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In einer Zeitkapsel März 1, 2024, 21:17

Posted by Lila in Persönliches.
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Der 6. Oktober war mein letzter Arbeitstag im Kindergarten. Ich wurde nett verabschiedet, eine junge Kollegin, die mich ersetzen sollte, war schon eingearbeitet, und ich hatte schon eine andere, weniger körperlich anstrengende Arbeit angefangen. Es war ein Freitag, und wie immer bereitete ich, nachdem alle schon gegangen waren, den Kindergarten für Sonntag vor – deckte schon die Tabletts mit Frühstücksgeschirr und räumte alles auf. Ich bin immer gern die Erste, die morgens kommt, und die Letzte, die mittags geht. Und ich erinnere mich noch genau, wie ich zum letzten Mal die Tür abschloß. Es war abgemacht, dass ich weiterhin freitags, der sowieso ein kürzerer Tag ist, aushelfe.

Aus alledem wurde natürlich nichts, denn am Samstag brach der Krieg aus. Der Kindergarten wurde geschlossen, der Kibbuz evakuiert, und ich war die einzige aus dem Team, die Arbeit hatte. Ich blieb in Kontakt mit den Kolleginnen, wir whatsappen uns und haben uns ein paarmal in Nahariya in einem Cafe getroffen. Die Kindergärtnerin, eine junge und hochmotivierte Frau, wohnte mit ihrer Familie bis vor zwei Wochen weiter südlich, ist aber jetzt in den Kibbuz zurückgezogen. Der Kindergarten ist wieder eröffnet worden, aber in einem anderen Gebäude, das sicherer ist.

Ich hatte auch versprochen, die Geburtstagsgeschenke für die Kinder herzustellen. Im Jahr davor hatte ich für jedes Kind ein Gänschen gehäkelt, eine kleine Handpuppe, über die die Kinder sich sehr gefreut hatten. Ga-Ga! Ga-Ga! haben sie gerufen, wenn sie ihre Gans auspacken durften. Für dieses Jahr war unser Plan, jedem Kind drei Fische zu malen, auf Stöckchen zu kleben, und ihnen die mit dem Text eines beliebten Lieds zu schenken. Drei Fische, die durchs Meer schwimmen, höchst originell, aber wie Kinderlieder eben so sind.

Am Tag des Kriegsausbruchs, als das Ausmaß der Katastrophe klar war, aber noch nicht, was danach kommt, habe ich mir meinen Aquarellkasten geschnappt, mir im Internet tropische Fische angeguckt und die buntesten, fröhlichsten Fische gemalt, die man sich vorstellen kann. Dieses Projekt hat mich die ganze erste, sehr stressige Zeit des Kriegs begleitet. Ich habe mehr gemalt, als wir eigentlich brauchten, es waren am Ende fast 80 Fische. Dann habe ich sie ausgeschnitten und aufbewahrt.

Zwischendurch hatten wir ein Treffen mit den Kindern, die in einem anderen Kibbuz aufgenommen worden waren, weiter südlich. Dort war es friedlich und schön, und die Kinder haben sich gefreut, mich zu sehen. Ich war so froh, dass sie sich noch an uns alle erinnerten und sich sofort auf meinen Schoß setzten.

Auch an ein paar Zoom-Treffen mit den Eltern habe ich teilgenommen, und meine Tipps, welche kreativen Sachen man mit Kindern im Schutzraum machen kann, wurden dankbar aufgenommen. Eine der Mütter erzählte mir später, dass sie tatsächlich eine Wand leergeräumt hat, damit die Kinder sie bemalen dürfen, wenn sie Alarm haben.

Heute nachmittag bin ich in den leeren Kindergarten gefahren, um die Fische zu laminieren und auf Stöckchen zu kleben, denn am Dienstag ist der erste Geburtstag der zurückgekehrten Gruppe.

Ein paar Schränke und die große Spielküche fehlten, denn die sind wohl in das neue, raketensichere Gebäude gebracht worden. An der großen Tafel hing noch das Plakat zum Laubhüttenfest, mit Papierketten und Granatäpfeln. Auf dem Boden im Bad lagen noch die Packungen mit Pampers, jedes mit Namen. Und in der Küche – die Tabletts mit dem Frühstücksgeschirr, das ich am 6. Oktober vorbereitet hatte.

Es war so ein trauriger Anblick, das ich keine Fotos machen konnte, nur von den Fischen. Unser Leben ist stehengeblieben, für uns ist immer noch am 7. Oktober.

Gestern, heute, morgen Februar 27, 2024, 20:29

Posted by Lila in Persönliches.
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Gestern war ein sehr unruhiger Tag. Ich war den ganzen Tag unterwegs und hatte nicht viel Zeit für die Nachrichten, aber abends holte mein Mann mich ab und gab mir seine Zusammenfassung. Außerdem meinte er: morgen wird´s schlimmer.

Heute hatten wir beide frei, weil Kommunalwahlen waren. In unserer Gegend wird nicht gewählt. Die Wahlen sind verschoben, weil ein großer Teil der Einwohner immer noch evakuiert ist. (Nicht, als ob das international irgendjemanden kümmern würde!) Wir haben einen ruhigen Tag verbracht, und von der langen Liste von Dingen in Haus und Garten, die wir unbedingt machen müssen, haben wir einfach gar nichts gemacht. Wir sind spazieren gegangen (waren auch bei der Post – mein Adventskalender ist angekommen und ein Paket Lebkuchen! seit November unterwegs…) und haben die milde Luft genossen. Der Februar ist ja mein Lieblingsmonat, und er hat dieses Jahr so viel Regen gebracht, dass alles grünt und blüht. Einfach wunderschön. Im Ort liefen Familien herum, in den Gärten spielten Kinder.

Mein Mann hat sein meisterliches Shakshuka gemacht, und dann hat er sich Nachmittagsruhe gegönnt. Gegen vier hörte ich draußen laute Geräusche, und Sekunden später gingen draußen die Sirenen. Das Smartphone heult, vibriert und blinkt bei Alarm, und die Katzen flohen entsetzt unter unser Bett. Ich weckte meinen Mann, wir sprangen in den Schutzraum und schlugen die Tür zu, während über uns die Hölle los war. Das dauerte ein paar Minuten.

Wir versuchten, die Explosionen zu zählen und abzuschätzen, ob es Iron-Dome-Abschüsse waren oder Raketeneinschläge, und wir kamen zum Ergebnis, dass es wohl beides war. Nach zehn Minuten war es still und wir konnten wieder raus. Insgesamt war zweimal Alarm in Manot, oder war es dreimal? Es war so kurz hintereinander.

Draußen war es wieder still und ruhig, aber die Kinder riefen an und der Schwiegervater, ob bei uns alles okay ist. Ja, klar. Dann sahen wir die Clips, die erst per Whatsapp in der Nachbarschaftsgruppe geteilt wurden, dann auf Twix auftauchten und schließlich im Fernsehen. Um die 20 Raketen in unserer Gegend, einige davon abgefangen, andere auf freiem Feld oder einer Straße eingeschlagen.

Das war auf der Straße 89 von Maalot nach Nahariya, die auf dem Hügel uns gegenüber verläuft. Die Leute im Auto verhalten sich nicht nach den Anweisungen des Homefront-Kommandos – sie hätten aussteigen, sich vom Auto entfernen und hinlegen sollen, beide Hände über dem Kopf. Aber wenn man den Clip bis zum Schluß sieht, ist klar, dass das u.U. auch gefährlich gewesen wäre.

Autofahren ist einfach ein Risiko im Moment, weil Iron Dome nur für besiedelte Gebiete eingesetzt wird. Straßen gehören nicht unbedingt dazu.

Die große Qualmwolke im Clip ist über der Kabri-Kreuzung, ein bißchen weiter südlich von uns, wo wir jeden Tag vorbeikommen. Auch in Kfar Yassif,Abu Snan, Julis und Yirka, wo Drusen, Christen und Muslime leben, war Alarm. Glücklicherweise ist niemand verletzt worden.

Der Schreckensruf „immale!“ ist übrigens typisch, Mütterchen!, das ruft man hier, wenn man einen Schrecken kriegt. Mein Deutsch ist schon so rostig, dass mir gar nicht mehr einfällt, was man eigentlich statt immale ausstößt. Vermutlich ach du Scheiße oder so ähnlich 🙂

Die Eskalation ist im Gang, Israel greift aggressiver und weiter nördlich an, immer Stellungen der Hisbollah. Gestern in Baalbek, einer Hochburg der Hisbollah, 100 km nördlich der Grenze. Hisbollah reagiert dann wieder, und wir reagieren, und so geht es weiter. Wenn man aber in der Zeit zurückgeht, ist klar: den ersten, zweiten und dritten Schuß hat Hisbollah abgegeben, nicht erst am 7.10., sondern schon zu Pessach. Und wenn Hisbollah aufhört, hört Israel auch auf. Es ist also eine einseitig vorangetriebene Eskalation, in der Israel reagiert, und noch lange nicht mit voller Härte. Aber Israel de-eskaliert auch nicht, und dass ich viel weniger Artillerie höre, bedeutet bestimmt kein Nachlassen des Drucks auf Hisbollah. Ich höre dafür viel mehr Flugzeuge.

Ich kann mich nicht erinnern, seit dem 7.10. einmal richtig entspannt gewesen zu sein. Soldaten – Geiseln – Krieg – Raketen, eine Litanei der Sorgen und Ängste. Aber ich habe auch nie hysterisch reagiert wie die Leute in dem Clip, stellt euch das nicht so vor, dass es immer so ist. Das waren junge Leute, die mit der Situation überfordert waren und echte Angst hatten. Wir haben ruhig im Schutzraum gesessen und gewartet, bis es vorbei war. Im Schutzraum fühle ich mich tatsächlich geschützt, obwohl schon klar ist, dass ein Direkttreffer gefährlich wäre. Mein Mann sagte trocken: immerhin sehen wir, dass Iron Dome noch funktioniert.

Aber auch am 7.10., als wir Quarta aus Tel Aviv abholten und unterwegs Alarm war, sind wir ruhig geblieben. Angehalten, hinter ein Mäuerchen gelaufen, Quarta in die Mitte genommen und auf den Boden gegangen, bis es vorbei war. Man muß immer zehn Minuten warten, weil sonst noch Trümmer von Raketen oder Iron Dome runterfallen können. Auch als ich an der Bushaltestelle im Winter von einer Rakete überrascht wurde, habe ich nichts weiter getan, als zuzugucken, wie Iron Dome sie abfängt. Der Bus kam auch pünktlich, und ich war nicht die einzige aus Manot, die eingestiegen ist.

Das war also unser Tag heute. Keiner weiß, wir morgen wird. Ich hoffe, wir behalten alle die Nerven. In einem Nervenkrieg sind Nerven ein hohes Gut.

Mir tut es gut zu schreiben, ich schreibe mir die Sachen von der Seele und das hilft. Danke an alle, die lesen, kommentieren und meine Tee-Kasse freundlich bedenken. Ich würde gern alle Kommentare beantworten, das habe ich früher immer getan, aber jetzt fällt es mir schwer, obwohl es mich freut, dass es ganz überwiegend positive Kommentare sind. Die Trolle sind wohl alle zu Twitter-X umgezogen und toben sich da aus, und da stört es mich auch nicht, denn es fühlt sich nicht so persönlich an.

Familie, Arbeit, Alltag, Schreiben, und wissen, wofür man lebt. So überstehen wir die Zeit.

Gibt es Neuigkeiten? Nein Februar 23, 2024, 18:46

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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Wir gehen durch den Alltag, manche Leute kommen wieder nach Hause, sofern sie in einem nicht-ganz-grenznahen Ort leben. Ich treffe viele Menschen im Laufe der Woche, sie haben alle Geschichten zu erzählen. Jeder kennt Betroffene, jeder fühlt sich betroffen, dieser Krieg geht alle an und läßt keinen kalt.

Eine freundliche ältere Dame, handarbeitsbegeistert und engagiert, gibt mir Tipps, wo man das beste Garn kaufen kann. Sie war in Tel Aviv, und im Dizengoff Center gibt es wohl einen sehr guten Laden. Dort hat sie sich mit Makramee-Material eingedeckt. Jetzt macht sie pastellfarbene Spiegel mit Makramee-Rahmen, für die Mädchen, die noch immer Geiseln sind. In Tel Aviv, am Platz der Geiseln vor dem Museum, kann man Geschenke für die Geiseln abgeben. Sie arbeitet viele Stunden am Tag an ihren Geschenken für die Mädchen, und denkt dabei pausenlos an sie, knüpft ihre guten Wünsche in jeden Knoten.

Ein älterer Herr, früher hoher Offizier und im Libanonkrieg I schwer verwundet, erzählt mir von seinem Foodtruck, den er regelmäßig in den Süden fährt, für die Soldaten dort. Alles Spenden, die Soldaten sollen was Besonderes zu essen kriegen und merken, dass das ganze Land an sie denkt.

Die Raketen im Süden haben deutlich abgenommen, im Norden bleibt es sich in etwa gleich. Die Hisbollah schießt mit Anti-Tank-missiles, die von Iron Dome nicht abgeschossen werden können. Es gibt wohl Lösungen dagegen, aber sie schützen nur Panzer, nicht Dörfer.

Israel hat sich den Beschuß aus dem Libanon lange angesehen und punktuell reagiert. Irgendwann in den letzten Wochen ist dann wohl die Entscheidung gefallen, nachdem die Drohnen der Hisbollah immer weiter südlich flogen und die Angriffe auf die Grenze nicht aufhörten, aggressiver zurückzuschlagen. Dabei werden nach wie vor nur Hisbollah-Ziele angegriffen, aber IAF fliegt weiter nördlich als zuvor. Der Kipppunkt (komisch, drei p hintereinander zu schreiben, aber so is es) kann jederzeit erreicht sein, wir werden es erst wissen, wenn er überschritten ist und es hier so richtig losgeht.

Inzwischen sind wir alle ganz schön abgehärtet. Ich habe heute in Nahariya unterrichtet, zwischendurch rappelten die Handys, alle guckten schnell nach – Alarm weiter östlich, kein Grund, in den Schutzraum zu gehen. Also weitergemacht.

Vor ein paar Tagen saß ich zuhause und unterrichtete per Zoom, da hörte ich draußen wieder das typische Gerumpel. Die Katzen, vorher um mich herum drapiert (wo aber die Heizung ist, da werden auch die Katzen sein), sprangen empört auf. Ein Blick aufs Handy – Alarm in Shlomi und Metzuba, 2 km entfernt. Tür zugeschmissen und weiter unterrichtet.

Mein Mann hatte ein oder zwei Tage ein ähnliches Erlebnis. Lärm draußen – eine Drohne der Hisbollah fiel vom Himmel. Alarm war nicht, also arbeiteten alle weiter.

So ist der Mensch, man gewöhnt sich an alles. Auf dieser Eskalationsstufe kann es noch eine Weile weitergehen, was wir machen, wenn es schlimmer wird, werden wir dann sehen.

Woran wir uns nie gewöhnen werden, das sind die Terroranschläge, die Menschenleben kosten, die Soldaten, die mit ihrem jungen Leben für uns einstehen und von Eltern begraben werden, die jünger sind als wir. Und es gibt keinen Moment, in dem ich nicht an die Geiseln denke. Sie sind in den Händen von Bestien, denen keine Tat zu abscheulich ist, die nicht tiefer sinken können, als sie schon sind.

Wir wissen, wie grausam die Sportler in München mißhandelt wurden. Wir wissen, wie Terroristen gewütet haben, in den Häusern vieler jüdischer Familien. Doch jetzt sind wir in einem fast fünf Monate andauernden Terrorangriff mit Geiselnahme (pigua mikuach), und die Nervenanspannung hört nicht auf. Ich kann von mir sagen, dass ich seitdem keinen Moment mehr unbeschwert genossen habe. Ich schlafe abends mit den Gesichtern vor Augen auf, den Namen, ich habe Albträume und höre Schreie und Rufe, und ich wache erschöpft auf. Wie es den Angehörigen geht, kann ich nicht ermessen – wenn es eines meiner Kinder wäre, das in den Händen der Hamas leidet, ich weiß nicht, was ich tun würde.

Dazu die Gleichgültigkeit der Welt, die ewigen Appelle an Israel, ja nicht etwa an die Hamas, sondern an UNS, den Kampf aufzugeben, bevor er gewonnen ist, die Ausbrüche des entfesselten Antisemitismus auf Straßen und in Hörsälen in aller Welt, die Lügen, die pausenlos in die Welt gesetzt werden – auch das ist schwer zu ertragen.

Wir wußten, dass wir nicht mit Solidarität rechnen konnten, und sind dankbar für die Solidarität, die wir erfahren haben. Dass wir darauf nicht auf Dauer bauen konnten, war klar. Israel hat den Siegeszug der palästinensischen Ideologie zugelassen, das war ein Fehler, und jetzt glaubt die ganze junge Generation, was ihnen auf Tiktok erzählt wird. Dass nichts davon wahr ist, zählt nicht. Wahrheit steht überhaupt im Moment nicht hoch im Kurs, es ist schwer, mit Fakten und komplexen Rekonstruktionen einer verzwickten Vergangenheit gegen einfache Lügenmärchen vorzugehen, die in sich logisch sind und in die ideologischen Weltbilder passen.

Die Medien in aller Welt haben beschlossen, dass das höchste Gut das Wohl der palästinensischen Zivilisten ist, dass es eine saubere Trennung zwischen einigen wenigen bösen Terroristen und einer harmlosen, hilflosen Zivilbevölkerung gibt, die mit Terror nichts am Hut hat. Die Bilder vom 7.10. beweisen das Gegenteil, die Beweise gegen UNRWA liegen vor, die Verstrickung der Zivilbevölkerung in den Feldzug gegen Israel ist unwiderlegbar, aber das ist egal. Das Narrativ, das den Pro-Palästina-Demonstranten erlaubt, sich als die Guten zu sehen, die für Menschenrechte einstehen, siegt über die Realität, in der palästinensische Familien junge Mädchen in ihren Häusern festhielten und bedrohten. Die Realität, in der Menschenmengen auf israelische Leichen einprügelte und auf Geiseln spuckte. Die Realität, in der kein Haus im Gazastreifen ohne Waffen oder Tunnel-Eingänge war. Die Realität, in der UNRWA-Lehrer und -Sozialarbeiter aktiv am Massaker teilnahmen und es feierten.

Von alldem findet sich nichts in den öffentlichen Diskussionen. Es geht nur darum, dass Israel seine militärische Überlegenheit bitte nicht einsetzen darf, um sein Überleben zu sichern.

Tausende Raketen sind auf Israel abgeschossen worden. Ohne Zivilschutz, Einhaltung der Regeln, Schutzräume und Systeme wie Iron Dome gäbe es hier Tausende Tote. Das zählt nicht, es sind nicht die israelischen Zivilisten, für die das Herz der Welt blutet, es sind immer nur die Palästinenser. Israelis sind Roboter, keine vollwertigen Menschen, sie sind zu resilient, zu sehr bereit, ihr Fell teuer zu verkaufen.

