären und daß sie einen äußerst negativen Einfluß auf unsere Wirtschaft haben?

A. Eine umfassende Antwort würde das Interview sprengen. In gewisser Weise behandelt das gesamte Buch Ihre Frage. Für tausende Jahre war es glasklar (und bestätigt in vielen Büchern des Alten Testaments), daß die Zinsennahme ein moralisches Übel ist. Die biblischen Texte definieren Zinsen nicht in jedem Detail. Speziell wenn neue Umstände in der Geschichte auftreten, sind weitere Präzisierungen der Definition notwendig. Dies trifft auf alle moralischen Regeln zu. Das fünfte Gebot verurteilt die Ermordung von Menschen, aber was genau einen Mord ausmacht, ist eine Frage der Präzisierung. Die Tötung eines Menschen in einem gerechten Krieg und aus Selbstverteidigung sind beispielweise nicht als Mord zu werten. Wenn neue Medikamente eingeführt werden, müssen wir berücksichtigen, daß deren Absetzung, sofern sie kausal den Tod des Patienten verursachen, als Mord zu klassifizieren ist. Dieselbe Form der Analyse ist bei der Zinsenfrage anzuwenden.
Allgemein gesprochen können Zinsen definiert werden als der Gewinn aus einem Darlehen von verbrauchbaren fungiblen Gütern. Diese Definition beruht auf den Konzepten des Darlehens und des Gewinns. Das Buch untersucht die unterschiedlichen Kontexte in der Geschichte und in der Wirtschaft, die möglicherweise den Tatbestand der Zinsennahme erfüllen und erarbeitet Definitionen für diese Konzepte.

F. Bedeutet dies, daß jeder Aufschlag auf ein Darlehen einer verbotenen Zinsennahme entspricht?

A. Nein. Dies ist eine der grundlegenden Unterscheidungen in der Zinsenlehre und eine Quelle vieler Verirrungen in der Gegenwart. Heutzutage meine viele, daß unter Zinsen ein „übertriebener“ oder „hoher“ Zinsensatz zu verstehen ist, so daß Zinsen eine Frage gradueller Abstufung wäre. In Wirklichkeit ist es eine Frage der Qualität. Das Interesse (engl. interest) ist nicht mit Zinsen (engl. usury) gleichzusetzen und umgekehrt. Das Interesse ist eine Kompensation für einen erlittenen Schaden während Zinsen einen Gewinn oder einen Aufschlag bezeichnen. Wenn für einen Verleiher Kosten für die Darlehensgabe anfallen, ist er berechtigt, einen Schadenersatz (= Interesse) zu erhalten, der den erlittenen Verlust nicht überschreiten darf (oder falls vorab eine Vereinbarung getroffen wird, muß der erwartete Verlust einer vernünftigen Einschätzung des tatsächlichen Verlustes entsprechen). Unser modernes Geldsystem basiert auf einer fiktiven, sich dauernd im Wert ändernden Währung und erschwert diese Berechnung erheblich. Dessen ungeachtet bleibt aber das Prinzip aufrecht.
Unbeschadet dieser Schwierigkeit verlangt das Naturrecht und das göttliche Recht nach der best möglichen Einschätzung und nach in gutem Glauben (bona fide) getätigten Handlungen, wenn wir das tatsächliche Interesse berechnen. Gott verlangt von uns nicht das Unmögliche und wir machen uns nur dann schuldig, wenn wir einen Aufschlag fordern, von dem wir wissen oder wissen sollten (indem wir willentlich vor der Wirklichkeit die Augen verschließen), daß dieser einem Gewinn aus einem Darlehen entspricht.

F. Warum schweigt die Kirche seit geraumer Zeit zur Zinsennahme? Was waren die letzten Stellungnahmen der Kirche zur Zinsenfrage?

