Moskau, Schutzwall gegen die Dschihadisten von Thierry Meyssan

Moskau, Schutzwall gegen die Dschihadisten

von Thierry Meyssan

Damaskus (Syrien) | 29. Februar 2016

Thierry Meyssan
Französischer Intellektueller, Präsident und Gründer des Réseau Voltaire und der Konferenz Axis for Peace. Er veröffentlicht Analysen über ausländische Politik in der arabischen, latein-amerikanischen und russischen Presse. Letztes, auf Französisch veröffentlichte Werk : L’Effroyable imposture : Tome 2, Manipulations et désinformations (hg. JP Bertand, 2007).

Seit 2012 versucht Moskau den Westen für seine Sache zu mobilisieren: die Zivilisation gegen den Dschihadismus zu verteidigen, wie einst sich die Welt gegen den Nationalsozialismus vereint hatte. Dafür hat es zuerst das Weiße Haus von den Kämpfern getrennt, die es als "Dschihadisten" betrachtet und welche die Vereinigten Staaten aber "Rebellen" heißen. Heute versucht es, die Türkei zu isolieren. Mehr als ein diplomatisches Epiphänomen, markiert die Einstellung der Feindseligkeiten in Syrien eine Wende der Situation. Washington hat zugegeben, dass es keine ’moderaten‘ bewaffneten Gruppen gibt, - oder sie nicht mehr gibt -.

