Irapuato
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«Verlasse meine emotionale Heimat» Daniel Anrig äussert sich erstmals zu seinem abrupten Abgang im Vatikan und erklärt, weshalb Gardisten auch ohne Wasser acht Stunden Dienst leisten können. Am Fusse …Mehr
«Verlasse meine emotionale Heimat»

Daniel Anrig äussert sich erstmals zu seinem abrupten Abgang im Vatikan und erklärt, weshalb Gardisten auch ohne Wasser acht Stunden Dienst leisten können.
Am Fusse des Gonzen, jenes Bergs, der sich über drei Täler erhebt, liegt Sargans. Hier ist Daniel Anrigs geografische Heimat. Seine Familie ist hier seit Jahrhunderten ansässig. Ihr Wappen ist im Rittersaal des Schloss Sargans verewigt. Im Alter von 20 Jahren diente Anrig zwei Jahre als Gardist in Rom, eine Zeit, die ihn prägen sollte wie keine andere. Das Schicksal wollte es, dass ihm hier auch seine spätere Frau, die Ungarin Bernadett, an einem Fasnachtsabend zum ersten Mal im Gardequartier begegnete. Sie, die er übrigens als intelligenter und sprachgewandter als sich selbst bezeichnet, folgte ihm später nach Freiburg, wo die beiden Studenten heirateten. Die Erstgeborene kam kurz vor Anrigs 26. Geburtstag auf die Welt.
Totale Identifikation
Die Familie «beseelt» den ernsthaften Anrig, wie er es ausdrückt. Er, der in frühen Kinderjahren den Vater verlor, lebt für seine Familie. Alle zwei Jahre folgte ein Kind, insgesamt sind es vier. «Die Familie ist die Basis der Gesellschaft», sagt der heute 42-Jährige. Ohne seine Familie hätte er wohl vieles nicht gemacht. Wegen der Verantwortung, die ihm als jungem Studenten oblag, handelte er schneller und zielgerichteter als andere. «Wenn man für andere lebt, schaut man nie auf die Uhr, und es ist nicht entscheidend, wie viel am Ende des Monats auf dem Konto liegt.»
Der frühe Tod des Vaters hat ihn nach Antworten suchen lassen. Die Frage, warum man ihm den Vater genommen habe, habe ihm der Glaube beantwortet. Intensive Zeiten der Selbstreflexion erlebte Anrig besonders in jungen Jahren bei der Schweizergarde. Während stundenlanger nächtlicher Wachen habe man viel Zeit, um nachzudenken. Hier knüpfte er auch neue Freundschaften, die bis heute seine besten seien.
Das Band nach Rom blieb eng, und als Daniel Anrig, der bis dahin im Kanton Glarus als Kriminalpolizeichef und später als Polizeikommandant arbeitete, im Sommer 2008 von Papst Benedikt XVI. in den Vatikan berufen wurde, erfüllte sich ihm ein Herzenswunsch.
Etwas mehr als sechs Jahre stand Daniel Anrig als Kommandant im Dienst der Schweizergarde. «Ich habe mich total mit diesem Amt identifiziert.» Dass er als Kommandant überhaupt mehr als die gewöhnlichen fünf Jahre diente, verdankte er dem Umstand, dass Franziskus just kurz vor dem Ablauf seiner eigenen Dienstzeit zum Heiligen Vater gewählt wurde. Um die Kontinuität zu bewahren, erneuerte Franziskus Anrigs Zeit in der Garde, bis «etwas anderes vorgesehen» sei. Dass diese Zeit nun innerhalb kurzer Frist Ende Januar enden sollte, hatte aber auch Anrig nicht erwartet, selbst wenn er den Erneuerungswillen des Pontifex nachvollziehen könne. Es sei Usanz, dass ein neuer Papst das Kader seines Vorgängers irgendwann auswechsle. Wie tief er, der Urschweizer, mit der Schweizergarde verwurzelt ist, verdeutlicht sich, wenn er sagt: «Ich verlasse meine emotionale Heimat.»
Wilde Spekulationen
Den unerwarteten Wechsel an der Spitze der Garde thematisierten auch die Medien – hier und auf der ganzen Welt. Das Rätselraten, weshalb Anrig kurz vor Weihnachten entlassen wurde, veranlasste Boulevardmedien zu wilden Spekulationen. Er habe mit harter Hand regiert und in einer Luxuswohnung gelebt, hiess es. Sein militärischer Stil habe Papst Franziskus irritiert. Kolportiert wurde eine Anekdote, wonach der Papst schockiert gewesen sei, dass die Gardisten während seiner Anwesenheit in der Kasernenküche sich weder setzen noch trinken durften. Erzählt wurde auch, dass die Gardisten während des Dienstes kein Wasser trinken dürften.
«Die Anekdote mit dem Heiligen Vater ist eine liebevolle, schöne Geschichte, die zeigt, wie er sich um seine Mitmenschen sorgt», sagt Anrig. Sie zeige doch, dass Papst Franziskus eine neue Richtung einschlage und neuen Wind bringe. «Als Soldat und Offizier ist es für mich aber ganz klar, dass man nie vor einer solchen Persönlichkeit sich setzen oder trinken würde.» Und ein Gardist, der es nicht aushalte, seine Wache ohne Wasserkonsum an der Öffentlichkeit zu absolvieren, «ist ganz einfach am falschen Ort». Harte Worte? «Ich weiss, was es bedeutet, acht Stunden Dienst zu leisten. Ich habe es immer geschafft, auch längere Phasen vor dem Publikum ohne Wasser auszuhalten, entscheidend ist, dass man sich vorher ausreichend verpflegt.»
«Stete Härte ist nicht möglich»
Daniel Anrig sagt von sich, er sei sehr diszipliniert. Er sei stets sich selbst geblieben und habe mit seinen Gardisten auch gescherzt und gelacht. Da der Kommandant aber in der gleichen Kaserne lebe, bestehe eine besondere Herausforderung. Die Gardisten sähen ihn nicht nur in Uniform als Vorgesetzten, sondern auch privat, weicher im Umgang mit seiner Familie. «Das bedeutet für den Kommandanten, dass er authentisch sein muss», sagt Anrig. «Stete Härte ist so gar nicht möglich. Damit erübrigt sich die Frage, ob ich ein harter Kommandant war oder nicht.»
Die Dienstwohnung, die ihm im Vatikan zur Verfügung gestellt worden sei, sei schön gewesen, aber nicht so gross und exklusiv, wie die Medien berichtet hätten. Es sei aber einerlei, er wisse, dass es immer Missgunst gebe. Seine sechsköpfige Familie habe in Glarus in einem Haus mit Garten wohnlicher gelebt als im Vatikan. Luxus sei ihm fremd, die Ferien habe die Familie stets auf dem Campingplatz verbracht.
Daniel Anrig bereitet nun alles für den Umzug zurück in die Schweiz vor. Sein Abgang von der Garde wird am Samstag gefeiert, mit einer Zeremonie im Vatikan. «Dann werde ich dankbar Abschied nehmen und freue mich nun auf neue Herausforderungen.»

www.nzz.ch/schweiz/ich-verlasse-me…
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