Sich der Akte zu enthalten, die Eheleuten vorbehalten sind

Die Kirche hat in den letzten Jahrzehnten mit Blick auf jene Menschen, deren geschlossene und vollzogene Ehe zu Ende ging und dann wieder zivil heiraten, allein sprachlich gelernt. Aus dem verwerflichen Konkubinat wurden „irreguläre Verhältnisse“ (Johannes Paul II.). Heute ist von verwundeten Familien die Rede (so in den Unterlagen für die kommende Familiensynode Oktober 2015) – dabei stellt sich freilich die Frage, ob nicht alle Familien verwundete Familien sind. Wie auch immer.

Johannes Paul II. hatte sich in seinem postsynodalen Schreiben „Familiaris consortio“ aus dem Jahre 1980 alle Mühe gemacht, den betroffenen Kirchenmitgliedern zu sagen, dass sie nicht vom kirchlichen Leben getrennt seien, sondern sich an diesem ausgiebig beteiligen können und bitte auch sollen (Nr. 83). Bekümmert hat den heiliggesprochenen Papst die verzwickte Lage jener, die in einer solchen zweiten Verbindung leben (er sträubte sich, sie Ehe zu nennen), die aber wegen der Verpflichtung für Kinder aus dieser Beziehung sich moralisch schuldig machen würden, wenn sie diese Familie verließen. Dann aber, so der Papst und alle, die ihm heute von Polen über Osteuropa bis hin zu vermutlich etwa 20% der Bischöfe weltweit folgen, könnten diese Menschen in ihren unregulären Beziehungen nicht zur Kommunion gehen. Denn wenn sie in ihrer zweiten Verbindung auch eine sexuelle Beziehung pflegen, dann wäre dies „Sexualverkehr außerhalb der Ehe“ und Sünde.

Johannes Paul II. und Benedikt XVI.

Aber der Papst weiß auch hier einen Ausweg. Wörtlich: „Wiederversöhnung im Sakrament der Buße, das den Weg zum Sakrament der Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt werden, welche die Verletzung des Zeichens des Bundes mit Christus und der Treue zu ihm bereut und die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das nicht mehr im Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe steht. Das heißt konkret, dass, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen – zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder – der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können, sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind.“

In Sacramentum caritatis 29 wiederholt Benedikt XVI. denselben Gedanken, wenn er über die wiederverheirateten Geschiedenen schreibt: „Wo schließlich die Ehenichtigkeit nicht anerkannt wird und objektive Bedingungen gegeben sind, die das Zusammenleben tatsächlich irreversibel machen, ermutigt die Kirche jene Gläubigen, ihre Beziehung entsprechend den Anforderungen des Gesetzes Gottes als Freunde, wie Bruder und Schwester, zu leben; so können sie – unter Berücksichtigung der bewährten kirchlichen Praxis – wieder am eucharistischen Mahl teilnehmen.“

Dass, wie Kardinal Kasper vor dem Konsistorium der Kardinäle vortrug, eine solche zivile Verbindung von vielen Betroffenen „geradezu als ein Geschenk des Himmels“ erlebt werden kann, missfällt den Gefolgsleuten von Johannes Paul und Benedikt.

Nur Kopfschütteln

Wenn ich diesen Lösungsvorschlag Eheberatern zur Diskussion stelle, erfährt dieser nur Kopfschütteln. Johannes Paul II. meint es bestimmt gut, aber ist er auch schlüssig? Das ganze Schreiben heißt „Familiaris consortio“, also familiale Schicksalsgemeinschaft. An dieser Definition nimmt die Ehe teil. Sie ist in erster Linie Schicksalsgemeinschaft. Das macht ihr Wesen aus. Ehe ist also für ihn weit mehr als „eheliche Akte“. Selbst wenn also die Partner der zweiten Verbindung enthaltsam leben – hört sie dann wirklich auf „Ehe zu sein“? Ganz abgesehen davon, ob ein solcher Vorschlag sexualpsychologisch am zölibatären Schreibtisch ausgedacht ist und in den vier Wänden des Paares vielleicht doch nicht ohne Kollateralschäden lebbar ist.

In meinem jugendlichen Gehorsam hatte ich in einer Beichte einmal einer geschiedenen und wiederverheirateten Frau diesen Rat von Johannes Paul II., dem Heiligen, weitergegeben. Zu meiner Überraschung wirkte sie zunächst erleichtert und meinte: „Wie gern würde ich ihnen das versprechen. Denn mein Mann ist ziemlich gewalttätig auch beim Sex.“ Doch dann überfiel sie offenkundig Angst und sie fuhr fort: „Aber wenn ich dann heimkomme und sage, ich hätte versprochen, mich der ehelichen Akte zu enthalten, dann wird er mich anbrüllen und sagen: Dann geh und nimm die Kinder mit. Das kann ich aber nicht.“ Ich darauf: „Ich spreche dich los …“, „Geh hin in Frieden!“

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5 Antworten zu Sich der Akte zu enthalten, die Eheleuten vorbehalten sind

  1. Brigitte Storm schreibt:

    Wie heilsam der letzte Abschnitt! Danke! Ein ähnliches Problem stellte und stellt die Einnahme der Pille dar…

