Interview mit Kardinal Philippe Barbarin ,welcher einen guten Papst abgeben würde!
Die Lichter von LyonBARBARIN:„Wenn die Bürger von Lyon ihre Sorgen und Hoffnungen, ihre Familien, Maria anvertrauen wollen, steigen sie zum Fourvière-Hügel hinauf."
Der derzeitige Primas von Gallien wurde in Rabat, Marokko, geboren. Er wuchs in einer kinderreichen Familie auf (
sechs Schwestern, zwei davon Nonnen, vier Brüder). Fünf Jahre lang war er in Madagaskar fidei-donum-Priester. Ein curriculum vitae, der ebenso vielseitig ist wie die Zwei-Flüsse-Stadt, wo das Gedächtnis der ersten Christen bewahrt wird, die auf französischem Boden den Märtyrertod gestorben sind. Das heutige Lyon ist eine moderne, dynamische Metropole, die einer multiethnischen und pluralistischen europäischen Zukunft entgegen geht.
André Vingt-Trois, der Kardinal von Paris, hat gesagt, der Besuch Benedikts XVI. in Frankreich hätte gezeigt, dass die französische Kirche keineswegs eine Kirche ohne Zukunft ist. Übertriebener Optimismus?PHILIPPE BARBARIN: In der Tat glaube ich, dass man im vergangenen September etwas Neues gesehen hat. Die Schönheit der heiligen Messe, die auf der „Esplanade des Invalides“ zelebriert wurde, war fast schon eine versöhnende Schönheit. Kardinal Tauran hat mir gestanden, nach dem Konzil nie eine schönere Messe erlebt zu haben. Die ergreifende Stille, der Geist des Gebets, die Innerlichkeit. Selbst die Fernseh-Kommentatoren waren von dieser Stille überrascht. Und auch die Traditionalisten kamen nicht umhin, Bewunderung zu empfinden angesichts dieser im römischen Ritus auf lateinisch und französisch mit dem Papst, etwa hundert Bischöfen, zweitausend Priestern und 300.000 Gläubigen gefeierten Messe. Es war eine Gelegenheit, bei der man einen „Ausschnitt“ der Kirche Frankreichs sehen konnte; viele Familien mit Kindern, Menschen, die aus Paris und Umgebung, aber auch von weither zusammengeströmt waren. Junge Menschen voller Elan, die nicht gekommen waren, um den Papst zu sehen, sondern um zu beten und gemeinsam mit dem Papst eine Messe zu feiern. Und auch am Tag danach,
in Lourdes, hatte sich ein christliches Volk eingefunden.
Sprechen wir von Ihrer Diözese: Wie würden Sie die Kirche von Lyon beschreiben?BARBARIN: Vielleicht wie unser großes Stadtfest, die Fête des Lumières.
Am 8. Dezember stellen alle Lyoner zu Ehren der Unbefleckten Empfängnis Lichter in die Fenster. Seit 1852. Damals sollte in der Kirche von Fourvière eine neue Marienstatue eingeweiht werden. Am Morgen tobte ein derart heftiger Sturm, dass das Fest abgesagt werden musste. Am Nachmittag hatte sich das Wetter aber wieder beruhigt und die Stadtbevölkerung, die das Fest mit Ungeduld erwartet hatte, hatte spontan Lichter in die Fenster gestellt und war auf die Straße gelaufen, wo man bis spät in die Nacht den Ruf „Es lebe Maria!“ vernehmen konnte.
Heute ist die Stadt schon Tage vor dem Fest der Unbefleckten Empfängnis in Feststimmung. 3-4 Millionen Franzosen kommen dann in eine Stadt, die 500.000 Einwohner zählt. Schon ab dem 5. Dezember sind die Kirchen bis spät in die Nacht geöffnet und bei den mehr als tausend so genannten „Missionaren des 8. Dezember“ kann jeder beichten und das Evangelium als Geschenk erhalten. Es gibt auch kurze Katechismus-Kurse für jene, die das Katechumenat beginnen wollen. Am 8. Dezember findet auch eine Prozession statt, die von der Kathedrale bis zur Kirche Notre-Dame de Fourvière führt, wo man dann gemeinsam die Messe feiert.
