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Papst-Rede im EU-Parlament. Papst Franziskus hält Rede vor dem EU-Parlament am 25. November 2014Mehr
Papst-Rede im EU-Parlament.

Papst Franziskus hält Rede vor dem EU-Parlament am 25. November 2014
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Predigtgedanken unseres guten Papstes.
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Carlus
Die Rede von Papst Franziskus vor dem Europarat.
Es gibt Reden, die durch ihren Nicht-Inhalt beeindrucken. Die Rede von Papst Franziskus vor dem Europaparlament gehört in diese Reihe der Nicht-Reden. So zumindest ist der erste Eindruck. Die bekannten Stichworte, die beim Rasterlesen das Auge am Text haften lassen, sind in diesem Redetext nicht enthalten. Alles klingt weichgespült, politisch korrekt …Mehr
Die Rede von Papst Franziskus vor dem Europarat.

Es gibt Reden, die durch ihren Nicht-Inhalt beeindrucken. Die Rede von Papst Franziskus vor dem Europaparlament gehört in diese Reihe der Nicht-Reden. So zumindest ist der erste Eindruck. Die bekannten Stichworte, die beim Rasterlesen das Auge am Text haften lassen, sind in diesem Redetext nicht enthalten. Alles klingt weichgespült, politisch korrekt und nicht einmal das Wort Gott kommt in diesem Redetext vor. Wo also steckt der Inhalt?

Es ist schon bemerkenswert, wie wenig Papst Franziskus angesichts der aktuellen Krise Europas die wunden Punkte anspricht. Und vordergründig ist die ganze Rede ein Angebot, um Dienstleistungen an die EU zu vermarkten. Und doch hat die Rede ihre ganz eigene Brisanz, wenn wir den politischen und zeitlichen Kontext dieser Worte betrachten. Die Rede wird gehalten im späten Herbst eines Jahres 2014, dessen Sommer mit der Ukrainekrise in vielen Punkten an den Sommer 1914 erinnerte. Auf den amerikanischen Druck zum Krieg der Kulturen und der Globalisierung antwortet im Osten Europas ein wieder erstarktes Russland mit einer Rückbesinnung auf das orthodoxe Christentum als kulturelle Grundlage und Identität. In der Rede von Papst Franziskus fehlt genau dieser Hinweis. Keine Anzeichen in diese Richtung, sondern die multikulturelle Vielfalt wird als die Wurzel und Kraft Europas dargestellt. Franziskus spricht nicht von Gott, weil er die Bindung des modernen Europas an die christlichen Grundlagen für so schwach hält, dass damit kein Staat zu machen sein wird. Betrachten wir die Rede von Franziskus als eine Art Unterrichtseinheit, dann geht dieser Lehrer davon aus, dass Europa von Gott nichts mehr weiß, der Begriff „Gott“ Europa überfordern würde und deshalb zunächst kleiner bei der Eigen- und Selbstliebe angesetzt werden muss. Europa soll wieder an sich selbst glauben! Wie aber soll das möglich sein, wenn Europa nicht an Gott glaubt? Eine Kultur, die nicht mehr an sich selbst glaubt, kann erst recht nicht an Gott glauben, aber an Gott zu glauben, gibt erst die Kraft, an sich selbst zu glauben. Europa steckt fest in einem Dead lock.

Dabei beginnt Franziskus seine eine Rede, als wolle er sich Europa zur Brust nehmen. Er ist sich bewusst, dass „tatsächlich fast ganz Europa in dieser Aula zugegen“ ist. Franziskus richtet seine Worte an das Gewissen Europas und erinnert zuerst an den Gründungsakt 1949, als die Wunden des schrecklichen Kriegs noch überall spürbar waren und der kalte Krieg gerade eben sich als neue Konfrontationslinie abzeichnete. Damals hätten die Gründerväter den Mut gehabt, an die Zukunft zu denken und den Frieden in Freiheit und Menschwürde im Auge zu behalten und zwar für Europa. Die Worte vom Mut der Gründerväter fallen in eine Zeit, in der ein neuer kalter Krieg sich abzeichnet. Nicht Räume in Besitz zu nehmen, sondern den langen Weg der Zeit zu gehen, diese Worte klingen sehr nach Grundgedanken aus LUMEN FIDEI und EVANGELII GAUDIUM. Dort finden wir immer wieder, dass die Zeit stärker ist als der Raum. Diese Worte sind vielleicht die erste kritische Randnotiz zur Ukraine und der militärische Osterweiterung der NATO, denn genau um die Abgrenzung und Aufteilung von Räumen geht es dort. Wenn es Kritik war, dann eine sehr vorsichtig formulierte.

