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Rechtes Denken Der dunkle Ritter Götz

Er tritt bei Pegida auf, ist Ideologe der Identitären, Verleger und Autor. Götz Kubitschek gilt als wichtigster Intellektueller der Neuen Rechten. Besuch bei einem Mann, der so konservativ ist, dass er sogar seine Frau siezt.
Kubitschek in seinem Haus in Schnellroda

Kubitschek in seinem Haus in Schnellroda

Foto: Sven Doering / Agentur Focus / DER SPIEGEL

Vor einiger Zeit lud das Stadttheater Magdeburg zu einer Diskussion ein. Um den Rechtsruck in Deutschland und Europa sollte es gehen und um die Frage, was man gegen ihn tun, wie man eine "Taktik der Kritik" erarbeiten könne. Gäste: Holger Stahlknecht, CDU, Innenminister von Sachsen-Anhalt, und Elisabeth Schweeger, Leiterin der Theaterakademie Baden-Württemberg. Am Schluss der Veranstaltungsankündigung ein verschämter Satz: "Mit auf dem Podium sitzt Götz Kubitschek."

Götz Kubitschek, 46, ist der wichtigste Intellektuelle der Neuen Rechten in Deutschland. Ein Verleger und Autor, er tritt bei Pegida in Dresden auf, er ist eine Art Stichwortgeber der Identitären Bewegung und ein Freund des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Die Idee, ausgerechnet mit Kubitschek über eine "Taktik der Kritik" am rechten Denken zu reden, ist bizarr.

Die Veranstaltung wurde schnell abgesagt. Reiner Haseloff, ebenfalls CDU, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hatte sich eingemischt. Es gebe "rote Linien" mit wem man sprechen könne, sagte er, und drohte Stahlknecht so indirekt mit dem Rauswurf, sollte er sich mit Kubitschek auf ein Podium setzen. Offensichtlich gibt es eine große Unsicherheit, wie man mit dem Aufstieg der Neuen Rechten in Deutschland umgeht. Ausgrenzen? Miteinander reden? Wenn ja, wie? Und mit wem und worüber eigentlich?

Jahrzehntelang hatte sich die Öffentlichkeit der Bundesrepublik eingerichtet, dass die substanzielle Kritik am Bestehenden von links kam. Rechts, das war da, wo die Ewiggestrigen leben. Doch jenseits des Gebrülls, das die einschlägigen rechten Foren beherrscht, hat sich eine radikal-konservative Kritik der Gesellschaft formiert, der mit Sprechverboten kaum beizukommen ist. Ist so ein rechter Denker wie Götz Kubitschek gefährlich? Möglicherweise. Kann man mit ihm reden? Selbstverständlich. Aber man sollte wissen, mit wem man es zu tun hat. Und was man von ihm will. Eine Taktik der Kritik jedenfalls lässt sich mit ihm nicht diskutieren.

Zwei Treffen gingen diesem Text voran. Ein Vorgespräch am Rand der Frankfurter Buchmesse im Oktober, ein Kennenlernen. Kubitschek hat in den vergangenen Jahren einige Journalisten getroffen. Er sei vorsichtig geworden, sagt er. Er lud schließlich zu einem Abendbrot bei sich zu Hause ein. Das Gespräch dauerte fast vier Stunden, in denen gestritten, aber auch tatsächlich, trotz größter politischer Unvereinbarkeiten, miteinander geredet wurde.

Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza, 43, leben in Schnellroda, einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt. Vor elf Jahren haben sie dort ein Rittergut ersteigert, das sie renoviert und ausgebaut haben. Rittergut klingt größer als die Wirklichkeit. Ein Herrenhaus mit Bauernhof, wie es sie oft gibt auf dem Land. Jahrhundertelang hatte hier der niedere Adel das Land beherrscht und bestellt. 700 Jahre ist das Rittergut alt, zu DDR-Zeiten war hier erst die Gemeindeverwaltung untergebracht, dann eine Schule, später wurde es in Wohnungen aufgeteilt. Eine der alten Mieterinnen lebt immer noch dort. Im Treppenhaus hängt eine Landkarte, die Deutschland in den Grenzen von 1937 zeigt.

