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Neue Studie: Mißbrauchsverdacht an fast jeder zweiten Schule

(gloria.tv/ KNA) Als im vergangenen Jahr die ersten Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen sowie der Odenwaldschule bekanntwurden, kam der Stein ins Rollen. Von Kerstin Kotterba (KNA).

Die Bundesregierung richtete einen Runden Tisch gegen Kindesmissbrauch ein und Christine Bergmann nahm als Missbrauchsbeauftragte ihre Arbeit auf. Immer mehr Opfer meldeten sich. Doch genaue Zahlen, wieviele Kinder und Jugendliche mit den Folgen eines sexuellen Missbrauchs leben müssen, gab es lange nicht. Seit Mittwoch liegen sie vor - und sind erschreckend hoch, wie die in Berlin vorgestellte Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zeigt.

Die von Bergmann in Auftrag gegebene Untersuchung beleuchtete erstmals die Situation an Schulen und Heimen wissenschaftlich. Demnach wurde in den vergangenen drei Jahren an fast jeder zweiten Schule ein Missbrauchsverdacht bekannt. Noch dramatischer ist es in Heimen: In mehr als zwei Drittel der Einrichtungen (70 Prozent) gab es mindestens einen Verdachtsfall. Vor allem die Mädchen werden Opfer der Übergriffe - mehr als 70 Prozent.

Durch die Studie und die Häufigkeit der Fälle wird klar: Sexueller Missbrauch ist kein Einzelfallproblem, sondern macht vor keiner Institution Halt. Dass die Zahl der Missbrauchsfälle sogar noch höher liegt, davon gehen sowohl das DJI wie Bergmann aus, denn die Dunkelziffer sei hoch. Viele Betroffene scheuen sich aus Angst vor Stigmatisierung, über das Erlebte zu sprechen. Doch nicht zuletzt durch die große Aufklärungskampagne der Missbrauchsbeauftragten mit Plakaten und TV-Spots ist das Thema raus der Tabu-Ecke. Inzwischen brechen immer mehr Menschen brechen ihr Schweigen: Allein in der Hotline-Beratungsstelle, die die Missbrauchsbeauftragen im Mai 2010 eingerichtet hat, gehen noch täglich rund 50 Anrufe ein; 18.500 Missbrauchsbetroffene haben sich bisher gemeldet.

Sexuelle Übergriffe geschehen zum großen Teil im heimischen Umfeld, in der Familie oder im Bekanntenkreis: In den Schulen war in rund vier Prozent der Fälle Personal in Verdacht, in Heimen immerhin in zehn Prozent der Fälle. Gleichaltrige spielen eine noch größere Rolle: Sie waren an Schulen in 16 bis 17 Prozent der Fälle in Verdacht, bei Übergriffen an Heimen waren es sogar 38,9 Prozent. Der größte Teil der Tatverdächtigen kam aber aus dem privaten Umfeld. In bis zu 32 Prozent der Fälle, auf die Schulen aufmerksam wurden, galten Verwandte oder Bekannte als Tatverdächtige, bei Heimen lag die Quote bei 48,5 Prozent.

Lediglich zehn Prozent der Missbräuche geschehen beispielsweise direkt in Heimen. Die emotionale Nähe zwischen Opfer und Täter verhindert es laut Bergmann oft, dass ein Missbrauchsfall aufgedeckt wird. «Je schwerer die sexuelle Gewalt ist und je länger sie andauert, um so seltener öffnen sich die Kinder», so die Missbrauchsbeauftragte.

Bergmann fordert nun konkrete Konsequenzen für die Aus- und Fortbildung von Pädagogen: «Eine zusätzliche Qualifizierung und Sensibilisierung der Lehrkräfte ist dringend notwendig.» Auch Vertrauenspersonen im Sport oder der Freizeit sollten ausgebildet sein, um auf Fälle von Kindesmissbrauch angemessen reagieren zu können. «Rund 50 Prozent der Fälle werden über die Kinder selbst gemeldet», so Bergmann. Dann sei es wichtig, zu handeln: «Die Lehrer müssen wissen, wie sie mit Kindern umgehen, die ihnen von Missbrauch berichten.»

Überdies sieht Bergmann einen dringenden wissenschaftlichen Forschungsbedarf zu dem Thema. Denn Missbrauch habe viele Facetten. Die vorliegende Untersuchung in Heimen, Internaten und Schulen beleuchte nur einen kleinen Teil, so Bergmann. Auch in Behinderteneinrichtungen, Kinder- und Jugendpsychiatrien sowie in der Jugendarbeit würden wohl täglich Kinder zum Opfer, so die Studie. Demzufolge wären auch Daten für Kinder mit Migrationshintergrund oder zu Missbrauch bei religiösen Riten notwendig. Eine breite wissenschaftliche Analyse ist nicht zuletzt deshalb wichtig, um eine effektive Präventionsarbeit aufzubauen - damit die Missbrauchszahlen endlich sinken.
Bridget
OH HERR HILF!!!!ERBARME DICH!!!