Kardinal Sarah: Europa hat sich selbst vergiftet
Der nachfolgende Text aus dem neuen deutschen Buch von Kardinal Sarah "Herr bleibe bei uns: Denn es will Abend werden" ist am 25. September im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt erschienen.
Von Kurienkardinal Robert Sarah
Der Kampf gegen die Verschmutzung von Luft und Wasser, für die Bewahrung der natürlichen Ressourcen ist ein berechtigtes Anliegen der Gesellschaft und das Ziel einer neuen Wissenschaft, der Ökologie. Aber es gibt noch andere Gefahren, die unsere Zukunft bedrohen: die vielen Formen von moralischer Verschmutzung. Auch sie vergiften die Luft, die wir einatmen. Sie deformieren unser Gewissen, verzerren unsere Urteilskraft und unsere Sensibilität, pervertieren die reale Liebe, treiben die Menschheit in den Untergang. Der Ort, von dem diese moralische Verschmutzung ausgeht, ist der Westen, und deshalb läuft er Gefahr zu verschwinden, wie damals das antike Rom.
Für die Jünger der Postmoderne sind die traditionellen Werte der jüdisch-christlichen Kultur überholt, unnütz, gefährlich. Noch nie wurde die Familie so verächtlich gemacht. Unter dem Deckmantel von Humanismus und Brüderlichkeit wird die Würde des Menschen mit Füβen getreten. Der Sittenverfall und die Gewalt gegen Frauen haben einen Punkt erreicht wie wohl noch nie zuvor. Der Westen ist mit Gedanken vergiftet, die unser Gewissen verbilden und unser Empfinden pervertieren.
Immer gab es Bosheit, Gewalt, Verbrechen und sexuelle Perversion. Mit Sicherheit gab es Epochen in der Geschichte, als das Hässliche, Brutale, Obszöne, Niederträchtige, als erotische Zügellosigkeit und Sexbesessenheit ebenso den Ton angaben wie heute. Aber im Gegensatz zu jenen Zeiten herrscht heute eine institutionalisierte hedonistische Kultur, welche die Lebensgrundlagen unserer Nachwelt bedroht. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Jugendlichen sich in einer Welt unbestrittener, von der jüdisch-christlichen Zivilisation überlieferter Werte bewegten. Heute werden diese Werte als unangebracht und veraltet abgetan, ja sogar bekämpft.
Indem der Westen sich auf die Vernunft beruft, versucht er, die »alte Welt« zu überwinden. Das grösste Drama unserer Zeit ist die Verwechslung von Gut und Böse. Unser Geist vermag nicht mehr klar zu unterscheiden. Unser Verstand hat vergessen, was der Menschennatur, was unserem Wesen schadet und was nicht. Zu viele junge Leute - aber auch Erwachsene - verkennen die Bedeutung ethischer Grundsätze oder lehnen sie kategorisch ab. Wir haben den Kompass verloren, an dem wir unser moralisches Urteil ausrichten sollten. Wenn die Vernunft der einzige Maβstab bleibt, um die Wahrheit zu finden, wird sie sich in Sumpf und Nebel verlieren, unser Blick wird verdunkelt und schlieβlich vermögen wir uns der Wahrheit nicht mehr zu öffnen.
Der westliche Mensch vergiftet sich selbst. Wir können eine auffällige Parallele ziehen zwischen der Verschmutzung der Umwelt und jener des Menschen. Wir wissen, dass wir gewisse Chemikalien nicht benutzen sollten, die unsere landwirtschaftlichen Erträge steigern, und tun es trotzdem. Ähnliches können wir im Bereich der Moral beobachten: Die Menschen haben den Sinn für das Absolute verloren. Wir stecken in einem betäubenden Relativismus fest. Also zerstreuen wir uns, werden deprimiert und finden nicht mehr auf den rechten Weg zurück.
Es gibt eine neue Form von kultureller Diktatur und Kolonisation, welche in einem Teil der Bevölkerung Groll erweckt.
Dieser Krieg der Werte ist dramatisch. Weil Europa seine christlichen Wurzeln leugnet, fehlt ihm das gemeinsame Fundament. Immer tiefer versinkt es in Gewalt und Kommunitarismus. Am Horizont zeichnen sich bereits Bürgerkriege ab. Die Nationen lösen sich auf, Eigentümlichkeiten verschwinden. Die Bürger flüchten in künstliche Ideale und verwechseln dann ihre Gefühle mit einem Gemeinschaftsprojekt. Im Namen von Modernität und Fortschritt wird alles niedergebrannt, was an die Vergangenheit erinnert.