Ku­bit­schek

Ku­bit­schek

Foto: Sven Doering / Agentur Focus / DER SPIEGEL

Die Kubitscheks sind Selbstversorger. Fast alles, was es bei ihnen zu essen gibt, kommt aus ihrem Garten oder ihrem Stall. Der Apfelsaft ist selbst gemostet, das Brot selbst gebacken, der Rahmkäse kommt von ihrer Hofziege. Sie haben sieben Kinder, sechs Mädchen und einen Jungen. Vor dem Essen wird ein Tischgebet gesprochen. Kubitschek und Kositza siezen sich. "Geben Sie mir bitte den Salat?"

Ko­sitza

Ko­sitza

Foto: Sven Doering / Agentur Focus / DER SPIEGEL

Irgendwie ist diese Familie aus der Zeit gefallen, fast so, als lebte noch der Kaiser und als hätte Deutschland noch kein Unheil über die Welt gebracht. Gleichzeitig fühlt man sich wie auf den Seiten des Magazins "Landlust", das einem Millionenpublikum Fantasien vom schönen echten Leben auf dem Land verkauft; fast so, als würden die teuersten, hippsten Restaurants der Hauptstadt von hier ihre regionale Küche mit Bioprodukten versorgen.

Antaios heißt Kubitscheks Verlag, Antaios ist in der griechischen Mythologie ein Riese, der seine Kraft aus der Erde bezog, unbesiegbar war, immer wieder Streit anfing - und schließlich von Herakles erdrosselt wurde. Hier erscheinen Sachbücher und Romane. Ein Schwerpunkt ist der Import von Gedanken aus dem französischen Sprachraum, wo das rechte Denken seit Jahrzehnten blüht. Amazon hat die Bücher von Antaios vor zwei Jahren aus dem Programm genommen, deshalb macht Kubitschek den Vertrieb nahezu selbst.

Er hat auch das Institut für Staatspolitik mitbegründet, das in Schnellroda seinen Sitz hat, ein rechter Thinktank, der Vorträge, Seminare und Tagungen veranstaltet. Lange fanden sie auf dem Rittergut statt, seit einiger Zeit kommen so viele Leute, dass Kubitschek die Veranstaltungen in die Dorfkneipe verlegt hat. Und er gibt die Zeitschrift "Sezession" heraus, ein rechtes Theorieorgan, benannt nach einem Begriff, den Botho Strauß in seinem berühmten Essay "Anschwellender Bocksgesang" benutzte, der 1993 im SPIEGEL erschien .

Er hat die Konservativ-Subversive Aktion gegründet, einen Versuch, linke Protestformen auf die Rechte zu übertragen. Mit ein paar Kameraden störte er 2008 eine Lesung von Günter Grass. Regelmäßig tritt er auf rechten Kongressen auf, im Internet finden sich viele Mitschnitte seiner Reden.

Was denkt dieser Mann?

In Kubitscheks Welt gibt es Völker. Und es gibt Staaten. Das Volk ist für ihn eine Schicksalsgemeinschaft. Historisch geprägt, durch gemeinsame Abstammung verbunden, durch Angriffe von außen zusammengeschweißt. Das Volk könne sich verändern, aber das dauere. Neulinge integrierten sich nur über Generationen. Der Staat sei der Rahmen, der dieses Volk ausrichte, im Guten wie im Schlechten. Im Idealfall, wie etwa im Fall Preußen, könne der Staat sein Volk auch hervorbringen. Und zwar, indem der Herrscher dem Volk seine Idee eines Staates aufzwinge und diese Idee dann so fruchtbar sei, dass jeder Mensch in diesem Staat einen Platz finden könne. Die einen oben, die anderen unten. Und dieses System erzeuge dann im Kopf seiner Bürger, oder Untertanen, den Wunsch zu dienen.