Pallywood produziert lächerlich durchsichtige Filmchen, über die in westlichen Medien Tränen vergossen werden. Die Hamas produziert Opferzahlen, die unhinterfragt übernommen werden. Die Hamas hindert Zivilisten daran, Kampfzonen zu verlassen, nachdem Israel mit allen Mitteln warnt, aber Israel ist schuld, wenn es Tote gibt. Videos aus Syrien werden als Gaza ausgegeben, keiner überprüft es. Wie sollen wir gegen diesen stinkenden Tsunami von Lügen ankommen?

Ich sage es seit Jahren. Um diesen Konflikt zu lösen, müssen mehrere Dinge geschehen. Die internationale Gemeinschaft muß Qatar und die Islamische Republik Iran verwarnen und in die Schranken weisen. Die UNRWA, dieser korrupte Laden, muß aufgelöst werden, die Geldströme müssen verfolgt werden, Mißbrauch aufgedeckt werden. Der vererbbare Flüchtlingsstatus der Palästinenser, dieses sinnlose Alleinstelllungsmerkmal, muß aufgehoben werden, und die Länder, in denen es Nachkommen der Flüchtlinge gibt, müssen verpflichtet werden, Palästinensern gleiche Rechte einzuräumen.

Und die Palästinenser müssen endlich anfangen, eine wahre zivile Gesellschaft aufzubauen. Eine Gesellschaft, die nicht nur, wie im Gazastreifen, eine Fassade ist, hinter deren Hotels und Krankenhäusern, Geschäften und Villen (ja, es gab dort ganze Villenviertel) sich keine Terrortunnel und Raketenschmieden mehr verbergen. Sie müssen anfangen, ihren Kindern Mathe, Englisch, Literatur und Geschichte beizubringen – die echte Geschichte, nicht ihr erlogenes Narrativ von Landraub und Unterdrückung. Sie hatten 2005 die Chance dafür und haben sie vertan.

Wenn die internationale Gemeinschaft, die die Palästinenser mit unvorstellbaren Summen alimentiert hat, ohne zu überprüfen, wohin das Geld fließt (IDF hat ganze Pakete von Geld in den Tunneln gefunden), wenn diese „Gemeinschaft“ den Palästinensern irgendetwas schuldet, dann dieses: darauf zu bestehen, dass sie zu einer produktiven, lebensbejahenden, friedlichen und kooperationsfähigen Bevölkerung werden.

Die Zweistaatenlösung ist kein Instant-Geschenk für Terrorismus, sondern ein Langzeit-Angebot. Gebt uns fünfzehn, zwanzig Jahre ohne Terror, ohne Lügen, mit bilateralen Beziehungen und Zusammenarbeit nach Stef Wertheimers Modell der gemeinsamen Industrieparks, mit Schüleraustausch und gemeinsamen ökologischen Projekten. Nach einer solchen Zeit, in der nicht Aggression, sondern Zusammenarbeit herrschen, ist eine Zweistaatenlösung ein realistisches Ziel.

Aber so wie es heute aussieht? Warum sollte Israel sich dieser Gefahr aussetzen? Hamas und Fatach haben beide immer wieder gesagt, dass sie keine Zweistaatenlösung wünschen, sondern Israel ausrotten wollen und den 7.10. als Blaupause für zukünftige Aktionen sehen. Wenn die internationale Gemeinschaft diese Aussagen und den täglichen Terror einfach übersieht, um an ein Phantasieprojekt zu glauben, den friedlichen, kompromißbereiten Palästinenser, der ja so gern ein guter Nachbar sein will – dann stehen wir eben isoliert da. Schade, aber dann hat die Welt eben noch nicht, noch immer nicht, eingesehen, was uns seit Jahren klar ist.

Die Palästinenser wollen keinen Staat und sie können es auch nicht. Gaza hätte das Modell sein können. Das Ergebnis haben wir gesehen. Wir spüren es in unseren Knochen, die ganze Härte dieser Realität. Wir gehen einen schweren Weg. Aber es gibt keinen anderen, wenn wir überleben wollen.

Shigrat cherum – die Routine der Notlage Februar 5, 2024, 22:49

Posted by Lila in Persönliches.
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Eine charakteristische Sprachregelung. Wir sind im Ausnahmezustand, aber der ist schon längst zur Routine geworden. Shigrat cherum bedeutet, dass alles so normal wie möglich weitergehen soll, auch unter ungewöhnlichen Umständen. Und das tut es, zumindest habe ich das Gefühl, dass es nicht nur mir so geht. Wenn es draußen ballert, gucke ich nicht mehr sofort nach, was mir das Sicherheitsteam per Whatsapp mitteilt – ich kann selbst abschätzen, wo es an der Grenze gekracht haben muß, und führe meinen Alltag weiter, und so tun es auch die anderen, die ich kenne.

Eine Bekannte aus Hanita findet sich langsam damit ab, dass ihr Kibbuz so schnell nicht wieder zu bewohnen ist, und sie hat mir erzählt, dass sich junge Kibbuzfamilien anderswo dauerhaft niedergelassen haben. Sie selbst (genau mein Alter) und ihr Mann sind auch bereit, unter schwierigen Umständen in den Kibbuz zurückzugehen, der direkt an der Grenze liegt, aber mit Kindern ist das natürlich was anderes. Für sie hat sich mehr geändert als für uns.

Eine Freundin aus Gesher HaZiv ist mit ihren Kindern zurückgekehrt, und es ist geplant, die Schulen und Kindergärten langsam wieder aufzumachen. Die Evakuierung der 5 km-Zone verwischt sich, und ich nehme an, wenn diese instabile Lage noch länger anhält, werden viele zurückkehren, nur die in den ganz grenznahen Orten nicht.

Die Hisbollah hat den Überraschungseffekt, den sie am 7. Oktober eindeutig gehabt hätte, verpaßt. Ich habe den Verdacht, dass sie jetzt auf unsere Gewöhnung an den Ausnahmezustand setzt, und ich kann nur hoffen, dass die IDF sich nicht ein zweites Mal überraschen läßt. Es ist jederzeit möglich, dass die Lage sich verschärft.

Es ist ein Nervenkrieg, es ist ein Abnutzungskrieg, und wir können uns nicht leisten, die Nerven zu verlieren oder uns abnutzen zu lassen.

Ich trage meine Erkennungsmarke jeden Tag, und sehr viele andere tun das auch. Für die Geiseln müssen die letzten Wochen, mit kaltem, nassem Winterwetter, sehr schwierig gewesen sein. Auch für die Soldaten sind sie kein Vergnügen. Es ist gut möglich, dass mit Frühlingsanfang und wärmeren Temperaturen die IDF die Initiative ergreift und der Routine des Kriegs auf kleiner Flamme ein Ende macht. Ich persönlich hoffe auf eine diplomatische Lösung, denn die Meinungsverschiedenheiten mit dem Libanon sind lösbar. Aber der Vernichtungswille der Hisbollah wird sich damit vermutlich nicht zufriedengeben. Das sind inner-libanesische Entscheidungen, auf die wir wenig Einfluß haben, wer sich durchsetzt – Pragmatiker oder Fanatiker. Bei den Palästinensern haben leider die Fanatiker das Sagen.

Seit ein paar Wochen verfolge ich das Kriegsgeschehen weniger intensiv. Einmal am Tag Nachrichten reicht mir, und manchmal lasse ich auch die ausfallen. Inzwischen arbeite ich täglich, das ist gut, besonders, weil ich in den Abendstunden arbeite, wenn die Nachrichten am intensivsten kommen. Oft verlasse ich mich auf eine Kurzfassung durch meinen Mann, der dann alles auch gleich für mich einordnet und mit sarkastischen Anmerkungen versieht. Bisher lag er immer richtig.

Eigentlich ist die Lage (ha-mazav) unmöglich, aber wir leben trotzdem so normal wie möglich weiter. Also nichts Neues von uns, weswegen ich auch weniger schreibe. Manchmal frage ich mich, wie wir uns später an diese Zeit erinnern werden. Ob der Konflikt sich verläppern wird oder die düsteren Prophezeiungen eintreten werden.

Der Februar ist mein liebster Monat, alles ist grün, und dieses Jahr haben wir viel Regen. In normalen Jahren verfolgen alle obsessiv, wie hoch der See Genezareth gestiegen ist, aber dieses Jahr scheint das niemanden zu interessieren.

Ich unterhalte mich mit vielen Menschen, und ohne Ausnahme würden alle gern einen Regierungswechsel sehen. Netanyahus Koalitionspartner haben keine Fans in meinem Umfeld, auch bei konservativeren Gesprächspartnern nicht. Sie machen Politik für ihre Wähler, nicht für das ganze Volk, und dass wir auch internationale Beziehungen haben, scheint ihnen noch nicht klargeworden zu sein. Sie machen den Eindruck verantwortungsloser Populisten, und das besorgt nicht nur mich. Die Legislaturperiode ist noch lange nicht vorbei, und diese Regierung wird sich trotz ihrer katastrophalen Bilanz an die Macht klammern.

Seit der Freilassung der Geiseln im November ist viel Zeit vergangen, und wie viele der verbleibenden Geiseln noch am Leben sind und wie es ihnen geht, weiß keiner. Die Welt scheint sie vergessen zu haben, Hobelspäne eines Konflikts, der den meisten zum Hals heraushängt und der überwiegend durch die Linse des palästinensischen Narrativs gesehen wird. Dass dieses Narrativ nicht der historischen Wahrheit entspricht, interessiert viele nicht, die Geschichte ist zu komplex.

Wie bedrückend die Feindseligkeit Israel und Juden gegenüber auf der ganzen Welt ist, kann ich gar nicht ausdrücken. Täglich neue Meldungen von körperlichen und verbalen Angriffen, Haß-Graffiti und Demonstrationen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich zu meinen Lebzeiten noch erleben muß, wie dieser uralte Haß wieder ans Tageslicht kommt. Dass er unterschwellig weiter gepflegt wird, das war mir klar, und auch, dass er größer ist, als wir wußten. Aber was sich jetzt Bahn bricht – das ist erschütternd.

Die Zeit vor dem 7. Oktober liegt jetzt weit zurück. Wir leben in einer Zeit der Unsicherheiten und offenen Fragen.

Tu bi-Shvat Januar 25, 2024, 22:15

Posted by Lila in Land und Leute.
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Das Neujahrsfest der Bäume ist ein kleines aber feines Fest, aber dieses Jahr war keine Feststimmung. Alle sind bedrückt, der weltweite Haß auf Israel und die Lage insgesamt (Geiseln noch nicht befreit, nach so langer Zeit, Soldaten in ständiger Gefahr) sind schon schlimm genug. Trotz mancher positiven Meldungen ist der 7. Oktober für uns noch immer nicht vorbei, und keiner weiß, was uns noch bevorsteht.

Arbeiten hilft. Auf dem Rückweg durch strömenden Regen hörte ich im Radio (Galey Zahal) ein Gespräch. Die Journalistin Tali Lipkin-Shahak hat so eine sympathische, zugewandte Stimme, ich höre ihr so gern zu. Sie läßt ihre Gesprächspartner immer zu Wort kommen. Heute sprach sie mit Hannie Ricardo, Sängerin, Komponistin und Musikologin, die zum Thema Komponisten und Musik der Shoah forscht. Hannie kommt aus einer Familie von Holocaustüberlebenden, und wenn sie die Musik vergessener Komponisten erforscht und aufführt, gibt sie denen eine Stimme, die durch Haß und Völkermord zum Schweigen gebracht wurden.

Hannie war in New York, wo sie arbeitet und studiert, als ein Freund ihr eine Nachricht schrieb, dass in Tel Aviv Raketenalarm ist. Sie machte sich sofort Sorgen um ihre Töchter in Ramat Gan bei Tel Aviv und versuchte sie zu erreichen. Oriya antwortete nicht. Ihre letzte Nachricht an ihre Mutter lautete: Ima, ich liebe dich. Ein Abschied.

Oriya war auf dem Nova-Festival, und sie versuchte zu fliehen. Es dauerte mehrere Tage, bis sie gefunden wurde, von ihrem Freund, der dann die Armee und ZAKA rief. Als die Familie Shiva saß, also die Trauerwoche beging, kam auch der Freiwillige von ZAKA, der Organisation von überwiegend, aber nicht nur Ultra-Orthodoxen, die Tote respekt- und liebevoll bergen. Dieser Mann sagte ihr: deine Tochter war schön und unversehrt, als ich sie fand. Erst nach einer Weile wurde der Mutter klar, was das bedeutete, und was so viele anderen Besucherinnen des Nova-Festivals widerfahren war. Oriya war erschossen worden, aber niemand hatte Hand an sie gelegt.

Hannie erzählte diese Geschichte und Tali hörte zu und stellte auch ein paar Fragen. Ob es ihr jetzt nicht schwerfiele, sich so intensiv mit der Shoah zu befassen, nach dieser Katastrophe, der größten seit der Shoah. Nein, sagte Hannie, im Gegenteil. Sie hat ein Kaddish für Terezin (Theresienstadt) komponiert und es ihrer Tochter gewidmet. Sie sagt, die Hamas hat bewußt an die Taten der Nazis angeknüpft, und das sehe ich auch so. Sie wurden von einem unerbittlichen Willen zur totalen Vernichtung angetrieben, einem Willen, dem sie in Reden, ihrer Charta und ihren Parolen immer wieder Ausdruck verleihen.

Hannie lebt jetzt im Bewußtsein, zu einer Zwischengeneration zu gehören. Zwischen zwei Katastrophen. Sie ist Zeugin für beide.

Das Gespräch hat mich sehr bewegt, und ich wollte es teilen.

Ein paar Links:

Artikel im Merkur

Artikel in der WN-OZ (Weinheimer Nachrichten-Oldenwälder Zeitung) (Ramat Gan und Weinheim sind Partnerstädte)

Artikel in der New York Post

Artikel in der Times of Israel, die über alle Opfer schreibt

Eine Geschichte unter so vielen. יהי זכרה ברוך

Die Lage, die Lage Januar 15, 2024, 16:17

Posted by Lila in Persönliches.
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Auf Hebräisch nennt man es „ha-matzav“, die Lage oder Situation. Wie ist die Lage? ma ha-matzav? Ja, wie ist sie?

Wir waren am Wochenende in Tel Aviv. Übernachtet haben wir bei Quarta, sie hat für uns gekocht und es war richtig schön und gemütlich. Wir haben im Zimmer eines Mitbewohners übernachtet, der seit dem 7. Oktober Reservedienst leistet und nur selten nach Hause kommt.

Quarta hat zwar keinen Schutzraum, aber immerhin hätten wir im Falle eines Alarms genügend Zeit gehabt, uns im Treppenhaus in (relative) Sicherheit zu bringen. Es blieb aber still.

Am Shabat waren wir dann am „Platz der Verschleppten“, dem großen Platz in Tel Aviv zwischen der großen Bet-Ariella-Bibliothek, dem Gericht und dem Museum für moderne Kunst, das ich natürlich sehr gut kenne (und empfehle). Der Platz, der vorher ziemlich leer war, von ein paar interessanten Skulpturen abgesehen, ist jetzt sehr voll.

Der lange Tisch mit den leeren Gedecken, mehrere Zelte, und überraschend viele kleinere Arbeiten von Menschen, die ihren Schmerz über das Schicksal der Geiseln visuell ausdrücken.

Es war schon ziemlich voll, am Abend fing dann die 24 Stunden währende 100-Tage-Kundgebung an.

Später waren wir auch am Dizengoff-Platz. Quarta geht dort oft hin, die Bilder der Menschen ansehen, die sie kannte. Jeder von uns kennt Opfer, ich habe noch niemanden getroffen, der nicht vom 7. Oktober oder vom Krieg direkt oder indirekt betroffen gewesen wäre.

Der berühmte Brunnen von Yaacov Agam wird gerade restauriert, und um den Brunnen herum sind Andenken an die Toten verteilt. Viele Menschen gehen langsam herum und versenken sich in die Bilder und Briefe, die dort ausliegen. Die Atmosphäre ist traurig. Ein Mann mit einem bildschönen Golden Retriever bietet allen an, den Hund zu umarmen, und das freundliche, zutrauliche Tier bietet Trost.

Unter dem Brunnen liegen Löwen und Lämmer aus, eine Erinnerung an die Vision des Friedens, wie sie der Prophet Jesaja schildert.

Überall in Tel Aviv sitzen zerrissene, mit roter Farbe bespritzte große Teddybären, die an die entführten Kinder erinnern, aber auch die ermordeten Kinder.

Abends waren wir dann mit Quarta und Secundus essen, es war schön. Die Diskrepanz zwischen dem familiären Frieden und der inneren Unruhe ist an solchen Tagen besonders stark.

Ich unterrichte weiter, im Haus ist es warm und friedlich, draußen ballert die Artillerie regelmäßig, und gestern sind in Obergaliläa in einem grenznahen Ort durch Beschuß der Hisbollah zwei Menschen ums Leben gekommen, Mutter und Sohn. Der Vater ist schwer verletzt. Landwirte, die sich um ihren Betrieb kümmern wollten.

Die Armee ist weiter im Gazastreifen, in den Gebieten brodelt es, täglich gibt es Terroranschläge – vorhin in Raanana, mit vielen Verletzten und einer Toten. Einer der Terroristen ist noch auf freiem Fuß.

Im Süden gibt es deutlich weniger Raketen als vorher, auch im Zentrum hat es sich sehr beruhigt, aber Terrorgefahr ist natürlich allgegenwärtig. Nach wie vor ist das Vertrauen in die politische Führungsriege nicht groß, und deren interne Rangeleien tragen nicht dazu bei, dass das Vertrauen wieder wachsen könnte. Und wie es hier im Norden weitergeht, ist unklar – d.h., es ist klar, dass eine große Auseinandersetzung kommen wird, aber wie bald das sein wird, wie es genau aussehen wird und wer daran teilnehmen wird, wissen wir nicht.

Der Winter ist so schön, alles ist grün, Regen und Sonne wechseln sich ab und von Zeit zu Zeit sehe ich einen Regenbogen, immer ein Zeichen der Hoffnung.

Ich trage die Erkennungsmarke, die ich in Tel Aviv gekauft habe, und werde sie nicht ablegen, bis nicht alle Geiseln und alle Soldaten zuhause sind.

Ein Treffen Januar 9, 2024, 22:27

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Heute vormittag saßen wir wieder zusammen, das Team vom Kindergarten Charuv. Seit dem 6. Oktober das erste Mal, dass wir wieder vollzählig waren. Großes Hallo zur Begrüßung, und alle gucken auf die Uhr: so, jetzt müßten wir eigentlich in den Sandkasten!, und dann erzählten alle, was sie nun machen. Der Kibbuz ist noch immer fast leer, aber langsam kehren einige Familien wieder. Bis dort wieder Kindergärten aufmachen, wird es noch eine Weile dauern. Die meisten Familien haben ihre Kinder in weiter südlich gelegenen Kindergärten angemeldet, in Lochamey Ha-Gettaot or Regba, näher an Akko als an Nahariya.

Sowohl Familien als auch Teile unseres Teams wohnen inzwischen auch woanders. Eine Kollegin war erstmal einen Monat im Ausland, dann wieder zuhause, dann wieder unterwegs. Sie kam braungebrannt und mit neuer Haarfarbe. Ich bin die einzige, die nahtlos weiter arbeitet, die anderen leben von Arbeitslosenunterstützung. Eine junge Kollegin hat morgen ein Vorstellungsgespräch.

