Interview

Marc Walder: «Der Satz war unglücklich – er war überflüssig»

Vor einem Jahr machte Ringier-CEO Marc Walder öffentlich eine Aussage, die ihn nun eingeholt hat. Er kritisierte den harten Kurs der deutschen «Bild»-Zeitung und sagte, seine Titel seien gehalten, den Pandemiekurs der Regierung zu stützen. Nun relativiert er einen Teil seiner Ausführungen und entschuldigt sich bei «Bild».

Christina Neuhaus
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«Der Ausschnitt aus dem Video, das seit einigen Tagen zirkuliert, hat zu Missinterpretationen geführt», sagt Marc Walder.

«Der Ausschnitt aus dem Video, das seit einigen Tagen zirkuliert, hat zu Missinterpretationen geführt», sagt Marc Walder.

Gian Marco Castelberg

Herr Walder, Sie haben an einem Business-Talk gesagt, Sie hätten die Redaktionen des Ringier-Konzerns dazu angehalten, die Massnahmenpolitik der «Regierung» zu stützen. Wie ist diese Äusserung zu verstehen? Als Aufforderung? Als Befehl? Als Bitte?

Ich beantworte Ihre Frage gleich. Darf ich erst etwas zur Einordnung meiner Aussage sagen?

Bitte.

Ringier hat sehr früh eine klare Haltung im Umgang mit der Pandemie entwickelt. Wir haben jedem unserer 3000 Mitarbeiter eine Schachtel mit Masken geschenkt, als diese noch Mangelware waren. Wir waren eines der ersten Unternehmen der Schweiz, die ins Home-Office gingen. Wir haben sehr früh 3 G und Anfang Dezember 2021 als Erste 2 G eingeführt. Unsere klare Haltung war: Covid ist nicht einfach eine Grippe. Wir befolgen und stützen Massnahmen wie Distanzhalten, Maskentragen, Testen, Impfen, Boostern sowie die Einführung von 2 G und 3 G proaktiv.

Und diese Haltung haben Sie auch den Redaktionen Ihres Konzerns verordnet?

Nein. Die Besitzer-Familie, der Verwaltungsrat, das Management und die Redaktionen waren und sind sich seit Beginn der Pandemie bei diesen fundamental wichtigen Punkten einig. Dieser Dialog zwischen dem Management und den Redaktionen – sei es bei einem Kaffee oder bei einem Abendessen – war stets wichtiger Teil der Kultur in diesem Unternehmen. In unserem Code of Conduct wiederum steht klar, dass die Redaktionen erstens die Hoheit über die Berichterstattung haben und zweitens auch die publizistische Verantwortung dafür tragen.

Ringier besitzt Medienhäuser in Ländern, deren Massnahmenpolitik nicht halb so freiheitlich orientiert ist wie die der Schweiz, etwa in Ungarn. Will Ringier auch solche Regierungen unterstützen?

Diese Aussage war missverständlich formuliert. Das war ein Fehler. Die Redaktionen von Ringier stützen sinnvolle und wichtige Massnahmen wie Maskentragen, Testen und Impfen.

Sie wussten offenbar, wie brisant Ihre Aussagen sind. Sie baten die Zuhörer darum, dass Ihre Ausführungen «im kleinen Kreis» blieben.

Der Ausschnitt aus dem Video, das seit einigen Tagen zirkuliert, hat zu Missinterpretationen geführt, was ich verstehen kann. Der Satz war unglücklich. Er war überflüssig. An meiner Aussage ist ja nichts Geheimes dran. Doch auf die Tatsache, dass unsere Publikationen nicht auf billigen Empörungsjournalismus setzen, sondern faktenorientiert und sachlich über die Notwendigkeit verschiedener Massnahmen schreiben, bin ich stolz. In einer Pandemie, die Millionen von Menschen das Leben gekostet hat, in einer medizinischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise, haben die Medien eine übergeordnete Verantwortung.

Machen wir ein Gedankenexperiment. Ein Medienkonzern unterstützt die Bemühungen um die Bewältigung der Klimakrise. Dann erscheint eine Studie, in der steht, dass die Investitionen in grüne Energie zu massiv höheren Heiz-, Miet- und Fahrkosten führten und Menschen in die Armut trieben. Sollen die Redaktionen diese Fakten nun schönschreiben?

Nein, natürlich nicht. Doch angesichts der absolut aussergewöhnlichen Lage, in der wir uns wegen Corona befinden, sollte sich ein Medienhaus an übergeordneten Werten orientieren dürfen. Das ist ein altmodischer Begriff, ich weiss, aber ein wichtiger.

Die Medien haben als vierte Gewalt die Aufgabe, auch Regierungsentscheide kritisch zu hinterfragen. Wie glaubwürdig sind Medien, die der Regierung nach dem Mund reden?

Wir reden der Regierung doch nicht nach dem Mund. Die Blick-Gruppe hat immer wieder fundamental kritische Artikel über die Pandemiepolitik des Bundesrats publiziert. Ich selbst habe – was eher selten vorkommt – die Landesregierung in zwei Leitartikeln harsch kritisiert. Im ersten ging es um die Versäumnisse bei der Digitalisierung, im zweiten um zu frühe Öffnungsschritte.