Man kann das völkisches Denken nennen. Die Rechte nennt es Ethnopluralismus, was meint: Die Völker sollten nebeneinander existieren, aber sich nicht mischen.

Diese Idee stehe, so sieht es die radikale Rechte, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in erbittertem Kampf mit den Kräften des Kapitalismus und des Liberalismus, einem Wettstreit, der schlussendlich verloren wurde. Das Ergebnis sei die globalisierte Welt von heute, wo der Kapitalismus alles sei und die Völker nichts. Wo die Menschen nur noch Manövriermasse seien, die den Kapitalströmen folgten. In einem System, das alle kulturellen Unterschiede einebne. Und die Grenzen öffne, damit Menschen aus aller Welt nach Europa strömten. Die Rechte hasst das, was sie die "Multikulti-Ideologie" nennt. Der Glaube, die Buntheit sei eine Bereicherung, könne in Wirklichkeit nur ein Herrschaftsmittel sein, um diese gleichmacherische Welt zu schützen.

Im Weltbild der radikalen Rechten war die Öffnung der Grenzen kein humanitärer Akt und auch keine kurzfristige Reaktion, um die Stabilität des Balkans zu garantieren. Für sie war es der Höhepunkt eines Prozesses, der seit Jahrzehnten laufe: des "Austauschs" und der "Entwurzelung" der Völker Europas. Und in diesem großen Kampf werde das Abendland im Westen von den USA bedroht, einer kulturimperialistischen Macht, die der ganzen Welt ihre Sicht der Dinge aufzwingen wolle. Und aus dem Süden vom Islam, einer Religion, die Europa erobern und unter Kontrolle bringen möchte. Und von innen durch die Dekadenz: Die Menschen wüssten nichts von den Kräften, die sie bedrohten, ließen es sich gut gehen und hätten so ihre Widerstandskraft verloren.

Das ist die Welt, in der die radikale Rechte lebt.

"Eigentlich", sagt Kubitschek, "müsste die Regierung für den Ernstfall vorsorgen. Macht sie aber nicht. Es reicht, dass wir Konsumenten sind."

Und wie würde die Ausrichtung auf den Ernstfall aussehen?

"Dass es eine gemeinsame Herkunft gibt", sagt Kubitschek, "aus der sich eine gemeinsame Geschichte und Erzählung ergibt. Und wenn der Gegner auftritt, heißt es: wir oder die anderen."

Was wäre denn der Ernstfall?

"Wenn das Recht nicht mehr gilt. Wenn sich etwa die Mehrheit von einer Minderheit die Scharia als Rechtsform aufdrücken lässt."

Kubitschek spricht breites Schwäbisch, er ist in Ravensburg aufgewachsen. Kositza kommt aus Offenbach. Kubitschek ist sichtbar autoritär, aber gleichzeitig in seinem Denken unsystematisch, eigentlich neugierig. Was auch für seine Ehefrau gilt: Kositza hat ein Buch gegen den sogenannten Genderwahn geschrieben, liest aber "Emma".

Die Rede von der Freund-Feind-Trennung ist klassisches rechtes Denken, der Staatstheoretiker Carl Schmitt hat sie in den Zwanzigerjahren als Grundfigur des Politischen überhaupt entwickelt. Schmitt war einer der Vordenker der Konservativen Revolution, auf die sich rechte Intellektuelle überall in Europa gern beziehen.

Aber sonst? An diesem Abend auf dem Rittergut wird weder das "Dritte Reich" verherrlicht noch der Holocaust angezweifelt oder dem offenem Rassismus gehuldigt. Stattdessen: eine Kapitalismuskritik, die bei Linken anschlussfähig sein dürfte. Ein Zweifel an der Moderne und an den Segnungen des Fortschritts, die nicht weit von dem entfernt ist, woran einmal die Fundis bei den Grünen glaubten. Dazu Islamophobie. Grundiert durch den Glauben an das Volk.

