marthe2010
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Kind mit Down-Syndrom - Erfahrungsbericht einer Mutter

Von der Webseite 46plus.de
(Foto: ©Corbis)
Text: ©1999 by Barbara Curtis

Etwas mehr
Mein Sohn Jonathan hat von allem etwas mehr - etwas mehr Enthusiasmus, etwas mehr Unschuld, etwas mehr Charme. Oh, habe ich das zusätzliche Chromosom erwähnt? Es ist das Chromosom 21, das dreifach vorhanden ist und bei werdenden Eltern so viele Ängste hervorruft.

Auch ich hatte Angst vor dem Down-Syndrom. Aber 1993, als sie mir das kleine Bündel, in eine blaue Decke eingewickelt, in den Arm legten, und ich sehen konnte, dass mein Junge einfach nur ein bisschen anders aussah, da verspürte ich ein Gefühl von Ehrfurcht.
Dies war und ist eine Herausforderung, vieles zu lernen.
Es hat mir geholfen, dass ich bereits einige "normale" Kinder hatte. Aber auch andere Erlebnisse hatten mir bereits das Herz geöffnet. Da war Amy, ein süßer sechsjähriger Fratz, bei der wir manchmal babysitteten. Amys Vater verließ die Familie kurz nach ihrer Geburt, er konnte sich nicht damit abfinden, eine Tochter mit Down-Syndrom zu haben.

Schöner waren da das Miteinander von Vater und Tochter. Ich hatte sie einen Monat vorher auf dem Karussell gesehen. Eine fröhliche Dreijährige mit Mandelaugen, ein hoffnungslos verliebter Vater. "Das ist etwas ganz Besonderes", dachte ich mir.

Ich weiß wohl, dass sich in unserer Gesellschaft vieles ändern muss, damit die Menschen, die nicht selbst betroffen sind, etwas Positives in einem Kind mit Down-Syndrom sehen lernen. Doch wenn ich in meinen Jahren in der Gegenkultur etwas gelernt habe, so ist es, die herrschenden Vorstellungen zu hinterfragen.

Ich habe immer bedauert, dass das Down Syndrom einen solchen Schrecken hervorruft und damit die Zukunft der Eltern, die noch auf das Ergebnis der Fruchtwasseruntersuchung warten, so trübt. Im Internet habe ich in den letzten Jahren einige Leute erlebt, die die gefürchtete Nachricht erhalten hatten und sich dann in den Down-Syndrom-Newsgroups anmeldeten, um etwas darüber zu erfahren. Sie beschreiben oft den Druck von Genetikern und Ärzten, abzutreiben und es "noch mal zu versuchen". Diese Fachleute zählen gerne die Belastungen auf, die mit einem Kind mit Trisomie 21 verbunden sind, mögliche gesundheitliche Probleme, höhere emotionale Anforderungen, ein Kind, das "weniger" hat.

Aber im Internet oder zu Hause in ihren Gemeinden treffen diese Eltern die wirklichen Fachleute, Eltern, die jeden Tag mit ihrem Kind mit Down-Syndrom leben und die viel besser über die sogenannte "Lebensqualität" sprechen können. Es gibt immer Mengen aufmunternder Worte, persönliche Variationen des berühmten Essays von Emily Kingsley "Willkommen in Holland". Man wollte nach Italien fahren und landet auf unbekanntem Gebiet. Zunächst ist man enttäuscht. Dann sieht man die Windmühlen und die Tulpen, eine Schönheit, die man nicht erwartet hat. Man merkt, dass es gar kein so schlechter Ort ist.

Mein eigener Sohn Jonny, 7 Jahre alt, zieht sich gerne chic an, ist süchtig nach Filmen und ein hervorragender Gastgeber. Er spielt gerne Fußball und liebt es, wenn beide Seiten klatschen, wenn er ein Tor schießt. Zu Hause und in der Schule ist er der Erste, der Hilfe anbietet, jemanden tröstet, wenn es ihm nicht gut geht, und bei den Pointen lauthals lacht.