Freie Medien können ihre Aufgabe nur wahrnehmen, wenn sie redaktionell unabhängig sind. Einer Zeitung, die immer positiv über die Regierung berichtet, glaubt man irgendwann nicht mehr – auch wenn es tatsächlich Positives zu vermelden gibt.

Natürlich. Doch lassen Sie mich erwähnen, dass der Initiant dieser Debatte der Geschäftsführer eines Abstimmungskomitees gegen das Medienpaket ist. Man tut nun so, als ob die Blick-Gruppe nie kritisch über die Massnahmenpolitik geschrieben hätte.

Der Verfasser des Artikels ist der ehemalige «Weltwoche»-Journalist und heutige Kommunikationsspezialist Philipp Gut*. Mit Ihrer Aussage machen Sie das, was seit der Pandemie gerade auf sozialen Netzwerken immer häufiger passiert: Sie stellen die Objektivität und den Wahrheitsgehalt eines Artikels infrage, weil Ihnen der Absender suspekt ist. Das ist eine gefährliche Tendenz.

Ich bin einverstanden mit Ihrer Analyse. Diese Tendenz ist bedenklich. Ich wollte mit meinem Hinweis auf die Autorenschaft lediglich zur Transparenz beitragen.

Im Video kritisieren Sie auch die deutsche «Bild»-Zeitung für deren harte Kritik am Kurs der deutschen Regierung. Sie stellen die Berichterstattung in einen Zusammenhang mit ausgearteten Demonstrationen von Massnahmengegnern. Sollen Medien über Vorgänge, die zwar verstörend, aber relevant sind, nicht mehr berichten?

Für diese unglückliche Aussage gegenüber «Bild» möchte ich mich entschuldigen. Und: Natürlich sollen Medien berichten.

Apropos Transparenz: Gerade der «Blick» ist sehr nah an Alain Berset. Die Redaktion kannte das Ausmass der beschlossenen Massnahmen meistens zuerst. Können Sie ausschliessen, dass dieser Informationsvorsprung auf die regierungsfreundliche Berichterstattung zurückzuführen ist?

Ich kann mir kaum vorstellen, dass der «Blick» einen bevorzugten Zugang zu Informationen aus dem Departement des Innern hat oder zu Informationen eines anderen Departementes. Dass es immer wieder zu Indiskretionen kommt, von denen die Medien profitieren, ist aber nichts Neues.

Eine der ersten Personen, die sich in Ihrem neuen Magazin «Interview by Ringier» ausführlich äussern, ist Gesundheitsminister Alain Berset. Nach betont kritischer Distanz klingt das nicht.

Das Gespräch mit Bundesrat Alain Berset war nur eines von vielen Bundesratsinterviews. Bei 20 Medienmarken sind Bundesrätinnen und Bundesräte selbstredend immer wieder Teil der Berichterstattung. Am Wochenende hat sich beispielsweise der neue Bundespräsident, Ignazio Cassis, im «Sonntags-Blick» in einem grossen Interview geäussert.

Ringier gehört zu den grossen Profiteuren des Medienpakets, das der Verlag befürwortet. Was sagen Sie zu den Vorwürfen, die journalistische Zurückhaltung sei auch der bevorstehenden Abstimmung geschuldet?

Erstens: Der Ringier-Konzern ist kein grosser Profiteur. Wir würden zwischen 5 und 8 Millionen Franken erhalten, das ist im Verhältnis zur Grösse des Konzerns kein substanzieller Beitrag. Das Medienpaket ist vor allem für kleinere Verlage existenziell. Davon bin ich überzeugt. Zweitens: Der Vorwurf, dass Medien schrieben, was Bern wolle, ist nicht nachvollziehbar. Bern ist ja kein konsolidierter Block, sondern ein Gefüge aus Vertretern der SP, der Grünen, der Mitte, der FDP und der SVP. Der Schweizer Bundesrat wiederum ist eine Multi-Parteien-Regierung.

In den sozialen Netzwerken haben Ihre Aussagen zu zweierlei Reaktionen geführt: Massnahmenkritische Menschen sehen sich in ihrem Verdacht bestätigt, dass es eine «Systempresse» gibt. Massnahmenbefürworter finden Ihre Haltung «eigentlich noch gut». Passiert hier nicht gerade das, was Sie verhindern wollten? Eine Spaltung mit zwei Wahrheiten?

Das ist ein bedenkenswerter Einwand. Es war mir von Anfang an ein grosses Anliegen, etwas gegen diese drohende Spaltung der Gesellschaft beizutragen. Ich habe zu Beginn der Pandemie oft den Vorwurf gehört: Ihr berichtet viel zu alarmistisch, Covid ist doch nicht schlimmer als eine Grippe. Das war heftig, glauben Sie mir. Auch wegen dieser Kritik haben wir uns für eine möglichst faktenbasierte Berichterstattung entschieden: Fakten zu Infektionszahlen, Hospitalisierungen, Todesfällen, Impfungen. Sollten Ihre Bedenken zutreffen, würde ich das sehr bedauern.

* Der Artikel von Philipp Gut erschien im «Nebelspalter», wo Gut als Autor schreibt.

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