Referenzen sind der Schriftsteller Ernst Jünger, und zwar vor allem der Jünger aus den Zwanzigerjahren, der sich als Krieger sah und in Büchern wie "In Stahlgewittern" das heroische Erlebnis des Krieges feierte. Und eben Schmitt, der später den Nazis und ihren Rassengesetzen huldigte, aber in der Weimarer Republik einer der Vordenker der Konservativen Revolution war. Antidemokratisch, antiliberal und elitär.

Gäste empfängt Kubitschek meist in seiner Bibliothek. In den wenigen Artikeln, die über Besuche auf dem Rittergut erschienen sind, kommt sie vor, und gern wird die Autobiografie Leni Riefenstahls erwähnt, die hier steht. Ist auch zu schön. Der Rechte und die rechten Bücher.

Tatsächlich ist es aber auch die Bibliothek eines Ehepaars, das Bücher liebt. Zu Hunderten stehen die Klassiker des 19. Jahrhunderts im Regal, Werke vergessener Autoren der inneren Emigration, also Autoren, die nicht vor den Nazis ins Ausland flohen, sondern sich in ihre Privatwelten zurückzogen. Aber auch zeitgenössische Romane von Christoph Ransmayr oder von dem algerischen Schriftsteller Boualem Sansal, der 2011 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, oder von Christian Kracht.

Das Bücherregal hat Kubitschek von einem Schreiner aus der Gegend machen lassen, in einem Balken ist das Jahr der Entstehung eingeschnitzt, 2016. So sieht sich Kubitschek: als Bewahrer der Tradition. Als jemand, der sich in die Abfolge der Generationen einreiht, der das alte wieder aufbaut, seine Spur hinterlässt und abtritt, wenn die Zeit gekommen ist.

Björn Höcke

Björn Höcke

Foto: Martin Schutt/ dpa

Wer Rang und Namen in der rechten Szene hat, war hier zu Besuch. Björn Höcke etwa, den Kubitschek seit vielen Jahren kennt. Höcke hat die berüchtigte Rede, in der er vom afrikanischen "Ausbreitungstypus" spricht, in Schnellroda gehalten. Andre Poggenburg, Fraktionschef der AfD in Sachsen-Anhalt und führender Vertreter des rechtsnationalen Flügels, ist ebenfalls regelmäßig zu Besuch.

Aber auch Martin Sellner, 27, Kopf der österreichischen Identitären, einer Gruppe junger Rechter, die die Zeichensprache des internationalen Hipstertums auf rechts zu bürsten versucht. Für seine Instagram-Seite ließ Sellner sich akkurat gescheitelt mit einem Heidegger-Buch in der Hand im Wald fotografieren. In Österreich und in Frankreich, wo die Identitären das erste Mal auftauchten, sind sie mittlerweile ziemlich bekannt, anders als in Deutschland, wo sie im Sommer für ein paar Minuten mit großer Geste auf das Brandenburger Tor kletterten und kaum jemand davon Notiz nahm. Inzwischen werden sie vom Verfassungsschutz beobachtet. Parolen gegen Flüchtlinge rufen ist das eine. Dafür mit einer Akte beim Verfassungsschutz die Karriere riskieren das andere. Kubitschek sieht in Sellner ein Charisma, das ihn an Rudi Dutschke erinnere.

Martin Sellner

Martin Sellner

Foto: Georg Hochmut / picture alliance / DPA

2015 brachten Kubitschek und Kositza ein Buch heraus, das sie "Tristesse Droite" nannten. Christian Kracht und andere Popliteraten hatten Ende der Neunzigerjahre den Gesprächsband "Tristesse Royale" herausgebracht, in dem sie ihren Ekel vor der zeitgenössischen Moderne zum Ausdruck brachten, ihr Nichteinverstandensein mit dem langweiligen Mainstream der 68er, durchaus blasiert, arrogant, aber immer auch in einem ironischen Ton. In Kubitscheks "Tristesse Droite" aber wird auf 184 Seiten ernsthaft darüber gesprochen, was es heißt, rechts zu sein, wie man rechts geworden ist. Kracht und seine Freunde dürften das degoutant finden.