Voltaire Netzwerk | Damaskus (Syrien) | 29. Februar 2016

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Demonstration vor der Botschaft der Russischen Föderation in Damaskus.
Zu Unrecht analysieren wir die russische Politik aus arabischer oder westlicher Sicht. Russland hat seine eigene Erfahrung mit Dschihadisten, die es seit 1978 kennt, als sie kamen, um den afghanischen Paschtunen gegen die kommunistische Regierung in Kabul Vorschub zu leisten.
Wladimir Putin bekämpfte persönlich die Dschihadisten des Kaukasus, besonders das islamische Emirat von Itschkeria (Krieg in Tschetschenien 1999-2000), und hat sie besiegt. Damals befürworteten die Araber die russischen Muslime und verstanden nicht, was dort geschah, während die Westler, nach der Auflösung der Sowjetunion, all jenen applaudierten, die versuchten, die Bewegung in der Zerstückelung Russlands weiter voranzutreiben. Allerdings gab es auf dem Boden keinen Unterschied zwischen dem Emirat von gestern und dem Kalifat von heute. Scharia wurde angewendet und man schlug die Köpfe in Grosny genauso ab wie in Rakka.
Gräueltaten der Dschihadisten im Kaukasus. Hier in Dagestan im Jahr 1999.
Heute, trotz der Propaganda, Syrien mache Krieg gegen den Islam oder die Arabische Republik Syrien sei eine "alawitische (sic) Diktatur (SIC!)“ welche Sunniten abschlachte, heute sind die Fakten hartnäckig: die syrische arabische Armee welche die Dschihadisten bekämpft, besteht aus 70 % Sunniten.
Im Jahr 2012, d.h. fast am Anfang des Krieges, zur Zeit als die US-amerikanische DIA das Weiße Haus warnte, was aus Daesh werden sollte, sagte Wladimir Putin, dass Syrien eine "russische nationale Angelegenheit“ geworden sei. Seit dieser Zeit versuchte er, eine internationale Koalition mit den Westlern gegen die Dschihadisten zu erstellen.
Russland erinnert sich, wie sich die Welt in den 1930er Jahren veränderte. Damals war der König von England, Edward VIII, offen ein Nazi. Montagu Norman, der Gouverneur der Bank of England, finanzierte die Machtergreifung von Adolf Hitler mit Geld der britischen Krone [1]. Die Briten dachten so, einen Staat zu unterstützen, der fähig wäre, die Sowjetunion zu stürzen, die den Zar Nicholas II. eliminiert hatte und ihre kapitalistischen Interessen bedrohte. Jedoch während des zweiten Weltkrieges taten sie sich mit Stalin und Mao zusammen, gegen Hitler.
Auf diesen von dem Sun enthüllten Bildern aus Archiven, lehrt der spätere König Edouard VIII die zukünftige Königin Elizabeth II — im Alter von 6 Jahren —, den Nazi-Gruß.
Wladimir Putin hofft die Allianzen von heute umzudrehen, wie es in den Jahren 1936-39 der Fall war. Deshalb hat er sich in den letzten Jahren bemüht, die Amerikaner als "Partner" zu behandeln, obwohl Washington ihn in den Rücken schoss, Demonstrationen in Moskau gegen seine Regierung (2011 / 12) und einen Staatsstreich in der Ukraine (2013-14) organisierte.
Der russische Botschafter Vitali Tschurkin hat am 10. Februar einen Bericht mit Informationen über die Tätigkeiten der Türkei zur Unterstützung der Dschihadisten an alle Mitglieder des Sicherheitsrates verteilt [2]. Dieses zweiseitenlange Dokument stellt ein Dutzend unbestreitbare Tatsachen dar. Es bescheinigt, dass die Türkei ein Schurkenstaat ist, der absichtlich und seit vielen Jahren gegen mehrere Resolutionen der Vereinten Nationen verstößt. Alle diese Tatsachen sind jedoch mit Netzwerken und Agenten verbunden, die schon damals die tschetschenischen Dschihadisten unterstützt hatten. Seinerzeit war der türkische Staat als solcher nicht beteiligt, es war die Partei der Wohlfahrt (Refah). Zur jetzigen Zeit, da die Refah Partei aufgelöst wurde, ist Platz für die AKP. Die Männer der AKP sind an der Macht, der türkische Staat ist involviert [3].
Beharrlich versucht der russische Bär nun die Türkei von der NATO zu trennen. Von dieser Operation hängt die Zukunft der Menschheit ab. Entweder bleibt die Türkei im Atlantischen Bündnis, und kann weiter die Dschihadisten unterstützen, nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak, Libyen, und schließlich in der ganzen Welt. Oder die NATO geht mit der Türkei auf Distanz, und in diesem Fall vereinen sich die Vereinigten Staaten und die Russische Föderation tatsächlich zur wirksamen Bekämpfung der Dschihadisten, wo immer sie auch sein mögen.
Es scheint, dass es den Russen am 12. Februar gelungen sei, das Weiße Haus von den neo-konservativen und liberalen Falken, die die Türkei und die Dschihadisten unterstützen, zu trennen. Sergej Lawrow und John Kerry haben vereinbart, zwei Arbeitsgruppen einzurichten, deren Vorsitz sie selbst einnehmen, und damit den Vereinten Nationen nur die Rolle des Schreibers überlassen [4]. Mit anderen Worten, Jeffrey Feltman, der seine Funktionen als Nummer 2 der Vereinten Nationen dazu verwendete, um alle Friedens-Anstrengungen seit dreieinhalb Jahren zu sabotieren, wurde ausgeschaltet [5]. Ergebnis: in nur 10 Tagen konnten Russland und die Vereinigten Staaten die Voraussetzungen für die Einstellung der Feindseligkeiten schaffen, welche sich seit 2012 in die Länge zogen [6].
Präsident Putin bestand darauf, den Abschluss der Vereinbarung über die Beendigung der Feindseligkeiten mit den Vereinigten Staaten im Fernsehen persönlich bekannt zu geben.
