Müllverbrennungsanlagen sollen in Deutschland künftig in den Emissionshandel einbezogen werden. Damit müssten die Anlagenbetreiber Abgaben für jede Tonne CO₂ bezahlen, die bei der Verbrennung von Abfällen entsteht. So jedenfalls sieht es ein Entwurf der Bundesregierung zur Novelle des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) vor, über den am Freitag im Bundesrat diskutiert wird.
Gelten soll die vom grüngeführten Bundeswirtschaftsministerium vorangetriebene Regelung nach dem Willen der Ampel-Koalition bereits ab Januar 2023. Im ersten Jahr würden dann 35 Euro pro Tonne CO₂ fällig, im Jahr darauf 45 Euro und 2025 sogar 55 Euro.
Doch der Aufschrei ist groß. „Wir können nicht nachvollziehen, dass in der aktuellen Krisenlage, in der die Bundesregierung händeringend nach Entlastungsmöglichkeiten für die Bürger sucht, zusätzliche Belastungen in Milliardenhöhe ausgelöst werden sollen“, schimpft zum Beispiel Ingbert Liebing, der Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), zu dem auch die Entsorgungsbetriebe von Städten und Gemeinden gehören, die zahlreiche Müllverbrennungsanlagen betreiben.
Die entstehenden Kosten schätzt der Branchenverband auf fast eine Milliarde Euro im ersten Jahr. „Diese Belastung müssen wir weitergeben. Das hätte also deutlich höhere Müllgebühren zur Folge“, kündigt Liebing an.
Ähnlich deutlich wird auch der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). „Eine weitere finanzielle Belastung der Mieter durch höhere Abfallgebühren, zusätzlich zu den explodierenden Energiepreisen, ist unverhältnismäßig und unsozial“, sagt Hauptgeschäftsführerin Ingeborg Esser. Zumal die Abgabe überhaupt nicht zielführend sei, weil sie keine Lenkungswirkung entfalte.
Dabei ist ein Schubs von Wirtschaft und Verbrauchern in Richtung umwelt- und klimafreundlicher Technologien das erklärte Ziel des seit Anfang 2021 geltenden nationalen Emissionshandels. Fällig wird ein CO₂-Preis seither schon zum Beispiel für Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas.
Heizen und Tanken mit fossilen Energieträgern sind dadurch bereits vor den Preisexplosionen durch den Ukraine-Krieg spürbar teurer geworden. Die Idee dahinter: Durch eine zielgerichtete Verteuerung wird der Umstieg auf saubere Energien attraktiver und der Ausstoß klimaschädlicher Stoffe reduziert.
Nach Ansicht von VKU und GdW lässt sich dieses Prinzip aber nicht eins zu eins auf den Bereich Abfall übertragen. „Abfälle werden nicht wie Brennstoffe produziert“, erklärt Kommunalvertreter Liebing. „Sie fallen in jedem Fall an und müssen sicher entsorgt werden. Dafür gibt es sogar einen gesetzlichen Entsorgungsauftrag. Mit anderen Worten: Öl kann im Boden bleiben, der Abfall aber nicht in der Tonne. Daran ändert auch ein CO₂-Preis nichts.“
Das meint auch Michael Thews, der für die SPD im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages sitzt und dort Berichterstatter für den Bereich Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschutz ist. „Die Bepreisung von CO₂ ist ein unverzichtbares Instrument für die Defossilisierung. Betreiber von Müllverbrennungsanlagen haben aber keinen Einfluss auf die Menge und Zusammensetzung der Abfälle“, kritisiert der Politiker.
Alleine 50 Prozent der Abfälle seien zum Beispiel Sonderabfälle, Klärschlämme oder Sortierreste, die per Gesetz verbrannt werden müssen und deswegen zwangsläufig CO₂ produzieren. Thews plädiert deswegen dafür, den CO₂-Preis bei den Herstellern von Kunststoff anzusetzen.
„Wird nun die Abfallverbrennung bepreist, muss der Letzte in der Kette den CO₂-Preis entrichten, was keinen Einfluss auf eine kunststoffärmere Abfallzusammensetzung haben wird.“ Im nationalen Alleingang die Kosten bei den Bürgern abzuladen, sei jedenfalls nicht der richtige Weg.
Und Thews sieht neben steigenden Abfallgebühren noch eine zweite Gefahr durch die geplante Novelle: dass Müll künftig in größeren Mengen ins benachbarte Ausland transportiert wird.
Das befürchtet auch Andreas Freund, der Geschäftsführer der Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft Köln (AVG). Allen voran bei Gewerbeabfällen. Weil das dort dann günstiger ist“, begründet Freund. Dort sei aber teilweise noch die besonders klimaschädliche Deponierung zulässig.
„Zudem fehlen dann Restabfallmengen zur Bereitstellung von Energie in Form von Strom und Wärme durch die thermischen Abfallbehandlungsanlagen. Das ist in Zeiten, in denen Energie knapp und teuer ist, eine fatale Entwicklung und führt nur zu noch mehr Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern.“
Und tatsächlich verfügen nahezu alle Müllverbrennungsanlagen über eine Kraft-Wärme-Kopplung und erzeugen sowohl Strom und Fernwärme für Millionen Haushalte als auch Prozessdampf für die Industrie.
Die AVG fordert nun gemeinsam mit dem Kommunalverband VKU und der Wohnungswirtschaft, die Ausweitung des Brennstoffemissionshandels auszusetzen, jedenfalls für den Abfallbereich, der neben Kohlekraftwerken einer von zwei neuen Anwendungsbereichen des BEHG werden soll. „Dieser Regierungsentwurf darf nicht Gesetz werden“, sagt VKU-Chef Liebing. Er setze nun auf die Parlamentarier im Bundestag.
Und tatsächlich stehen längst nicht alle Abgeordneten hinter dem Gesetzentwurf, nicht mal aus den eigenen Reihen, wie unter anderem der Fall Thews zeigt, der immerhin abfallpolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ist. Zudem gibt es auch FDP-Vertreter, die sich bereits kritisch geäußert haben.
Mitte der Woche haben sich zudem der Wirtschaftsausschuss und der Umweltausschuss des Bundesrates positioniert. Beide Gremien empfehlen, die Aufnahme der Müllverbrennung in das nationale Emissionshandelssystem wegen der aktuell schwierigen Lage bei der Energieversorgung um zwei Jahre zu verschieben. Was daraus folgt, muss jetzt die Plenarsitzung Nummer 1024 zeigen. Thews regt an, letztlich eine europäische Lösung anzustreben statt einen nationalen Alleingang zu machen. Zumal das Thema auf EU-Ebene längst diskutiert werde.
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