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Hl. Athanasia (14. August)

Heiligenvita aus:
Alban Stolz, Legende. oder: Der christliche Sternenhimmel, Freiburg i. Br. 1867.


14. August.

Die heilige Athanasia. † 860.
(Schönheit der Tugend.)

Es sind bereits tausend Jahre, daß auf der griechischen Insel Aegina ein frommes Ehepaar lebte, Nicetas und Irene. Sie hatten ein Töchterlein, welches so gelehrsam war, daß es schon mit dem siebenten Jahre fleißig in der h. Schrift las und die Psalmen auswendig wußte. Athanasia, so hieß das Mädchen, saß einst allein mit einer Handarbeit; da sah sie einen höchst glänzenden Stern herabschweben bis zu ihrer Brust und wurde von demselben angestrahlt, worauf er wieder verschwand. Von dieser Zeit an war ihr Inneres besonders erleuchtet, so daß ihr die Eitelkeiten dieser Welt mehr und mehr ganz zuwider wurden. In dieser Stimmung hatte sie sich vorgenommen, in ein Kloster zu gehen; allein ihre Eltern ließen ihr den freien Willen nicht, sondern nöthigten sie gleichsam mit Gewalt, sich zu verehelichen. Sie hatte aber erst sechszehn Tage mit ihrem Manne gelebt, als derselbe bei einem Ueberfall der afrikanischen Kriegshorden das Leben verlor.

Athanasia war also unvermutheter Weise wieder ledig geworden; sie meinte nun, ohne weiteres Hinderniß ihren früheren Plan ausführen zu können und bereitete sich zum Klosterleben vor. Allein auf einmal erging eine Verordnung des griechischen Kaisers Michael, daß Jungfrauen und Wittwen, die nicht schon ein gewisses Alter erreicht haben, mit Männern ihrer Nation sich verehelichen müßten. Er wollte auf diese Weise bewirken, daß die Bevölkerung in seinen Landen zunehme. Unter diesen Umständen mußte Athanasia abermals dem Willen ihrer Eltern sich fügen, als dieselben die Hand ihrer verwittweten Tochter einem andern Manne geben wollten. Ungeachtet aber die junge Wittwe nun wieder in den Ehestand getreten war, setzte sie dennoch ihre Gewohnheit fort, fleißig Psalmen zu singen und in der h. Schrift zu lesen. Sie war so sanft und bescheiden, daß Jedermann Verehrung und Liebe zu ihr trug. Gegen Dürftige übte Athanasia außerordentlich viele Wohlthaten aus, so daß trotz ihrer guten Vermögensverhältnisse oft fast nichts mehr da war. Da einmal eine Hungersnoth auf der Insel war, so theilte sie nicht nur ihren Glaubensgenossen Lebensmittel aus, sondern auch denen, welche einer ketzerischen Sekte angehörten, eingedenk der Worte des Herrn: „Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist, der seine Sonne über Gute und Böse aufgehen läßt und regnen über Gerechte und Ungerechte.“

Nachdem Athanasia einige Jahre mit ihrem Gemahl zusammen gelebt hatte, brachte sie es durch ihr öfteres Zureden dahin, daß er der Welt entsagte, in ein Kloster ging und daselbst ein höchst gottseliges Leben führte, worauf er dann im Herrn entschlief. Athanasia aber vertheilte nun all’ ihr Hab und Gut an die Armen und vereinigte sich mit einigen gleichgesinnten Personen zu einem klösterlichen Zusammenleben. Obschon sie aber zur Oberin gewählt wurde, so ließ sie sich in ihrer Demuth niemals von einer der Mitschwestern irgendwie bedienen, hingegen wollte sie die Dienerin aller Andern sein. Aus ihrem Munde ging niemals ein Scheltwort oder harte Rede, obschon sie die Genossenschaft zu regieren hatte und sie die üble Nachrede hören mußte, ihre große Strenge gegen sich selbst komme vom Teufel. Sie lebte nämlich größtentheils von Brod und Wasser; nur am Ostertag erlaubte sie sich auch etwas Käse und Fisch, in der Fastenzeit aber aß sie jedesmal nur den zweiten Tag etwas. Ihr Lager bestand aus einigen großen Steinen, worüber eine kleine rauhe Decke gebreitet war. Ihr Unterkleid oder Hemd war aber aus Haaren gemacht; darüber trug sie ein wollenes Gewand.

Da Athanasia mit ihren Genossinnen vier Jahre auf diese Weise zugebracht hatte, fühlte sie sich innerlich gemahnt, in eine entlegenere Gebirgsgegend überzusiedeln, um sich von der Welt noch mehr abzusondern. Sie fand auch einen solchen Ort, wie sie ihn im Geist schon voraus gesehen hatte. Auch hier übte Athanasia, wie bisher, große Demuth und Sanftmuth. Als sie einst ihrer Gewohnheit gemäß betete und ihre Augen gegen Himmel gewendet hatte, sah sie eine leuchtende Wolke und in der Mitte derselben einen außerordentlich schönen Mann voll strahlender Herrlichkeit. Athanasia hatte öfters diese Erscheinung und wunderte sich, wodurch dieser Mann so großen Glanz gewonnen habe. Da sie wieder einmal in solchen Gedanken war, was dieses bedeute, kam es ihr vor, als höre sie eine Stimme, welche sprach: „Diesen Mann, dessen Schönheit du bewunderst, hat die Demuth und Sanftmuth so herrlich gemacht; weil du selbst so fleißig darnach trachtest, so wisse, daß auch du in solchem Glanz einst erscheinen wirst.“ Athanasia wurde durch diese Offenbarung noch viel mehr im Eifer angeregt, sich mit diesen zwei Tugenden zu schmücken, und man bemerkte niemals auch nur die geringste Spur von Zorn oder Hochmuth an ihr.