A. Die erste Frage könnte zu vielen moralischen Übeln unserer Zeit gestellt werden. Aber ich muß Ihre Frage präzisieren. Es ist nicht die Kirche, die schweigt; es gibt zwei tausend Jahre Kirchengeschichte mit unzähligen Stellungnahmen zu den Zinsen. Die gegenwärtigen kirchlichen Autoritäten waren ziemlich schweigsam zur Zinsenfrage und zu vielen anderen moralischen Übeln unserer Zeit. Das gegenwärtige Schweigen ist nicht gleichzusetzen mit der eindeutigen Lehre der universalen Kirche, die für 2000 Jahre alles andere als schweigsam war. Die Frage des Schweigens der gegenwärtigen Hierarchie ist eine komplexe Fragestellung, die den Kern der gegenwärtigen Krise der Kirche berührt, die Passion, die die Kirche durchlebt.
Neben dieser allgemeinen Erklärung zum Schweigen zu wichtigen moralischen Fragen, gab es (selbst vor der gegenwärtigen Epoche) eine gewisse Vorsicht, wenn sich die Kirche zu besonderen Detailfragen in der Zinsenthematik geäußert hat. Diese kluge Zurückhaltung zeigt sich in der Enzyklika „Vix Pervenit“ von Benedikt XIV. aus dem Jahre 1745, dem bislang letzten großen Dokument zur Zinsenfrage. In dieser Enzyklika wiederholte und bestätigte der Heilige Vater erneut die Unveränderlichkeit der kirchlichen Verurteilung der Zinsennahme und legte die Essenz der wichtigsten Definitionen in dieser Frage dar. Allerdings weigerte sich der Heilige Vater das allgemeine Verbot auf die spezifischen Vertragsarten anzuwenden, die den Anlaß zu dieser Enzyklika gaben. Seit „Vix Pervenit“ hat die Kirche das Forum für die Anwendung der Lehre auf Spezialfälle von der Öffentlichkeit in das Private, in die Beichte und in die geistliche Führung verlegt. Diese kluge Veränderung war notwendig aufgrund der ständig zunehmenden Komplexität des modernen Geldsystems und des wirtschaftlichen Handelns. Die grundlegenden Definitionen sind nicht mehr so einfach wie in früheren Zeiten anzuwenden. Ihre Analyse hängt von deutlich mehr und sich permanent verändernden, zeit- und ortsbedingten Faktoren ab. Daher ist es nicht möglich, zusätzliche allgemein gültige Schlußfolgerungen zu formulieren, die auf weitere Szenarien anwendbar sind. Daher müssen die kirchlichen Autoritäten, die näher am spezifischen Einzelfall sind, die Beichtväter und die Seelenführer die ersten Autoritäten sein, die die Lehre anwenden. Diese Veränderung ist notwendig aufgrund der von mir bereits erwähnten Komplexitäten, die das Teilreservebankensystem und die massive Inflationierung der Geldmenge einschließen, die die wirklichkeitsgetreue Berechnung des Interesses sehr schwierig machen.

F. Erlaubt nicht das Neue Testament die Zinsennahme (Mt 25, 27; Lk 19, 23)?

A. Die ständige Lehre der Kirche war immer, daß Lukas 6, 35 das alttestamentliche Zinsenverbot bestätigt. Wie bei vielen anderen Moralfragen bestätigt Unser Herr bloß, daß wir nicht Geld verleihen sollen, um einen Gewinn zu erzielen, aber die Feinheiten der Lehre werden nicht diskutiert. Die beiden Stellen, die Sie erwähnt haben, sind Gleichnisse und der Verweis auf die Zinsennahme ist nicht als eine Empfehlung dieser Handlung zu werten. In diesem Gleichnis verurteilt Unser Herr den Mangel an Sorge um das ewige Heil unter den Juden der damaligen Zeit. Er erzählt die Geschichte eines Verwalters, der nicht der Klugheit dieser Welt folgt, um seinen Herrn zu befriedigen als ein Gleichnis für die Verwalter der Seelen, die nicht der Klugheit Gottes folgen. Er schließt von einer Geschichte über den weltlichen Herrn und einen weltlichen Verwalter auf das geistliche Leben, aber Er empfiehlt nicht die Zinsennahme. Dies ist die ständige Interpretation der Kirche gewesen.