Seine Vorschullehrerin nannte ihn "Botschafter des guten Willens". Seine Erzieherin im Kindergarten sagte, sie habe nach mehr als 30 Jahren Berufserfahrung noch nie Kinder gesehen, die so liebevoll und fürsorglich seien, wie die Kinder in Jonnys Gruppe. Das Geheimnis, sagte sie, sei Jonny. Als er ihre Gruppe verließ, schrieb sie: "In der Bibel steht: 'Der Herr sieht nicht die Dinge, die der Mensch sieht. Der Mensch sieht die äußere Erscheinung, der Herr aber sieht das Herz.' Jonny brachte den Kindern und mir bei, auf das Herz zu sehen, denn er hat ein sehr großes Herz."

Beide bestätigten, was ich immer schon gesehen hatte. Jonny schafft es, das Eis zu brechen, bevor die anderen darüber nachdenken können, wie sie auf ein Kind reagieren sollen, das einfach etwas anders ist. Dann holt er das Beste aus ihnen heraus.

Ich denke, einige Leute würden lieber einen Tag mit Jonathan verbringen als mit den Fachleuten, die über sein Recht zu Leben diskutieren. Da gibt es den Professor und Bioethiker Peter Singer, der für die Eltern das Recht (oder die Pflicht) fordert, das Leben eines behinderten Kindes noch bis 28 Tage nach der Geburt zu beenden. Oder Bob Edwards, ein weltbekannter Embryologe, der vorhersagt, dass es für Eltern bald eine "Sünde" (sein eigener Ausdruck) sein wird, ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen.

Für unsere aufgeklärte Gesellschaft, die vor einer Generation aufhörte, Kinder mit Down Syndrom in Institutionen abzuschieben und ihnen somit ermöglichte, produktive Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden, wäre dies ein gewaltiger Schritt zurück. In einer Kultur, in der man sehr bemüht ist, Vorurteile auszumerzen und Hass zu verurteilen, klingen diese Stimmen verdächtig überheblich und von oben herab. Aber vielleicht leiden solche Leute auch einfach nur unter ihrem eigenen, nicht diagnostiziertem Unvermögen, geblendet von einem Kastensystem von Individuen, das auf Intelligenzquotient, Ausbildung und Verdienstpotential beruht, gelähmt in ihren "perfekten" Vorstellungen und Ansichten.

Durch mein Kind mit Down-Syndrom habe ich gelernt, dass es unendlich mehr im Leben gibt als Intelligenz, Schönheit und "Perfektion". Ich habe auch gelernt, dass nicht alles in Mark und Pfennig gemessen werden kann. Nicht nur das Kind mit Down Syndrom, sondern auch seine Klassenkameraden und Lehrer, seine Familie und seine Freunde profitieren vom gemeinsamen Leben und Lernen.

Vor Jonnys Geburt habe ich Geburtsanzeigen mit einem Spruch von Elizabeth Barrett Browning vorbereitet: "Die Geschenke Gottes stellen die besten Träume des Menschen in den Schatten." Ich habe sie stolz versandt und eine Anmerkung über sein Extrachromosom und unsere Liebe zu ihm hinzugefügt. (Kommentar eines Freundes: "Nun, Barbara, er wird nie Präsident werden, aber ist das nicht genauso gut?" Und das war 1992).

Er war und ist ein Geschenk, das ich nie in Frage stellen würde; er brachte mir Sachen bei, von denen ich nie dachte, dass ich sie lernen müsste. Und die größte Überraschung dabei ist: Unser gemeinsames Leben bestand weniger darin, dass ich ihm geholfen habe, sein Potential zu erreichen, als dass er mir geholfen hat, meines zu erreichen.

Manchmal, wenn wir in einem Museum oder in einem Einkaufszentrum sind und gerade über etwas lachen, sehe ich jemanden abseits stehen, der uns unbehaglich und distanziert anschaut. Ich weiß, dass, solange wir leben, einige immer denken werden, dass Jonny etwas "weniger" hat. Ich dagegen habe gelernt, dass es etwas "mehr" ist. Und unsere Umgebung hat das gleiche erfahren, einfach weil Jonny da ist.
Gemeinfrei