niclaas
684

Hl. Anna (26. Juli)

Heiligenvita aus:
Alban Stolz, Legende. oder: Der christliche Sternenhimmel, Freiburg i. Br. 1867.


26. Juli.

Die heilige Anna.
(Kindersegen.)

In der Bibel ist nichts zu finden von den Eltern der seligsten Jungfrau Maria; hingegen in einer andern Schrift, welche fast so alt ist, als das neue Testament, findet sich ein Bericht darüber. Man heißt jene Schrift das Evangelium des Jakobus; sie hat zwar nicht das Ansehen und die Gültigkeit der h. Schrift, aber darum mag doch das Meiste darin wahr sein; es wurden in den ältesten Zeiten, selbst in den Kirchen Stücke daraus vorgelesen. Darin heißt es:

„Joachim war überaus reich und brachte seine Opfergaben dem Herrn im Tempel doppelt dar nach seiner Gewohnheit, indem er sprach: Es soll mein Ueberfluß für das ganze Volk sein und zur Vergebung der Sünden, daß sich der Herr meiner erbarme. Es nahete aber der große Tag des Herrn und es brachten die Söhne Israels ihre Gaben dar. Und es stand dem Joachim Einer aus dem Stamme Ruben entgegen und sprach: Es ist dir nicht erlaubt, zuerst deine Gaben darzubringen, dieweil du dir keinen Samen in Israel erwecket hast.“

„Und Joachim betrübte sich sehr und ging weg nach seinem Hause und dann in die Einöde, wo er seine Heerde hatte, und baute sich allda eine Hütte und fastete vierzig Tage und vierzig Nächte und sprach bei sich selbst: Ich will nicht heimgehen weder zu Speis noch zu Trank, bis mich gnädig angesehen der Herr, und es soll mir das Gebet Speise und Trank sein.“

„Sein Weib aber, Anna, klagte zweifache Klage, und zweifachen Jammer jammerte sie und sprach: Ich will jammern ob meiner Verwittwung, und jammern ob meiner Kinderlosigkeit. Es nahte aber der große Tag des Herrn und es sprach Judith, ihre Magd: Wie lange noch willst du deine Seele in Jammer niederhalten? Siehe doch, es naht der große Tag des Herrn und es ist dir nicht erlaubt, zu trauern, sondern nimm dieses Stirnband, das mir eine Herrin, der ich arbeitete, gegeben; es ist mir nicht gestattet, es anzulegen, weil ich deine Sklavin bin und du das Aussehen einer Königin hast.“

„Und es sprach Anna: Weiche von mir, denn Solches thue ich nimmermehr, und Gott der Herr hat mich sehr erniedrigt; es hat dir dieß doch nicht etwa ein Verführer gegeben und du kommst nun, mich deiner Sünde theihaft zu machen? Es sprach aber zu ihr Judith ihre Magd: Was soll ich dir anwünschen, daß du nicht gehört auf meine Stimme? Soll ich dir etwas Aergeres noch wünschen, als das, daß Gott der Herr deinen Schooß verschlossen hat, also daß du nicht Frucht bringen kannst in Israel?“

„Und es betrübte sich Anna sehr und ging in ihren Garten hinab, um sich zu ergehen. Und sie sah einen Lorbeerbaum und setzte sich unter denselben und flehte zu dem Herrn und sprach: O Gott meiner Väter, gib mir deinen Segen und erhöre mein Gebet, gleich wie du erhört hast und gesegnet den Schooß Sara’s und ihr gegeben einen Sohn, den Isaak. Und Anna blickte auf gen Himmel und sah ein Sperlingsnest auf dem Lorbeerbaume, und jammerte in ihrem Innern und sprach: Wehe mir! Wer hat mich gezeugt? Welcher Schooß mich geboren? daß ich an’s Licht gekommen, als eine Verfluchte vor den Augen der Söhne Israels; und ich werde geschmähet und verhöhnt und verstoßen aus dem Tempel des Herrn meines Gottes. Weh= mir! Wem bin ich zu vergleichen? Nicht zu vergleichen bin ich den Vögeln unter dem Himmel; denn die Vögel unter dem Himmel sind fruchtbar vor deinem Angesicht, oh Herr! – Wehe mir! Wem bin ich zu vergleichen? Nicht zu vergleichen bin ich den unvernünftigen Thieren der Erde; denn auch die unvernünftigen Thiere der Erde sind fruchtbar vor deinem Angesichte, o Herr! – Weh’ mir! Wem bin ich zu vergleichen? Nicht zu vergleichen bin ich den Wellen des Meeres; denn auch die Fische in dem Wasser lobpreisen dich, o Herr! – Wehe mir! Wem bin ich zu vergleichen? Nicht zu vergleichen bin ich der Erde; denn auch die Erde bringt ihre Früchte hervor zu ihrer Zeit und preiset dich, o Herr!“