Es geht mir nicht darum, wehmütig einer längst vergangenen Zeit nachzutrauern. Doch es ist wichtig, dass die jungen Menschen eine klare Identität haben, dass sie sich als Erben eines groβen Vermächtnisses wissen und ihre Geschichte kennen. Ich glaube, dass die Jugendlichen im Abendland sich im Grunde nach einer Welt sehnen, wo nicht jede Generation wieder mühsam bei Null anzufangen braucht. Wir müssen ihnen die Freiheit zurückgeben, auf die Sicherheiten und erfahrungsgesättigten Regeln ihrer Väter zurückzugreifen. Wie mühselig ist es, stets alles neu erfinden zu müssen. Erbe sein, also empfangen dürfen ist auch eine Form von Freiheit.
Aber was bietet man uns stattdessen an? Die Verfechter von Gender wollen die Familie zerstören. Die Gender-Theorie strebt sogar noch eine entscheidende weitere Stufe an: Sie entwickelt sich zur Queer-Bewegung. Diese begnügt sich nicht mit der Dekonstruktion des Subjekts; sie ist vor allem an der Dekonstruktion der sozialen Ordnung interessiert. Sie möchte Chaos in die sexuelle Identität und Orientierung bringen, möchte Misstrauen gegen Regeln säen, welche bislang als Erbe und Ausdruck der Menschennatur betrachtet wurden. Letztlich will sie die Kultur und die gesellschaftlichen Bindungen von innen her ummodeln, indem sie den Umgang mit Sexualität völlig verändert.
Bewährte Strukturen unserer Gesellschaft werden angegriffen; man verdammt sie zum langsamen Absterben. Ich denke, dass wir mit der Vernichtung des Humanen nun eine neue Schwelle erreichen. Die westlichen Menschen sind fast immer beschäftigt, sie haben einen hellen, doch unruhigen Kopf, sind nie mit sich selbst zufrieden, streben nach ständiger Verbesserung ihrer selbst und der Mitmenschen. Wir müssen ihnen unbedingt helfen, zur Ruhe zu kommen, indem sie demütig, aber beherzt ihre Schwachheit und ihre Grenzen anerkennen.
Der moderne Mensch ist ein unreflektierter Konsument. Der Überfluss und die Anreize der Werbung betören ihn, maβlos zu genieβen. Früher oder später gehen ihm die Augen auf, er blickt auf seine jämmerliche Existenz und stellt fest, dass er den Himmel nicht mehr sehen kann.
Er ist in einem Teufelskreis gefangen: Produzieren, Verbrauchen, mehr Produzieren und noch mehr Verbrauchen.
Der Mensch leidet an materiellem Übergewicht. Doch auf geistiger Ebene ist er so orientierungslos wie ein Landstreicher. Über einen langen Zeitraum hinweg kannte er kein Unglück; das Universum schien ihm voller materieller Versprechungen.
Der Niedergang unserer Gesellschaft hüllt die Menschen nach und nach in angsteinflöβenden Nebel: Die Institutionen, die Kulturen, die geschichtlichen Zusammenhänge verschwinden unaufhaltsam.
Wir müssen uns dem Anblick der Ruinen des Forum Romanum aussetzen, um die Endlichkeit der Zivilisationen zu erkennen.
Der Selbstmord des Westens ist dramatisch. Er hat zu viel preisgegeben: Er hat keine Kraft mehr, keine Kinder, keine Moral, keine Hoffnung. Das führt die gesamte Menschheit in eine Sackgasse. Hoffnung auf Überleben gibt es nur noch, wenn der Westen zu dem zurückfindet, der von sich gesagt hat: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.« (Joh 14,6)
Das Abendland geht seinem Untergang entgegen, weil die Christen ihre Sendung aufgegeben haben. Sie blicken nicht mehr gen Himmel, sondern sind Geiseln von neuen Paradigmen. Sie passen sich der Welt an. Selbst das Gebetsleben, welches sie doch stärken und nähren, ihnen Ausstrahlung verleihen sollte, wird immer mehr von Show und Sensation geprägt. Zweitausend Jahre hindurch hat das Gebet das Leben der Heiligen und aller Jünger Jesu Christi getragen. Das Gebet ist das einzige groβe Heilmittel.