Warum ist die Kirche von Fourvière so wichtig?BARBARIN: Die Basilika Notre-Dame in Fourvière wurde vor anderthalb Jahrhunderten von den Lyonern mit privaten Geldern auf einem Hügel erbaut, wo sie von der ganzen Stadt aus sichtbar ist. Die Lyoner fühlen sich dieser Kirche sehr verbunden, mehr als das bei Sacré-Coeur de Montmartre in Paris der Fall ist, das etwas abgelegen liegt und vor allem von Touristen besucht wird.
Wenn die Bürger von Lyon Maria ihre Sorgen, ihre Hoffnungen und ihre Familien anvertrauen wollen, steigen sie zu ihrer Kirche auf dem Hügel hinauf und finden in ihrem unbefleckten Herzen Wonne und Frieden. Als der Papst starb, sind die Lyoner zu Tausenden nicht zur Kathedrale geströmt, sondern zum Hügel von Fourvière, haben dort um Einlass gebeten und um Mitternacht den Rosenkranz gebetet. Aber auch die Muslime kommen hierher, wenn in ihrer Familie ein Kind geboren wird und sie es Unserer Lieben Frau bringen wollen.
Auch die Freimaurer und Sozialisten kommen mindestens einmal im Jahr hierher, z.B. der derzeitige Bürgermeister…
BARBARIN: Derartige Bräuche findet man auch in vielen anderen französischen Städten, und nicht nur dort. Ich denke beispielsweise an das Fest der hl. Lucia in Sizilien. Auch die Hintergründe sind mehr oder weniger dieselben: 1643 wütete im Süden Frankreichs die Pest, und Lyon stellte sich unter den Schutz Marias. Die Notabeln legten das Gelübde ab, der Jungfrau Maria jedes Jahr einen Ehrerweis zu erbringen, falls sie von der Pest verschont bleiben würden. Seither macht sich am 8. September jedes Jahres, Fest der Geburt Mariens, eine Prozession von Bürgern auf den Weg nach Fourvière, und der Bürgermeister widmet der Muttergottes bei der Messe eine Goldmedaille der Stadt; in den Pfarreien dagegen wird eine Wachskerze gespendet. Nach der Messe werden Ansprachen gehalten. Vom Erzbischof, dem Präsidenten der Fourvière-Stiftung – Professor Jean-Dominique Durand – und dem Bürgermeister, der stets sehr liebenswürdig ist. Vor kurzem hat er Fourvière als einen „Schatz der Menschheit“ bezeichnet, „den wir gemeinsam bewahren wollen.“ Am Schluss erteilt der Erzbischof der Stadt dann vom Hügel aus seinen Segen.
Sie haben bisher von außergewöhnlichen Dingen und Umständen gesprochen. Wie aber sieht das Alltagsgesicht der Kirche in Lyon aus?BARBARIN: Wie in vielen anderen Teilen Frankreichs gibt es Situationen, in denen man sozusagen das Gefühl hat, dass alles abbröckelt. Der Karmel, die Jesuiten, viele Kongregationen und religiöse Gemeinschaften, die unter einem Berufungsmangel leiden. Auch auf dem Fourvière-Hügel sieht man viele Ordenshäuser mit der Aufschrift „Zu verkaufen“… Das ist sehr schmerzlich. Gleichzeitig gibt es aber auch viele neue Dinge, neue Gemeinschaften. Vor allem in den ländlichen Gebieten kann es vorkommen, dass die Kirchen leer sind: Die Jugendlichen und die katholischen Familien gehen in der Stadt zur Messe, wo die Liturgie in den neuen Gemeinschaften „charmanter“ ist. Es ist eine Sünde, denn so riskiert man, Situationen zu schaffen, aus denen es nur schwer einen Ausweg gibt.