„Und siehe! da trat ein Engel zu ihr und sprach: Anna, Anna, erhöret hat Gott der Herr dein Flehen; du wirst empfangen und gebären und gebendeit soll dein Samen werden auf dem ganzen Erdreich. – Es sprach aber Anna, so wahr der Herr, mein Gott, lebt; wann ich geboren habe, sei es ein Knäblein oder ein Mägdlein, so will ich es darbringen dem Herrn, meinem Gotte, und es soll zu dessen Dienste sein alle Tage seines Leben. – Und auch zu Joachim kam ein Engel des Herrn herab und sprach: Joachim, Joachim, erhört hat der Herr dein Flehen; gehe von hier herab: siehe Anna dein Weib wird empfangen.“

„Und es stieg Joachim herab mit seinen Hirten und es stand Anna an der Thüre ihres Hauses und sah den Joachim kommen mit seinen Hirten; und es lief Anna ihm entgegen und sprach: Nun weiß ich, daß Gott der Herr mich überaus gesegnet hat; denn siehe, die Wittwe ist nicht mehr Wittwe, und die Kinderlose wird in ihrem Schooße empfangen.“

„Des folgenden Tages aber brachte Joachim seine Opfergaben dar, und sprach in seinem Herzen: Wenn Gott der Herr sich mir gnädig erwiesen, so wird das Goldblech des Priesters mir es kund thun. Und Joachim betrachtete das Goldblech des Priesters, als er zum Altar des Herrn hintrat, und es fand sich an ihm kein Fehl. Und es sprach Joachim: Nun sehe ich, daß Gott der Herr mir gnädig geworden und von mir genommen alle meine Sünden.“

„Und er kam herab vom Tempel des Herrn gerechtfertigt und kam nach seinem Hause voller Freuden und Gott preisend.“

„Nachdem die Zahl ihrer Monate voll geworden, gebar Anna im neunten Monat. Und sie sprach zur Hebamme: Was habe ich geboren! – Diese aber sprach: Ein Mägdlein. Und es sprach Anna: Meine Seele preiset diesen Tag. – Und sie legte sich nieder. Und sie gab dem Kinde die Brust und nannte es Maria.

„Tag für Tag erstarkte aber das Mägdlein; und als es sechs Monate alt geworden, stellte es seine Mutter auf den Boden, um zu versuchen, ob es stehen könne. Und es lief umher sieben Schritte und kam dann an den Busen der Mutter. Es sprach aber Anna: So wahr der Herr mein Gott lebt, du sollst nicht umherlaufen auf diesem Boden, bevor ich dich in den Tempel des Herrn gebracht habe.“

„Es war aber vollendet, das erste Jahr des Mägdleins und Joachim breitete ein großes Mahl, und lud dazu die Priester und Schriftgelehrten und die Aeltesten und sonst von dem Volk Israel. Da brachte Joachim das Mägdlein den Priestern und es segneten dasselbe die Priester und sprachen: Gott unserer Väter, segne dieses Mägdlein, und gib ihm einen Namen, der ewig genannt sei von allen Geschlechtern. – Und alles Volk sprach: Es geschehe, geschehe, Amen! – Dann brachten sie das Mägdlein wieder in das Heiligthum seines Bettleins.“

„Anna aber nahm das Mägdlein und gab ihm die Brust; und sie sang einen Lobgesang Gott dem Herrn und sprach: Ich will singen einen Lobgesang dem Herrn, meinem Gott; darum daß er mich gnädig angesehen, und von mir genommen hat den Schimpf vor meinen Feinden; und hat mir eine Frucht der Gerechtigkeit gegeben, einzig in ihrer Art und überschwenglich reich. Wer wird den Söhnen Rubens verkünden, daß Anna säugt?“