Überhaupt antwortet und spricht Franziskus nicht direkt und vermeidet direkte Worte, sondern bleibt im Bildlichen und Gleichnishaften. Das ermöglicht es ihm, schwerwiegende Fragen anzusprechen, ohne in der Wortwahl hart zu werden. Er muss nicht anecken, weil er ins Gewissen reden will. Europa sei eine starke Pappel, deren Zweige zum Himmel strebten und die den Stürmen der Zeit standhalte, weil die Wurzeln tief in die Erde reichten. Das Bild des alten Wurzel- und Rebstockes verweist auf Paulus, und ist damals wie heute, sowohl die Verneigung vor dem ehrwürdigen und alten Wurzelstock als auch Abschied und Abkehr. Paulus verneigt sich noch einmal vor den Hebräern, in dem Moment des Weggehens. Damals musste Neues geschehen und so ist es auch heute. Geht Franziskus von Europa weg? Die Pappel jedenfalls ist schnell wachsendes und dann brüchiges Holz. Vielleicht ist das Bild der „starken Pappel“ bittere Ironie und tiefe Enttäuschung und dann wäre es ein gut gewähltes Bild. Ist Europa noch zu retten?

Franziskus wagt eine Analyse der Ursachen, warum der Wurzelstock des Baumes, mit dem Europa gemeint ist, abstirbt oder wenigstens nicht mehr trägt: die Suche nach Wahrheit wird durch eine alles erstickende „politische Korrektheit“ erstickt. Den zweiten Teil des Satzes sagt Franziskus nicht, aber um so mehr betont er, dass Kulturen auf der Suche nach Wahrheit gründen, oder aber im Subjektivistischen ertrinken. „Ein solcher Individualismus macht menschlich arm und kulturell unfruchtbar, denn er schneidet tatsächlich jene ertragfähigen Wurzeln ab, in denen der Baum gründet.“ Das sind starke Worte, Europa stirbt, weil es von seinen Wurzeln abgeschnitten wurde. „Und so haben wir heute das Bild eines verletzten Europas vor Augen“. Vielleicht seien es die Prüfungen der Vergangenheit, vielleicht seien es auch die Krisen der Gegenwart, die Europa die Lebenskraft und Energie raubten. „Ein etwas müdes und pessimistisches Europa, das sich durch die Neuheiten, die von den anderen Kontinenten kommen, belagert fühlt.“ Europa steht am Scheideweg, so dürften wir die Worte von Franziskus lesen. Europa kann, wie einst das antike Griechenland, ein museales Vermächtnis werden, eine Vergangenheit, die die ganze moderne Welt prägte, dann aber die Kraft und den Glauben an sich selbst verloren hat. Für einen Moment kommt hier Geradheit und Direktheit in die Rede, indem Franziskus Europa fragt: „Wo ist deine Kraft? Wo ist jenes geistige Streben, das deine Geschichte belebt hat und durch das sie Bedeutung erlangte? Wo ist dein Geist wissbegieriger Unternehmungslust? Wo ist dein Durst nach Wahrheit, den du der Welt bisher mit Leidenschaft vermittelt hast?“ Jesaja war einst am Scheideweg Israels nicht so zimperlich: Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht, lauten die prophetischen Worte.