Eine andere junge Kollegin, die den Krieg von 2006 in traumatischer Erinnerung hat, ist wieder bei ihren Eltern eingezogen und nimmt Medikamente gegen Panik und Angst. Sie würde gern zu ihren Tanten nach Frankreich fahren, aber die haben sie gewarnt – keine guten Zeiten für Juden in Paris.

Wir tauschen uns aus, wie wir den 7.10. erlebt haben. Die Kindergärtnerin saß den ganzen Tag mit einer der Mütter zusammen, die aus Kibbuz Beeri stammt, und zusammen weinten sie um die Familienmitglieder, die sich in verzweifelten Hilferufen per Whatsapp meldeten und irgendwann verstummten. Das war das Schlimmste, was sie je erlebt hat. Später ist die Geschichte dieser Großfamilie durch alle Medien gegangen, aber als es geschah, saßen zwei Frauen zusammen auf dem Sofa, während auf der Terrasse kleine Kinder spielten, und niemand konnte den Familienmitgliedern in Beeri helfen.

Wir erinnerten uns an den Vater, der Lokalpolitiker ist und uns schon im Juni warnte, dass es im Spätsommer losgeht. Das Szenario, das wir im Süden gesehen haben, hat er uns für August oder September prophezeit. Die Familie ist mit Sack und Pack ins Ausland gezogen, er kann es sich leisten.

Die Kindergärtnerin ist in Kontakt mit allen Familien, auch denen der Gruppe, die wir im August verabschiedet haben, und wir haben mit Erstaunen gehört, dass unser zartestes Blümchen, das so viel Aufmerksamkeit gebraucht hat, jetzt vergnügt allein spielt, dass die Krabbelkinder alle laufen und sie sich alle gut eingelebt haben in ihren neuen Kindergärten. Die Leiterin der Erziehung im evakuierten Kibbuz würde gern am 1.2. wieder öffnen und uns alle dabeihaben, aber sie glaubt auch nicht, dass die Kinder noch einmal zurück wechseln werden, nachdem sie sich nun eingewöhnt haben. Nichts ist sicher.

Die Zukunft wurde noch unsicherer, weil wir ständig vom Rappeln der Telefone unterbrochen wurden. „Alarm in Yiftach“, „jetzt auch in Dishon“, so ging es ununterbrochen. Zwischendurch auch Nachrichten über IAF-Angriffe im Libanon. Es fühlte sich schon ganz schön krisenhaft an.

Dann die Diskussion, wo es denn jetzt sicher sei. Ist Tivon sicher? Haifa? die Krayot-Städte? (Kiriyat Bialik, Kiriyat Yam, Kiriyat Motzkin) Nein, zu nah an den Raffinerien der Bucht von Haifa, und Tivon auch zu nah an der Luftwaffenbasis Ramat David. Da hat Nasrallah schon 2006 drauf gezielt, und er wird es wieder versuchen.

Was ist mit den Golanhöhen? Beschuß aus Syrien. Tel Aviv ist sowieso nicht sicher. Sollten die Gebiete den Aufstand proben, ist auch Jerusalem nicht sicher, außerdem sind beide großen Städte Ziel für Raketen. Wo könnte es sicher sein? Im Negev? Nein, die Houthis. Ich zitierte wieder meinen Mann, dass es da am sichersten und unsichersten ist, wo man sich gerade befindet. Die reiselustige Kollegin meinte, Thailand sei schon sehr gemütlich, und darum fliegt sie nächste Woche hin.

Beim Abschied haben wir uns alle in den Arm genommen und auf die Uhr geguckt und gesagt: so, wer geht jetzt in die Küche und bereitet die Tabletts fürs Mittagessen vor, und wer übernimmt den Mittags-Stuhlkreis?

Ich werde nicht wieder in die Früherziehung zurückgehen, zumindest nicht in absehbarer Zeit, denn das Unterrichten macht Spaß und meine Woche ist pickepackevoll. Aber ich werde mich immer gern daran erinnern, an das schöne Gefühl, wenn sich morgens kleine Ärmchen nach mir ausstreckten. Die Beratungen darüber, wie man einem kleinen Jungen helfen kann, dessen Eltern durch eine schwierige Trennung gehen, oder dem kleinen Mädchen, in dessen Familie gesundheitliche Probleme nicht viel Aufmerksamkeit für die Jüngste übrigließen. Es war schön, wenn wir am Freitag den Shabat singend in Empfang nehmen konnten, mit unserem selbstgebackenen Challah und den zwei Kerzen.

Der 6.10. war mein letzter Arbeitstag dort, ich hatte gekündigt und die Kollegin, die mich ersetzen sollte, war schon eingearbeitet. Einen Tag später ist diese ganze Welt, die im Nachhinein so idyllisch war, versunken.

Eloge auf ein kleines Zimmer Januar 3, 2024, 1:44

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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In unserem Haus gibt es ein kleines Zimmer, so groß wie ein Kinderzimmer. Es war tatsächlich, als wir hier einzogen, ein Kinderzimmer. Quarta war, als wir hier einzogen, noch keine zehn Jahre alt, und es war ihr Zimmer. Nach ein paar innerfamiliären Veränderungen (große Kinder zogen vorübergehend aus, wieder zurück, wir wohnten für ein paar Jahre in einem doppelt so großen Haus und zogen dann, als die Söhne endgültig aus dem Haus waren, wieder hierhin zurück…) diente das kleine Zimmer erstmal als Kammer, in dem sich alles stapelte, was wir nicht sofort einräumen konnten. Zwischen den Kartons brachte eine Katze ihre Kleinen zur Welt, und irgendwann gaben wir uns einen Ruck, die Töchter und ich, und verwandelten das kleine Zimmer in mein Arbeitszimmer.

Hier stehen die Bücher, die ich immer griffbereit haben möchte, unsere Aktenordner und Dokumente. Der Reserve-Kühlschrank, mein Schreibtisch mit Laptop, und all die Paraphernalia, die ich für nötig halte, um einen Arbeitstag vor dem Computer unbeschadet zu überstehen. Es ist gemütlich hier, und ich habe alles griffbereit. Durchs Fenster sehe ich auf die Zitronenbäume, die gerade so voll hängen, dass ich tütenweise Zitronen verschenke und trotzdem nicht weiss, wohin damit. Nein, falsch – ich sähe auf diese Zitronenbäume, wenn das Fenster denn offen wäre. Aber das ist es nicht.

Seit letztem Pessach, als wir hier saßen, während draußen Raketen auf unsere Gegend fielen, sind die Stahlläden allerhöchstens einen kleinen Spalt offen, und seit dem 7.10. fest verrammelt. Die Gummidichtung in der Tür haben wir in Ordnung gebracht, und der Kühlschrank ist gut gefüllt. In einer Ecke stapeln sich Wasserflaschen, und es gibt Essensvorräte, mit denen man es schon drei Tage aushalten könnte, wenn man müßte. Die Wände sind dick, die Tür aus Stahl und öffnet sich nach außen. Das Fenster zeigt nach Südwesten. Nach Norden wäre nicht ratsam.

Wer durch Nord-Israel fährt, kann an Mehrfamilienhäusern an der Süd- oder Westwand die Reihe von Stahlläden sehen, je nach Lage offen oder geschlossen. Im Süden zeigen die Fenster nach Norden, denn dort droht die Raketengefahr aus dem Süden.

Seit dem Irak-Krieg muß jedes Haus so einen Schutzraum haben. Er heißt Mamad, merchav mugan dirati – geschützter Bereich der Wohnung. In Mehrfamilienhäusern, die keine Mamadim bieten, gibt es Schutzbereiche in jeder Etage, Mamak genannt – merchav mugan komati. Wer weder das eine noch das andere hat, und für wen die Luftschutzräume nicht schnell genug erreichbar ist, dem rät das Homefront commando, sich im Treppenhaus eine Etage tiefer zu begeben, möglichst weit entfernt von Fenstern. In Bädern, wo Fliesen splittern könnte, sollte man sich auf keinen Fall aufhalten.

Schulen, Kindergärten und öffentliche Gebäude, auch Einkaufszentren, haben alle ausgeschilderte Wege in Schutzbereiche, und die meisten israelischen Krankenhäuser haben unterirdische Stationen. Im Notfall wird so viel wie möglich in diese aufwendigen unterirdischen, gut geschützten Bereiche verlegt.

Wer jetzt in Israel Google maps nutzt, kann sich die Lage der öffentlichen Luftschutzbunker ansehen, aber weil auch in Tel Aviv die Warnzeit nicht üppig bemessen ist, sollte man im Falle eines Alarms lieber in ein Gebäude sehen. Die Türen von Mehrfamilienhäusern sind in Krisenzeiten immer offen, damit Passanten sich dorthin flüchten können. (Natürlich besteht auch das Risiko, dass Terroristen eindringen könnten – alles schon passiert.)

Wenn man mit dem Auto unterwegs ist – anhalten und auf den Boden legen, Hände über den Kopf und abwarten. Nach jedem Alarm muß man mindestens zehn Minuten warten, bis auch die Gefahr von herabfallenden Trümmerteilen von Raketen, die Iron Dome zerschießt, vorbei ist. Bei einem Direkteinschlag nützen einem die Hände wenig, aber im Fall von Splittern ist es wichtig, so niedrig wie möglich zu liegen.

In arabischen Medien wird gern darüber gelacht, wenn Israelis in Deckung gehen, aber wir lieben das Leben und liegen lieber zehn Minuten am Boden, um dann wieder aufzustehen, als dass wir uns aus falschem Stolz Splitter einfangen.

Natürlich gibt es viele, die sich so auf Iron Dome verlassen, dass sie bei Alarm auf die Balkone eilen und das Spektakel filmen. Das ist aber gefährlich. Meine deutsche Sozialisation schlägt voll durch, und ich befolge alle Anweisungen genau. Auch an meinen Arbeitsplätzen weiß ich genau, wohin ich mein Volk schicken muß, und habe immer im Hintergrund die Warn-App laufen. Ich würde in so einem Fall als Letzte aus der Klasse gehen und abschließen, das habe ich mir alles schon überlegt und der Schlüssel liegt immer auf dem Tisch.

Doch am sichersten fühle mich in meinem kleinen Arbeitszimmer. Dort verbringe ich die meisten Stunden,und eigentlich sollte ich hier schreiben, denn natürlich sitze ich auch jetzt in unserem Mamad. Wenn hier in der Gegend Alarm ist, bekomme ich sofort eine Whatsapp-Nachricht vom Sicherheitsteam des Moshavs, normalerweise mit der Empfehlung, mich in der Nähe des Schutzraums aufzuhalten. In unserer Gegend, bekanntlich mit 0 Sekunden Vorwarnzeit, sollte man kein Risiko eingehen. Ich lasse dann die Wäsche Wäsche sein und setze mich wieder an den Computer.

Die Stahltür lasse ich offen, damit ich hören kann, was draußen vorgeht. Bei mir sind ja immer alle Fenster offen, und oft auch die Türen, weil ich gern frische Luft im Haus habe und es genieße, dass wir jetzt ohne Klimaanlage leben. Ich habe gute Ohren, und wenn die nördlichen Fenster offen sind, höre ich das Rumoren an der Grenze ganz gut, obwohl es 5 km weit weg ist. Die Akustik ist hier irgendwie sehr gut, und normalerweise irre ich mich nicht. Wenn es in der Ferne rumpelt, kommt in der Nähe Alarm, Eli vom Sicherheitsteam postet eine kurze Sprachnachricht oder einfach nur ein Warnbild, und die Artillerie fängt an zu böllern. Inzwischen bin ich so abgehärtet, dass ich einfach weiterarbeite.

So ist es schon geschehen, dass Yaron mich von der Arbeit (weit entfernt) anruft, ob alles okay ist. Ich war bis über beide Ohren in ein Buch versunken und habe glatt verpaßt, dass in Metzuba Alarm war und in Shlomi auch. Er verpaßt die Stoßzeiten meist, denn die sind vor- und nachmittags. Gegen Abend und nachts ist es meist ruhiger.

Das einzige Mal, dass die Stahltür für längere Zeit geschlossen war und wir drinnen, war zu Anfang des Kriegs, bei dem großen Fehlalarm, der ganz Nordisrael in die Schutzräume geschickt hat. Ich sehe es jetzt als große Übung an, aber an dem Tag verbreiteten die Medien ohne Beweise die Warnung, dass die Hisbollah mit Paraglidern zu Dutzenden eindringt. Nach dem 7.10., der nur ein paar Tage zurücklag, kam das den meisten nicht unwahrscheinlich vor, und warum die Hisbollah das nicht schon längst versucht hat, weiß ich nicht. Wir saßen jedenfalls im Dunkeln, draußen summten die Drohnen (wir haben „unsere“ Überwachungsdrohne, die wir immer hören und vermissen, wenn sie mal woanders rumschwirrt) und keiner wußte, was nun eigentlich los ist.

Ich hatte Angst, mein Mann nahm das Ganze nicht ernst, und natürlich hatte er wieder mal Recht. Als die Nachricht durchkam, daß es ein Fehlalarm war, waren wir alle wütend und erleichtert zugleich. Der Soldat, der das versemmelt hat, sollte das besser weiterhin geheimhalten, weil ihm viele Leute gern die Ohren langziehen würden. Bis das Adrenalin aus meinem System ausgeschieden war, hat es bestimmt ein paar Tage gedauert. Seither habe ich haber keine Angst mehr gehabt, obwohl ich das Geböllere, die Raketen, die Iron-Dome-Abschüsse, Flugzeuge und Drohnen immer noch ungern höre.

Es ist natürlich klar, daß bei einem direkten Angriff, besonders mit größeren Raketen, so ein Schutzraum keinen totalen Schutz bietet. Auch bei chemischen oder biologischen Angriffen nicht, obwohl es alle möglichen Filtersysteme gibt, die wir nicht haben. Und wenn Terroristen in ein Dorf eindringen, eine Stadt oder einen Kibbuz, wie es die Hamas am 7.10. getan hat, dann braucht man eine extra Schutzeinrichtung, um die Tür zu verriegeln, die dafür gar nicht gedacht ist. Findige Bastler haben alle möglichen Dinge dazu benutzt. Mein Ingenieur, dem tatsächlich nichts zu schwör ist, hat zu diesem Behufe ein kräftiges Metallrohr zusammengeschraubt, mit dem sogar ich die Tür verriegeln kann. Aber das sollte man nur im Notfall tun, wenn es wirklich nötig ist, denn die Tür hat aus gutem Grund kein Schloß. Rettungskräfte können dann nämlich auch nicht rein.

Bei kleineren Raketen und Splittern bieten die Mamadim aber wirklich Schutz. In Sderot haben ganze Familien überlebt, nachdem ihr Haus durch eine Rakete zerstört wurde. Ohne die Disziplin, diese Räume tatsächlich immer aufzusuchen, wenn es Alarm gibt, wären viel mehr Menschen in Israel verletzt oder getötet worden. Der Aufwand ist groß, die ganzen defensiven Maßnahmen sind teuer (von Iron Dome und ähnlichen Systemen fange ich gar nicht erst an…) und am Ende ruft die Weltöffentlichkeit: ihr seid die Bösen, denn auf der anderen Seite sterben mehr, also sind sie die Opfer und ihr die Täter. Egal wie kraß wir angegriffen werden, für viele Menschen sind Israelis eben grundsätzlich Täter.

Wir hier im Norden haben seit 2006 viel weniger unter Raketen zu leiden gehabt als der Süden. Dort sind die Familien-Mamadim wirklich Zufluchtsort, so wie mein Arbeitszimmer für mich. Ich fühle mich dort wohl und geborgen und kann ungestört arbeiten, lesen oder malen.

Daß die Familien im Süden in diesen Schutzräumen überfallen, gequält und getötet worden, ist darum besonders schockierend. Nicht als ob es im Wohn- oder Schlafzimmer besser gewesen wäre. Aber in einer Welt voll Alarme und Raketen haben diese Räume eine besondere Bedeutung. Daß sie die Menschen in Nir Oz und Beeri nicht schützen konnten vor der Barbarei, daß der Tod viele dort ereilt hat, daß sie in Brand gesetzt wurden, um die Familien nach draußen zu treiben, wo sie erschossen oder verschleppt wurden, macht es irgendwie noch schlimmer.

2010 – Quartas Zimmer

2015 – nach dem Wiedereinzug, das Katzenparadies

2016 – Arbeitszimmer. So herrlich leer müßte es hier mal wieder werden!

2021

Zeit, Zeit, Zeit Januar 2, 2024, 12:10

Posted by Lila in Land und Leute.
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Drei Monate ist es jetzt fast her, dass vieles in unserem Leben in Brüche ging. Verglichen mit dem Schicksal der Geiseln, mit den Überlebenden, Verletzten und den Angehörigen der Soldaten sind es bei uns nur Haarrisse. An unserer Situation hier im Norden hat sich wenig geändert. Angriffe, dann Reaktion der IDF, das Muster zieht sich durch die Tage, und die Angriffe auf das Zentrum und den Süden Israels haben spürbar abgenommen. Die IDF hat die Möglichkeiten der Hamas, Israelis anzugreifen, also wirklich eingeschränkt, aber niemand gibt sich irgendwelchen Illusionen hin. Solange es dort noch eine Rakete gibt, wird es auch jemanden geben, der sie irgendwann abschießt.

Im Norden werden die Angriffe häufiger, aber größtenteils sind sie auf passend benannte confrontation line beschränkt. Wir leben in einer Mischung aus ständiger Anspannung und Routine, eine seltsame Mischung. Meistens fängt es im Laufe des Vormittags an, dann abends nochmal eine Runde, aber die große Eskalation, die wir alle erwarten und fürchten, ist noch nicht eingetroffen.

Die Regierung hat von Anfang an, trotz gegenteiliger Beteuerungen, die militärische Ausschaltung und Entmachtung der Hamas über die Befreiung der Geiseln gestellt. Das Argument, dass ein militärischer Sieg über Hamas die Geiseln eher nach Hause bringt, hat bis zum Geiselaustausch gezogen, seitdem aber ist ein schmerzlicher Stillstand erreicht. Über die Katastrophe der versehentlich von IDF erschossenen Geiseln, die sich selbst befreit hatten und alles getan hatten, um zu überleben und die Soldaten lebend zu erreichen, kann ich gar nicht schreiben. Es war ein Tiefpunkt, und was ein Wendepunkt hätte sein können, ist statt dessen zu einer nationalen Tragödie geworden. Ich werde darüber vielleicht später schreiben können, aber im Moment versagen mir die Worte.

Diese eine Woche, in der wir jeden Abend auf die freigepreßten Geiseln warteten und jede einzelne im Fernsehen mit Namen begrüßen können, ist so weit von uns entfernt wie eine versunkene Kultur. Langsam kommen immer mehr Berichte von den Geiseln, was sie in den Händen der Hamas durchgemacht haben, und es ist unerträglich, sich vorzustellen, was die dort verbliebenen Geiseln in diesem Moment erleben. Es fällt allen schwer, nachts einzuschlafen, weil wir die Gedanken dann nicht mehr verdrängen können. Die Bilder laufen vor unseren Augen ab, es geht nicht nur mir so, sondern allen, mit denen ich darüber gesprochen habe. Wir können noch immer nicht um die Toten trauern, weil wir um die hoffentlich noch Lebenden bangen, und im Schlaf laufen wir alle durch Gaza wie durch einen Albtraum und suchen nach denen, die zu uns gehören, die wir retten wollen und nicht können.