„Und es ließ die Mutter ihr Kind ausruhen in dem Heiligthum seines Bettleins, und ging hinaus und wartete ihnen auf. Als das Mahl zu Ende war, gingen sie fröhlich von dannen und preiseten den Gott Israels.“

„Dem Mägdlein aber mehrten sich die Monate seines Lebens. Es ward nun das Mägdlein zweijährig und Joachim sprach zu seinem Weibe Anna: Wir wollen es in den Tempel des Herrn bringen und erfüllen das Gelübde, das wir gelobt haben, auf daß Gott der Herr nicht sein Angesicht von uns wende und unsere Opfergabe nicht verschmäht werde. – Und es sprach Anna: Warten wir noch das dritte Jahr ab, damit es nicht Heimweh bekomme nach Vater und Mutter. – Und Joachim sprach: Amen, so geschehe es!“

„Als aber das Mägdlein dreijährig geworden war, da sprach Joachim: Wir wollen herbeirufen unbefleckte Töchter der Hebräer, und sie sollen sämmtlich Lampen nehmen, und diese sollen angezündet sein, damit das Mägdlein sich nicht umkehre und sein Herz dem Tempel des Herrn entfremdet werde.“

„Und sie thaten also, bis daß sie eingetreten waren in den Tempel des Herrn. Und es empfing der Priester das Mägdlein, küßte es und segnete es und sprach: Groß gemacht hat Gott der Herr deinen Namen unter allen Geschlechtern der Erde; in dir wird am Ende der Tage offenbar machen Gott, der Herr, die Erlösung der Söhne Israels.“

„Hierauf gingen ihre Eltern hinab, bewunderten und lobpreiseten Gott, daß sich das Mägdlein nicht nach ihnen umgewendet hatte. Es ward aber Maria im Tempel des Herrn großgezogen wie eine Taube, und sie empfing ihre Nahrung aus der Hand eines Engels.“

Was sonst noch weiter das sogenannte Evangelium des Jakobus erzählt, betrifft nicht mehr die Person der h. Anna. Das Erzählte ist aber in sofern lehrreich genug, als du von dieser gottesfürchtigen Frau hier lernen magst, wie man den Kindersegen zu betrachten hat. Daß Eheleute wünschen, Gott möge ihnen auch Kinder schenken, ist ganz natürlich; aber ob dieser Wunsch vor Gott auch wohlgefällig sei, das hängt davon ab, warum man es wünscht. Wenn du es wünschest wegen des Vergnügens, das Eltern an den Kindern haben, oder weil sie dir eine Stütze im Alter sein können, oder weil du für deinen Namen und dein Vermögen Erben haben möchtest: so ist eben dein Wunsch weltlich und eigennützig. Anna wünschte zwar auch Nachkommenschaft, weil es zu ihrer Zeit und bei ihrer Nation als Schande galt, wenn man keine Kinder hatte; aber die Hauptsache war ihr zuletzt doch, daß sie ein Kind habe, durch welches Gott verherrlicht werde. Sobald sie die Verheißung hatte, daß ihr Wunsch in Erfüllung gehe, so opferte sie alsbald dem Herrn das verheißene Kind, und es war ihr so sehr Ernst damit, daß sie sich willig von dem einzigen, erst drei Jahre alten Kinde trennte, um es im Tempel zur gottgeweihten Jungfrau erziehen zu lassen. Denk’ wohl, wenn du Kinder hast, sie gehören eigentlich Gott, nicht dein; darum erzieh’ sie auch für Gott, dazu hat er sie dir anvertraut und dir eigentlich nur in Pflegschaft gegeben. Frag’ deßhalb ja nicht, wenn es sich um Erziehung, Stand und Versorgung eines Kindes handelt, was vortheilhaft, rühmlich, angenehm sei für das Kind oder dich oder die Familie, sondern was Gottes Wille und Bestimmung sein möge.

Sonst weiß man von dem Leben der h. Anna nichts Sicheres, wohl aber ist die Mutter der seligsten Jungfrau Maria von den ältesten Zeiten her in großer Verehrung gestanden bis auf den heutigen Tag. Die Griechen feiern dreimal im Jahr das Fest der h. Anna. Im Morgenland und Abendland sind Kirchen erbaut worden zu ihrer Verehrung; und es werden viele Wunder erzählt, wodurch denen Hülfe zu Theil wurde, welche die h. Anna um ihre Fürbitte vertrauensvoll angerufen haben.