Eigenartig abwesend: der Holocaust. Auch in Kubitscheks Schriften, er hat im Juni eine Zusammenstellung von Essays veröffentlicht ("Die Spurbreite des schmalen Grats"), bildet die Nazizeit eine eigenartige Leerstelle. Es geht um alles Mögliche. Rechte Politik, um Autoren, die er schätzt, um die rechte Revolte. Die Jahre zwischen 1933 und 1945 kommen kaum vor.

Der Grund liegt in einer etwas seltsamen Ableitung: Für Konservative wie Kubitschek ist der Nationalsozialismus eher eine linke denn eine rechte Veranstaltung, nämlich der Versuch, einen neuen Menschen zu erschaffen, so wie es auch der Sozialismus wollte. Rechte wie er wollen bewahren, nicht verändern. Es klingt verquer, aber in diesem Sinne waren für ihn die Nazis eher links als rechts.

Kubitschek träumt nicht etwa von der Wiederauferstehung eines Deutschlands aus den Jahren nach 1933. Eher von dem Deutschland davor, einem Land der vermeintlichen Unschuld, einem Land, das noch nicht "von der Geschichte widerlegt ist", wie er das nennt.

Einen Traum, den es natürlich nicht geben kann. Wobei auch nicht so ganz klar wird, was für ein Land das genau sein soll. Das von Bach und Hölderlin, Schubert und Nietzsche? Das Geheime Deutschland des George-Kreises? Die Weimarer Republik? Die Kaiserzeit? Bismarck? Wahrscheinlich hat es dieses Deutschland nie gegeben. Es ist eine deutsche romantische Idee, die in seinem Kopf herumspukt.

"Was haben wir heute anzubieten?", fragt er. "Keinen deutschen Traum, nur ein deutsches Trauma. Deutschland nach 1945 ist ein funktionierender Staat. Mehr nicht. In den kann man sich einpassen. Aber das hat nichts mit Seele zu tun."

Wer braucht denn Seele?

"So ein Volk kann keine Fremden integrieren. Es ist zerrissen. Das muss man in Ruhe lassen."

Aber war das Gefühl der Zerrissenheit nicht immer schon Teil des Deutschseins?

Kubitschek denkt nach. Er habe Martin Mosebach vor Kurzem getroffen, sagt er schließlich, den erzkatholischen Schriftsteller und Büchnerpreisträger. Der habe etwas ganz Ähnliches bemerkt. Vielleicht müsse die deutsche Geschichte als die Geschichte eines zerrissenen Landes beschrieben werden. Aber von rechts.

Kubitschek hat schon Interviews abgebrochen, wenn er sich durch Fragen nach dem Holocaust bedrängt fühlte. Wenn er den Eindruck hatte, die Aufforderung nach Distanzierung rücke ihn in Wirklichkeit in dessen Nähe. "Der Holocaust war ein riesiges Verbrechen. Ein Bruch in der deutschen Geschichte. Und das Singuläre liegt nicht in der Zahl der Ermordeten, sondern in der industriellen Methode, in der Gründlichkeit, mit der er begangen wurde."

Warum hat er das bislang nie öffentlich gesagt?

"Lesen Sie, was konservative Historiker wie Ernst Nolte oder Karlheinz Weißmann über die Nazis geschrieben haben. Was wir über Stauffenberg sagen. Über die vielen Mutigen, die sich damals gegen die Vergewaltigung des Menschen gestellt haben. Dann verstehen Sie die Aversion, die ich dagegen habe, das Naheliegende auszusprechen."

Der Name des Historikers Ernst Nolte fällt immer wieder im Gespräch mit Kubitschek. Ein Text Noltes in der "Frankfurter Allgemeinen", in dem er einen "kausalen Nexus" zwischen den Verbrechen Stalins und Hitlers postulierte, hatte 1986 den Historikerstreit ausgelöst, eine der wichtigsten Feuilletondebatten der alten Bundesrepublik. Der "Rassenmord" der Nazis sei eine Angstreaktion auf den "Klassenmord" der Bolschewiki gewesen, schrieb Nolte. Jürgen Habermas und viele andere Intellektuelle warfen Nolte vor, die Verantwortung für die deutschen Verbrechen kleinzureden, den Holocaust zu "relativieren".