„So viele Berichte. So viele Fragen.“ So etwa würde Berthold Brecht die Reihe der Fragen von Franziskus fortsetzen. „Cäsar eroberte Gallien. Hatte er nicht wenigstens einen Koch dabei?“ Aber Franziskus will nicht in Wunden rühren, nicht anecken, kein Eckstein sein, sondern entfaltet nun nach der vorsichtigen Diagnose die ersten Ansätze für eine laue Therapie. Europa müsse die unterschiedlichen Kulturen und Generationen zusammenbringen, um so die Perspektive neuer Kreativität zu entfachen. Dabei kann nun das Christentum einen Beitrag für ein neues und kreatives Europa leisten. Die Punkte, die nun folgen sind nicht falsch, um es positiv zu formulieren. Lebensschutz ist das erste Stichwort, dann folgt die Not der Migranten und die verlorene Würde des Menschen ohne Arbeit. Dann wird die Armut benannt und der Naturschutz folgt zu Recht als letzter Punkt. In der Nachfolge Christi suche die Kirche nichts anderes, „als zu dienen und Zeugnis für die Wahrheit abzulegen. Nichts außer diesem Geist leitet uns in der Unterstützung des Weges der Menschheit.“ Kirche ist an dieser Stelle zu einem Dienstleistungsunternehmen herabgesunken, dass hilfreich sein kann, wenn es denn wenigstens noch Klartext reden täte in einer Zeit, die in politischer Korrektheit erstickt. Der Heilige Stuhl wünscht sich in der Zusammenarbeit mit dem Europarat eine neue „Agora“, den Marktplatz der griechischen Polis, als den gemeinsamen politischen wie religiösen Austausch der Menschen eines Gemeinwesens. „Mein Wunsch ist, dass Europa mit der Wiederentdeckung seines historischen Erbes und der Tiefe seiner Wurzeln sowie mit der Annahme seiner lebendigen Multipolarität und des Phänomens der dialogisierenden Transversalität jene geistige Jugend wiederfindet, die es fruchtbar und bedeutend gemacht hat.“ Europa möge doch als Phönix aus der Asche sich neu erheben, nur leider ist die Wurzel krank und der Baum lässt die Blätter fallen. Und die Agora ist jener Marktplatz, auf dem Sokrates zum Schierlingsbecher verurteilt wurde, weil er gegen die Götter seiner Zeit gelästert habe, aber auch dazu reicht uns ja die Kraft nicht mehr. Statt die Götter zu kritisieren, möchten wir sie alle im Pantheon der dialogisierenden Transversalität zusammenbringen.

Europa ist tot krank, so krank, dass schon nicht mal mehr starke Worte ertragen kann. Am Bett des Kranken flüstern wir nur noch. War diese Rede etwa schon die Krankensalbung? So sehr diese Analyse des Dead-Locks der europäischen Kultur zutrifft, sowenig mag ich mich damit zufrieden geben. Wenn Papst Franziskus fordert, dass Europa doch wieder an sich selbst glaube möge, um der Menschheit willen und seiner selbst, dann haben diese Worte mehr als nur eine allgemeine Bedeutung, sondern einen ganz konkreten Adressaten. Die Richtung der Rede wird meines Erachtens klar, wenn wir die deutsche Politik des Sommers 2014 in der Ukraine-Krise daneben halten und die ganze Rede in den Kontext des Realgeschehens deutscher und europäischer Politik stellen.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel betreibt eine Politik des Konfliktes mit Russland. Die geschichtliche Situation erinnert an den Sommer 1914, als vom Attentat in Sarajewo langsam die großen Mächte Europas in den Ersten Weltkrieg hineinschlittern. Die Politik hatte zuletzt noch kurze Kriege geführt. Bismarck hat den Krieg als Mittel der Politik noch ganz im Sinne von Clausewitz genutzt und auch in der militärischen Situation die politische Kontrolle nicht aus der Hand gegeben. Mit drei kurzen Kriegen einigte er das deutsche Reich. 1864 der Grenzkonflikt mit Dänemark, dann 1866 der inzwischen fast vollständig verdrängte deutsche Bürgerkrieg mit Preußen auf den einen Seite und Hannover, Bayern und Österreich auf der anderen Seite. Mein Ur-Großvater hat an beiden Feldzügen teilgenommen, aber gesprochen wurde zu Hause über den dritten Feldzug, mit dem Bismarck die Deutschen wieder versöhnte, weil er einen kurzen, schnellen und triumphalen Sieg über Frankreich herbeiführte. Der Preis für diesen Sieg aber war hoch. Mit der Einigung der deutschen Länder zum Deutschen Reich und der Kaiserkrönung des preußischen Königs unter Ausschluss Österreichs hat Bismarck das von Großbritannien kontrollierte europäische Machtgefüge verändert.

