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Ausland Sicherheitskonferenz

Israel bereitet sich womöglich auf Krieg mit Iran vor

Iran Iran
Iranische Soldaten bei einer Übung in Bandar Jask. Deutschland will die Debatte über einen Militärschlag vermeiden
Quelle: AFP
Bei der Sicherheitskonferenz in München steht der Iran offiziell nicht auf der Tagesordnung – und bestimmt doch die Gespräche. Israel debattiert über Militärschlag.

Seit Jahren muss jede neu gebaute israelische Wohnung einen „Sicherheitsraum“ haben. Ein Zimmer, das mit Stahlbeton, schwerer Stahltür und Zentimeter dicker Eisenplatte ausgestattet ist, die sich vor das Fenster rollen lässt. Das soll im Fall von Raketenangriffen vor der ersten Explosionswelle schützen.

Und wenn man amerikanischen Medienberichten glauben soll, dann werden die Israelis diese Zimmer bald in Massen aufsuchen, um sich vor einem iranischen Gegenschlag in Sicherheit zu bringen, nachdem die israelische Regierung die iranischen Nuklearanlagen angegriffen hat.

Das iranische Atomprogramm wurde zwar nicht offiziell auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz besprochen. Aber das Thema tauchte immer wieder in Diskussionsbeiträgen auf und wurde in den Hinterzimmern diskutiert. Denn offenbar hatte jemand aus dem Umfeld von US-Verteidigungsminister Leon Panetta den gut vernetzten Kolumnisten David Ignatius gezielt mit Informationen gefüttert, wonach Panetta einen israelischen Angriff zwischen April und Juni diesen Jahres erwarte.

Wird 2012 also zum Jahr eines weiteren Nahostkrieges? Läuft zehn Jahre nach der Aufdeckung des iranischen Atomprogramms nun die Zeit ab?

Wer in dieser Woche die Sicherheitskonferenz in Herzlija besucht hat, das israelische Pendant zur Münchner Tagung, dem fiel auf, dass sich die martialische Tonlage mancher Minister deutlich unterscheidet von der nuancierteren der Militärs. Verteidigungsminister Ehud Barak drohte: „Wer immer nur ,später’ sagt, wird möglicherweise herausfinden, dass später zu spät ist“.

Der nach München gereiste ehemalige Botschafter Israels in Berlin, Schimon Stein, hält das für eine Warnung an die internationale Gemeinschaft, „dass der diplomatische Prozess nicht ewig andauern kann“. Nicht nur, weil Iran auf seinem Weg zur Bombe immer weiter vorankommt.

„Barak benutzte den Begriff einer ,Zone der Immunität’ um deutlich zu machen, dass es auch für die militärische Option ein Zeitfenster gibt.“ Deshalb hat Barak darauf hingewiesen, dass die Verlegung von Urananreicherungsanlagen in die schwer anzugreifenden Bergbunker bei Qom besorgniserregend für Israel ist.

Irakischer Luftraum ist "Niemandsland"

Der angesehene französische Sicherheitsexperte Francois Heisbourg glaubt, dass sich das Fenster für eine Militäraktion tatsächlich am 31. Dezember 2011 geöffnet hat. Das war das Datum des vollständigen amerikanischen Truppenabzuges aus dem Irak. „Seitdem ist der irakische Luftraum Niemandsland geworden, weil er nicht mehr kontrolliert wird“. Israelische Militärjets könnten nun die direkte Route in den Iran nehmen und müssten nicht mehr um den Irak herumfliegen, was die ganze Aktion erleichtern würde.

Auch Heisbourg weiß nicht, wann sich dieses Fenster wieder schließen wird. Er hält aber einen israelischen Angriff vor den Präsidentschaftswahlen in Amerika für denkbar. „Dann würden die unmittelbaren politischen Auswirkungen für Israel weniger schwerwiegend ausfallen, weil keiner der Präsidentschaftskandidaten sich im Wahlkampf gegen den Angriff stellen könnte.“

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Das sieht Jonathan Paris ähnlich, der für das Pentagon eine maßgebliche Studie zum Iran verfasst hat. Wenn die Sanktionen nicht das erwünschte Resultat brächten, sieht er eine „hohe Wahrscheinlichkeit für einen israelischen Militärschlag zwischen Juli und Ende Oktober“.