Der Historikerstreit war mehr als nur ein Streit unter Wissenschaftlern. Es war eine Debatte über das Selbstbild der Deutschen, über die richtige Art, sich auf die Verbrechen des "Dritten Reichs" zu beziehen - den die linksliberale Seite gewann. Es führt eine direkte Linie von Jürgen Habermas' damaligen Texten und Richard von Weizsäckers Rede zum 40. Jahrestag der Befreiung zu Joschka Fischers Satz "Nie wieder Auschwitz", mit dem er die Grünen dazu brachte, dem ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr zuzustimmen. Und zu Angela Merkel, die sagt, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson. Für Kubitschek hat Nolte recht behalten.

Nolte ist im August 2016 im Alter von 93 Jahren gestorben. Kubitschek und Kositza waren bei der Trauerfeier. Sie kannten Nolte persönlich. Noltes Kinder und einige seiner ehemaligen Kollegen sprachen. Und was für die Freunde und Anhänger dieses Mannes bleibt, scheint gar nicht so sehr dessen Werk zu sein, sondern diese eine Geste: ich nicht.

Es ist der verkürzte Rest eines Satzes, der in Kreisen des konservativen Widerstands gegen die Nazis ein geflügeltes Wort war. "Etiam si omnes, ego non." Auch wenn alle mitmachen, ich nicht. Der Publizist Joachim Fest hat seine Autobiografie "Ich nicht" betitelt. Es ist eine konservative Haltung, die grundsätzliche Distanz zum Zeitgeist demonstrieren soll, ob totalitär oder demokratisch. Der Satz fällt mehrmals im Laufe des Abends bei Kubitschek.

Elitäre Weltverachtung, das ist der Geist des Hauses Kubitschek. Was er dann wiederum auf den Pegida-Demonstrationen verloren hat, erscheint ein wenig seltsam. Für ihn aber sei das kein Widerspruch, dass er dort seit den Anfängen als Redner auftritt. "Das sind unsere Leute", sagt er. "Das Dresdner Bürgertum und Hool-Gruppen, die sich benehmen müssen." Man könne dieses Publikum natürlich aufs Leichteste zum Lügenpresse-Geschrei animieren, man könne aber auch versuchen, das Niveau zu heben.

In Berlin-Charlottenburg, am nördlichen Ende der Fasanenstraße, befindet sich die Bibliothek des Konservatismus. Sie ist eines der Zentren rechten Denkens in der Hauptstadt. Der Bestand umfasst im Augenblick rund 30.000 Bände, ein Schwerpunkt ist "Lebensrecht", also die Literatur der Antiabtreibungsbewegung. Die Bibliothek wird von einer Stiftung getragen. Regelmäßig gibt es Veranstaltungen, die Liste der Vortragenden ist ein Who's who des radikalen Konservatismus und der Rechten, die Veranstaltungen sind oft ausverkauft.

An diesem Abend ist Karlheinz Weißmann, 57, gekommen, Historiker aus Göttingen. Er liest aus seinem Buch "Rubikon. Deutschland vor der Entscheidung". Weißmann galt einmal als führender Kopf der intellektuellen Rechten in Deutschland. Anfang der Neunzigerjahre war das, nach der Wiedervereinigung, als die Rechte Morgenluft witterte, weil sie glaubte, das neue Deutschland werde ein wenig so sein wie das alte Deutschland einmal gewesen war. Weißmann war Autor für einen Sammelband, der 1994 unter dem Titel "Die selbstbewusste Nation" erschienen ist und in dem sich Autoren sammelten, denen an einer Kulturrevolution von rechts gelegen war und an einer Einstellung der deutschen Vergangenheitsbewältigung.