  2. Josef Spindelböck schreibt:

    Sehr geehrter Herr Kollege Prof. Zulehner!
    Ganz kurz möchte ich aus meiner Sicht auf zwei Schwierigkeiten eingehen:
    1) Manche meinen, Enthaltsamkeit sei für Betroffene auf Dauer nicht zumutbar. – Dazu eine kurze Anmerkung: Es gibt Personen unterschiedlichen Standes und Geschlechts, die aus verschiedensten Gründen enthaltsam leben oder leben müssen. Niemand sagt, dass es für „wiederverheiratet Geschiedene“ leicht sei, dieses Zeichen der Relativierung ihres (objektiv sündhaften) Lebensstandes zu setzen. Mit Gottes Gnade kann der Weg jedoch möglich sein, wenn auf beiden Seiten die Bereitschaft dafür gegeben ist. Wenn diese Bereitschaft (noch) fehlt, sollte gemäß kirchlicher Vorgabe der Verzicht auf die sakramentale Kommunion erfolgen (vgl. Familiaris consortio 84).
    2) Nach katholischer Lehre sind sexuelle Akte, welche die innigste Gemeinschaft der Personen ausdrücken und für die Zeugung von Kindern offen sind, den Eheleuten vorbehalten (vgl. Gaudium et spes, 48-52). Diese Akte machen natürlich nicht das Wesen einer Ehe aus, und doch sind sie gleichsam ein Alleinstellungsmerkmal der Ehe, jedenfalls gemäß der Sicht des Lehramts der Kirche (vgl. auch die Erklärung Persona humana der Kongregation für die Glaubenslehre vom 29.12.1975). Wenn also „wiederverheiratet Geschiedene“ einvernehmlich (!) auf diese Akte verzichten, dann wandelt sich gleichsam durch diese Entscheidung die Qualität der Beziehung. Sie ist nicht mehr länger die Fortsetzung eines Ehebruches, sondern nimmt den Charakter einer tiefen, erlaubten Freundschaft an.

    • Dr. Emmerich Lakatha schreibt:

      Wenn ich solches lese, wünschte ich mir, kein Katholik und vielleicht auch kein Christ zu sein. Derartige Meinungen finde ich für unerträglich. Darum sage ich zur katholischen Sexuallehre: Nein, Nein und wieder Nein!

      • Peter Friedrich schreibt:

        Danke für Ihren Beitrag, Dr. Lakatha! Die kirchliche Sexual“moral“ schafft sich ihre Gemütskranken stets auf´s Neue und erschuf und erschafft einen bis heute noch unabsehbaren Schaden an struktureller Gewalt.

  3. Dr. Ellmauthaler schreibt:

    Der Schluss des Artikels mag zynisch wirken. Soweit ich Prof. Zulehner erlebt habe, ist Zynismus nicht sein Ziel. Reibeflächen stellt er seit jeher gerne zur Verfügung. Hier trifft sich seine Haltung möglicherweise sogar mit „Familiaris consortio“ und anderen strittigen Enzykliken.

    Schicksalsgemeinschaften als privatrechtliche Verbindungen sind nicht unauflöslich. Seelische Gemeinschaften („Lebensmenschen“, geliebte Menschen) hinterlassen Spuren im je anderen und eigenen Selbst, die unauslöschlich werden können.
    Oft hat man die Sexualmoral der Amtskirche als lebensfremd pauschaliter abgetan.
    Etwas „abtun“ bedeutet im Grunde doch nur, sich damit nicht befassen zu wollen, ein Urteil zu fällen (das jedoch ohne Verinnerlichung möglichst aller Argumente nicht stimmt), „basta“.
    Weder möchte ich Herrn Friedrich seine eher differenzierte Ansicht, noch Herrn Lakatha seine pauschalierte, ein wenig provokativ formulierte Ablehnung nehmen.
    Ich möchte aber auf einen Lösungsweg hinweisen: Die Unterscheidung von „Gesinnungsethik“ von „Verantwortungsethik“.
    Erstere kann sich auf „Wahrheit“ berufen, ist zumeist fixiert und eignet sich trefflich für nicht enden wollende Auseinandersetzungen, wobei jede gesinnungsethische Position für „einzig wahr“ gehalten werden kann. Hieraus ergeben sich Polarisierungen, , jeder Kombattant (m/w) kann „im Recht“ sein. Doch Recht zu haben oder gar „rechts“ zu sein, geht am Ziel vorbei.
    Der andere Begriff, den ich hier einführen möchte, ist „Verantwortungsethik“. Hat mit der – an Kant I angelehnt – der Handlungsethik zu tun, geht aber konzeptuell darüber hinaus, denn Verantwortungsethik bezieht sich auf mögliche Ergebnisse aus Wirkweisen des je eigenen (auch gemeinschaftlichen) Handelns. Hier können Positionen diskutiert und einander angenähert werden.
    So verstehe ich auch die Enzykliken: „ex kathedra“ zwar, aber gerichtet auf die Empfängerin, den Empfänger, die Gemeinschaft. Diese sind in der Verantwortung, daraus das Optimale zu gestalten.
    Wer aber die Prämissen ablehnt, kann seriöser Weise auch nicht beanspruchen, an einer denkmöglichen Conclusio mitzuwirken.
    Das gilt es auch zu bedenken.

    Näheres zu Gesinnungs- und Verantwortungsethik: siehe die Endnoten zu dem Artikel: http://medpsych.at/0-Fluechtlingshilfe.pdf

    P.s.: Danke, Herr Dr. Zulehner, für die Möglichkeit hier zu kommentieren.

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