F. Wie können wir ohne Zinsen geschäftlich tätig sein? Wer wird noch leihen, wenn es keine Zinsen mehr gibt?

A. Die Unternehmensfinanzierung ist unter Einhaltung des natürlichen und göttlichen Rechts immer möglich gewesen. Ein ganzes Kapitel des Buches ist dem Nachweis gewidmet, daß die Finanzierung eines Unternehmens mit Kapital kein Darlehen ist. Es ist moralisch gerechtfertigt, daß ein Investor einen Anteil am Unternehmensgewinn erhält, den sein Kapital erwirtschaftet. Das Verlangen nach einem Gewinnanteil ist nicht gleichzusetzen mit dem Verlangen nach einem Gewinn aus einem Darlehen. Daß bedeutet allerdings nicht, daß jeder einem Unternehmen gegebene Euro eine Investition von Kapital darstellt. Wenn jemand einem Unternehmen bloß Geld leiht und eine die Stammsumme überschreitende Rückerstattung verlangt ohne das Risiko eines Scheiterns der Unternehmung mitzutragen, dann würde er die Sünde und Ungerechtigkeit der Zinsennahme begehen. Wiederum handelt es sich um einen qualitativen Unterschied, der auf jeden Einzelfall angewendet werden muß.
Lassen wir das Thema der Unternehmensfinanzierung beiseite, das sich von der Zinsennahme unterscheidet. Es ist wahr, daß sich manchmal Personen Geld ausborgen müssen, um die laufenden Ausgaben zu decken. Die Kirche hat dies anerkannt und zinsenlose Darlehen gestattet. Das bedeutet, daß das gegenwärtige System von Konsumkrediten unmoralisch ist. Unser Rechts- und Wirtschaftssystem ist dergestalt, daß nur verzinste, noch dazu hoch verzinste Konsumkredite zu erhalten sind (Kreditkarten, Überbrückungskredite und Subprime-Kredite). Wie ich in dem Buch zeige, war dies nicht immer so. Als verzinste Kredite verboten waren, existierten unzählige Kreditinstitutionen, die unverzinste Kredite vergaben, um die gerechtfertige Kreditnachfrage für notwendige Beschaffungen zu befriedigen. Diese Institutionen wurden erst aus dem Markt verdrängt, als verzinste Kredite zivilrechtlich erlaubt wurden. Die nach Gewinn strebenden Kreditgeber verdrängten die Katholischen Institute vom Markt, damit sie den Markt für Konsumentenkredite zu rekordhohen Zinssätze beherrschen konnten. Dieses System hat sich sehr stark vom heutigen unterschieden. Es war für die Menschen nicht möglich, sich mit einer Kreditkarte zu verschulden, um einen teuren Urlaub zu buchen oder um ganz allgemein über das derzeitige und erwartete zukünftige Einkommensniveau hinaus zu leben. Der gegenwärtige Konsumerismus basiert auf der fortwährenden Kreditaufnahme durch die Konsumenten, die mehr Geld ausgeben als sie jemals verdienen werden. Dadurch kam es zu einem riesigen Vermögenstransfer von den Kreditnehmern zu den Wucherern.

F. Eine letzte Frage. Sind Ihre Ausführungen für den interessierten Laien verständlich oder setzt Ihr Buch eine ökonomische Ausbildung voraus?

A. Wie bei allen Moralfragen sind die Prinzipien für jedermann verständlich. Die Anwendung in einem Einzelfall mag komplizierter sein und den Rat eines Spezialisten benötigen. Das Buch wurde nicht geschrieben, um alle technischen Fragen detailliert zu beantworten, sondern um die Prinzipien in unserer verwirrenden Welt besser bekannt zu machen. Ich habe versucht ein möglichst lesbares Buch zu schreiben und habe kein technisches Wissen des Lesers vorausgesetzt. Ich hoffe, daß die Leser das Buch als lesbar erachten, da dies meine Intention war. Ein Vorteil des Buches liegt in dem Umstand, daß es aus einem juristischen Blickwinkel verfaßt worden ist. Im Unterschied zu den meisten Ökonomen sind die Juristen darin geübt, komplexe Rechtsvorschriften in eine Sprache zu übersetzen, die der juristisch ungebildete Klient verstehen kann. Ich habe beim Verfassen dieses Buches auf meine zehnjährige Erfahrung als Anwalt zurückgreifen können.

The Church and the Usurers
Unprofitable Lending for the Modern Economy
Brian McCall
Sapientia Press

Paper
978-1-9325-8964-1
$34.95
May 2013
Bonifatius-Franz
Die Sache ist doch einfach: Erlaubt ist gemäß der Abhandlung eine Entschädigung für eigene Verluste aus Darlehensgewährung zu fordern, nicht aber einen Aufschlag, der über diese eigenen Verluste hinausgeht. Die eigenen Verluste aus Darlehensgewährung setzen sich zusammen aus 1. entgangenen Zinseinnahmen aus einem alternativen Anlagegeschäft, 2. einem Risikoaufschlag oder Abschlag je nachdem ob …Mehr
Die Sache ist doch einfach: Erlaubt ist gemäß der Abhandlung eine Entschädigung für eigene Verluste aus Darlehensgewährung zu fordern, nicht aber einen Aufschlag, der über diese eigenen Verluste hinausgeht. Die eigenen Verluste aus Darlehensgewährung setzen sich zusammen aus 1. entgangenen Zinseinnahmen aus einem alternativen Anlagegeschäft, 2. einem Risikoaufschlag oder Abschlag je nachdem ob die beste Alternative riskanter oder risikoärmer ist und 3. einer Entschädigung für Verwaltungskosten. Unerlaubt sind wie gesagt darüber hinaus gehende Aufschläge, die man sowieso nur als marktmächtiger Akteur auf dem Kapitalmarkt erzielen kann. Damit entspricht die kirchliche Lehre eins zu eins der Forderung nach einem perfekten Kapitalmarkt, wie sie auch in der normativen Kapitalmarkttheorie wissenschaftlich gestellt wird.
Santiago_
Hochinteressantes wie ebenso wichtiges Interview/ Buch zu einer der ganz zentralen Fragen und Problematik unserer Zeit. Danke fürs Einstellen!