Tagsüber ist es einfacher, sogar die Artillerie, die gerade wieder durchs Dorf donnert, lenkt ab.

Morgens stehen wir alle mit dem Grauen auf, neue Namen von Toten zu hören, Soldaten und Zivilisten. 17% der Gefallenen sind durch friendly fire ums Leben gekommen. Krieg ist keine saubere Sache, Kugeln treffen Unschuldige, alle leiden, und wenn es in Gaza Menschen gibt, die nichts mit der Hamas, dem Jihad, Tanzim oder anderen Terrorgruppen zu tun haben, dann tut es mir auch sehr leid um sie. Aber bisher sieht man von dort keinen Widerstand gegen die Linie der Hamas. Solche Menschen hätten jetzt die Chance, sich sichtbar zu machen. Aber das tun sie nicht.

Dass die Weltmeinung sich längst wieder mal entschieden gegen Israel gewendet hat, ist keine Überraschung. Wenn selbst nach einem wohldokumentierten, unbegreiflich grausamen Massaker an Friedensaktivisten, Kibbuzniks, Beduinen und relativ armen Familien in der abgehängten Peripherie Israels, sehr viele Menschen die Partei der Terroristen ergreifen, ihre Untaten leugnen und Israel als notorische Lügner bezeichnen, dann zeigt das nur die moralische Blindheit des Palästina-Kults, der große Teile der westlichen Welt ergriffen hat. Lügen werden geglaubt, die Wahrheit wird verleugnet. Für diese Leute ist auch der Fötus im Leib einer beduinischen Mutter, friedensbewegte Kibbuzniks und Kinder im Schlafanzug nichts als eine Zielscheibe für tödlichen Haß, und daß die Hamas sie ermordet hat, haben sie sich selbst zuzuschreiben. Jeder Fußbreit Erde in Israel ist für diese Menschen besetzt und wenn die Besatzer ermordet werden, darf man jubeln. Falls jemand gedacht hat, dass auf der anderen Seite echtes Interesse an einer friedlichen Lösung besteht, dann sollte das als Beweis reichen, wie falsch sie lagen oder liegen.

Die politischen Auseinandersetzungen gehen weiter, auch wenn wir alle unsere Einheit (yachad) beschwören. Ja, wir stehen alle hinter dem Staat und seinem Existenzrecht, das ist der zionistische Grundkonsens, den auch viele Araber und die überwältigende Mehrheit der israelischen Linken teilen, aber an der Regierung scheiden sich die Geister, und die Regierung selbst tut nichts dazu, die Gemeinsamkeit zu betonen, sondern grenzt nach wie vor rhetorisch aus, wer nicht auf ihrer Seite steht. Das ist unheilvoll und beklemmend. Selbst in der Regierung ist diese innere Spaltung zu beobachten.

In unserem persönlichen Leben ist nach Wochen der Verwirrung und des Ausnahmezustands wieder eine Art Routine eingekehrt. Mein Mann hat keinen Tag Arbeit versäumt, und ich arbeite wieder. Seit der Lehrbetrieb an der Sprachschule, wo ich viermmal die Woche unterrichte, und an der FH, wo ich einmal die Woche bin, wieder aufgenommen wurde, habe auch ich keine Stunde versäumt. Ob es draußen donnert oder nicht, ich fahre ins Städtchen. Einmal habe ich an der Bushaltestelle gesehen, wie Iron Dome eine Rakete abgefangen hat, aber der Bus kam pünktlich und ich war nicht die einzige, die eingestiegen ist.

Weihnachten ist genau wie Chanukka bei uns komplett flachgefallen, aber zu Silvester, das wir normalerweise gar nicht begehen, sind wir in den Club gefahren, wo wir „früher“, also bis Oktober, manchmal tanzen gegangen sind. Er war auch voll und auf den ersten Blick sah alles aus wie normal, aber wir konnten keinen Moment vergessen, dass nichts mehr normal ist. Ich kann keine Musik mehr hören, ohne an die Tanzenden auf der Rave-Party zu denken, und ich bin mir sicher, dass es allen dort genauso ging. Um Mitternacht rappelten dann die Smartphones, und wir konnten sehen, dass die Hamas pünktlich für ein Feuerwerk im Zentrum von Israel sorgte. Viele gingen nach draußen, um zu hören, wie es Freunden und Familie dort geht, und wir sind dann auch schnell nach Hause gefahren.

Unser Mantra war immer, dass Terror das normale Leben zerstören will und darum jeder Akt der Normalität Widerstand gegen den Terror ist, und das glaube ich immer noch. Deswegen werde ich auch heute die Tasche packen, zur Bushaltestelle gehen und unterrichten, woran ich große Freude habe. Ich habe im Hintergrund auf dem Computer immer die Seite des homefront commandos offen, und alle haben die Telefone auf dem Tisch. Ich weiß auch genau, wo der Schutzraum ist, und sage es vor Beginn der Stunde an, damit im Falle eines Falles alle schnell dorthin laufen können. Bisher war es noch nicht nötig, Nahariya war bisher relativ ruhig. Und dort haben wir 15 Sekunden, um uns in Sicherheit zu bringen, das empfinde ich als sehr beruhigend. Die paar Kilometer weiter südlich machen einen großen Unterschied.

Ob eine politisch-diplomatische Lösung mit Hisbollah möglich ist? Die territorialen Forderungen, die sie an Israel haben, sind theoretisch lösbar, aber leider ist das nicht so einfach. Die UN hat sich in der Vergangenheit dagegen gestellt (quelle surprise), weil die umstrittenen Punkte auf der Landkarte eigentlich zu Syrien gehören, nicht zum Libanon, und Israel nicht das Recht hat, sie an den Libanon abzutreten, selbst wenn wir wollten (und 2000 wäre Barak dazu wohl bereit gewesen). Die jetzige Grenze ist von der UN abgesegnet. Das zweite Problem ist, daß die Hisbollah sich nicht an Abmachungen hält und diese Forderungen nur stellt, um dann andere nachzuschieben. Sie halten sich ja auch heute nicht an die Resolution 1701, warum also sollten sie sich an zukünftige Abmachungen halten? Wer garantiert uns das? Niemand. UNIFIL jedenfalls hat tatenlos zugesehen, wie die Hisbollah die Litani-Linie sehr bald verlassen und sich wieder südlich festgesetzt hat, zum Schaden der dort lebenden Christen, die den Südlibanon seitdem in Massen verlassen hat.

Da besteht also wenig Hoffnung. Worauf wartet die Hisbollah, warum hat sie noch nicht losgeschlagen? Mein Verdacht ist, sie warten auf die Erklärung, dass der Iran eine Atommacht ist. Unter den Augen der Welt, ja mit tätiger Beihilfe der Welt, hat der Iran diesen Punkt schon bald erreicht. Und dann verändert sich hier die Situation, das wissen wir seit Jahren. Leider sind alle Versuche Israels, der Welt diese Gefahr für den gesamten Nahen Osten klarzumachen, gescheitert. Ironie des Schicksals, dass viele arabische Staaten diese Gefahr viel klarer erkennen als z.B. die deutsche Regierung und Industrie, die weiter auf die IRI als Partner setzen, aus welchen Gründen auch immer.

Das Leben im Moment fühlt sich an wie Warten, obwohl die Zeit drängt. Die Zeit vergeht, die Vergangenheit mit ihren Glaubenssätzen und Gewißheiten ist versunken, und was kommt, weiß keiner, doch was kommt, wissen wir alle.

Im Norden Dezember 23, 2023, 10:53

Posted by Lila in Land und Leute.
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Es ist jetzt 14 Jahre her, daß wir aus dem Kibbuz weggegangen sind, aus vielerlei Gründen. Mein Mann ist dort aufgewachsen, sein Vater war das dritte Kind, das dort geboren wurde (auf seiner Geburtsurkunde steht Palestinian, denn er wurde vor der Staatsgründung geboren und das Wort war noch nicht von Arabern gekapert – es gab Palestinian Jews und Palestinian Arabs im britischen Mandat), und seine Großeltern haben den Kibbuz mitgegründet. Wir werden uns immer der Kibbuzbewegung zugehörig fühlen, ich habe viele Jahre an einer PH für Kibbuz-Erziehung unterrichtet (deren Bindung an die Kibbuzbewegung aber nicht mehr sehr stark ist), und mein Mann ist auf den ersten Blick als Kibbuznik erkennbar. Aber die ganze Privatisierung und die damit verbundene Schlacht am Büffet, aber auch ein interessanter neuer Job für Yaron im Norden, haben uns bewogen, wegzugehen, obwohl es für unsere Kinder anfangs nicht einfach war und auch für uns nicht.

Wenn man die Karte anguckt: unser alter Kibbuz liegt da, wo sich Carmel-Gebirge und Jezreel-Tal treffen. Das gilt zwar als Nordisrael, war uns aber nicht nördlich genug.

Der Norden hat uns gelockt, immer schon, und wir wollten näher ans Meer. Die Gegend um Nahariya herum war von Anfang an unser Ziel, West-Galiläa. Wir wollten auch mehr Platz für die Familie, im Kibbuz haben wir sehr beengt gelebt, obwohl uns das damals ganz normal vorkam. Wir sind von Ort zu Ort gefahren, haben uns Häuser angeguckt und mußten abwägen, wo es uns hinzieht. Jedes Jahr im Dezember erinnere ich mich wieder daran, und dieses Jahr ist die Erinnerung besonders kraß, denn alle Orte, die wir damals in Erwägung gezogen haben, sind jetzt evakuiert und keiner weiß, wann und ob überhaupt in absehbarer Zeit ein normales Leben dort möglich ist.

Ein Haus in Shlomit, einem Ortsteil von Shlomi, hat uns wegen seiner Aussicht aufs nahe Meer besonders gut gefallen. Insgesamt drei Wohnungen und Häuser in Shlomi haben wir in die nähere Auswahl gezogen, und ich mag den kleinen Ort sehr. Er liegt nah am Hang, der hier als Berg bezeichnet wird, auf dem oben die Grenze verläuft, ist schön grün und viele junge Familien ziehen dorthin.

(Ich bediene mich für diesen Eintrag großzügig an den Bildern, die in der Immobilien-Seite Yad2 gezeigt werden.)

Für uns sind Aussicht und frische Luft ausschlaggebend, und darum haben uns die großen Terrassen überall sehr gelockt. Aber irgendwas war immer verkehrt, und wir haben uns in ein Grundstück verliebt, das wir beinahe, beinahe gekauft hätten.

Das ist Kibbuz Chanita (Hanita), und die sogenannte „Erweiterung“, also eine Neubausiedlung, die man rechts oben wie eine kleine Blase erkennt, wurde damals gerade gebaut. Die Aussicht war wunderbar, direkt in den Libanon hinein, und es war wunderbar grün. Es tat uns leid, als das letztendlich auch nicht klappte, aber die Lage direkt an der Grenze hat uns keine Kopfschmerzen gemacht.

Ich habe damals geglaubt, und glaube es noch immer, daß Israelis überall in Israel wohnen können, aber leider nur stimmt das nur theoretisch. Praktisch nämlich sind sowohl Shlomi als auch Chanita längst geräumt, und eine Bekannte aus Chanita durfte nur noch einmal in ihr Haus (ebenfalls mit toller Aussicht auf den Libanon), um ihre Winterklamotten zu holen. Ihr Mann ist in Chanita geboren, aber ob sie je in den Kibbuz zurückkehren und sich dort sicher fühlen können, ist noch die Frage.

Ein bißchen weiter landeinwärts als Chanita, aber ebenfalls auf der Hügelkette, auf der die Grenze verläuft, ist Idmit (Adamit geschrieben, aber Idmit ausgesprochen, fragt mich nicht warum). Auch dort wurde eine „Erweiterung“ (harchava) gebaut, also auf Kibbuz-Land, aber die Grundstücke und Häuser werden an Nicht-Kibbuzniks vermietet oder verkauft. Atemberaubende Aussicht in beide Richtungen (Israel und Libanon), sehr hoch für israelische Verhältnisse, wunderbare Luft, aber für uns zu weit vom Meer weg und die Häuser waren eine Nummer zu bombastisch für uns. Und Idmit ist wirklich am Ende der Welt, ich wäre selbst nach Nahariya ewig lange unterwegs gewesen, und der Schulweg wäre für die Mädchen, die damals beide noch zur Schule gingen, zu weit gewesen.

Wir haben uns dann das Haus, in dem wir jetzt leben, angesehen, das damals noch im Bau war, und uns sofort verliebt. Ich fand zwar in meinem patriotischen Eifer, daß es ein bißchen zu weit weg von der Grenze war, denn schon im Libanonkrieg II im Jahr 2006 hatte ich mich innerlich entschlossen, irgendwann ganz nah an die Grenze zu ziehen. Nicht nur weil es dort so schön ist, sondern auch, weil Israel bis an seine Grenzen reicht und wir uns nicht einschüchtern lassen.

Manot liegt auch sehr schön. Die ganze Gegend hier besteht aus Wadis, die sich in west-östlicher Richtung zum Meer hin erstrecken, und Hügelketten, die diese Wadis trennen, und die zum Meer hin flach abfallen.

Manot sitzt auf so einer kleinen Erhebung, und die ältere, nördliche Seite des Moshav (einer Art Gemeinschaftssiedlung, die aber im Falle von Manot eine reine Formalität ist, weil hier kaum noch Landwirtschaft betrieben wird) blickt auf die Grenze. Wir wohnen im südlicheren Ortsteil und haben eine sehr schöne Aussicht auf die Bucht von Haifa und das Carmelgebirge. (Okay, Gebirge.)

Nach ein paar Jahren in Manot wurde uns das Haus zu klein, und wir zogen für vier Jahre nach Gornot HaGalil, von allen nur Granot genannt, in ein deutlich größeres Haus. (Nach diesen vier Jahren und als beide Söhne endgültig aus dem Haus waren, sind wir dann wieder zurück nach Manot gezogen.)

Granot ist das kleine Sternchen westlich von Goren, dessen Ableger es ist. Auf der Karte sieht man auch Fassuta und Miiliya, die christlichen Dörfer, es ist wirklich eine sehr schöne Gegend. Auch Granot ist geräumt, und Quartas beste Freundin, die neben uns gewohnt und deren Mutter ein sehr hübsches kleines Boutiquehotel aufgebaut hat, traut sich nicht mehr dort hin. Für den Fall, daß es mal wieder friedlich wird und ihr eine Verwöhn-Unterkunft sucht, habe ich den Link dazu gesetzt.

Das war die Aussicht von unserem kleinen Balkon, der sehr gemütlich war. Nach hinten hatten wir einen schönen Garten und eine Terrasse.

Wenn ich mir also angucke, wo wir überall fast-gewohnt oder wirklich-gewohnt haben, dann ist Manot wirklich ein Glücksfall. Das Leben hier fühlt sich zwar im Moment reichlich kriegszonenmäßig an, aber eigentlich können wir uns nicht beschweren. Wir haben die Wahl, ob wir uns selbst evakuieren oder bleiben (bleiben!), und die 5 km, die zwischen uns und der Grenze liegen, machen einen gewaltigen Unterschied aus.

Was soll aus Chanita, Idmit, Granot und Shlomi werden? Ganz zu schweigen von den Orten im sogenannten Finger von Galiläa, der in den Libanon hineinragt und der komplett unbewohnbar ist und immer wieder beschossen wird, viel mehr als wir hier.

(Bildquelle hier)

Vor ein paar Jahren waren wir im idyllischen Metulla – der Ort ist unbewohnbar geworden. Der Garten der Freunde, die wir dort besucht haben, war von allen Seiten vom Libanon einsehbar.

Das Bild habe ich 2016 gemacht, so nah lebten die Menschen in Metulla an der Grenze.

Der Krieg, der nötig wäre, um diesen schönen Garten mit Trampolin für die Kinder der Familie wieder bewohnbar zu machen (denn diplomatische Lösungen sind mit der Hisbollah schlicht nicht machbar, siehe Resolution 1701), müßte ein Weltkrieg sein, denn Hisbollah wird von der Achse Iran-Rußland gestützt. Da müßte ein Bündnis her, aber Israel war noch nie Teil eines Bündnisses und wir sind daran auch nicht interessiert.

Allein die Vorstellung, daß sich Iran und USA in Metulla Gefechte liefern… wir würden zu einem globalen Kriegsschauplatz und IDF zu einem Befehlsempfänger der USA ohne eigene Handlungsbefugnis.

Aber wie es für Galiläa weitergehen soll, weiß keiner.

Update ein paar Stunden später:

Das war heute in Shlomi. https://twitter.com/i/status/1738574532439359491 Obwohl es gar nicht so nah ist, haben hier die Fensterscheiben gescheppert, und ich bin sofort an den Laptop geeilt, um zu gucken, ob hier irgendwo Alarm ist. Und es war Alarm in Shlomi und Betzet (wo meine Jüngste die Grundschule besucht hat). Shabat shalom.

Beschäftigt Dezember 22, 2023, 8:18

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Vieles geht mir im Kopf rum, das ich gern hinschreiben würde, aber im Moment ist gerade eine Welle der Geschäftigkeit angerollt, und der Tag ist zu kurz für alles, was ich tun muß oder möchte.

Danke danke danke an alle, die mitlesen und mir damit helfen, die eigenen Gedanken zu sortieren. Ich habe auch viele private Unterhaltungen, bei denen ich denke: das müßte ich eigentlich bloggen. Vieles wandert dann erstmal halbgar in den drafts folder. Sollte ich am Wochenende etwas Zeit haben, werde ich dann mal abstauben, was sich da angesammelt hat.

Aber es tut mir gut, daß ich wieder mehr zu tun habe. Am 6.10. war mein letzter Tag im Kindergarten, bis dahin hatte ich monatelang Arbeitstage von 6.45 (Kindergartentag fängt an) bis 16.00 (Kindergarten macht zu), und dann von 16.30 bis 22.00 (Sprachschule). Einmal die Woche war FH statt Kindergarten. Freitags war der Kindergarten nur bis 12.30 offen, also weder Mittagessen noch Mittagsschlaf, aber eben trotzdem kein freier Tag. Das war mir in meinem würdigen Alter zu viel, aber verzichten wollte ich auf nichts und habe die Entscheidung über Monate rausgezögert. Schließlich war klar, daß ich im Kindergarten zwar sehr viel Spaß habe, aber ich nicht wirklich selbst einen Kindergarten übernehmen möchte und mein eigentliches Forte nun mal das Unterrichten ist. Darum habe ich schweren Herzens gekündigt, aber die Option offengehalten, daß ich freitags zu Besuch kommen und mit den Kindern eine Kunst-Aktivität machen kann.

Der 6.10. war ein Freitag, wir haben mit den Kindern Kabbalat Shabat gemacht, also gesungen und Challah gegessen und Kerzen angezündet…. und dann ging ich mit Geschenken bepackt zurück nach Hause mit einem Gefühl der Leere, aber auch voller Pläne. Nächste Woche, dachte ich, sortiere ich meine Woche neu, nächste Woche… aber vorher ein ruhiger Shabat.