Von Kurienkardinal Robert Sarah
Der Kampf gegen die Verschmutzung von Luft und Wasser, für die Bewahrung der natürlichen Ressourcen ist ein berechtigtes Anliegen der Gesellschaft und das Ziel einer neuen Wissenschaft, der Ökologie. Aber es gibt noch andere Gefahren, die unsere Zukunft bedrohen: die vielen Formen von moralischer Verschmutzung. Auch sie vergiften die Luft, die wir einatmen. Sie deformieren unser Gewissen, verzerren unsere Urteilskraft und unsere Sensibilität, pervertieren die reale Liebe, treiben die Menschheit in den Untergang. Der Ort, von dem diese moralische Verschmutzung ausgeht, ist der Westen, und deshalb läuft er Gefahr zu verschwinden, wie damals das antike Rom.
Für die Jünger der Postmoderne sind die traditionellen Werte der jüdisch-christlichen Kultur überholt, unnütz, gefährlich. Noch nie wurde die Familie so verächtlich gemacht. Unter dem Deckmantel von Humanismus und Brüderlichkeit wird die Würde des Menschen mit Füβen getreten. Der Sittenverfall und die Gewalt gegen Frauen haben einen Punkt erreicht wie wohl noch nie zuvor. Der Westen ist mit Gedanken vergiftet, die unser Gewissen verbilden und unser Empfinden pervertieren.
Immer gab es Bosheit, Gewalt, Verbrechen und sexuelle Perversion. Mit Sicherheit gab es Epochen in der Geschichte, als das Hässliche, Brutale, Obszöne, Niederträchtige, als erotische Zügellosigkeit und Sexbesessenheit ebenso den Ton angaben wie heute. Aber im Gegensatz zu jenen Zeiten herrscht heute eine institutionalisierte hedonistische Kultur, welche die Lebensgrundlagen unserer Nachwelt bedroht. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Jugendlichen sich in einer Welt unbestrittener, von der jüdisch-christlichen Zivilisation überlieferter Werte bewegten. Heute werden diese Werte als unangebracht und veraltet abgetan, ja sogar bekämpft.
Indem der Westen sich auf die Vernunft beruft, versucht er, die »alte Welt« zu überwinden. Das grösste Drama unserer Zeit ist die Verwechslung von Gut und Böse. Unser Geist vermag nicht mehr klar zu unterscheiden. Unser Verstand hat vergessen, was der Menschennatur, was unserem Wesen schadet und was nicht. Zu viele junge Leute - aber auch Erwachsene - verkennen die Bedeutung ethischer Grundsätze oder lehnen sie kategorisch ab. Wir haben den Kompass verloren, an dem wir unser moralisches Urteil ausrichten sollten. Wenn die Vernunft der einzige Maβstab bleibt, um die Wahrheit zu finden, wird sie sich in Sumpf und Nebel verlieren, unser Blick wird verdunkelt und schlieβlich vermögen wir uns der Wahrheit nicht mehr zu öffnen.
Der westliche Mensch vergiftet sich selbst. Wir können eine auffällige Parallele ziehen zwischen der Verschmutzung der Umwelt und jener des Menschen. Wir wissen, dass wir gewisse Chemikalien nicht benutzen sollten, die unsere landwirtschaftlichen Erträge steigern, und tun es trotzdem. Ähnliches können wir im Bereich der Moral beobachten: Die Menschen haben den Sinn für das Absolute verloren. Wir stecken in einem betäubenden Relativismus fest. Also zerstreuen wir uns, werden deprimiert und finden nicht mehr auf den rechten Weg zurück.
Es gibt eine neue Form von kultureller Diktatur und Kolonisation, welche in einem Teil der Bevölkerung Groll erweckt.
Dieser Krieg der Werte ist dramatisch. Weil Europa seine christlichen Wurzeln leugnet, fehlt ihm das gemeinsame Fundament. Immer tiefer versinkt es in Gewalt und Kommunitarismus. Am Horizont zeichnen sich bereits Bürgerkriege ab. Die Nationen lösen sich auf, Eigentümlichkeiten verschwinden. Die Bürger flüchten in künstliche Ideale und verwechseln dann ihre Gefühle mit einem Gemeinschaftsprojekt. Im Namen von Modernität und Fortschritt wird alles niedergebrannt, was an die Vergangenheit erinnert.
