Labre
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"WENN DER HIMMEL BLASS WIRD ..." Überlegungen zum Zölibat v. Kaplan A. Betschart

Der priesterliche Zölibat ist göttlichen Rechts

In einer ausführlichen Vortragsreihe im Priesterseminar St. Petrus in Wigratzbad über die Nachfolge Christi, über die Berufung zur Jüngerschaft Jesu, entstand der Vortrag über eine ganz konkrete Form der Nachfolge, und zwar Nachfolge als Eheloser um des Himmelreiches willen, kurz Zölibat genannt.
Ein Wort des evangelischen Pfarrers Jochen Härtwig, Sachsen, soll uns gleich in medias res führen: “Als evangelischer Pfarrer kann man sich über die wirkliche oder gespielte Naivität der Katholiken nur wundern, die - wie es die Diskussionen in Österreich, Deutschland und der Schweiz zeigen - gegen den Zölibat und anderes in der Kirche ankämpfen. Ich hätte an die ‘Reformer’ einige Anfragen: Erfüllt die Tatsache, dass gerade die Feinde des Christentums und der Kirche die Ehelosigkeit der Priester bekämpfen, die erwähnten Katholiken nicht mit etwas Misstrauen im Blick auf ihr angestrebtes Ziel? Nationalsozialismus, Kommunisten und neuerdings eine üble Journaille, der man alles zutrauen kann, nur nicht Wohlwollen für den christlichen Glauben, griffen und greifen den Zölibat an. Glauben die Bekämpfer des Zölibats tatsächlich, dass es unter verheirateten Priestern weniger Ehescheidungen als in der Gesellschaft geben wird? Darf die Kirche ein für das ganze Leben geltendes Versprechen nicht mehr fordern? Jeder, der länger verheiratet ist, weiss, dass es Krisen und schwierige Zeiten in jeder Ehe gibt, und dass ein Eheversprechen nicht leichter einzuhalten ist als ein in Freiheit und nach jahrelangen Überlegungen gegebenes Versprechen für die Ehelosigkeit. Gerade auch die steigende Zahl von Ehescheidungen - leider auch bei evangelischen Pfarrern - zeigt, dass die Abschaffung des Zölibats das Problem nur verschieben würde” (Aus: MARIA, Aug./Sept. 1995, Nr. 1, 45. Jg.). - Ein unvoreingenommenes Wort aus einem anderen Lager!

Heilige Schrift

Zunächst wollen wir uns der Hl. Schrift des Neuen Testamentes zuwenden und sehen, ob das Wort Gottes uns zu dieser Frage etwas sagt. Eines Tages traten die Pharisäer an Jesus heran, um ihn auf die Probe zu stellen und fragen Ihn deshalb:

“Ist es dem Mann erlaubt, seine Frau aus jedem beliebigen Grunde zu entlassen?”

Als Antwort stellt ihnen der Herr Seine Ehelehre vor: nämlich die Unauflöslichkeit der Ehe, entgegen der jüdischen Auffassung von der Möglichkeit des mosaischen Scheidebriefes. Die zuhörenden Jünger müssen darob ziemlich erschrocken gewesen sein; denn sie sagten zu Ihm:

“‘Wenn es zwischen Mann und Frau so steht, dann ist es nicht ratsam zu heiraten.’ Er sprach zu ihnen: ‘Nicht alle fassen dies, sondern nur die, denen es gegeben ist. Es gibt Menschen, die vom Mutterschoss an zur Ehe unfähig sind; es gibt solche, die von Menschen unfähig gemacht sind; und es gibt solche, die um des Himmelreiches willen der Ehe entsagen. Wer es fassen kann, der fasse es’” (Mt 19,10-12).