Dieser Shabat ist schon morgens um 6.32 mit Quartas Anruf zerbrochen, und schon abends war klar, daß der Kindergarten geschlossen wird, der ganze Kibbuz wurde schnell evakuiert und mehrere Kolleginnen aus Nahariya zogen ebenfalls weiter südlich.

Mit einem Mal war meine gesamte Woche weg. Mit dem Schock über den 7.10., der nicht abgeklungen ist, mit der anfänglichen Angst vor einer Eskalation an allen Fronten gleichzeitig, mit der Sorge um die Zukunft, um die Kinder, um die Freunde, war es schwer, keine Ablenkung mehr zu haben.

Jetzt ist eine Art neuer Routine entstanden. Ich bin dankbar dafür, denn Arbeit hilft. Menschen treffen, sich austauschen, aus dem Haus gehen, das alles hilft. Wenn ich Familien aus dem Kindergarten treffe, erzählen mir die Mütter, wo die Kinder jetzt in den Kindergarten gehen, in Kibbuzim weiter südlich, in der Gegend von Akko. Manche sind schon wieder zurückgekehrt in den Norden, alle arrangieren sich mit der neuen Situation. Aber ich denke an die alte Routine, und ich trauere um die alten Gewißheiten.

Die Gedanken an die Toten, an die Soldaten und ihre Familien, an die Geiseln und ihre Familien, an die Evakuierten und die Menschen, die ihr Zuhause verloren haben – begleiten mich täglich, den ganzen Tag.

Befreit, doch nicht frei Dezember 6, 2023, 22:03

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Eigentlich sehe ich ja sonst sehr wenig fern, aber seit dem 7.10. habe ich immer die Nachrichten im Hintergrund offen, und oft denke ich mir: wie schade, daß die Reportagen nicht untertitelt werden und niemand außer uns sie je sehen wird.

Vorhin war ein Bericht über die Vorbereitungen in den Krankenhäusern, die die freigepreßten Geiseln in Empfang nahmen. Ein Team von Psychologen und medizinischen Fachleuten richtete einen getrennten Bereich ein, mit Zimmern für alle Freigelassenen. Die Familien durften diese Zimmer vorher einrichten – mit Bettzeug von zuhause, geliebten Spielsachen und Gegenständen, die das Zimmer freundlicher und persönlicher machten.

Auch Haustiere durften mitgebracht werden. Der Hund Rodney, den alle Fernsehzuschauer von den Bildern kennt, als er nach dem Massaker und der Entführung seiner Menschenfamilie auf den Betten der Kinder lag und nicht zu bewegen war, konnte die Kinder begrüßen. Die kleine Hündin Bella, die mit Mia Laimberg die Geiselhaft überstand, wurde von einem Tierarzt behandelt und bekam Spezialfutter.

In der Station war es leise und gedämpft, weil klar war, daß die Geiseln jetzt nicht mit Trubel, Freudenstürmen und vielen Menschen konfrontiert werden durften. Die Kinder wisperten zu Anfang nur, sie waren bedroht worden, nur ja keinen Lärm zu machen. Es dauerte, bis sie wieder ihre Stimmen fanden.

Alle kamen mit Untergewicht wieder, sie hatten in der Haft nur ein bißchen Reis und Pita bekommen. Die Kinder waren verschmutzt und voller Läuse, einige der Erwachsenen waren verletzt und die älteren und kranken Geiseln hatten keinerlei Medikamente erhalten. Das Rote Kreuz hat nichts für sie getan, sie haben sie nur zur Grenze gefahren. Inzwischen wissen wir mehr darüber, was sie noch alles mitgemacht haben, doch darüber kann ich nicht schreiben, die Hand will sich nicht bewegen, um das hinzuschreiben.

Zu Anfang konnten viele der Kinder nicht glauben, und auch einige der Erwachsenen, daß es Israel überhaupt noch gibt, daß jemand von ihnen weiß, daß das ganze Land auf den Beinen war für sie. Die Terroristen hatten ihnen erzählt, daß es Israel nicht mehr gibt und daß es keinen kümmert, ob sie in Gefangenschaft sterben oder leben. Eine Psychologin erklärte, wie brutal die psychologische Folter für die Geiseln war, weil sie von aller Welt abgeschnitten waren, den Worten der Terroristen nichts entgegensetzen konnten und nicht wußten, was sie erwartet. Sie wurden ständig bewacht und bedroht, viele der älteren Geiseln wurden allein und im Dunkeln gehalten, und sie müssen sich gefühlt haben wie auf Ewigkeiten in der Hölle.

Für alle befreiten Geiseln ist der Weg noch lang, und sie können sich nicht wirklich freuen, weil sie alle entweder noch Angehörige in den Tunneln der Hamas haben und wissen, wie unmenschlich die Zustände dort sind. Andere mußten entdecken, daß sie Eltern, Geschwister oder Freunde verloren haben, oft auch ales zusammen: Vater Geisel, Mutter ermordet, Freunde schon lange begraben. Viele haben ihr Zuhause verloren, alle ihre Besitztümer, ihre Haustiere wurden erschossen und ihre Heimat verwüstet.

Hanna Katzir, die ältere Frau, die erst von Hamas für tot erklärt wurde und dann freigelassen wurde, war einige Tage im Krankenhaus und wurde dann unter Applaus der Mitarbeiter entlassen. Sie liegt inzwischen wieder auf der Intensivstation. Ihr Herz hat die Unterernährung nicht ausgehalten, obwohl sie mit gesundem Herzen verschleppt wurde.

Ich bewundere die Teams, die mit diesen schwer traumatisierten Menschen weiter arbeiten werden. Die Jugendlichen scheinen es, oberflächlich betrachtet, relativ gut wegzustecken. Sie sind schon wieder mit Freunden unterwegs, machen Tiktokvideos und wollen sich nicht unterkriegen lassen. Sie lassen niemanden wirklich an sich heran und werden in dieser kritischen Phase ihres Lebens besonders schwer mit dem Kontrollverlust und der versuchten Vernichtung ihrer Identität kämpfen.

Kleine Kinder wurden teilweise von den Müttern getrennt. Was die Mutter der dreijährigen Zwillinge Yuli und Emma durchmachen mußte, als ihr eines der Mädchen genommen wurde und sie es nur aus der Ferne weinen hörte, drei lange Tage lang, ist unvorstellbar. Beide Mädchen lassen die Mutter jetzt nicht aus der Nähe, und ob sie das Erlebte je verkraften werden, weiß keiner.

Noch sind viele Geiseln in Händen der Hamas. Während ich hier in meinem Schutzraum sitze, umgeben von Katzen, Büchern und dem Wissen, daß meine geliebten Menschen mit einem Whatsapp erreichbar sind und alle gut gegessen haben, geduscht und gearbeitet, sitzen andere in einer Hölle fest, die nicht vorstellbar ist. Die Terroristen der Hamas haben am 7.10. genossen und zelebriert, was sie taten, und ihr Sadismus hat sich nicht auf einmal verflüchtigt. Sie genießen ihre Macht über die Geiseln und nutzen sie voll aus.

Die Regierung hat sich den Familien der Geiseln gegenüber nicht sehr nobel verhalten. Sie haben sie auf Treffen warten lassen, teilweise haben sie sie regelrecht abgebürstet und ein Knesset-Abgeordneter hat vor ein paar Wochen, vor den Freilassungen, die Familien angeschrien, das war furchtbar.

Die offizielle Linie lautet: nur der militärischen Schlagkraft der IDF ist es zu verdanken, daß Hamas überhaupt zu Zugeständnissen bereit war. (Wollen wir auch bitte nicht vergessen, daß für jede befreite Geisel drei Terroristen freigelassen wurden, soo groß war also das Zugeständnis nicht). Es stimmt, internatonaler Druck hätte auch geholfen, aber der kam ja bekanntlich nicht. Also IDF hat die Hamas in die Ecke gedrängt, und es stimmt, daß vor Beginn der Verhandlungen die Hamas alles getan hat, um eine Feuerpause zu erreichen (dafür gab es dann auch ordentlich internationalen Druck – der funktioniert für Palästinenser immer besser als für Israelis, fragt mich nicht warum). Die Hamas brauchte diese Woche Feuerpause.

Es hat also eine gewisse Logik, wenn die Regierung sagt: erst wenn wir Hamas wirklich geschlagen haben, werden sie bereit sein, die Geiseln aufzugeben. Aber dieser Gedankengang hat mehrere Haken. Erstens bedeutet er unvorstellbare Qualen für die Männer, Frauen und Kinder in Händen der Hamas. Und zweitens wissen wir, daß Hamas sie lieber ermorden wird als sie freizulassen. Wenn Hamas begreift, daß sie keine Terroristen mehr mit ihnen freipressen können, werden sie nicht lange fackeln.

Jeder in Israel fürchtet, daß das schon geschehen ist. Daß die Familie Bibas zum Beispiel tot ist, wie Hamas auch bekanntgegeben hat. Auf das Wort der Hamas ist nie Verlaß, siehe Hanna Katzir, aber es ist möglich, daß die Hamas die junge Mutter und ihre zwei kleinen gingis ermordert hat.

Außerdem ist es kaum vorstellbar, daß bei dem Schlagabtausch zwischen IDF und Hamas keine Geiseln verletzt oder auch getötet werden.

Zu den unklar definierten Kriegszielen möchte ich jetzt nichts sagen, ich denke an die Geiseln.

Diese Woche der Freilassungen war wie aus der Realität gefallen. Bangen, Aufregung, heftiger Zorn auf die Hamas, die mit ihren Verzögerungen, Regelverstößen und Manipulationen die Familien der Geiseln und uns alle noch mal so richtig in die Mangel genommen hat, aber auch Freude und Dankbarkeit, als wir die Kinder erkannten, als die Familien sich umarmten. Ella, Dafna, Avigail, Emily, wir kennen sie alle bei Namen und ich glaube, überall wurden diese Namen ausgerufen, als wir sie im Fernsehen erkannten.

Ziemlich zu Anfang der ganzen Leidensgeschichte habe ich mal ein Interview mit der kleinen Schwester eines Verschleppten gehört – er wird als junger Mann wohl erst ganz zuletzt, wenn überhaupt je, freikommen. Sie sagte, daß sie sich an einem inneren Bild festhält – daß sie die Geiseln auf sich zulaufen sieht, aus dem Dunkeln ins helle Licht. Viele sind nun schon zurück, nicht ins volle Licht eines glücklichen Lebens, sondern in zerbrochene Leben, die nie wieder ganz heil werden können. In einen Dämmerzustand, in dem sie noch auf die verschleppten Enkel, Brüder, Väter und Freundinnen warten müssen. Aber ich halte mich trotzdem weiter an dem Bild fest und will sie alle, alle ans Licht kommen sehen.

Heute ist der erste Abend von Chanukka, die erste Kerze wird angezündet, und alle Lieder handeln vom Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit. Hoffentlich setzt sich das Licht bald, bald durch. Naama, Agam, Omer und Zachi haben keine Zeit. Ich hoffe immer noch, daß IDF sie befreien kann, und daß das bald geschieht.

Von Zerstörung und Aufbau Dezember 3, 2023, 23:26

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Es kann mich nicht freuen, wie es jetzt im Gazastreifen aussieht und noch aussehen wird. Ich gebe es zu, ich war genau wie fast ganz Israel in dem seligen Irrtum befangen, ein besseres Leben würde aus den Bewohnern dort friedlichere Menschen machen. Und wenn es hieß, „die Hamas ist nicht unser Problem, unser Problem sind der Jihad und andere Gruppen, aber Hamas übernimmt langsam Verantwortung für die Menschen und ist mehr an Arbeitsgenehmigungen als an Terror interessiert“ – dann habe ich das gern geglaubt. Weil ich es glauben wollte.

Ich habe zwar das krasse Wohlstandsgefälle im Gazastreifen kritisch gesehen, aber trotzdem gehofft, daß sich das irgendwann mal osmotisch verteilt und zu einem guten Leben für die Allermeisten entwickelt. Wie es in so vielen Gesellschaften passiert ist. Heute komme ich mir mit diesem Glauben vor wie der größte Idiot der Welt, aber bis zum 6.10. hätten die meisten Israelis gesagt: ja, so sieht es aus. Weil wir an das Gute im Menschen glauben wollen.

Wäre ich nun konsequent, dürfte ich mich nicht über andere ärgern, die ihre eigenen Wünsche und Ambitionen (Friede, Freude, Gerechtigkeit) den Palästinensern unterstellen und mir in den Ohren liegen damit, daß der ganze Terror nur aus Sehnsucht nach 2staatenlösung stattfindet. So doof war ich nun doch wieder nicht, und ich habe schon begriffen, wie brutal und vernichtend der Terror ist. Ich habe ihn ja nun oft genug gesehen, eine endlose Kette blutiger, verstörender Vorfälle, und ich weiß auch, daß hier jede Woche Dutzende Anschläge vereitelt werden. Ihr hört ja nur von einem Bruchteil der Dinge, die wir kennen. Es ist keine Meldung wert, und wenn, dann unter der Überschrift „Israel greift an“.

Aber ich hätte immer gern einen zufriedenen, friedlichen Nachbarn im Süden gesehen. Einen Nachbarn, der endlich seinen Haß vergißt und hinter sich lässt, in zehn, zwanzig Jahren vielleicht?, und endlich in Gaza wirklich ankommt, ohne Illusionen auf eine Rückkehr in ein Land, das sie seit Generationen nicht mehr kennen.

Einen Nachbarn, der Tourismus für sich entdeckt, vielleicht High-Tech, intelligente Landwirtschaft, so daß das gute Leben für viele möglich wird. #TheGazaYouDontSee war deswegen so ein guter Hashtag, weil er einerseits die Idiotie der Leute aufzeigte, die wirklich glaubten, Gaza sieht aus wie ein einziger Trümmerhaufen. Gaza sah ähnlich aus wie Städte in Israel.

Aber andererseits waren es einfach sehr fröhliche Clips. Die Leute in den Clips, besonders die Kinder, hatten Spaß. Beim Einkaufen, beim Spielen. Die jungen Leute hatten Spaß, wenn sie mit ihren schicken Autos die Straße am Meer entlanggebrettert sind.

Vor fast zehn Jahren liefen alle möglichen Variationen von „Happy“ durchs Netz, und als ich es mir jetzt noch einmal angeguckt habe, habe ich gestaunt, an wie viele Gesichter ich mich noch erinnere. Das sind keine Bilder aus richtig dickem Wohlstand so wie bei #TheGazaYouDontSee, aber fröhliche Gesichter. Und ich sehe solche Gesichter jeden Tag im Bus und auf der Straße. Das sind keine Fremden.

Und das gönne ich jedem, Spaß und alltägliche Freuden und tanzen und lachen… Die ganzen idiotischen Vorwürfe, mit denen mich Trolle auf Twitter ständig überziehen, ich würde Völkermord o.ä. gutheißen, sind voll daneben. Das ist den Trollen natürlich egal, und für die schreibe ich auch nicht. Sie schreiben das einfach bei allen hin, die ihnen pro-israelisch vorkommen. Während palästinensische Politiker uns auf allen Kanälen den Genozid androhen, klagen ihre Sympathisanten, Israel würde Genozid an ihnen vollziehen. Klassische Projektion.

Welcher vernünftige Israeli, und ich kenne eigentlich nur solche, würde nicht lieber in Frieden mit seinen Nachbarn leben, als in Sorge zu leben, daß dort ein haßerfülltes Regime jederzeit noch einmal eine Leute über die Grenze schickt, um zu morden? Welches Interesse hätten wir daran, einen Konflikt zu schüren, der sowieso schon viel zu lange dauert?

Wen freut es, wenn Häuser, in denen Familien gelebt haben, zerstört werden? Natürlich bin ich erleichtert, wenn die Waffenlager unschädlich gemacht werden, und ich glaube auch nicht, daß die Bevölkerung von Gaza davon nichts gewußt hat. Der Vater, der seiner Tochter Waffen unter die Matratze geschoben hat, wußte, was er tat. Trotzdem tut es mir um das Mädchen leid, das von seiner Umgebung nur als Schutzschild mißbraucht wird, und an dessen wahre Interessen niemand denkt.

Dieses Kind hat ein Recht auf ein Zuhause ohne Waffen, ohne Bedrohung, die von seinen Angehörigen heraufbeschworen wird, die sich nicht abfinden will mit dem Lebensrecht eines legal gegründeten, demokratischen, wehrhaften aber friedensliebenden Nachbarstaats.

Und wenn ich die zerstörten Häuser sehe, weiß ich, daß sie aus gutem Grund beschossen wurden, denke aber trotzdem: wie schön wäre es, wenn das einfach nur Wohnhäuser wären, von Familien, die sich ihren Wohlstand erarbeitet haben und ihn nun zusammen genießen. Und ich wünsche mir so, Gaza hätte nicht die Hamas gewählt, hätte nicht den Weg von Unversöhnlichkeit und Haß und Terror gewählt.

Ich sehe den Happy-Clip an und frage mich, wo die tanzenden Kinder jetzt sind, und die Studentin mit dem offenen Haar, und die tanzenden jungen Männer. Und ich kann nicht anders als mich zu fragen – waren sie beteiligt am 7.10.? Fanden sie es gut? Haben sie auf die Toten gespuckt? Aber auch: sind sie vielleicht innerlich wütend auf die Hamas? wurden sie von Hamas verfolgt und eingeschüchtert, weil sie nicht angepaßt genug waren, und halten darum den Mund? Sitzen sie jetzt auf den Trümmern ihrer Existenz, und wenn ein Al-Jazeera-Korrespondent ankommt und sie interviewen will, reden sie sich den Frust von der Seele – was der Korrespondent natürlich abwürgen muß.

Nein, ich sehe nicht gern Zerstörung, nicht von Häusern, nicht von Leben. Das alles hat Hamas über uns gebracht, aber auch über ihre eigenen Bürger. Kaltschnäuzig erklären die Hamas-Anführer, daß sie es jederzeit wieder tun würden, jederzeit wieder israelische Bürger abschlachten wollen, und damit Krieg und Zerstörung über ihre eigenen Bürger bringen werden.

Auf die Frage, warum sie nicht für Infrastruktur und Ernährung ihrer Bürger sorgen, sie sind ja schließlich die Regierung, erwidern sie, daß sie dafür nicht verantwortlich sind. Das hat die UN zu verantworten.

Gleichzeitig stehlen sie von den Gütern, die Israel durchläßt, die UNRWA, die EU, die USA und andere spenden. Je mehr Elend im Gazastreifen, desto besser für sie. Sie wissen, daß die öffentliche Meinung allein Israel dafür verantwortlich erklärt.

Zerstörung wohin man sieht. Eine zerstörte, verhetzte Jugend, die im Kindergarten Geiselnahmen drillt, statt mit Klötzchen und kinetischem Sand zu spielen.

Ich sehe keinen Ausweg. Die Zerstörung wird weitergehen. Israel hat daran kein Interesse. Unser Interesse ist eine friedliche, blühende Nachbarschaft, die sich endlich auf die wichtigen Dinge im Leben konzentrieren kann. Landwirtschaft, Umweltschutz, Erziehung, Gesundheitswesen, Artenschutz, Wasseraufbereitung, aber auch Literatur, Tanz, Kunst, Forschung und der schlichte Genuß des alltäglichen Lebens.

Ich persönlich sehe mit Grausen, wie die Zerstörung immer weiter geht und alles mit sich reißt.