Die Checks and Balances der britischen Außenpolitik hatten lange Zeit Europa in einem gegenseitigen Patt klein gehalten und das Deutschland der Kleinstaaten zum Scharnier in der Mitte von Europa und zum Durchgangsland für andere Mächte werden lassen. Großbritannien, damals noch das Weltreich des Commonwealth, konnte die Veränderung deutsche Einigung als fundamentale Änderung des Raum-Zeit-Gefüges in Europa nicht hinnehmen können und insofern ist der Erste-Weltkrieg in der Sache mit der Deutschen Einigung gesetzt. Bismarck ist sich dieser Gefahr bewusst und versucht eine Politik der Mitte zwischen den Mächten Russland und Frankreich und England im Westen. Gut 30 Jahre später hat sich im damals „wiedervereinigten Deutschland“ eine Generation von Politikern an die Spitze der Macht vorgearbeitet, die von der Fragilität deutscher Sicherheit in Europa nicht mehr genug wissen oder dieses Wissen angesichts der neuen technischen und industriellen Möglichkeit für altmodisch erklären. Clausewitz ist vergessen, Krieg ist machbar und Deutschland holt sich jetzt seinen Platz an der Sonne, so glaubt es die industrielle Generation.

Die deutschen Planungen für den Tag X heißen Schlieffenplan und sehen einen schnell erfolgreichen Feldzug gegen Frankreich vor, um dann die Kräfte gegen Russland zu wenden. Als dann das Attentat in Sarajewo die europäischen Mächte in den Krieg drängt, passt der Schlieffenplan zum politischen Anlass so gut wie gar nicht, aber wir wären eben nicht Deutsche, wenn wir einen einmal gefassten Plan nicht trotzdem umsetzten. Das Ergebnis des Konfliktes ist dann so paradox wie sein Anfang. Der Krieg im Osten führt im März 1918 mit Hilfe von Lenin eine Veränderung herbei, die als Frieden von Brest-Litowsk eine Grenzlinie von Estland im Norden runter zur Ukraine im Süden in die Karten einzeichnet. Die anschließende Großoffensive im Westen führt Deutschland in die Niederlage und den Untergang einer noch immer aristokratisch geprägten Gesellschaftskultur.

Der Friedensvertrag von Versailles löst Europas Problem mit einem starken Deutschland in der Mitte nicht, denn weder wird Deutschland in Kleinstaaten zerschlagen, noch wird es als starker Partner akzeptiert. Der deutsche Versuch, diese Nicht-Lösung mit militärischer Kraft zu beseitigen, endet dann als Zweiter Weltkrieg in der bedingungslosen Kapitulation und der Teilung in vier Sektionen. Das wäre die klassische Lösung des deutschen Problems gewesen, wenn nicht die schon bald hereinbrechende Konfrontation zwischen den USA und Russland beide Mächte genötigt hätte, Deutschland als Frontstaaten wieder stark zu machen. Der Westen ist damit erfolgreicher als der Osten, aber die deutsche Politik jener Jahre ist bemerkenswert und führt zur Bewertung der heutigen Krise und ihrer Akteure.

