Es gibt keine offizielle kirchliche Deutung des Geheimnisses von Fatima

Die Pressekonferenz vom 26. Juni 2000


Am 26. Juni 2000 veröffentlichte Kardinal Joseph Ratzinger im Auftrag von Papst Johannes Paul II. auf einer Pressekonferenz das sogenannte Dritte Geheimnis von Fatima. Gibt es seither eine offizielle kirchliche Interpretation dessen, was die Gottesmutter 1917 den Hirtenkindern offenbart hatte?
Am 26. Juni 2000 veröffentlichte Kardinal Joseph Ratzinger im Auftrag von Papst Johannes Paul II. auf einer Pressekonferenz das sogenannte Dritte Geheimnis von Fatima. Gibt es seither eine offizielle kirchliche Interpretation dessen, was die Gottesmutter 1917 den Hirtenkindern offenbart hatte?

Der drit­te Teil des Geheim­nis­ses von Fati­ma wur­de von der Kir­che lan­ge geheim­ge­hal­ten, was Anlaß zu Unru­he und zahl­rei­chen Spe­ku­la­tio­nen war. Der Grund, wes­halb die­ser Teil so vie­le Jahr­zehn­te unter Ver­schluß gehal­ten wur­de, erschließt sich im Rück­blick nicht wirk­lich. Erst am 26. Juni 2000 leg­te der Hei­li­ge Stuhl durch die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on unter der Lei­tung ihres dama­li­gen Prä­fek­ten Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger und ihres Sekre­tärs, des dama­li­gen Erz­bi­schofs und spä­te­ren Kar­di­nals Tar­cis­io Ber­to­ne SDB, auch die­sen letz­ten Teil des Geheim­nis­ses der Öffent­lich­keit vor, den die Got­tes­mut­ter drei Hir­ten­kin­dern am 13. Juli 1917 in der Cova da Iria in Fati­ma offen­bart hatte.

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Dabei muß fest­ge­hal­ten wer­den, daß Sr. Lucia dos San­tos, das ein­zi­ge über­le­ben­de Seh­erkind der Ereig­nis­se von 1917, den drit­ten Teil des Geheim­nis­ses erst am 3. Janu­ar 1944 auf Anwei­sung des Bischofs von Lei­ria-Fati­ma zu Papier brach­te und damit jenes Doku­ment ent­stand, das dem Papst in Rom über­ge­ben und dort bis 2000 unter Ver­schluß gehal­ten wurde.

Die Ver­öf­fent­li­chung im Rah­men des Hei­li­gen Jah­res 2000 war von Papst Johan­nes Paul II. gewünscht wor­den, wobei an die­ser Stel­le nicht auf die fol­gen­den Zwei­fel und Pole­mi­ken ein­ge­gan­gen wer­den soll, ob und inwie­weit die Anga­ben von Sr. Lucia damals voll­stän­dig publi­ziert wur­den oder nicht. An die­ser Stel­le geht es um die Fra­ge, ob es eine offi­zi­el­le kirch­li­che Deu­tung des Geheim­nis­ses gibt. 

Die Ver­öf­fent­li­chung der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on vom 26. Juni 2000 ist umfang­reich und besteht aus ver­schie­de­nen Doku­men­ten, dar­un­ter auch ein Schrei­ben von Johan­nes Paul II. vom 18. April 2000 an Sr. Lucia, in dem es heißt (Her­vor­he­bung im Original):