6:35, Morgendämmerung, November 30, 2023, 6:51

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und wenn die Hamas nicht mit einem akzeptablen Vorschlag aufschlägt, geht der Krieg um 7 weiter.

Die Spielchen, die Hamas bei den Geisel“befreiungen“ gespielt hat, waren ekelhaft, das Verhalten der „unschuldigen Zivilisten“ einfach nur barbarisch, brutal und abstoßend. Selbstverständlich sind wir alle für jede freigepreßte Geisel dankbar, doch der Preis ist hoch. In Jerusalem wird das Leben jetzt noch gefährlicher, weil soeben freigelassene, hochmotivierte Terroristen darauf brennen, zu zeigen, daß es nur durch Pech letztes Mal nicht geklappt hat, Juden zu morden.

Die Aussicht, wieder Tag und Nacht um die Soldaten zu bangen, wieder täglich mit anzuhören, wie westliche Medien Israel dämonisieren und eine wahre Al-Aqsa-Flut an Mitleid über Gaza ausschütten, ist beklemmend. Was in der Auseinandersetzung mit Hisbollah, die so sicher ist wie die Leere in der Kirche, auf uns zukommen wird, ist nicht weniger beklemmend.

Hamas bietet Leichen zum Tausch an, drei. Sieben Frauen und Kinder, drei Leichen, mehr haben sie nicht. Keiner kann der Möglichkeit ins Auge sehen, daß zwei dieser Leichen unter Umständen sehr klein und zart sind und rote Haare haben.

Alles hat einen Preis für Hamas, Menschen sind Jetons, die über den Tisch geschoben werden. Die Unmenschlichkeit dieses Austauschs geht gegen alles, woran wir glauben.

Was wir von den Geiseln hören über ihre Zeit in Gaza, ist entsetzlich. UNRWA beschäftigt Lehrer und Ärzte, die Kinder als Geiseln halten und sie fast verhungern lassen.

Die Komplizität zwischen UNRWA und Hamas, die wir schon lange geahnt haben, ist nun mit vielen Beweisen belegbar. Das Krankenhaus Al Shifa allein ist schon Beweis genug.

Wird das alles Folgen haben? Und daß das Internationale Rote Kreuz sich von Hamas hat beflaggen lassen, und seine Mitarbeiter die Hamas wie Kumpels begrüßen?

Nein, ich weiß nicht, ob das überhaupt jemanden kümmert. Palästina-Soli-Demos sind laut, gewaltsam, einschüchternd, und man sollte meinen, zivilisierte Menschen im Westen müßten sich mit Grauen abwenden, wenn sie sehen, wie der Mob Hotels mit Geiselfamilien in Melbourne oder Weihnachtsbaum-Feiern in New York stürmt. Aber nein, die Unterstützung ist unerschütterlich, scheint es.

Junge Menschen, die ihre Geschichtskenntnisse aus Tiktok beziehen, sind genauso von Palästina, diesem wunderbaren Land mit seinen tiiiiefen Wurzeln, begeistert, wie Frauen meines Alters, die für alles Orientalische schwärmen und alle Araber nur als edle Wilde oder edle Opfer sehen können.

Politiker beteuern ihre Empörung über die Ereignisse des 7.10., während sie still zum Scheckbuch greifen und noch ein paar Millionen für „Zivilisten“ im Gazastreifen rüberschieben. Als wäre nicht mehr als klar, was mit dem Geld geschieht. Als wäre eine EINZIGE Bedingung schon zu viel, um den Empfängern dieser Summen nur ja nicht klarzumachen, daß Taten Folgen haben.

Nein, vor den Folgen müssen die Palästinenser bewahrt werden. Israel soll das wegstecken, sich nicht wehren.

Die Minuten ticken, ich weiß nicht, was ich mir wünschen soll oder was überhaupt vorgeht. Gleich mach ich die Nachrichten an. Egal was kommt – weitere Triumphgesänge erfolgreicher Erpresser oder die Wiederkehr des Grauens, das Krieg heißt – ich fürchte es und weiß doch: da müssen wir jetzt durch, es geht nicht anders, sonst wird dieses Land unbewohnbar an seinen Grenzen und im Innern.

Konfrontationslinie November 18, 2023, 15:40

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Seit vielen Jahren ist die App des Homefront-Kommandos für alle Israelis ein Muß. Es gibt auch verschiedene inoffizielle Versionen, aber die von der IDF produzierte App ist die zuverlässigste.

Sie zeigt uns an, welche Anweisungen für den Ort gelten, an dem man sich gerade aufhält, rappelt und leuchtet wie wahnsinnig, wenn Alarm ist, und zeigt alle Alarme des Tages an.

So sieht es zum Beispiel aus, wenn ich in Nahariya bin. Ich arbeite dort, und ich weiß genau, wo ich hin muß, falls es Alarm geben sollte. Ich habe 15 Sekunden, es könnte knapp werden, aber 15 Sekunden sind immerhin 15 Sekunden.

Bei uns zuhause haben wir diese 15 Sekunden nicht. Wenn hier Alarm ist, hört man die Explosionen gleichzeitig mit dem Alarm, meistens aber kommen die Explosionen zuerst und dann der Alarm.

Und ich höre gerade, daß in Sderot eine Rakete auf ein Haus gefallen ist, direkt auf den Schutzraum. Es interessiert uns natürlich alle, wie der Schutzraum standgehalten hat. Da Sderot größtenteils geräumt ist, hoffe ich sehr, daß niemand verletzt wurde.

Zivilschutz rettet unsere Leben, hat aber auch dazu geführt, daß niemand die Bedrohung mehr ernstnimmt. Ich kenne kein anderes Land, das sich über Jahrzehnte hat beschießen lassen. Und jetzt, wo Israel sich wieder einmal wehren muß, damit das Leben auch in Sderot wieder sicher wird, schreit die ganze Welt Gewalt.

2001 fingen die Mörsergranaten aus dem Gazastreifen an, und es gab kein Jahr ganz ohne Angriffe. (Quelle) In der Graphik ist die letzte Welle gar nicht drin, und auch die Angriffe aus dem Norden nicht. Für die Angriffe aus dem Libanon gibt es eine extra Wikipedia-Seite, und auch aus Syrien und dem Jemen sind wir beschossen worden.

International finden diese Angriffe überhaupt nicht statt. Ihr lest nichts darüber, ihr hört nichts davon. Israelis sollen das einfach hinnehmen.

Fällt euch ein anderes Land ein, dessen Einwohner sich einfach nicht wehren dürfen, ohne des Genzids beschuldigt zu werden?

Sechs Wochen November 18, 2023, 11:32

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Es ist noch viel zu früh für eine Zwischenbilanz, das Leben wird nicht wieder „normal“ werden, und im Rückblick erkenne ich, daß es nie normal war. Aber noch ist die alte Welt nicht so weit entfernt, der Schock der Veränderung noch nicht verarbeitet, sowohl auf der persönlichen als auch der politischen und nationalen und internationalen Ebene. Wir sind in der Nachbeben-Phase, und das Nachbeben könnte sich durchaus als Vorbeben herausstellen.

Wir sind noch hier, und nach neusten Messungen ist die nördliche Grenze unseres Moshavs weniger als 5 km von der Grenze entfernt. Ich habe immer auf Google Maps gemessen, von unserem Haus aus, da sind es knapp über 5km. Tatsächlich ist Manot sehr nah an der Grenze zum Libanon, und viele Bewohner schäumen, daß wir nicht offiziell evakuiert werden. Wer weg will, muß das privat organisieren und bezahlen. Viele der Moshavniks, die immer treu ihren Bibi gewählt haben, sind jetzt entsetzt darüber, wohin die Gelder der Koalition gehen und fühlen sich betrogen, daß sich um uns hier niemand kümmert. Es gibt erste Proteste, aber viele werden natürlich bei den nächsten Wahlen trotzdem Likud wählen.

Wie inkompetent und impotent die Regierung wirklich ist, wie wenig Gesicht sie zeigt und wie alleingelassen sich viele Menschen fühlen, drückt sich auf vielen Wegen aus, und die positivste davon ist die Initiative der Bürger. Spenden für Evakuierte sammeln, Spenden für Soldaten organisieren, Proteste mit den Familien der Entführten auf die Beine stellen, Informationen über ihr Schicksal aufspüren – das alles tun Bürger, während die staatlichen Stellen zusehen.

Da wir, Yaron und ich, uns niemals auf die Regierung verlassen haben, überrascht es uns nicht. Bibi hat im Laufe der Jahre viele Ämter und Ministerien von innen ausgehöhlt und mit Menschen besetzt, die ihm genehm waren, und die jetzt hilflos vor ihren Aufgaben stehen. Wir erwarten keine Hilfe vom Staat. Ich habe von meinen drei Arbeitsstellen zwei verloren, für den Einkommensverlust werde ich nicht entschädigt, wir müssen irgendwie damit über die Runden kommen. Und so geht es nicht nur mir. Die ganzen Jahre habe ich in die Nationalversicherung eingezahlt, aber ich habe keinerlei Recht auf Unterstützung. Die Solidarität, die der Staat heute verweigert, schenken die Menschen sich gegenseitig, und der Rest bleibt ein privates Problem.

Wir wollen nicht evakuiert werden, wir wollen hierbleiben. Viele Nachbarn, besonders die mit kleinen Kindern, sind auf eigene Faust und eigene Kosten weggegangen – in Hotels oder Ferienwohnungen, oder zu Verwandten. Manche, die sich das nicht mehr leisten konnten, sind wieder zurückgekehrt. Schulen und Kindergärten gibt es nicht mehr, es muß sich anfühlen wie Corona mit Raketen, und ein paar Lehrerinnen versuchen, ein Angebot im Bunker zu organisieren, damit die Kinder wenigstens einmal am Tag aus dem Haus kommen (ich helfe da manchmal mit). Oberschüler „lernen“ mit Zoom, und diese Generation von Kindern, die Corona und nun den Krieg mitgemacht haben, werden daran lange knapsen. Ein ganzes Kapitel Normalität, die Konstante Schule, fehlt ihnen.

Aber wir halten es hier gut aus. Die Soldaten sind aus Manot abgezogen worden, so ziemlich die einzige „Maßnahme“, die die Regierung ergriffen hat, nachdem sich die Vertreter der regional councils (Kommunen?) beschwert haben. Das war vor einer Woche. Sie hatten ein Treffen mit Bibi, der sie nach Jerusalem eingeladen hat. Das haben die Bürger im Norden wütend aufgenommen, und so hat Bibi sich dann in den Norden begeben. Bürger hat er nicht getroffen, nur die Bürgermeister und Leiter der Kommunen, aber geändert hat sich nichts, außer daß die Soldaten aus den Orten abgezogen und im Feld versteckt worden sind, und die Kontrollpunkte ein paar Kilometer weiter nördlich verlegt wurden. Damit es sich nicht so wie Krieg anfühlt. Die Einwohner der Gegend hier schäumen, vollkommen zu Recht.

Das Sicherheitsteam des Moshavs funktioniert. Die Armee auch. Der Ablauf bei „Vorfällen“ ist, wie ich bereits beschrieben habe, immer gleich. Ich höre Unruhe und Rumpeln – sehe Alarm auf der Alarm-App in Orten hier in der Nähe – dann die Artillerie der IDF – die Whatsapp-Nachricht vom Sicherheitsteam kommt sofort rein – etwas später kommt es auch in den Nachrichten, meist mit knapper Information, was genau passiert ist und wo.

Und so abartig es klingt, ich habe mich daran gewöhnt. Die große Spannung, was nun als nächstes kommt, ist abgeklungen, die Amplituden, von denen ich vor ein paar Wochen erzählt habe, sind deutlich flacher geworden. Ich verlasse mich darauf, daß IDF genau abwägt, wie und wo zurückgeschossen wird, um den Beschuß der Hisbollah nicht unbeantwortet zu lassen und Stützpunkte der Hisbollah zu zerstören, ohne daß es sich zu einem Gegenschlag auswächst.

Obwohl es durchaus Diskussionen darüber gibt, ob wir nicht einen Gegen- und Präventivschlag führen sollten, um die Hisbollah militärisch hinter die Litani-Grenze zurückzudrängen, die sie ja laut Resolution 1701 gar nicht überschreiten dürften. Es ist möglich, daß dieser Präventivschlag noch kommt, aber nicht gleichzeitig mit der Front im Süden.

Ich fühle mich hier aber nicht mehr so gefährdet wie zu Anfang. Fast bin ich dankbar, daß die Illusion der Sicherheit zerbrochen ist und der Alltag mir klarmacht, daß ich in einer gefährlichen Gegend lebe, was ich vorher auch wußte, aber nur mit dem Kopf. Jetzt hat der ganze Körper es kapiert. Und damit kann man leben.

Eine Bekannte von mir lebt direkt an der Grenze, in Kibbuz Chanita, der nördlichsten Häuserreihe.

Also praktisch auf der Blauen Linie, der Grenze. Sie ist tiefer erschüttert als ich, ist natürlich evakuiert (sie lebt jetzt bei ihrer Mutter in Nahariya, hört also auch die Artillerie dumpf aus der Ferne), und sie macht sich mit Grauen klar, daß das, was in Kibbuz Beeri passiert ist, auch ihr hätte passieren können. Sie weiß nicht, ob sie je zurückkehren kann in den Kibbuz, in dem ihr Mann geboren und aufgewachsen ist, und wo sie ihre Kinder großgezogen hat. Und viele, viele Israelis in den wirklich grenznahen Orten stellen sich diese Frage, während sie aus Koffern leben und die Regierung keine Antworten gibt.

So kraß ist es bei uns nicht. Wäre die Hisbollah am 7.10. ebenfalls über die Grenze gestürmt, hätte Israel von Norden und Süden aufgerollt werden können. Man muß sich das klarmachen. Die IDF hat inzwischen Pläne gefunden, die zeigen, wie weit die Hamas vordringen wollte. Es ist noch immer nicht klar, warum die Hisbollah sich nicht aktiv beteiligt hat, und auch Nasrallah in seinen Reden uns nicht den Krieg erklärt hat (der besteht von seiner Seite aus sowieso), sondern der Hamas nur seine moralische Unterstützung erklärt hat. Ja, wir sind im Krieg, aber es ist ein Zermürbungskrieg auf kleiner Flamme.

Inzwischen ist ziemlich klar, daß die Hamas allein losgestürmt ist und die Hisbollah und Teheran, die bei der Vorbereitung geholfen hatten, gewissermaßen überrascht hat. Es gab vermutlich Uneinigkeit zum Datum, obwohl man sagen muß, daß Hamas das Datum gut gewählt hat. Ein Tag nach dem 50jährigen Jahrestag des Yom-Kippur-Kriegsausbruchs, dem Trauma der Überraschung, an einem Shabat und Feiertag. Die IDF war auf die Gebiete konzentriert, und zu diesen Entscheidungen, warum die Gaza-Brigada nicht an der Grenze zum Gazastreifen war, wird es nach dem Krieg sehr ernste Diskussioinen geben müssen.

Aber die Tatsache bleibt, daß die Hisbollah die Nordgrenze zwar punktuell angreift (auch jetzt höre ich die Artillerie im Hintergrund: Zeichen dafür, daß es einen solchen Angriff auch heute früh gab), aber nicht in einen All-out war gezogen ist. Meine persönliche Vermutung ist, daß Hisbollah erst angreifen wird, wenn Teheran offiziell eine Atommacht ist. Aber ich bin keine militärische Spezialistin.

Es ist also viel Vertrauen zerbrochen. IDF hat durch den Einsatz im Gazastreifen, der bisher Erfolge gezeigt hat (wie die Aufdeckung der zivilen Tarnung aller militärischen Einrichtungen, also Kriegsverbrechen, die Israel immer angeprangert hat, was aber niemand glauben wollte), einen Teil des Vertrauens wiedergewonnen, aber die Regierung hat durch ihren Komplettausfall seit dem 7.10. noch mehr Vertrauen verspielt.

Dafür haben sich die Beziehungen zwischen jüdischen Israelis und Minderheiten-Israelis sehr verbessert. Der Schock des 7.10. hat allen klargemacht, daß wir in einem Boot sitzen, und die Brutalität der Hamas, mit der sie Beduinen und Muslime abgeschlachtet hat, hat uns enger zusammengebracht. Auch viele andere Streitigkeiten sind jetzt weniger wichtig. Auch Reservisten, die vor dem 7.10. wegen der Justizreform den Dienst verweigern wollten, sind selbstverständlich jetzt in Uniform und kämpfen für ihr Land im Gazastreifen. Alle wissen, daß es nicht darum geht, für Bibi zu kämpfen. Sondern dafür, daß vielleicht eines Tages Kibbuz Beeri neu aufgebaut werden kann, und daß die Bewohner von Sderot dort wieder ruhig schlafen können. Was sie seit 2003 nicht mehr konnten, als der Beschuß aus dem (damals noch nicht geräumten) Gazastreifen anfing.

Israel rückt näher zusammen, auch angesichts der unglaublichen Erschütterung über die Reaktionen weltweit. Statt daß es eine Welle der Solidarität mit dem Land gibt, das einen der größten Terrorangriffe der Geschicht durchgemacht hat, und das seit Wochen mit immer neuen grausamen Details konfrontiert wird, die jetzt erst bekanntwerden – statt dessen hebt der Antisemitismus weltweit die Fratze ans Licht und äußert sich offen. Ihr seht es selbst im Fernsehen und bei Twitter. Paradox, daß der sicherste Ort für Juden Israel ist.

Die Aufnahmen von abgerissenen und beschmierten Plakaten der Geiseln in Europa, den USA, Australien, also überall, zeigt deutlich, wie groß der Haß ist. Die Medien konzentrieren sich auf das Leid einer Zivilbevölkerung, die zu 80% hinter der Hamas steht und von denen sich ein Teil aktiv am Massaker beteiligt hat, und fordert von Israel Waffenstillstand, während die Raketen weiter auf Ashkelon und Tel Aviv fallen. IDF tut alles, um zivile Opfer so gering wie möglich zu halten, viel mehr, als andere Armeen je getan haben, trotzdem werfen Journalisten mit den erfundenen Opferzahlen der Hamas um sich, ohne sich je zu fragen, wie es kommt, daß dort NUR von zivilen Opfern die Rede ist.

Die Bilder der „Kämpfer“ der Hamas, die in Sweatpants und Adiletten Raketen abfeuern, zeigen, warum. Jeder Terrorist ist Zivilist, jedes israelische Baby Kombattant. Daß die Hamas so argumentiert, überrascht niemanden – daß internationale Medien mitspielen, ist viel erschreckender. Die Naivität der Hamas-Propaganda gegenüber ist nicht nur empörend, sie bedeutet Gefahr für Juden in aller Welt, denn jeder Angriff auf jüdische Einrichtungen kann sich auf die angeblichen Gräueltaten Israels beziehen und sich damit rechtfertigen. CNN, BBC und ZDF machen sich dadurch direkt mit schuldig.

Ich hatte nie viel Vertrauen in die Medien, aber wie weit die Identifikation mit den Palästinensern geht, ist wirklich schockierend. Besonders die Berichterstattung der BBC übernimmt die krassesten Lügen der Hamas unhinterfragt, glaubt aber israelischen Quellen kein Wort. Was die Zivilbevölkerung in Israel durchmacht, was die Angehörigen der Geiseln, scheint nicht zu interessieren. Niemand fragt sich, was hier ohne Iron Dome und Zivilschutz los wäre. Wir fragen uns das natürlich täglich. Immer wenn es am Himmel kracht.