Die Sowjetunion holt im Wettlauf um nukleare Waffen auf und kann bereits 1949 einen ersten Atombombentest durchführen. 1954 folgt dann die Wasserstoffbombe. Das nun einsetzende nukleare Wettrüsten führt zu einem Patt gegenseitig gesicherter Abschreckung und macht angesichts der Zerstörungskraft der neuen Waffen den totalen Krieg, wie er aus der französischen Revolution hervorgegangen war, faktisch unmöglich. Die Atomwaffen machen den totalen Krieg absurd und die Militärstrategie steht vor grundlegenden Aufgaben. Der zentrale Name, der mit dieser Diskussion verbunden ist, lautet Henry Kissinger, ein exzellenter Kenner der Außenpolitik des österreichischen Diplomaten Fürst Metternich. Metternich hatte 1814 das europäische Machtgleichgewicht nach dem Sieg über Napoleon neu geordnet. Eine Ordnung, die Europa nach 25 Jahren Revolutionskriege eine erstaunlich lange Ruhephase des wirtschaftlichen Aufschwunges verschaffte und die eigentlich erst mit der Deutschen Reichsgründung endete. Kissingers Analyse ist klar und geradeheraus, wenn auch wortreich. Mit dem nuklearen Wettrüsten ist es das oberste Ziel der Politik der großen Mächte, den großen Krieg zu vermeiden. Das kann kleinere begrenzte Kriege möglich sein lassen, aber auch innerhalb dieser begrenzten Kriege gilt das gemeinsame Interesse der Kriegsbegrenzung. Wie kann in einem solchen Patt ein Krieg gewonnen werden? Nur über eine Politik der wirtschaftliche Öffnung, nur durch Wandel und Handel, der schließlich zum gesellschaftlichen Umbruch in den gegnerischen Staaten führt. Dann siegt die Seite, zu deren Gunsten sich der Umbruch vollzieht und es verliert die Seite, die ihre militärische Macht zwar noch hat, aber in der Benutzung durch das nukleare Patt gelähmt ist. Helmut Schmidt hat die neue militärische Strategie in „Verteidigung oder Vergeltung“ auf die deutschen Interessen übersetzt. Und genau da gibt es ein altbekanntes Problem. Die Strategie der Vermeidung des nuklearen Krieges lässt begrenzte Krieg zu und aus deutscher Sicht ist eben auch ein begrenzter Krieg für uns tödlich. Deutschland wäre wieder wie im 30jährigen Krieg das Durchgangsland mit verheerenden Folgen. Die deutsche Analyse des Problems ist darum einfach: nur wenn in Deutschland selbst hohe Eskalationsrisiken geschaffen werden können, ist das Interesse der beiden Großmächte USA und Sowjetunion gesichert, jeglichen Krieg in der Mitte Europas zu vermeiden. Aus dieser Analyse folgen dann zwei Schritte: die neue Ostpolitik des Wandels durch Handel und die Stationierung von Eskalationswaffen in Deutschland. Beides ist Teil derselben Strategie und setzt den permanenten Dialog der Konfliktseiten voraus. Helmut Schmidts Leistung besteht darin, Kissinger verstanden und eine deutsche Antwort formuliert und durchgesetzt zu haben. Das Ergebnis dieser Strategie hat dann Helmut Kohl eine Generation später mit der deutschen Wiedervereinigung eingefahren.

Die Muster der Wiedervereinigung von 1989 erinnern an die Reichsgründung von 1871. Wirtschaftliche Euphorie, dann der Gründerkrach und eine Generation später sind Politiker an die Spitze der Macht aufgestiegen, die die Bedingungen des eigenen Erfolges bereits nicht mehr kennen und die politische Begleitideologie von einst für bare Münze nehmen. Und damit sind wir bei dem Phänomen Angela Merkel angekommen.