Es geht mir nicht darum, wehmütig einer längst vergangenen Zeit nachzutrauern. Doch es ist wichtig, dass die jungen Menschen eine klare Identität haben, dass sie sich als Erben eines groβen Vermächtnisses wissen und ihre Geschichte kennen. Ich glaube, dass die Jugendlichen im Abendland sich im Grunde nach einer Welt sehnen, wo nicht jede Generation wieder mühsam bei Null anzufangen braucht. Wir müssen ihnen die Freiheit zurückgeben, auf die Sicherheiten und erfahrungsgesättigten Regeln ihrer Väter zurückzugreifen. Wie mühselig ist es, stets alles neu erfinden zu müssen. Erbe sein, also empfangen dürfen ist auch eine Form von Freiheit.
Aber was bietet man uns stattdessen an? Die Verfechter von Gender wollen die Familie zerstören. Die Gender-Theorie strebt sogar noch eine entscheidende weitere Stufe an: Sie entwickelt sich zur Queer-Bewegung. Diese begnügt sich nicht mit der Dekonstruktion des Subjekts; sie ist vor allem an der Dekonstruktion der sozialen Ordnung interessiert. Sie möchte Chaos in die sexuelle Identität und Orientierung bringen, möchte Misstrauen gegen Regeln säen, welche bislang als Erbe und Ausdruck der Menschennatur betrachtet wurden. Letztlich will sie die Kultur und die gesellschaftlichen Bindungen von innen her ummodeln, indem sie den Umgang mit Sexualität völlig verändert.
Bewährte Strukturen unserer Gesellschaft werden angegriffen; man verdammt sie zum langsamen Absterben. Ich denke, dass wir mit der Vernichtung des Humanen nun eine neue Schwelle erreichen. Die westlichen Menschen sind fast immer beschäftigt, sie haben einen hellen, doch unruhigen Kopf, sind nie mit sich selbst zufrieden, streben nach ständiger Verbesserung ihrer selbst und der Mitmenschen. Wir müssen ihnen unbedingt helfen, zur Ruhe zu kommen, indem sie demütig, aber beherzt ihre Schwachheit und ihre Grenzen anerkennen.
Der moderne Mensch ist ein unreflektierter Konsument. Der Überfluss und die Anreize der Werbung betören ihn, maβlos zu genieβen. Früher oder später gehen ihm die Augen auf, er blickt auf seine jämmerliche Existenz und stellt fest, dass er den Himmel nicht mehr sehen kann.
Er ist in einem Teufelskreis gefangen: Produzieren, Verbrauchen, mehr Produzieren und noch mehr Verbrauchen.
Der Mensch leidet an materiellem Übergewicht. Doch auf geistiger Ebene ist er so orientierungslos wie ein Landstreicher. Über einen langen Zeitraum hinweg kannte er kein Unglück; das Universum schien ihm voller materieller Versprechungen.
Der Niedergang unserer Gesellschaft hüllt die Menschen nach und nach in angsteinflöβenden Nebel: Die Institutionen, die Kulturen, die geschichtlichen Zusammenhänge verschwinden unaufhaltsam.
Wir müssen uns dem Anblick der Ruinen des Forum Romanum aussetzen, um die Endlichkeit der Zivilisationen zu erkennen.
Der Selbstmord des Westens ist dramatisch. Er hat zu viel preisgegeben: Er hat keine Kraft mehr, keine Kinder, keine Moral, keine Hoffnung. Das führt die gesamte Menschheit in eine Sackgasse. Hoffnung auf Überleben gibt es nur noch, wenn der Westen zu dem zurückfindet, der von sich gesagt hat: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.« (Joh 14,6)
Das Abendland geht seinem Untergang entgegen, weil die Christen ihre Sendung aufgegeben haben. Sie blicken nicht mehr gen Himmel, sondern sind Geiseln von neuen Paradigmen. Sie passen sich der Welt an. Selbst das Gebetsleben, welches sie doch stärken und nähren, ihnen Ausstrahlung verleihen sollte, wird immer mehr von Show und Sensation geprägt. Zweitausend Jahre hindurch hat das Gebet das Leben der Heiligen und aller Jünger Jesu Christi getragen. Das Gebet ist das einzige groβe Heilmittel.