Für Heisbourg hat der Krieg schon begonnen mit der Ermordung von iranischen Atomwissenschaftlern, dem Computervirus Stuxnet oder der verheerenden Explosion vergangenen November auf einer Raketenbasis, die das iranische Programm zur Entwicklung von Feststoffraketen zerstörte. Heisbourg will im Gespräch mit „Welt Online“ nicht ausschließen, dass es gar nicht zu dem einen, vernichtenden Angriff auf die Atomanlagen kommen wird, sondern dass man hin und wieder „Teile der unterschiedlichen Programme verschwinden sehen wird“.

Es gibt in Israel eine apokalyptische Sicht, die Irans Bombe als existenzielle Bedrohung für den jüdischen Staat ansieht, und eine etwas zurückgenommenere, die das iranische Atomprogramm eher als Versuch Teherans sieht, Abschreckungsmacht aufzubauen und den eigenen Einfluss in der Region auszudehnen. Die apokalyptische Version wird etwa von Premier Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak vertreten.

Generalstabschef Benny Gantz hingegen vermied in Herzlija solche Endzeitvisionen. Und noch ist nicht klar, wie er und die Chefs der Geheimdienste zu einem Angriff auf den Iran stehen. Sollten die höchsten israelischen Fachleute von einer Attacke abraten, dann dürfte es Netanjahu und Barak schwer fallen, einen Angriff zu befehlen.

Es ist schwer abzuschätzen, wie viel von den drohenden Tönen aus Israel und den über Bande gespielten aus Washington dazu dient, nur die Glaubwürdigkeit der Militärdrohung in den Augen der Iraner zu erhöhen, und wie viel davon bitterer Ernst ist.

Deutschland lehnt Debatte über Militärschlag ab

Noch, so sagen viele Experten, habe Irans geistiger Führer Ali Chamenei nicht den Befehl zum „break out“ gegeben, also zur finalen Anstrengung, in großer Eile eine Bombe zu konstruieren. Wenn es dazu käme, so sagte der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes Aviv Kochavi, dann könnte Iran in einem Jahr eine Atombombe bauen.

Solch einen finalen Sprint halten viele Iranexperten allerdings für untypisch. Wahrscheinlicher sei, dass Teheran an der bisherigen Strategie festhalte, sich langsam an die Bombe heranzupirschen, so wie man es in den vergangenen Jahren getan habe. Das macht es umso schwieriger für die Israelis, jenen Zeitpunkt zu bestimmen, an dem ihnen keine andere Wahl bleibt als entweder zuzuschlagen oder mit einer iranischen Bombe zu leben.

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Für die deutschen Vertreter auf der Sicherheitskonferenz ist das Thema Iran heikel. Einerseits ist die Sicherheit Israels „deutsche Staatsräson“, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel wiederholt erklärt hat. Andererseits ist es laut Außenminister Guido Westerwelle „das Kernanliegen deutscher Außenpolitik, Kriege zu verhindern“. Schon eine Debatte über Militärschläge gegen den Iran lehnt die Bundesregierung deshalb ab.

"Wir erwarten deutsche Führung"

Dieses Dilemma wurde offenbar, als Daniel Ayalon in München das Wort ergriff. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad sei „so gefährlich für die Welt wie Hitler in den 30er-Jahren“, sagte Israels Vize-Außenminister. Hat Deutschland darauf eine Antwort? Wird Berlin mit in den Krieg ziehen, wenn ein neuer Atomwaffenstaat Iran nicht mehr abzuwenden ist? „Wir erwarten deutsche Führung“, sagte Ayalon.

Die Deutschen aber ließen sich darauf nicht ein. Eine Debatte über Militärschläge mit Wenn-dann-Sätzen zu beginnen, sei der Lage „nicht angemessen“, antwortete Verteidigungsminister Thomas de Maiziere, und berge die Gefahr einer Automatisierung. Das Thema sei für eine öffentliche Debatte nicht geeignet.