Gerd Schröder hat uns aus dem zweiten Irakkrieg herausgehalten und wir alle wissen heute, wie richtig er damit lag. Aber in der Differenz um den amerikanischen Krieg der Kulturen war bereits damals die Frage gestellt, was ist die europäische Kultur? Wer sind wir eigentlich, wenn die USA ihren Krieg als Verteidigung christlicher Werte führen? Bereits damals kursierte das Stichwort Cordoba, jene muslimische Weltstadt in Spanien, die mit über 500000 Einwohnern das Zentrum einer offenen Kultur gewesen war, bis der almohardische Fundamentalismus und die christlichen Kreuzzüge dem ein Ende setzten. Diese Sicht war verstörend und die, die vor dem Islam warnten, sahen das Ende des christlichen Europa bereits vor der Tür. Dann aber kam Merkel als große Koalition und zur Erleichterung aller waren wir nun wieder ganz selbstverständlich ein Land mit christlich-jüdischen Wurzeln. Diese Doktrin der „christlich-jüdischen Wurzeln“ besagt nicht, dass Europa oder Deutschland ein christlichen Land sind, sondern nur, dass wir es einst gewesen sind. Wenn Merkel dann auf dem Katholikentag in Regensburg den Satz fallen lässt, dass Deutschland natürlich christlich-jüdische Wurzeln habe, aber was in hundert Jahren sei, könne sie nicht wissen, dann ist das faktisch wie eine Abkündigung. Im Grunde interessiert Merkel der christliche Kontext Deutschlands nicht, sondern ihr geht es um die Einordnung Deutschlands in den amerikanischen Krieg der Kulturen gegen die noch-nicht-amerikanischen Kulturen der Welt. Das Christentum dieses Kontextes ist eine Kriegswaffe, kein Glaube. Unter Merkel sind wir in den letzten zehn Jahren immer tiefer in die amerikanische Gesamtstrategie hineingerutscht, geistig, denn wirtschaftlich sind wir stärker geworden. Auf die Abwertung der europäischen Peripheriestaaten durch die amerikanischen Rating-Agenturen hat die deutsche Regierung mit einer bedingungslosen Eurorettung reagiert. Der Schuldenberg ist immens und wie in der Inflation von 1923 sucht die Regierung ihr Heil vor den drückenden Zinslasten in einer negativen Zinspolitik und kontrollierten Inflation. Zum ersten Mal sind Teile des Bürgertums nicht mehr nibelungentreu, sondern fürchten um ihre Finanzanlagen. Henkel und Lucke von der AfD stehen für diese Irritation und Abweichung. Und dass sich hier vorrangig das protestantische Bürgertum versammelt, ist symptomatisch, denn der Kern deutscher Identität steht zur Disposition. Nicht der christliche, sondern das Geld.

Das nächste Krisensymptom heißt Gauck. Ein protestantischer Pastor als Bundespräsident könnte dazu führen, dass das Präsidialamt endgültig demontiert wird und der deutsche Präsident seine Rede zukünftig dem Kanzleramt zu Freigabe vorlegen muss. Gauck ist der kleine Deutsche, der zu Amt und Ehren gekommen ist, und doch hat Gott ihm wider alle Intuition Luthers doch keinen Verstand gegeben. Sein Bekenntnisgehabe hat keine Grundlage mehr, denn dann müsste da ein Glaube drunter liegen, aber bei Gauck ist da nur die Freiheit, beim Absingen der amerikanischen Hymne neben Obama Tränen der Rührung in den Augen zu haben. Was bei Gauck offensichtlich ist, schwebt als Verdacht über Merkel. Wem dient sie? Lange hatten wir das Bild der Sphinx vor Augen, die über den Interessen der Parteiblöcke schwebend in einem komplizierten Spiel der Macht die Konflikte ausgleicht und das gemeinsame Ganze immer wieder nach vorne bringt. Nun aber ahnen wir, dass dies alles nur Selbstillusion war, damit wir glauben können, dass Deutschland auf einem guten Wege sei. Eines dieser heimeligen und Kinder- und Schlafliedern: „Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg. Deine Mutter ist im Pommerland. Pommerland ist abgebrannt. Maikäfer flieg.“ Vielleicht hat Helmut Kohl ja recht, dass „diese Frau von Charakter nicht heimgesucht“ wird und sie einfach nur das Element der Leichtigkeit ist, das immer oben schwimmt. Nach der letzten Bundestagswahl sah es für einen Moment so aus, als würde Angela Merkel zur europäischen „Angela der Großen“ auf- und in die Fußstapfen eines Adenauer oder De Gaulle einsteigen. Aber dazu müsste Angela Merkel glauben zu wissen, wie es in hundert Jahren um Deutschland bestellt sein könnte, und genau an diesem Punkt ist da nichts. Gar nichts. Wer immer nur im taktischen Hier und Jetzt agiert, kann nicht nach vorne schauen. Angela Merkel aber müsste jetzt nach vorne schauen. Deutschland und Europa brauche ein Vision. Aber die Kanzlerin kann nicht in die Zukunft schauen, weil sie keine Vergangenheit hat. Der Blick zurück wäre ja auch nicht leicht, denn er würde die friedliche Bürgerrevolution in der DDR als Begleitmusik zu einem über eine Generation sich erstreckenden Kalten Krieg entlarven. Wo aber stehen wir nun in der Mitte Europas?