Diese Einstellung der Feindseligkeiten wurde eindeutig von der „Nationalen Koalition der Streitkräfte der Revolution und der syrischen Opposition“ abgewiesen, welche der Präsident, der Türkisch-Syrier Khaled Khodscha, in einem Brief an den Sicherheitsrat folgendermaßen kommentiert hat: "es ist absolut unverschämt, bilaterale Abkommen mit Russland über "Einstellung der Feindseligkeiten" zu schließen, während diese Vereinbarungen nicht den größten Mörder von Zivilisten in Syrien betreffen, welcher die Russische Föderation ist. Es ist höchste Zeit, dass Russland Syrien verlässt und mit dem brutalen Krieg gegen unsere Mitbürger Schluss macht." [7].
Diese Vereinbarung ist eigentlich eine Falle, um das gesamte System der neo-konservativen und liberalen Falken zu zerstören. Bereits während der Verhandlungen Genf 3 hatte Russland die mangelnde Bereitschaft der von Saudi Arabien und der Türkei unterstützten "Opposition" geduldig hervorgehoben. Diese Opposition hat sich durch ihre Verzögerungstaktik ganz allein diskreditiert. Es ging nicht um ihre Repräsentativität, sondern nur um zu zeigen, dass sie in keiner Weise die Lebensbedingungen der Syrer verbessern, sondern ausschließlich die Arabische Republik Syrien stürzen wollte. Das obige Zitat genügt um sich davon zu überzeugen, da die Einstellung der Feindseligkeiten, im Widerspruch zu den Behauptungen von Herrn Khodscha, Russland betrifft, aber nicht die Gruppen, die von den Vereinten Nationen als Terroristen geführt werden.
Diese Einstellung der Feindseligkeiten soll die Gewaltakteure zur Verantwortung ziehen. Es genügte für sie, sich in Washington oder Moskau registrieren zu lassen, um von den russischen und syrischen Bombardierungen verschont zu bleiben, aber sie hätten in diesem Fall den Sturz der Arabischen Republik Syrien aufgeben müssen und an einem politischen Prozess für ein säkulares und demokratisches Syrien teilnehmen müssen, also den Traum eines islamischen Staates aufgeben. Nur 97 von den 1000 bekannten Katibas, hätten gewagt, an einem Prozess teilzunehmen, der aus ihnen "Verräter" an der türkischen Sache macht und sie als nächste Opfer ihrer ehemaligen Dschihadisten kennzeichnet.
Zudem konnten die Westler nichts Besseres erwarten. Am 15. Dezember 2015 versicherte General Didier Castres, verantwortlich für die französischen externen Operationen, bei einer Anhörung im Senat, dass die Gesamtzahl der gemäßigten Kämpfer voraussichtlich nicht 20 000 überschreite [8]. Der Anteil der syrischen Kämpfer unter allen bewaffneten Gruppen in Syrien, wäre jedoch einem deutschen Nachrichten-Bericht zufolge, von Januar 2016, nur 5 % [9].
Genau wegen dieser Tatsache wurde von Kerry und Lawrow die Einstellung der Feindseligkeiten und nicht ein Waffenstillstand beantragt - dieser zweite Ausdruck ist der einzige mit rechtlichen Folgen -.
Daher muss man Kerrys Antwort auf eine Frage von einem Senator während einer parlamentarischen Anhörung über einen möglichen "Plan B" als eine Ausflucht ansehen. Wenn die Einstellung der Feindseligkeiten nicht funktioniert, kann es keine Partition von Syrien geben, einfach weil der Plan der Einstellung der Kampfhandlungen gezeigt haben wird, dass die Wahl nicht zwischen Damaskus und den ’Rebellen’ liegt, sondern zwischen Damaskus und den "Dschihadisten".
Für die Beraterin von Präsident Al - Assad, sollte der "Plan B" von John Kerry den Kampf gegen die Dschihadisten anstreben.
In der gleichen Logik sagte der luxemburgische Minister für auswärtige Angelegenheiten, Jean Asselborn, dem Spiegel, dass die NATO sich nicht in einen durch die Türkei ausgelösten Krieg gegen Russland einlassen würde [10]. Artikel 5 der Charta der Atlantischen Allianz plant nur dann einen Mitgliedstaat zu unterstützen, wenn er direkt angegriffen wird, nicht aber, wenn er selbst einen Konflikt auslöst [11]. Aussage von Deutschland bei der Daily Mail bestätigt] [12].
Von jetzt ab bereitet sich das Weiße Haus darauf vor, Recep Tayyip Erdoğan zu opfern, der für alle Übel der Region verantwortlich gemacht werden sollte. Der türkische Präsident könnte wie sein Vorgänger Turgut Özal 1993 ermordet werden, oder durch seine Verwandten gestürzt werden. Andernfalls wird sich der Krieg von Syrien in die Türkei verschieben. Wladimir Putin wird sein Ziel erreicht haben: die Frontlinien so zu ändern, dass die Westler an seiner Seite gegen die Dschihadisten kämpfen, obwohl sie sie geschaffen haben.
Wichtige Punkte:
Russland hat sich nicht in Syrien engagiert, um wirtschaftliche Interessen zu verteidigen oder ein Bündnis des Kalten Krieges wieder aufleben zu lassen, sondern um gegen die Dschihadisten zu kämpfen.
Seit 2012 versucht Russland, die Westler von den Dschihadisten zu trennen, die sie erstellt haben, und seit 1978 unterstützen.
Mit dem Abschluss des Abkommens von München stimmte John Kerry zu, Jeffrey Feltman, den Führer der neokonservativen und liberalen Falken bei den Vereinten Nationen, in eine untergeordnete Rolle zu relegieren. Mit dem Vorschlag der Einstellung der Feindseligkeiten, erlaubte er vernünftige syrische Kämpfer von Dschihadisten zu trennen.

Thierry Meyssan
Übersetzung
Horst Frohlich