Ein kurzer Blick in die nähere Vergangenheit

Im Jahre 1831 verweigerte der Erzbischof von Freiburg einer Reihe von Seminaristen die Priesterweihe, weil sie einer Petition an die badische Kammer zwecks Abschaffung des Zölibates durch Landesgesetz eine Zustimmungsadresse geschickt hatten. Daraufhin leisteten die Seminaristen Abbitte, mit der Entschuldigung: “Es seien ihnen seit Jahren theoretische Bedenken gegen das Zölibatsgesetz beigebracht worden.” Von wem sonst, als von ihren Professoren. Drei Professoren bekämpften öffentlich Zölibat und Orden; von einem urteilte der große Theologe Möhler, ihr Kollege in Tübingen: “Wer seine Vorlesungen hört, könne nur mit einer grenzenlosen Verachtung des Christentums erfüllt werden.” Sie sehen: nihil novum sub sole!
Das geschah in der Spätzeit der Aufklärung und in den Vorwehen der 48-er Revolution, im Kulturkampf. In den folgenden hundert Jahren wurde, so scheint es, der Zölibat innerhalb der Kirche - obschon die Angriffe von Protestanten, Liberalen, Kulturkämpfern, Freidenkern niemals aufhörten! - einfach als unabänderliche Tatsache akzeptiert und en bloc verteidigt, wie jeder andere katholische Sachverhalt auch. Im Angriff sammelte man sich um das Bedrohte. Die Befragung erhob sich erst später, - aber in einem positiven Sinn -, so dass Zölibat und Ordensgelübde sich sozusagen neu ausweisen mussten. Und sie taten es im Sinne eines freien Verzichtes auf höchste Lebensgüter um der ungeteilten Hingabe willen an Gott und an die Mitmenschen. Der Opferbegriff wurde durch diese innerkirchliche Befragung geläutert und vertieft.

Die heutige Situation

Im Jahre 1979 publizierten Theologiestudenten das Ergebnis ihrer Umfrage über die für den Priester geforderte Ehelosigkeit. Ein Schweizer Wochenblatt betitelte den Bericht darüber: “Priester wollen Hochzeit machen.” Und ein Kapuzinerpater betitelte anderswo seinen Leitartikel: “Läuten bald die Hochzeitsglocken für den Herrn Pfarrer?”
Heute wird der Kampf gegen die priesterliche Ehelosigkeit mit aller Schärfe geführt, trotz der wiederholten Bekräftigung des Zölibates auch durch Papst Johannes Paul II. Die Streiter zugunsten der Priesterehe müssten einmal ernsthaft über das Wort eines Bischofs aus dem Moskauer Patriarchat nachdenken - zitiert von Jean Guitton, einem vertrauten Freund Pauls VI. (M. Trémeau, S. 114) -, der sagte: “Wir Orthodoxen sind überzeugt, dass ihr im Westen, ihr Lateiner, nicht auf einem guten Wege seid, wenn ihr öffentlich den Zölibat diskutiert. Wenn ihr das Sacerdotium vom Zölibat trennt, werdet ihr einen raschen Verfall erleben. Der Westen ist nicht mystisch genug, um die Priesterehe ohne Verfall zu verkraften. Rom muss es sich gründlich überlegen, ob es eine tausend Jahre alte Askese kompromittieren darf.”

Ein anderes Beispiel: Einheimische indische Priester fragten europäische Missionare: “Ist das wirklich euer Ernst, den Zölibat in Frage zu stellen? - An der Kirche Christi werden wir nicht irre, aber an euch Europäern kann man allmählich irre werden! Wenn der Zölibat fallen würde, müssten wir, die kleine Missionskirche Indiens, uns schämen vor so vielen Religionsdienern des Hinduismus, die oft um der Gottheit willen ehelos bleiben ... und dies seit Jahrtausenden fertigbringen” (Aus: Trémeau M., Der gottgeweihte Zölibat, 2. Umschlagseite).