Von der Französischen Revolution von 1789 bis zur Deutschen Wiedervereinigung von 1989, von Beginn des totalen Krieges im Aufstand der Massen bis zum Wiener Kongress, von der Deutschen Reichsgründung, über den Ersten und Zweiten Weltkrieg, dann den Kaltenkrieg bis zur erneuten Wiedervereinigung, ist die deutsche Geschichte eine unwahrscheinliche Geschichte. Mehrfach schon wären wir von der Landkarte verschwunden und mehrmals sind wir stärker als vorher daraus hervorgegangen. Diesmal aber scheint etwas zu fehlen, der Willen zu Leben und zu Überleben, der Willen, die eigenen Interessen wahrzunehmen. Merkel und Gauck stehen für Beitrittspolitik wie damals, als die Bürgerrevolution der DDR zum Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland führte. Krise, die alles umwirft, kann durch Beitritt gelöst werden, dass ist die menschliche Urerfahrung der Kanzlerin und ihres Präsidenten. Nun befinden wir uns wieder in einer Krise, die in vielem an den Sommer 1914 erinnert. Die Osterweiterung der EU, zunächst nach der Wiedervereinigung nur wirtschaftlich vorangetrieben, wird nun auch militärisch nachgeholt. Die Truppen werden entlang der bereits im März 1918 erreichten Linie von Brest-Litowsk stationiert. Die Ukraine hat wie damals auch vorher einen Separatvertrag gesucht. Hatte Kissinger in „Nuklearwaffen und auswärtige Politik“ Russland noch versichert, dass nur die Sowjetunion inakzeptabel, Russland aber als starker Nationalstaat sehr wohl anerkannt sein werde, so ist auch diese implizite Akzeptanz bei der neuen Generation der jüngeren Politiker nicht mehr bekannt. Geschweige denn, dass noch irgendjemand davon weiß, dass der „Siegfrieden“ im Osten dann im Westen verspielt wurde.

Betrachten wir die Dinge noch einmal von der pragmatischen und wirtschaftlichen Seite. Vier Wochen nach Beginn des Ersten Weltkrieges hat Reichskanzler Bethmann von Hollweg durch seinen Staatssekretär Kurt Riezler die Kriegsziele feststellen lassen. Was sei eigentlich das Ziel Deutschlands in diesem Konflikt? Es ist schon eigenartig, wenn die Kriegsziele erst nach Beginn eines Konfliktes aufgeschrieben werden und es spricht eigentlich dafür, dass der Krieg damals keineswegs von Deutschland primär gewollt war. Die nächste Merkwürdigkeit ist, dass die Kriegsziele sehr pragmatisch und besonnen ausfallen. Im Grund steht da in den Notizen, dass Deutschland die Benelux-Staaten und Frankreich, sowie weitere Länder in einer wirtschaftliche und rechtliche Abhängigkeit bringen möchten, die ähnlich organisiert sein soll, wie das preußische Berlin die deutschen Bundesländer beherrscht. Kerneuropa nennt das Wolfgang Schäuble heute noch, und Recht hat er, denn hundert Jahre nach dem Sommer 1914 stehen wir kurz davor, die alten Ziele erreicht zu haben. Leider haben wir aber auf dem langen und schmerzlichen Weg einen Gedächtnisverlust erlitten, wir wissen nicht mehr, wer wir sind, und manche glauben, dass der Beitritt zum nordamerikanischen Wirtschaftsraum schon immer unser Ziel gewesen sei. Beitrittspolitik ja, nur diesmal im großen Stil.