„Da jedoch an die­sem Tag kei­ne Zeit sein wird zu einem Gespräch, son­dern nur für einen kur­zen Gruß, habe ich eigens Sei­ne Exzel­lenz Msgr. Tar­cis­io Ber­to­ne, Sekre­tär der Kon­gre­ga­ti­on für die Glau­bens­leh­re, beauf­tragt, Sie auf­zu­su­chen und mit Ihnen zu spre­chen. Die­se Kon­gre­ga­ti­on arbei­tet eng­stens mit dem Papst zusam­men, um den wah­ren katho­li­schen Glau­ben zu schüt­zen, und hat, wie Sie wis­sen, seit 1957 Ihren hand­schrift­li­chen Brief auf­be­wahrt, der den drit­ten Teil des Geheim­nis­ses ent­hält, das am 13. Juli 1917 in der Cova da Iria, Fati­ma, offen­bart wur­de. Msgr. Ber­to­ne, der von Sei­ner Exzel­lenz Msgr. Ser­a­fim de Sou­sa Fer­rei­ra e Sil­va, dem Bischof von Lei­ria, beglei­tet wird, kommt in mei­nem Namen, um eini­ge Fra­gen zu stel­len zur Deu­tung des ‚drit­ten Teils des Geheimnisses‘.

Msgr. Ber­to­ne such­te Sr. Lucia in Beglei­tung des Bischofs von Lei­ria-Fati­ma am 27. April 2000 im Kar­mel der hei­li­gen Tere­sa von Coim­bra auf. Dar­über leg­te er 2007 das Buch: „Die letz­te Sehe­rin von Fati­ma. Mei­ne Gesprä­che mit Sr. Lucia“ vor, das 2009 mit dem Titel: „Die Sehe­rin von Fati­ma“ auch in deut­scher Über­set­zung ver­öf­fent­licht wurde.

Den Kern des Fati­ma-Dos­siers der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on vom Juni 2000 bil­det die Ver­öf­fent­li­chung der Nie­der­schrift von Sr. Lucia von 1944, die u. a. von der Anspra­che von Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Ange­lo Sod­a­no vom 13. Mai 2000 in Fati­ma und von dem „Kom­men­tar zum Geheim­nis von Fati­ma“ des dama­li­gen Glau­bens­prä­fek­ten Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger ein­ge­rahmt wird.

Roma locu­ta cau­sa fini­ta? So heißt es zumin­dest immer wieder.

Nun leg­te Secre­tum meum mihi eine Video­se­quenz der Pres­se­kon­fe­renz vom 26. Juni 2000 vor, die damals vom vati­ka­ni­schen Pres­se­amt durch­ge­führt wur­de, um den bis dahin gehei­men Teil der Bot­schaft von Fati­ma vor­zu­stel­len. Der heu­te 77jährige Mar­co Poli­ti, damals Vati­ka­nist der links­li­be­ra­len Tages­zei­tung La Repubbli­ca, frag­te auf der Pres­se­kon­fe­renz Kar­di­nal Ratz­in­ger nach dem offi­zi­el­len Cha­rak­ter des „Ver­suchs einer Inter­pre­ta­ti­on“, wie Ratz­in­ger in sei­nem Kom­men­tar selbst schreibt.

Der Glau­bens­prä­fekt, Autor des „Inter­pre­ta­ti­ons­ver­suchs“, ant­wor­te­te auf die Fra­ge Poli­tis, daß es „kei­ne offi­zi­el­le kirch­li­che Inter­pre­ta­ti­on die­ser Visio­nen gibt“ (ab Minu­te 2:40). Die­se Fest­stel­lung wur­de von Kar­di­nal Ratz­in­ger noch ein­mal bekräf­tigt und präzisiert: 

„Es ist nicht die Absicht der Kir­che, eine Inter­pre­ta­ti­on vor­zu­schrei­ben“ (ab Minu­te 3:55).

Die­se Klar­stel­lung des Glau­bens­prä­fek­ten, den Johan­nes Paul II. mit der Ver­öf­fent­li­chung des „Drit­ten Geheim­nis­ses“ beauf­tragt hat­te, ging jedoch weit­ge­hend unter und wur­de bis heu­te kaum rezi­piert. Grund dafür war, daß die Ereig­nis­se längst von einer Aus­sa­ge des dama­li­gen Kar­di­nal­staats­se­kre­tärs Ange­lo Sod­a­no über­schat­tet wur­den und bis heu­te werden. 