Das dritte Beispiel ist ein Brief an Herrn Präfekt Dr. H. Wey, Bahnhofstrasse 15, CH-6002 Luzern:

“Lieber Mitbruder,

soeben habe ich im Vaterland, 15. Febr. 1990, als Reaktion auf Ihre Predigt den Artikel ‘In grosser Sorge über wachsenden Priestermangel’ gelesen. Stimmt es, was der Artikel festhält als Vorschlag Ihrerseits: ‘Die Weihe verheirateter Seelsorger und die Umwandlung des Pflichtzölibates in eine fakultative Ehelosigkeit?’ Wenn Sie dies als Mittel gegen den Priestermangel vorgeschlagen haben, bin ich nicht bloss nicht einverstanden, sondern als Seelsorger an einer der schwierigsten Missionsstellen schockiert. Was schlagen Sie vor? In einem Vergleich ausgedrückt, versuchen Sie, einem Haus ohne Fundament ein neues Dach zu geben, ohne das Übel am Grunde anzupacken. Wissen Sie, was ein versierter Redaktor der angesehenen Revue L’Homme Nouveau, Marcel Clément, geschrieben hat: ‘La sainteté du clergé d’aujourd’hui nous procure le clergé de demain’. Ein versierter Laie schlägt als Berufswerbung nicht irgendeinen Klerus, nicht einen verheirateten Klerus, sondern la sainteté du clergé vor. Er greift das Problem an der Wurzel an und nennt es beim Namen: Die große Sorge über wachsenden Priestermangel ist ein Problem des Glaubens und verlangt sozusagen eine ‘Generalmobilisation’ und nicht eine neue Unterminierung der auf der Gnade aufgebauten Pastoration. Lesen Sie meinen beigelegten Pastoralrapport, und Sie sehen, was im Steinbruch Gottes im Geist des Glaubens und der Selbstlosigkeit ohne Zölibat rein unmöglich erreichbar ist. Dazu eine realistisch-praktische Frage: ist bei den protestantischen und orthodoxen Glaubensbrüdern mit Priesterehe die Nachwuchsfrage gelöst? Nicht im geringsten! Erlauben Sie mir eine Reihe anderer Fragen im Hinblick auf eine breitangelegte, mit Glaubensmut angepackte Gesamtaktion: Wie wäre es, wenn die Bischöfe gesamtschweizerisch Alarm schlagen würden, wenn sie den Totengräbern der Priesterberufe, den Herren Haag und Küng den Mund schliessen würden, wenn ein pastoraler Feldzug gegen das Zusammenleben ohne Trauschein einsetzen würde, wenn die Frauen wieder die Würde der Mutter und Hausfrau entdecken würden, wenn die Familie wieder Vorseminar, eine Schule des Glaubens und Opfers würde, wenn Jugendverbände in dieser oder jener Form wieder Glaubensschulen würden, wenn ein solider Religionsunterricht zur ersten Sorge unserer Priesterwerbung würde, wenn die Seminarien und theologischen Fakultäten wieder papsttreue Alumnen heranbilden würden, wenn im ganzen Lande ein Gebetssturm ausgelöst würde: Herr, gib uns wieder Priester nach dem Vorbild jener, die in der Priesternot der Geschichte die Kirche durch das Beispiel ihrer Heiligkeit gerettet haben! Lieber Mitbruder! Ich bitte Sie, in mitbrüderlicher Sorge um das Seelenheil der uns Anvertrauten diese Gedanken eines in grossstädtischer Pastoration zum ‘Flickarbeiter’ Gottes gewordenen Landsmannes zu überlegen. Mit den Besten im Reich Gottes, den Reformern, zu denen ein Pfarrer von Ars gehört, habe ich die hundertprozentige Überzeugung, dass Ihre Vorschläge den völligen Zusammenbruch unseres katholischen Priesterideals zur Folge hätten. Mit treuem Memento grüsse ich Sie

Abbé Josef Schilliger

Mission catholique suisse, 10,rue Violet, F-75015 Paris.” (erschienen in TIMOR DOMINI, 20. März 1990, 19. Jg., Nr. 1).

Rom hat zu dieser Frage damals nicht geschwiegen, sondern sich eindeutig für die Beibehaltung des Zölibates entschieden, und dies nicht nur auf dem Zweiten Vaticanum, sondern auch auf der Römischen Bischofssynode im Jahre 1971. Mit neunundneunzig Prozent aller Stimmen - ohne Gegenstimme, bei einem Prozent Stimmenthaltung - wurde von den Bischöfen für die Beibehaltung des Zölibates gestimmt.