Die mangelnde Solidarität mit unseren Opfern ist besonders erschütternd, wenn es um die Vergewaltigung, diese systematisch gegen israelische Frauen und Mädchen eingesetzte Waffe, geht. Die Hamas hatte das geplant und hat ihre Opfer bestialisch zu Tode gequält. Die Einzelheiten sind kaum erträglich, aber mit ihren eigenen GoPro-Kameras festgehalten und von Rettungskräften bezeugt. Dieselben zarten Seelen, für die jedes „falsche“ Pronomen eine unerträgliche Aggression bedeutet und jede anzügliche Bemerkung einen Angriff auf die Menschenrechte, verweigern den israelischen Opfern ausdrücklich jede Solidarität. Sie glauben ihnen nicht, obwohl die Bilder eine deutliche Sprache sprechen.

In den ersten Wochen ging es den israelischen Rettungskräften erstmal um die Bergung aller Toten und ihre Identifikation, die noch immer nicht abgeschlossen ist. Forensische Untersuchungen zu Vergewaltigungen wurden nicht immer unternommen, es war einfach zu viel auf einmal und es schien vordringlich, den Familien ein würdiges Begräbnis zu ermöglichen. Daß die Welt schlicht erklären würde, ohne diese forensischen Beweise wäre keine Vergewaltigung erkennbar, damit hat niemand gerechnet. Menschenrechte, Frauenrechte gelten nicht, wenn die Gewalt von „Freiheitskämpfern“ begangen werden, das hat die internationale Reaktion überdeutlich gezeigt. Unter #MeToo_UNless_UR_a_Jew finden sich unerträgliche Beispiele.

Und dann das Thema UN. Ich habe in der Vergangenheit oft darüber geschrieben, wie vollkommen einseitig die UN seit Jahrzehnten gegen Israel Stellung bezieht, genau wie andere große internationale Organisationen. Daß keine einzige Verurteilung gegen die Hamas kam, dagegen einen ganze Kette von Verurteilungen gegen Israel, ist unglaublich, aber wahr. https://twitter.com/UNWatch deckt immer wieder Dinge auf, die einen an der Menschheit verzweifeln lassen. Doch jetzt zeichnet sich für mich ein noch düstereres Bild ab als ein Verein, der hinter der Fassade der Respektabilität Diktatoren hofiert und Iran den Vorsitz im Menschenrechtsrat überläßt.

Gedeckt von UNRWA und WHO, konnte Hamas sich eine beispiellose Terrorstruktur aufbauen. Die UNRWA hat mehr Mitarbeiter als das allgemeine Flüchtlingswerk, und palästinensische Flüchtlinge sind die einzigen auf der Welt, die ihren Flüchtlingsstatus vererben, womit also ein wachsendes Heer von „Flüchtlingen“ gegen Israel in Stellung gebracht werden kann. Das ist bekannt. Ebenso, daß Gelder und Hilfsgüter in den korrupten Strukturen der Hamas versickern.

Aber das Ausmaß, in dem diese Organisationen der Hamas einen Schutzschirm gaben, läßt nur zwei Schlüsse zu.

Entweder die UN hat die Augen fest zugekniffen und alle Warnungen, die nicht nur von Israel kamen, entschlossen in den Wind geschlagen, daß utnter Krankenhäusern und Schulen, in Moscheen und Kindergärten Rakten hergestellt und abgefeuert wurden. Unter dem Zeichen der UN und ihrer Unterorganisationen. Die UN hat die Hamas gegen Kritik abgeschirmt und den Regierungen der Welt damit die Versicherung gegeben, daß die Milliarden an Unterstützungsgeldern „humanitär“ genutzt werden. Gleichzeitig wurden die Führer der Hamas Milliardäre und ihre Führungsschicht lebte das gute Leben. Und das Geld wurde in teure Waffen und Tunnel angelegt. Während die UN so tat, als sehe sie nichts.

Die zweite Möglichkeit ist noch verstörender. Nämlich, daß es ein ganzes Netzwerk von Korruption gibt. Da die meisten Mitarbeiter der UNRWA selbst Palästinenser sind, ist es kaum vorstellbar, daß es keine personellen Verflechtungen gab. Mein persönlicher Verdacht, daß die Korruption bis weit in die Gremien der UN reicht, wird dadurch bestärkt, daß es ebendiese Gremien sind, die lautstark nach Waffenstillstand (einem einseitigen natürlich) rufen. Als wollten sie Israel daran hindern, noch mehr Beweise zu finden, als bereits sichergestellt wurden.

Während ich hier sitze und schreibe, während ich die Artillerie immer im Hintergrund habe, sichern Soldaten der IDF Computer, Dokumente, Waffenlager und Abschußrampen im Gazastreifen. Die Hamas hat jahrelang ungehindert machen können, was sie wollte, und durch die lange Wartezeit vor der Bodenoffensive hatte sie auch Zeit, einen Teil ihrer Spuren zu verwischen, falsche Wände einzuziehen, zu verputzen und zu verkacheln, Sprengfallen anzulegen. Aber auch IDF ist vorbereitet und setzt Roboter mit Kameras ein, statt Soldaten zu gefährden. IDF wird weiter Beweise sammeln, und ich hoffe, die von Palästinenser-Sympathie besoffenen Medien werden irgendwann aus ihrer Trance erwachen und begreifen, daß sie belogen worden sind.

Daß UN und Hamas zusammengearbeitet haben. Daß Hamas einen Apparat des Terrors aufgebaut hat mit der Absicht, an Israel einen Völkermord zu vollziehen, während die UN sie mit einer Fassade der humanitären Bedürftigkeit geschützt hat. Daß Hamas unterirdische Hauptquartiere erbaut hat, Tunnelsysteme, die teils von Kindern gegraben wurden (die dabei ums Leben kamen, aber wen kümmert der Kollateralschaden der Hamas? ihr habt nie davon gehört), darüber Schulen erbaut hat, die dann von der UNRWA feierlich eingeweiht wurden. In den Schulen haben dann UNRWA-Lehrer den Schülern beigebracht, wer der Feind ist (der Jude), und was man mit ihm machen soll (gnadenlos abschlachten).

Es ist längst bekannt, was in UNRWA-Schulbüchern steht, und ich möchte diesen schon viel langen Eintrag nicht mit Links spicken, vor allem, weil ich hier im Blog schon Dutzende von Beispielen gegeben habe und eine einfache Google-Suche noch viel mehr ergibt.

Bei mir jedenfalls bildet sich der Verdacht, daß die WHO und das Internationale Rote Kreuz nicht nur aus allgemeiner Gleichgültigkeit israelischen Schicksalen gegenüber keinerlei Anstrengungen für unsere Geiseln unternommen haben. Sondern weil sie aktiv am Projekt der Hamas beteiligt sind und den Tag fürchten, an dem das unwiderlegbar bewiesen werden kann.

Ich hoffe, ich irre mich. Sonst bin ich ja keine Anhängerin von Verschwörungstheorien, aber es ist schon auffällig, wie alle internationalen Organisationen das Massaker vom 7.10. ignorieren und statt dessen Israel anklagen. Die UEFA erlaubt keine Schweigeminuten, UN Women kümmert sich nicht um die Gewalt gegen israelische Frauen, das Rote Kreuz läßt die Familien der Geiseln allein. Überall blicken wir in kalte Augen, wie in einem Horrofilm, in dem die Nachbarn von Aliens übernommen werden.

Ein Gefühl wie in den Bildern, die der Shoah-Überlebende Samuel Bak malt, wo das Schiff Israel allein durchs Eismeer fährt.

Kann ich so pessmistisch diesen Eintrag beenden? Nein. Wir haben auch Freunde. Jeder einzelne ist wichtig. Und Israel ist stark. Nicht, weil wir militärisch überlegen sind – wir sind ein kleines Land mit einer kleinen Armee. Aber wir sind stark, weil wir zusammenhalten.

Wir werden den weltweiten Haß nie besiegen, die verhetzten Menschen nie überzeugen, die skeptischen Medien nie dazu bringen, Lügen über Israel kritisch zu hinterfragen, bevor sie sie weitergeben. Aber hoffentlich schaffen wir es, unsere Grenzen wieder sicher zu machen, so daß wir uns in dieser feindlichen Umgebung behaupten können, und neue Beziehungen zu früheren Feinden aufbauen können.

Was ihr dafür tun könnt? Den iranischen Widerstand unterstützen und nur Politiker wählen, die keine Geschäfte mehr mit dem iranischen Regime machen. Würde das Regime fallen – das wäre wie der Zusammenbruch des Turms von Mordor. Deutschlands Unterstützung des Regimes muß aufhören. Und da könnt ihr eine Rolle spielen.

Solange es die Hoffnung gibt, daß die mutigen Iraner, die sich gegen ihre verbrecherische Regierung stellen, siegen können, so lange gibt es auch Hoffnung auf eine Befriedung des Nahen Ostens.

Und im kleinen Rahmen? Unterstützt israelische Geschäfte, und wer mehr tun will, kann ja den IDF-Soldaten Pizza spenden.

Bittere Tage November 17, 2023, 0:08

Posted by Lila in Persönliches.
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Nachts sind die Gedanken schwer. Ich denke an die Geiseln und ihre Familien, denen die Dunkelheit über dem Kopf zusammgeschlagen ist, und wann kommt Morgenlicht? Und ich denke an die Soldaten und Soldatinnen, an ihren Mut, an ihre Motivation, an ihre Jugend. Wir wissen, daß im Lauf des Morgens die Namen bekanntgegeben werden, und gleichzeitig die Einzelheiten zur Beerdigung.

Heute früh ging dann durch Twitter das Bild des jungen Assaf Mester, dessen Name mir nichts sagte, obwohl ich um ihn traurig war wie um die beiden anderen, deren Namen ebenfalls bekanntwurden. Etwas später dann: ein Tweet von Assaf und seinem Urgroßvater. Shmuel Gogol.

Gogol war in ganz Israel bekannt. Als Kind war er im Waisenhaus von Janusz Korczak, und irgendwie hat er Auschwitz überlebt. Er konnte Mundharmonika spielen, spielte an der Rampe, mit geschlossenen Augen, damit er niemanden erkannte von den Menschen, die an ihm vorüberzeogen.

Nach dem Überleben kam der Wiederaufbau seines Lebens, Heirat mit einer Überlebenden, Ruthi aus Deutschland, dann gemeinsam Aliyah nach Israel, und der Aufbau des Mundharmonika-Orchesters in Ramat Gan. Ruthi und Gogol suchten nach überlebenden Verwandten, und in den 60er Jahren fanden sie endlich eine verschwundene Nichte wieder.

Diese Nichte war meine spätere Schwiegermutter. Sie war glücklich, in Gogol einen Verwandten ihres verschollenen Vaters gefunden zu haben. Die kleine, durch den Holocaust grausam dezimierte Familie hielt zusammen. Ruthis und Gogols Sohn war ein paar Jahre älter als mein späterer Mann.

Als ich in die Familie einheiratete, bangte mir ein bißchen, die vielen Überlebenden der Familie kennenzulernen, aber das war überflüssig. Alle nahmen mich herzlich auf, und viele Jahre waren die Beziehungen eng. Aber als bei den Gogols Enkelkinder kamen und bei uns Kinder, sahen wir uns nur noch auf Beerdigungen und Hochzeiten. Die alten Gogols starben, Shmuel zuerst, kurz nachdem er mit Yitzhak Rabin in Warschau war, wo er wieder mit seiner Mundharmonika an der Rampe spielte. Diesmal mit seinem jungen Orchester und geöffneten Augen. Ruthi blieb der Familie noch viele Jahre erhalten, reiste auch in ihre Heimat, wo ein Stolperstein für ihre gesamte Familie enthüllt wurde.

Alle paar Jahre fand eine „Gogoliada“ statt, ein großes Familientreffen aller Gogols, wo auch meine Schwiegermutter dabei war.

Kurz – als ich sah, daß ein Urenkel von Shmuel Gogol letzte Nacht im Gazastreifen gefallen ist, war mir klar, daß ich entweder seine Mutter oder seinen Vater kenne. Und daß mein Mann unbedingt zur Beerdigung muß. Also habe ich schnell recherchiert und der Name von Assafs Mutter sagte mir auch, welche Gogol-Tochter es war, die letzte Nacht ihren 22jährigen Sohn verloren hat und ihn mittags begraben muß.

Für mich war der Weg zu weit, um noch rechtzeitig zur Beerdigung anzukommen, aber mein Mann und seine Schwester schafften es. Alle waren da – die Verwandten des verlorenen Vaters meiner Schwiegermutter. Meiner lieben Schwiegermutter, die alle ihre Verwandten liebte, waren diese Angehörigen des Vaters, den sie nie kennenlernen konnte, war dieser Zweig der Familie besonders kostbar. Wir haben sie vor über einem Jahr verloren, ein sehr schwerer Abschied. Und jetzt hat diese Familie, die sich aus Schutt und Asche aufgerappelt hat, und der Familienleben über alles geht, einen so jungen Sohn verloren.

Mein Mann sagt, es waren sehr viele Menschen auf dem kleinen Friedhof, und ein Meer von Fahnen. Wir werden auch zur Shiva fahren.

Was kann man zu so einem Schicksal sagen? Assafs Großeltern sind im Schatten des Holcaust aufgewachsen, der ihre Kindheit bestimmte. Shmuel Gogol konnte mit seinem Sohn nicht darüber sprechen, erst den geliebten Enkelinnen öffnete er sich. Daß eine von ihnen jetzt ihren jungen Sohn verloren hat – dafür finde ich keine Worte.

Ich sage oft, daß sich in jüdischen Familien die Traumata über Generationen die Hände reichen. Das meine ich damit.

Wenn Israel ein Haus beschießt November 14, 2023, 5:27

Posted by Lila in Land und Leute.
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Das war eigentlich eine Kette von Tweets (oder muß man die jetzt Xeets nennen?), aber ich schreibe es noch mal vernünftig hin.

Wenn Israel ein Haus beschießt, dann besteht ein triftiger Grund, den Israel vor Gericht beweisen kann. Und vermutlich auch wird beweisen müssen. Weil für uns das Recht auf Selbstverteidigung nicht bedingungslos gilt wie für alle anderen.

Auch aus Humanitätsgründen handelt Israel so und ballert nicht einfach drauflos. Israel hat viel Wissen über Gaza, und im Laufe der Jahre hat die israelische Aufklärung eine „Zielbank“ erarbeitet, also Ziele, die beschossen werden dürfen, weil sie militärische Bedeutung haben. Das wird auch juristisch abgesegnet.

Überdies hat jeder Pilot und Soldat das Recht, auch den wichtigsten Einsatz abzubrechen, wenn Zivilisten in der Gegend sind. Es gibt unzählige Mitschnitte von Gesprächen mit der Kommandozentrale, wo Soldat oder Pilot sagen: hier sind zu viele Menschen, wir brechen ab, um keine Unbeteiligten zu treffen.

Hamas weiß das. Sonst hätte die ganze Strategie mit den Schutzschilden ja keinen Sinn, wenn Israel Zivilisten nicht grundsätzlich als schützenswert sähe. Es würde ja nicht gegen jede Armee helfen. Z.B. glaube ich nicht, daß es die russische Armee irgendwie beeindrucken würde, wenn ihnen eine Schule im Weg ist.

Befragungen von festgenommenen Terroristen bestätigen die israelischen Grundsätze. Sie wissen, daß Israel Schulen, Krankenhäuser etc grundsätzlich schont. Ohne zwingede Beweise und ein System der Vorwarnung werden solche Orte nicht beschossen. Und das macht die Hamas sich natürlich zunutze.

Jetzt sind wir im Krieg, dh, Entscheidungen müssen schnell gefällt werden, die Situation ist fluide. Aber immer noch hat Israel die Einsatzzentrale, der bewußt ist, daß jede Kugel, jede Bombe unter juristische Bewertung kommen werden.

Was immer die Gründe sind – IDF steht immer unter schärferer Beobachtung als andere Armeen in Mali, Afghanistan, Irak oder sonstwo. Obwohl diese Armeen nicht zuhause bedroht sind und ihre Bevölkerung geschützt ist vor Raketen aus dem Kampfgebiet, also keine unmittelbare Selbstverteidigung nötig ist. Bei diesen Einsätzen in anderen Kontinenten geht es um andere Dinge, manchmal wird mittelbare Selbstverteidigung am Hindukusch oder sonstwo beschworen. Aber kein Deutscher, Brite, Franzose oder Amerikaner braucht einen Schutzraum zuhause, weil er unmittelbar bedroht wäre.

Israelis haben Schutzräume überall. In jedem Einkaufszentrum, jedem Gebäude, überall gibt es den Pfeil zum geschützten Bereich. Wenn ich unterrichten gehe, weiß ich, wo ich die Gruppe hinführen muß, wenn Alarm kommt.

IDF muß also ganz konkret Leib und Leben der eigenen Bevölkerung schützen, die in der Nähe des Kampfgebiets lebt und beschossen wird. Trotzdem gelten deutlich schärfere Gesetze für IDF als für andere Armeen. Warum? Denkt mal nach. Es gibt Staaten und internationale Organisationen, die kein Interesse an israelischer Selbstverteidigung haben und alles tun, um uns Steine in den Weg zu legen, auch wenn es für uns überlebenswichtig ist, daß wir uns verteidigen.

Sie warten nur darauf, daß IDF einen Fehler macht, und vorsichtshalber unterstützen sie Terrororganisationen aktiv, indem sie die haltlosen Anschuldigungen gegen Israel weitergeben und absegnen, obwohl sie eigentlich wissen müssen, daß sie lügen.

IDF weiß das alles und der Verteidigungsminister auch. Darum wird alles gefilmt und bezeugt.

Zum Thema carpet bombing, dem beliebten Vorwurf. Flächenbombardierungen führt IAF nicht durch und kann es gar nicht. Wir haben weder die Flugzeuge noch die Bomben dafür. Man braucht dafür nämlich sehr kräftige Flugzeuge, aus denen man Mengen von Bomben abwerfen kann. Ich verstehe wirklich nichts davon, aber unsere Flugzeuge und Hubschrauber sind mit viel weniger Bomben bestückbar, die sie gezielt abfeuern. IAF veröffentlicht genügend Filme von Bombardierungen, und ihr könnt sehen, daß das Ziel vorher durch so ein Zielkreuz anvisiert wird. Wenn ihr dagegen Aufnahmen von Flächenbombardierungen aus dem 2. Weltkrieg kennt, ist klar, daß die Bomben einfach in Massen abgeworfen wurden, auf Ungefähr, und wo sie fielen, da fielen sie eben. Eine Gegend war das Ziel, ein Hafen oder eine Stadt, aber nicht ein bestimmtes Gebäude.

Es ist für mich immer ein eyeroll moment, wenn ich unter Clips solcher eindeutig gezielten Bombardierungen im Internet Kommentare lese, die von carpet bombing faseln. Leute, ihr habt gerade das Gegenteil gesehen. (Und nein, froh machen mich diese Aufnahmen auch nicht, auch ich sehe ein Haus lieber stehen als in sich zusammensacken, womöglich über Unschuldigen).