Ein berühmter Heide (Plato) sagt in seinen Schriften: „Wenn man die Gestalt der Tugend sehen könnte, so würde Jedermann von ihrer unaussprechlichen Schönheit zur heftigen Liebe erweckt.“ Nun können wir zwar die Tugend nicht mit den leiblichen Augen sehen, wie Athanasia die Schönheit der Demuth und Sanftmuth gesehen hat; aber wir können sie ein wenig geistig sehen. Kommt dir die Treue z. B. nicht schön vor, wenn eine Magd ihre Herrschaft, die um alles Vermögen gekommen ist, nicht verläßt, sondern selber noch mit ihrer Hände Arbeit ernährt. Oder kommt dir die Wahrhaftigkeit nicht schön vor, wenn ein Kind offen seinen Fehler anzeigt, obschon es weiß, daß es schwer und hart von zornigen Menschen dafür gestraft werde? – Oder kommt dir die Menschenliebe nicht schön vor, wenn die Tochter wohlhabender angesehener Leute einem armen Bettelweib, das an einer ekelhaften Krankheit liegt, abwartet und wacht und den Gestank aussteht, bis sie stirbt.

So ist jede Tugend sehr schön, und ihre Schönheit wird manchmal selbst einigermaßen sichtbar in dem Augenblick, wo der Mensch sie übt. Wie du z. B. im Zorn häßlich bist, so wirst du schöner, wo du liebreich und freundlich mit einem Kind redest; und wie du häßlich aussiehst, wenn du gerade begierig und hastig issest, so wirst du schöner, wenn du gerade in tiefer inniger Andacht dein Gemüth zu Gott gerichtet hast; und wie du häßlich aussiehst, wenn du mißgünstig deinen Nebenmenschen an der Ehre angreifst, so bist du in dem Augenblick schöner, wo du mit herzlichem Mitleiden einen Betrübten tröstest. Was aber schon dem sinnlichen Auge erscheint, das ist vor Gott unendlich hell und klar, nämlich die Schönheit jeder Tugend und selbst des tugendhaften Augenblickes.

Einmal saß Athanasia in Andacht versunken, da kam ein Mensch zu ihr, der durch ein Augenübel große Schmerzen litt; er bat die Heilige, daß sie für ihn Gott anrufe. In ihrer Bescheidenheit tröstete ihn Athanasia, daß sie auch schon an einem solchen Uebel gelitten habe, er möge Geduld haben, Gott könne ihm schon wieder helfen. Allein der Kranke begnügte sich damit nicht, sondern bestand mit vielen Vertrauen darauf, daß sie ihm helfen könne mit ihrem Gebet. Da legte die Heilige ihre Hand auf die kranken Augen und sprach: „Christus, der den Blindgeborenen geheilt hat, verleihe dir, Bruder, vollkommene Heilung von deinem Uebel.“ In demselben Augenblick, als der Mensch gläubig diese Worte vernommen hatte, war er geheilt.

Nach einiger Zeit mußte Athanasia nach Konstantinopel reisen, weil Theodora, die Mutter des Kaisers, ein Verlangen hatte die Heilige kennen zu lernen. Was aber von einem Weltmenschen für ein großes Glück angesehen würde, das war der h. Athanasia ein Kreuz; sie hatte am kaiserlichen Hofe ein Heimweh nach ihrer Einsamkeit und ihrem Kloster. Als aber ihr Wunsch in Erfüllung ging und sie zurückgekehrt war, fiel sie bald darauf in eine schwere Krankheit, woran sie auch starb.

Den 14. August, da ihr Ende herannahte, forderte sie die Schwestern noch auf, daß sie morgen wegen ihres Todes in keiner Weise an der Festfeier von Mariä Himmelfahrt etwas unterlassen. Erst, wenn vollständig alle Feierlichkeiten vorüber seien, sollen sie ihrem Leichnam den letzten Dienst leisten. Hierauf entschlief Athanasia im Frieden.

Zwei der Klosterfrauen hatten später in der Kirche mit einander dieselbe Erscheinung. Sie sahen zwei majestätische Männer in strahlender Kleidung, welche in ihrer Mitte die h. Athanasia an den Altar führten; dort bekleideten sie dieselbe mit einem königlichen Purpurgewand, besetzt mit Perlen und Edelsteinen, setzten ihr eine Krone auf das Haupt und gaben ihr einen Scepter in die Hand; zugleich hörte man ein Geräusch von dem Orte her, wo Athanasia begraben lag. Als an ihrem Jahrestag Grab und Sarg geöffnet wurde, verbreitete der Leichnam den süßesten Wohlgeruch und hatte ein so gesundes Aussehen, wie wenn das Leben noch in ihm wäre; selbst die Augen hatten noch ihren Glanz. Es sind auch noch eine Anzahl von wunderbaren Heilungen aufgezeichnet, welche auf vertrauensvolles Anrufen der h. Athanasia geschahen.