Wenn Kanzlerin Merkel eben nicht die Sphinx der Machtbalance ist, sondern doch von einem grundlegenden Wertverständnis geprägt ist, nämlich Beitritt als Lösung für Krisensituationen sieht, dann legt ihre Politik ein anderes Deutungsmuster nahe. Die Krise Europas kann durch einen Beitrag zur USA gelöst werden, und dazu ist eine vorsichtige, aber nachhaltige Konfliktpolitik mit Russland sinnvoll. Bei Gauck kann man sich fast sicher sein, dass es so ist, aber Merkel ist eben doch zu sehr Sphinx, als dass die Dinge eindeutig erscheinen. Aber auf diese Situation der Uneindeutigkeiten antwortet Papst Franziskus.

Europa hat Werte, auch wenn wir sie nicht mehr wahrnehmen. Europa muss an sich glauben, auch wenn es den Gottesbegriff nicht mehr kennt. Europa hat die moderne Welt gedacht und konzipiert, diese Erinnerung darf nicht verloren gehen, denn von Europa aus muss diese moderne Welt auch zum Glauben an Gott wieder zurückfinden. Dort, wo Nietzsche mit „Gott ist tot, weil wir ihn ermordet haben“ endet, müssen wir wieder anfangen. Von Gott zu sprechen im Sinne jener ominösen „jüdisch-christlichen“ Wurzeln ist falsch, denn das hieße einfach nur, Europa christlich zu tünchen. Es ist aber mehr erforderlich als ein neuer Anstrich. Im Europaparlament, jenem Zentrum der Kultur des Zeitalters nach Gott, muss Franziskus, wenn er nicht Maskottchen sein will, davon reden, dass die Menschen nach ihrer Selbstermächtigung wenigstens noch an sich glauben.

Es ist erschrecken, wie schwach Franziskus Europa einschwätzt. Aber gegen die Politik der Selbstabschaffung und Selbstaufgabe fordert Franziskus eine neue Politik, wieder an Europa zu glauben, auf die eigenen Kräfte zu vertrauen und die Minderwertigkeitsgefühle zu überwinden. Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht. Das waren einst die Worte von Jesaja. Wenn Europa nicht zum Glauben zurückfindet, dann wird es die Herausforderungen nicht bestehen. Die Alternative ist dann Beitrittspolitik.

Farewell Angelina
The bells of the crown
Are being stolen by bandits
I must follow the sound
The triangle tingles
And the trumpet play slow
Farewell Angelina
The sky is on fire
And I must go.

Dob Dylan (Joan Baez)
Guggenmoos
Die Worte des Hl.Vaters Franiskus stießen trotz seiner klarsichtigen Ermahnungen auf allgemeines Wohlwollen und stehende Ovationen! 😇
Nennolina
er drückt sich ja sehr vorsichtig aus. Wie oft kommt das Wort Gott vor...
Guggenmoos
Gerade, weil die ihn verstanden haben...Toll, hat er das doch wieder gemacht.
🧐
Gerti Harzl
Das wundert mich. Haben die ihn nicht verstanden?
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33. Franziskus & Politik.
in diesem Album werden alle politischen Aktionen von Franziskus und seinen Organen gesammelt.Mehr
33. Franziskus & Politik.

in diesem Album werden alle politischen Aktionen von Franziskus und seinen Organen gesammelt.
Guggenmoos
Die Worte des Hl.Vaters Franiskus stießen trotz seiner klarsichtigen Ermahnungen auf allgemeines Wohlwollen und stehende Ovationen! 😇