Santiago_
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H. P. Raddatz - Luthers theologische Nähe zur islamischen "Gotteslehre"

Luther und Islam

Luthers Ockhamismus, seine nominalistische Vorstellung vom prädestinierten Willen des Menschen, dessen Erkenntnisfähigkeit auf den an der Schrift orientierten Glauben beschränkt ist, rückt die reformierte Variante des Christentums in die Nähe zum Islam. Wie wir sehen konnten, wird dort für Allah ein Allmachtsbegriff entwickelt, der den menschlichen Willen und seine diesseitige Denk- und Verhaltensnormen auf den schriftgebundenen Gestaltungsraum des Glaubens und dabei die Beteiligung des Verstandes auf die Beschäftigung mit diesem Glauben beschränkt.

Mit seiner Lehre der in systematischer Sündhaftigkeit verankerten Prädestination, die der ethischen Handlungsverantwortung – und damit dem Humanismus seiner Zeit – keine Relevanz und dem Menschen keinen Beitrag zu eigenen Rettung einräumte, wurde der grundsätzliche Zweifel Luthers – nicht zuletzt auch in Gestalt eines eines »addierten Christus« (additus ad eam) – an der Wirksamkeit der christlichen Offenbarung überhaupt deutlich.

Diese Sicht forderte den entschiedenen Widerspruch des großen Humanisten Erasmus von Rotterdam (gest. 1536) heraus, der die Gottesebenbildlichkeit des Menschen eben gerade in einem an der Offenbarung in Christus orientierten Glauben erkannte, durch den er befähigt wurde, in seinen Handlungen und Entscheidungen am göttlichen Erlösungswerk mitzuwirken.

Die durch Prädestination geschaffene Ähnlichkeit mit dem Islam wird durch Luthers gebrochenes Trinitätsverhältnis erheblich verstärkt. So bestätigt denn auch die Stellungnahme des Erasmus auf Luthers Humanismuskritik diese offensichtliche Verwandtschaft. Er nimmt sich sorgfältig – dabei nicht ohne Ironie – der grundlegenden Bedeutung der Prädestination für das christliche Offenbarungsverständnis an und könnte in der Klarheit der Aussage im Glaubensbekenntnis eines jeden Muslim Platz finden (…):

» Offenbar ist es … höchst angemessen, wenn der Mensch ganz vom Willen Gottes abhängt, wenn er … ferner sich dessen Willen ganz unterwirft, einerlei, ob er ihn retten oder vernichten will; wenn er auf Grund seiner guten Werke keinerlei Lob für sich in Anspruch nimmt und vielmehr alle Ehre dessen Gnade zuschreibt in der Erwägung, daß der Mensch nichts anderes sei als ein lebendiges Werkzeug des göttlichen Geistes, das … er nach seiner unerforschlichen Weisheit lenkt und richtig leitet; ferne in der Erwägung, dass es nichts gebe, was jemand als seine eigene Leistung in Anspruch nehmen könnte; und wenn er dann doch in festem Vertrauen von Gott das ewige Leben als Lohn erhofft, nicht weil er es durch eigene gute Werke verdient hätte … wobei dann der Mensch die Aufgabe hat, Gott beständig um Gewährung seines Geistes und um dessen Mehrung in uns zu bitten, für jedes Gelingen ihm zu danken und in allen Fällen Gottes Macht zu verehren …“

Quelle: H. P. Raddatz, Von Gott zu Allah?, S. 155f., München 2001.
Santiago_
Deformation statt Reformation.
Boni
Wichtig ist, dass man den Begriff Reformation verwirft. Es handelt sich beim Luthertum oder Protestantismus um eine völlig eigenständige Religion.
Santiago_
Über die Analogie zwischen radikalem Voluntarismus und islamischer "Gotteslehre": Benedikt XVI. - Glaube, Vernunft und Universität
Santiago_
Alma von Stockhausen über Das Kernproblem von Martin Luther