Stattdessen übten sich die deutschen Minister in mäßigenden Appellen. De Maizière wandte sich an Israel und versicherte, man nehme dessen Sorgen sehr ernst: „Aber wir warnen auch vor Abenteuern.“ Westerwelle widmete sich der anderen Seite: „Ich appelliere an die iranische Führung, die Eskalation der Worte zu unterlassen.“ Iran hat auch gerade ein Manöver in der Straße von Hormus begonnen.

Worte können in diesen Tagen wie Brandbeschleuniger wirken, warnen deutsche Diplomaten. Deshalb war es ihnen auch gar nicht unrecht, dass der Iran offiziell nicht auf der Tagesordnung der Sicherheitskonferenz stand. Die Bundesregierung setzt auf den Faktor Zeit und hofft auf die Durchschlagskraft der bereits beschlossenen Sanktionen.

Die zeigten ja durchaus bereits Wirkung, sagte Westerwelle: „Die Menschen im Iran stehen ja längst nicht alle und nicht in allem hinter ihrer Führung. Viele kritisieren die schlechte Wirtschaftslage und sie wissen, dass das etwas mit der internationalen Isolierung ihres Landes zu tun hat.“ Deswegen kümmerte sich der Außenminister in seinen bilateralen Gesprächen am Rande der Konferenz vor allem um die Absicherung dieses Sanktionsregimes.

Und da gab es einiges zu tun. Zum Beispiel bei den Chinesen. Denn das Ölembargo des Westens gegen Teheran laufe ins Leere, sagte der CDU-Europaangeordnete Elmar Brok, „wenn China im Gegenzug seine Importe erhöht“. Nach einem Gespräch mit dem chinesischen Vize-Außenminister Zhang Zhijun machte Westerwelle diesbezüglich „durchaus ermutigende Signale“ aus.

Auch bei seinem Treffen mit dem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow stand der Iran auf der Agenda: Nicht nur die Deutschen befürchten, das Russland das eingeschränkte Angebot auf dem Weltmarkt nutzen könnte, um seinerseits die Preise anzuheben. Und mit den Amerikanern wird schon seit geraumer Zeit abgestimmt, wie die Versuche Teherans, den internationalen Boykott der iranischen Zentralbank zu unterlaufen, bekämpft werden können.

Schließlich gibt es auch in Europa Gesprächsbedarf. Deutschland selbst hat kaum Probleme, ausbleibende Öllieferungen aus dem Iran zu ersetzen. Es gibt aber Staaten wie Griechenland oder Italien, die weitaus stärker von Teheran abhängig sind und konkrete Hilfe aus Berlin erwarten.

Nicht nur ein Problem für Israel

Man wolle diesen Weg aus Druck und Gesprächsangeboten an den Iran weiter gehen, sagte Westerwelle, das habe man mit den Partnern in Europa und den USA verabredet. Ob das am Ende erfolgreich sein kann, weiß niemand in der Bundesregierung. „Ich bin nicht ganz sicher“, sagte Thomas de Maiziere, „wie rational es in Teheran zugeht“.

Eines ist klar: Wenn Iran die Bombe bekommt, dann ist das nicht nur ein Problem für Israel, sondern auch für den Westen und besonders für die Golfstaaten. Schon macht das Wort von einem „polinuklearen Nahen Osten“ die Rede. Die Saudis haben mehrfach angedeutet, ebenfalls aufzurüsten, wenn Iran die Bombe hat. Türkei und Ägypten wären weitere denkbare Kandidaten.

Das wäre eine ganz andere Situation als im Kalten Krieg mit seinen beiden fest gefügten Blöcken. Je mehr nukleare Player mitspielen und je schwieriger sie auszurechnen sind, was besonders für Teheran gilt, desto höher ist die Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen. Man muss nicht der Meinung sein, dass Ahmadinedschad ein neuer Hitler ist, um das für ein Katastrophenszenario zu halten.

Mitarbeit: Michael Stürmer

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