Es ist ironisch, daß Länder, die sehr wohl solche Techniken benutzt haben, Israel ernst zur Zurückhaltung mahnen, einer Zurückhaltung, die sie selbst nicht üben.

Aber das ist die Realität. Unsere Feinde halten sich, wie jeder sehen kann, an keinerlei Regeln der Menschlichkeit oder Kriegsführung, sie erkennen den Unterschied zw Kombattanten und Zivilisten nicht an.

Für sie sind ihre eigenen „Kämpfer“ Zivilisten, weswgen es logisch ist, daß sie in Sweatpants und Adiletten Raketen abfeuern. Und für sie ist auch der kleine Kfir Kombattant, obwohl der noch nicht laufen kann.

Glaubt mir – wenn Israel ein Haus beschießt, dann besteht ein triftiger Grund, den Israel vor Gericht beweisen kann. Und vermutlich auch wird beweisen müssen. Weil für uns das Recht auf Selbstverteidigung nicht unbedingt gilt wie für alle anderen. Weil für uns ein militärischer Sieg nicht reicht (den wir sowieso nach den Spielregeln der Welt nie erringen dürfen, weil die andere Seite es nicht hinnehmen kann). Für uns kommt danach das juristische Nachspiel.

Das jüdische Ethos erlaubt es IDF nicht, die Untaten zu begehen, die uns zur Last gelegt werden. (Daß Menschen in Uniform sich manchmal unmenschlich verhalten, ist aus allen Armeen bekannt und wird von allen zivilisierten Armeen sanktioniert, wenn es vorkommt.) Israel hält sich an die Regeln und geht oft darüber hinaus.

Die Techniken, die IDF entwickelt hat, um feindliche Zivilisten zu warnen, sind vorbildlich und ich kenne keine andere Armee, die sie benutzt. Haben die Briten im Irak Flugblätter abgeworfen, SMS geschickt und Irakis angerufen, um sie zu warnen? Haben die Franzosen in Mali, bevor sie ein Gebäude bombardierten, erstmal ein leichtes Geschoß aufs Dach geworfen, damit die Bewohner Zeit haben, zu fliehen? Das macht nur IDF. Und ja, damit gehen uns oft gerade die Terroristen durch die Lappen, gegen die wir kämpfen, die Raketen auf Ashkelon schießen.

Glaubt die Lügen nicht. Krieg ist häßlich, keiner will ihn, und es ist leicht zu sagen: die knock-on-roof-Methode macht es nicht besser, denn am besten wäre es, Häuser gar nicht zu beschießen. Mir wäre es auch lieber. Aber sollen wir Zivilisten in Ashkelon opfern, um die Hamas zu schonen?

Weitgehend friedlich November 11, 2023, 20:12

Posted by Lila in Presseschau.
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So nennt die Tagesschau die Kundgebung heute in London.

Wie kommt eine solche Einschätzung zustande? Ein Blick auf andere Bilder des Protests macht schnell klar: es wurden Parolen gebrüllt, die die Vernichtung Israels forderten. Viele Plakate waren so antisemitisch, daß sie im Stürmer nicht aufgefallen wären. Wie also kommen deutsche Journalisten zum Schluß, daß es sich um eine „weitgehend friedliche Kundgebung“ handelte? Allein schon die Wahl des Orts und Datums war eine Drohgebärde gegen die traditionellen Werte Großbritanniens.

Doch dann fällt mir ein Gespräch mit einer Freundin in Deutschland ein, die aus allen Wolken fiel über den üblen Judenhaß, der sich auf deutschen Straßen breitmacht. „Das hätte ich ja nie gedacht!“ Nein, und wenn sich jüdische Stimmen beschwerten oder warnten, was ja nicht selten vorkam, hat sie das nie ernstgenommen. Einzelfälle. Warum? Weil sich die Bedrohung nicht gegen SIE richtete.

Wenn man nicht zur Zielgruppe gehört, kann man eine Bedrohung mit Leichtigkeit ignorieren. Nachts allein durch eine düstere Bahnunterführung gehen? Ist für die meisten Männer kein Problem, darum finden sie es schwierig, sich vorzustellen, wie eine Frau sich dabei fühlt. Eine Demo von Rassisten? Kommt einem Weißen zwar unerfreulich, aber nicht weiter bedrohlich vor.

Eine friedliche Kundgebung ist eine, die niemanden bedroht oder einschüchtert. Eine friedliche Atmosphäre gibt niemandem ein ungutes Gefühl, auch wenn man nicht derselben Meinung ist.

Doch Journalisten können sich nicht leisten, allein auf ihr persönliches Bedrohungs-Barometer zurückzugreifen, so wie meine Freundin es sich beim Antisemitismus leisten konnte. Ein Journalist muß eigentlich einen objektiveren Blick auf die Realität haben, bevor er sie an andere, sein Publikum, weitergibt. Wurden konkrete Bedrohungen ausgestoßen auf der Demo? Eindeutig, und zwar viele. Wie würden sich Angehörige der bedrohten Gruppe dabei fühlen? Diese Frage muß sich ein Journalist stellen.

Dann kann er schreiben: „Es kam nicht zu Ausschreitungen“. Aber „friedlich“ kann man das dann nicht mehr nennen.

Diese Demo war auch nicht pro-palästinensisch. Sie war pro-gar-nichts. Sie war nur anti. Anti-Israel, Anti-Juden.

Es fällt ja auch auf, daß niemand auf die Straße gegangen ist, um FÜR die Palästinenser zu demonstrieren, als sie von Assad abgeschlachtet und ausgehungert wurden. Da waren die Straßen in Europa und im Nahen Osten leer. Die Zeitungen übrigens auch.

Wer beurteilen möchte, wie friedlich oder bedrohlich eine Demo ist, der braucht sich nur zu fragen: würde ich da mit Kippa, Israelflagge oder Davidstern hingehen? Wenn nicht, dann ist das keine friedliche Demo. Dann ist das kein friedlicher Ort.

Habe ich erwähnt, daß mein Sohn in einer deutschen Großstadt kein Hebräisch mehr auf der Straße spricht? Er lebt eben in einer friedlichen Stadt.

Unbesungen November 11, 2023, 17:23

Posted by Lila in Land und Leute.
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Wir hatten vor einer halben Stunde Alarm, nach langen Wochen, in denen es zwar Alarm in der Nähe gab, aber nicht bei uns. Eine Drohne war in den Luftraum eingedrungen und IDF hat sie abgeschossen. Es war ziemlicher Lärm, aber wir waren im Schutzraum und nach zehn Minuten war es wieder ruhig.

Ich habe dann im Internet diese Karte gefunden und beim Ansehen fällt mir wieder auf, warum ich diese Gegend so sehr mag. Es ist grün hier, viele Wadis ziehen sich zum Meer, überall bieten sich neue Aussichten. Die Grenze liegt auf einem, na kann man es Gebirgszug nennen?, also eine Hügelkette ist es auch nicht, sondern sowas dazwischen. Ganz westlich, wo das Meer anfängt, sind die Höhlen von Rosh HaNiqra, wo ich sehr gern bin. Weiße Felsen, blaues Meer. Alle meine Gäste müssen mit mir da hin 🙂

Jeder einzelne Ort hier hat sein eigenes Profil, ist ethnisch, religiös und kulturell anders als seine Nachbarn. Ich weiß nicht, wo auf der Welt es solche Vielfalt gibt, vielleicht ist das eine Wissenslücke.

Es gibt hier Kibbuzim: Rosh HaNiqra, Chanita, Metzuba, Regba, Gesher HaZiv, Sa´ar, Cabri. Jeder Kibbuz ist geprägt von der Herkunft der Gründer, die dem Kibbuz ihren Stempel aufgedrückt haben, von der politischen Zugehörigkeit (links, linker, am linksten), von der Industrie oder Landwirtschaft, die sie aufgebaut haben, und von den Entscheidungen der Kibbuzniks, wie weit sie privatisieren oder nicht. In vielen Kibbuzim gibt es Galerien oder Museen, bekannte Künstler, und natürlich die Kibbuz-Erziehung, die ich so schätze.

Es gibt Moshavim verschiedener Ausrichtungen: landwirtschaftliche Moshavim oder solche, wo alle auswärts arbeiten. Viele Moshavim sind eher konservativ, auf jeden Fall konservativer als die Kibbuzniks.

Dann gibt es die Dörfer. In Arab el Aramshe leben Beduinen, in Yaara leben Beduinen und Ultra-Orthodoxe. Yaara ist das einzige Dorf Israels mit so einer Bevölkerungszusammensetzung. Ich sehe am Busbahnhof den Bus nach Yaara, wie höflich die jungen beduinischen Soldaten den Rabbi grüßen. Ob es Kontakte zwischen ihnen gibt, weiß ich nicht, aber von Spannungen habe ich nichts gehört. Leben und leben lassen.

In Hurfeish und Januch Gatt leben Drusen. Über das drusische Volk habe ich schon oft geschrieben. Für Europäer, denen die Trennung von Nation und Religion so natürlich vorkommt, ist oft schwer zu verstehen, daß es viele ethno-religiöse Gruppen gibt (Juden, Tscherkessen, Eziden), die diese Trennung nicht kennen. Natürlich bestehen Unterschiede zwischen Carmel-Drusen in der Nähe von Haifa, Golan-Drusen mit ihrer größeren Nähe zu Syrien, und Galiläa-Drusen. Hier an der Nordgrenze sind drusische Offiziere in den letzten Wochen gefallen, die ihre Heimat verteidigt haben und auch mich persönlich. Die Religion der Drusen ist geheim, sie haben ihre eigene Tracht und eine exzellente Küche. Deswegen ist mein erster Tipp, wenn mich jemand fragt, was er sich in Israel ansehen sollte: ein Drusendorf.

In Fassouta leben arabische Christen, Melkiten. Die melkitische Kirche ist eine interessante Mischung aus orthodox und katholisch. Sie gehörte zur Griechisch-Orthodoxen Kirche, hat sich dann aber mit Rom versöhnt. Melkitische Kirchen sind für mich faszinierend, weil sie byzantinische und katholische Elemente vereinigen.

In Arab el Aramshe leben Beduinen, auf der Grenze. Arab el Aramshe wurde in den letzten Wochen ununterbrochen angegriffen. Vor zehn Jahren war ich dort mal mit einer Gruppe Studenten, ich möchte aus diesem alten, unveröffentlichten Blogeintrag zitieren.

Yasser hatte für uns außerdem anschließend ein Treffen mit einem „weisen alten Mann“ des Dorfs organisiert. Er erklärte uns gerade, was das für ein Gemeindezentrum ist, in dem wir auf ihm warteten, als der alte Mann an einem Stock hereingehinkt kam. Gekleidet in eine Art Galabea, mit einer roten Keffiyah über eine konische Mütze drapiert, in offenen Sandalen an einem windigen, kalten Tag. 82 Jahre ist er alt und spricht exzellentes Hebräisch, das ein Kollege und ich übersetzten.

Woran er sich erinnert aus der Geschichte seines Dorfs? Er erinnert sich an 1948, und wie die Feindseligkeiten ausbrachen. Wie die guten Nachbarn, die Kibbuzim der Umgebung, mit dem Mukhtar von Aramshe eine Abmachung trafen: sollten die Araber gewinnen, würden die Bewohner von Aramshe die jüdischen Kibbuzniks schützen. Sollte der Staat Israel gewinnen, würden die Kibbuzniks für ihre beduinischen Nachbarn einstehen. „Und so war es auch“, erzählte der Mann, „uns ist nichts passiert, wir sind nicht vertrieben worden, und wir leben immer noch in guter Nachbarschaft mit den Kibbuzim. Guckt mich an – als junger Mann habe ich in Kibbuz Eylon angefangen zu arbeiten, nach Jahrzehnten bin ich als alter Mann am Krückstock wieder rausgekommen“.

Er erzählt Beispiele für die gegenseitige Unterstützung von Juden und Arabern in der Gegend. Eine deutsche Studentin fragt mißtrauisch: „wenn man Ihnen so zuhört, könnte man meinen, die Beziehungen zwischen Juden und Arabern wären gut. Würden Ihre Nachbarn im Dorf das auch so sehen?“ Der alte Mann wird lebhaft. „Die Beziehungen sind ausgezeichnet!“, und er küßt seine Fingerspitzen. Das verstehen alle ohne Übersetzung. Dann setzt er  noch einen oben drauf. „Unsere Söhne und Enkel dienen in der Armee, sind Offiziere – und da sind wir stolz drauf!“

Einen Moment ist Stille. Dann fragt eine Begleiterin: „Aber wie können sie es als Araber verantworten, in der israelischen Armee zu dienen? Ich dachte, Araber werden nicht eingezogen, damit sie nicht ihre Waffen gegen ihre arabischen Brüder richten müssen“ Der alte Mann erklärt: „Überall in unseren Nachbarländern kämpfen Araber gegen Araber. Wir sind heute Israelis, wir essen und trinken mit Israel, und wir verteidigen Israel.“ Ich ergänze: „Die Idee, daß es eine pan-arabische Solidarität gibt, ist ein künstliches Konstrukt und nur eine von vielen Strömungen in der arabischen Welt. Es gibt dort große Spannungen zwischen einzelnen Gruppen. Die Beduinen sind eine Minderheit in der arabischen Welt und es ist verständlich, daß sie sich um ihr eigenes Wohl kümmern.“

Doch so leicht lassen sich Deutsche, durch jahrzehntelange Medien-Berieselung mit einem ganz bestimmten Bild von den Verhältnissen im Nahen Osten geprägt, nicht beirren. „Wie würden Sie Ihre Identität bestimmen? Sind Sie zuerst Palästinenser, Beduine, Moslem oder Israeli?“, fragt eine. Wieder kann man den alten Mann ohne Übersetzung verstehen. Ohne zu zögern sagt er: „Muslim. Bedui. Israeli. Falestini.“ Und damit es ganz klar wird, sagt er: „Wir gehören zum Staat Israel.“

In dem Moment kommt ein Freund des alten Mannes dazu, ebenfalls alt, in einer abgetragenen Uniform der Armee. Ich erkläre die Rolle der beduinischen Grenzschützer, Spurenleser und Pfadfinder in der israelischen Armee, wie unersetzlich sie sind, und wie großen Respekt jeder hat, der von ihnen weiß.

Das Gespräch wird leichter. Wie viele Frauen er hätte, wird er gefragt. „Nur eine“, sagt er bedauernd, „ich hätte ja gern noch eine junge, die sich um mich und meine Frau kümmert, aber Yasser läßt mich nicht“, und er schubst Yasser mit dem Ellbogen. Yasser grinst und sagt, „deine Frau ist so nett, du brauchst keine zweite, das lass ich nicht zu“, und alle lachen. Doch gleichzeitig erinnern wir uns daran, was Yasser uns unterwegs erklärt hat – wie schwierig es sein kann, alten beduinischen Männern (und auch jüngeren) zu erklären, daß Frauen jetzt Rechte haben, kein Eigentum ihrer Männer sind und daß die Mehrehe nicht mehr erlaubt ist. Er hatte auch gesagt, daß im Negev die Gesetze des Staats noch viel weniger anerkannt werden als im Norden.

Unser Treffen ist zu Ende. Die Studentinnen lassen sich mit dem alten Mann photographieren, der hat seinen Spaß. Hinterher unterhalten wir uns noch kurz, und die Atmosphäre wird richtig herzlich, als ich erzähle, daß wir Nachbarn sind. Wir haben gemeinsame Bekannte, der Mann in Uniform und ich.

In Mi´iliya leben ebenfalls Melkiten, überall sind Madonnenfiguren und eine große Jesus-Statue am Ortseingang. Es gibt dort auch eine interessante Ruine einer Kreuzfahrerburg. Und auf dem sehr schönen kleinen Sträßchen von Mi´iliya zu uns liegt eine wirklich wunderschöne Kreuzfahrerburg, Montfort, von der man eine fantastische Aussicht hat.

Maalot-Tarschicha ist ein Städtchen. Im Stadtteil Maalot wohnen viele Neueinwanderer, sowohl aus arabischen Ländern als auch aus früheren UdSSR-Staaten, und in Tarschicha leben Muslime.

Nahariya ist die größte Stadt der Gegend, gegründet von Yeckim, und man sieht das noch immer an manchen Geschäftsschildern. Leider durch einen unfähigen Bürgermeister heruntergewirtschaftet, hoffentlich erholt sich die Stadt wieder, denn sie liegt sehr schön am Fluß Gaaton, der durch die Innenstadt fließt und ins Meer mündet. Der nördlichste Bahnhof Israels ist in Nahariya, die Gleise nach Beirut liegen still.

In Shaykh Danoun leben Muslime, ebenfalls in Mazra. Dort ist der in ganz Nordisrael bekannte Markt von Faisal, der sich von einem offenen Markt zu einem riesigen Supermarkt entwickelt hat. Sehr gutes, frisches Gemüse und Obst von Bauern aus der Gegend haben ihn bekannt gemacht. Der Markt heißt „Shuk Faisal ha-gadol“, was eigentlich „Faisals großer Markt“ bedeutet, aber man könnte es auch als „Markt von Faisal dem Großen“ übersetzen. Alle nennen ihn also nur „Faisal der Große„. Wir kaufen oft bei Faisal dem Großen. Dort sieht man, wie Juden und Araber aller Arten sich zusammen auf Paprika und Basilikum stürzen.

In Kfar Yasif leben griechisch-orthodoxe Christen, aber auch Muslime und Drusen. Und der Kibbuz Lochamey ha-Gettaot wurde von Überlebenden des Warschauer Ghetto-Aufstands gegründet. Dort steht das älteste Holocaust-Museum der Welt, und der Gedenktag wird dort immer in großem Rahmen begangen. Es gibt dort auch ein Zentrum für Holocaust-Erziehung (mit dem ich nicht in allen Dingen Aug in Aug sehe).

Akko, die alte Kreuzfahrerstadt, ist schon weiter südlich. Dort leben Araber und Juden, und dort gab es auch Unruhen in den letzten Jahren.

In Shlomi leben viele frühere Neueinwanderer. Dort gibt es auch libanesisches Restaurant, in dem Soldaten in Uniform nur die Hälfte zahlen. (Die Reviews sind gemischt, wir hatten dort bisher eigentlich immer Glück, allerdings sind wir mehr Humus-und-Salat-Esser).

Also, wenn ihr irgendwann eine Israel-Reise plant, plant West-Galiläa mit ein. Normalerweise ist die Reiseroute: Jerusalem, Tel Aviv und die christlichen Stätten am See Genezareth. Aber hier sieht man die Vielfalt Israels so gut. Nur Tscherkessen leben hier nicht – dafür muß man nach Kfar Kama oder Reihaniya. Ich glaube, eine Israel-Reise ist erst komplett, wenn sie die Minderheiten mit einschließt.

Ja, Spannungen gibt es überall, wo Menschen miteinander leben, und nicht jede Regierung hat die Bedürfnisse der verschiedenen Minderheiten hoch genug auf die Tagesordnung gesetzt. Aber wenn man sich die Umstände anguckt, klappt es ganz gut.

Und die Raketen, die jetzt hier fliegen, unterscheiden nicht, ob es eine drusische, beduinische oder Kibbuznik-Familie ist, die in den Schutzraum rennen muß.