Sie können also kein Wiederaufleben des gewöhnlichen Pfarreilebens feststellen?BARBARIN: Viele meiner Pfarreien in Lyon sind in einem desolaten Zustand. Aber es gibt mindestens zehn, die sehr lebendig sind. In einigen davon sind die neuen Gemeinschaften präsent, in vielen ist zumindest ein zufriedener Priester, und das sieht man
In den Pariser Kirchen ist eine deutliche Zunahme der Immigranten zu verzeichnen, was natürlich bedeutet, dass auch die Pariser Pfarreien eine Veränderung durchmachen. Gilt das auch für Lyon?BARBARIN: In meiner Diözese gibt es mindestens dreißig farbige Priester. Fünf sind Pfarrer. Und man kann sehen, dass sie ehrlich motiviert sind, die Franzosen mit ihrem unermüdlichen Einsatz sozusagen „aufrütteln“ wollen … Sie hauchen totgelaufenen und überholten Situationen neues Leben ein.
Lyon ist auch die Stadt des hl. Irenäus, der hl. Blandine, der jungen Sklavin, und der anderen Märtyrer dieser Stadt. Wenn man aber in die ihnen geweihte Basilika kommt, hat man den Eindruck, dass ihr Gedächtnis verloren gegangen ist. Die Kirchentür ist zugesperrt. Wenn man hinein will, muss man sich aufschließen lassen.
BARBARIN: Das stimmt nicht ganz. Blandine und die Märtyrer von Lyon sind sogar sehr wichtig. Besonders der hl. Irenäus. Als Metropolit Kyrill, der inzwischen der neue Patriarch von Moskau geworden ist, nach Lyon kam, besuchte er auch die Kathedrale. Und am Wichtigsten war es ihm, das Grab des Irenäus zu besuchen. Wichtiger als die Konferenzen und Treffen mit den Kirchenmännern unserer Zeit. Als ich 2004 in den Etschmiadzin reiste, hat mich der Katholikos Karekin II. gebeten, dort drei Vorträge über den hl. Irenäus zu halten, der ein ökumenischer Kirchenlehrer ist. Und ein Heiliger, den alle christlichen Kirchen vor der Spaltung gemeinsam hatten. Für ihn empfinden alle tiefe Bewunderung; Lyon ist für diesen Heiligen bekannt. Die Basilika St. Irenäus ist der Ort unserer Weihen, wie in Rom St. Peter. Dieses Jahr, bei der Versammlung der Priester am Aschermittwoch, werden wir uns mit dem Pauluskommentar des hl. Irenäus beschäftigen. Irenäus wird in all unsere kirchlichen Belange mit einbezogen. Das ist normal. Seine sterblichen Überreste sind zusammen mit denen der Märtyrer der vergangenen Jahrhunderte in einem Ossarium aufbewahrt; in den Religionskriegen zwischen Katholiken und Protestanten hatten sich ihre Spuren zeitweilig verloren.
Die lefebvrianischen Kapuziner von Morgon haben mir gesagt, von Ihnen, einem aufgeschlossenen und „ökumenischen“ Bischof, besser behandelt worden zu sein als von anderen Bischöfen, die sich gerne als „Rigoristen“ geben.BARBARIN: Ich habe sie oft in meinem Erzbischofssitz empfangen. Anfang Februar habe ich ihnen aus Rom sogar eine Ansichtskarte geschickt und ihnen mitgeteilt, dass ich am Grab des Apostels Petrus für sie, für die Einheit, gebetet habe. „Ich habe am Grab des Petrus darum gebetet, dass ihr die ausgestreckte Hand des Papstes ergreift“, habe ich Fellay, den Kapuzinern von Morgon und den Mitbrüdern meiner altgläubigen Gemeinschaft in Lyon geschrieben. Ich weiß nicht, was in ihren Köpfen und in ihren Herzen vorgeht. Sie haben sicher interne Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Ich habe mich am Telefon mit dem Oberen meiner altgläubigen Gemeinschaft in Lyon unterhalten, der bei jeder Messe meinen Namen nennt, wenn er pro episcopo nostro Philippo betet. Er hat zu mir gesagt: Eminenz, ich lese die Konzilskonstitution Gaudium et spes jetzt mit viel größerer Aufmerksamkeit. Ich hoffe auf eine Rückkehr zum Papst in vollem Gehorsam. Das nur, um zu erklären, dass es auch für viele von ihnen eine Zeit des Aufruhrs ist, die ihre Gewissen auf den Plan ruft.
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