Kar­di­nal Sod­a­no, der damals rang­höch­ste Vati­kan­di­plo­mat, hat­te am 13. Mai 2000, mehr als einen Monat zuvor, in Fati­ma in Anwe­sen­heit von Johan­nes Paul II. das Wort ergrif­fen. An jenem Tag hat­te der pol­ni­sche Papst die bei­den jung ver­stor­be­nen Seh­erkin­der Jac­in­ta und Fran­cis­co Mar­to selig­ge­spro­chen. Am Ende der Zele­bra­ti­on trat Kar­di­nal Sod­a­no zum Mikro­phon, um Johan­nes Paul II. zu sei­nem 80. Geburts­tag zu gra­tu­lie­ren. Dann aber prä­sen­tier­te er, laut eige­nen Wor­ten „beauf­tragt“ durch den anwe­sen­den Papst, eine Inter­pre­ta­ti­on des zu die­sem Zeit­punkt noch nicht ver­öf­fent­lich­ten drit­ten Teils des Geheim­nis­ses von 1917. Laut Sod­a­no sei die­ses eine „pro­phe­ti­sche Schau“ gewe­sen. „Der Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis des Tex­tes kann daher nur sym­bo­lisch sein“, so der Kar­di­nal­staats­se­kre­tär, und die­ser habe das Atten­tat auf Johan­nes Paul II. vom 13. Mai 1981 gemeint.

Am 13. Mai 2000 wur­den in Fati­ma die bei­den Seh­erkin­der Jac­in­ta und Fran­cis­co selig­ge­spro­chen. Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Ange­lo Sod­a­no (Mit­te) gab in Anwe­sen­heit von Johan­nes Paul II. und Sr. Lucia dem Drit­ten Geheim­nis ein „siche­re“ Deu­tung, die seit­her vor­herr­schend ist

Die Chro­no­lo­gie der Ereig­nis­se ist bekannt. War­um die­se Rei­hen­fol­ge gewählt wur­de, hin­ge­gen nicht. Obwohl der drit­te Teil des Geheim­nis­ses erst am 26. Juni 2000 ver­öf­fent­licht wur­de, presch­te der Kar­di­nal­staats­se­kre­tär am 13. Mai 2000 vor und gab den Ereig­nis­sen, bei noch unbe­kann­tem Text, bereits eine siche­re Inter­pre­ta­ti­on, wäh­rend Glau­bens­prä­fekt Joseph Ratz­in­ger, 44 Tage spä­ter, nur von einem „Inter­pre­ta­ti­ons­ver­such“ spricht. Doch die­se Prä­zi­sie­rung hör­te kaum noch jemand. Die Medi­en hat­ten sich längst auf das sen­sa­tio­nel­le The­ma gewor­fen und die Sod­a­no-Inter­pre­ta­ti­on als offi­zi­el­le kirch­li­che Deu­tung in den Köp­fen der Men­schen verankert.

Nun ist fest­zu­hal­ten, daß sowohl Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Sod­a­no als auch Glau­bens­prä­fekt Ratz­in­ger für sich aus­drück­lich in Anspruch nah­men, im Auf­trag von Johan­nes Paul II. zu han­deln. Ratz­in­ger wider­sprach der Deu­tung Sod­a­nos nicht, von der es heißt, daß sie die Über­zeu­gung Johan­nes Pauls II. wie­der­ge­ge­ben habe. Wäh­rend der Kar­di­nal­staats­se­kre­tär jedoch eine siche­re Deu­tung zu geben schien, redu­zier­te der Glau­bens­prä­fekt die­se auf einen blo­ßen Deutungsversuch.

Fest steht zumin­dest, wie das Video der Pres­se­kon­fe­renz belegt, daß es „kei­ne offi­zi­el­le kirch­li­che Inter­pre­ta­ti­on“ des soge­nann­ten Drit­ten Geheim­nis­ses von Fati­ma gibt.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Youtube/CTV/arquivos.rtp.pt (Screen­shots)

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