Das Problem: Es wurde nichts mit der rechten Kulturrevolution. Im Gegenteil. Mit Rot-Grün kamen die Vertreter genau jener Milieus an die Macht, die den Rechten seit den späten Sechzigerjahren das Leben und das Land vermiesten, die die Hegemonie in den Universitäten und in den Medien übernommen hatten und nach dem Wahlsieg von Gerhard Schröder darangingen, das Land nach ihren Vorstellungen zu modernisieren. Weißmann blieb Lehrer an einem Gymnasium in der Nähe von Göttingen und wurde Haushistoriker der rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit". Und er wurde bitter.

Weißmann spricht über die deutsche Flüchtlingspolitik, die Überfremdung und den Dreck in den Städten. Interessant an Weißmanns Vortrag ist weniger was er sagt, als wie er es sagt. Dieser Mann ist zerfressen von nicht eingelöstem Ehrgeiz. Von Hass auf das Land, dem er glaubt, so viel geopfert zu haben und das sich nie bedankt hat. Nicht mit einer Professur, nicht mit Anerkennung. Die großen Zeitungen ignorieren seine Bücher.

Einige seiner Schüler hätten eine AfD-Gruppe gegründet, erzählt Weißmann zum Schluss. Er habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass das Nachteile für sie bedeuten könnte. Sie hätten sich nicht abbringen lassen. "Eine bestimmte Substanz wird man in jungen Deutschen nicht zerstören können. Ich glaube nicht, dass der deutsche Geist erloschen ist."

"Was können wir tun?", fragt ein Herr aus dem Publikum.

"AfD wählen", sagt Weißmann.

Kubitschek und Weißmann waren einmal enge Verbündete. Das Institut für Staatspolitik haben sie im Jahr 2000 zusammen gegründet, Weißmann schrieb lange Zeit für die Zeitschrift "Sezession". Über das Verhältnis zur AfD haben sie sich zerstritten. Weißmann glaubt bedingungslos an die Partei. Kubitschek nicht.

Es gab Gespräche innerhalb des sachsen-anhaltinischen Landesverbands, ob Kubitschek nicht eine Rolle übernehmen könne. Bernd Lucke, damals noch Bundesvorsitzender der Partei, legte sein Veto gegen die Mitgliedschaft von Kubitschek und Kositza ein. Die Rechte verstand das Signal. Kurze Zeit später wurde Lucke gestürzt.

Heute hält sich Kubitschek in sympathisierender Distanz zur AfD. Er glaubt, dass er außerhalb der Politik besser Einfluss nehmen kann als in der Politik. Dass seine Stärke darin liegt, an den Intrigen, den Frustrationen, den Schwierigkeiten, den Streits, all den Dingen, die mit einer Parteigründung einhergehen, nicht teilnehmen zu müssen. Er ist ohnehin drinnen. Und draußen. Der Nachwuchs der Partei besucht seine Schulungen, er kann Leute aussenden, die die AfD in eine Richtung lenken, die seinen Vorstellungen entspricht - alles ohne AfD-Mitglied zu sein.

Auch Kubitschek ist ein Enttäuschter. Er kommt aus Ravensburg, einer konservativen schwäbischen Kleinstadt. Geboren 1970, wuchs er in bürgerlichen Verhältnissen auf. Seine Politisierung war eine komplizierte Revolte. Gegen die verlogene Honoratiorengesellschaft der CDU auf der einen Seite. Die Leute, die seit den Sechzigerjahren noch dafür gesorgt hatten, dass Teile der Altstadt abgerissen wurden, damit Platz für Parkhäuser und Bürogebäude geschaffen wird. Und die in den Achtzigerjahren anfingen so zu tun, als ob der Erhalt der mittelalterlichen Bausubstanz schon immer eines ihrer Herzensanliegen gewesen sei. Und gegen die linken Lehrer, die in den Achtzigerjahren an den Schulen die deutsche Vergangenheit aufarbeiten wollten. Mit diesen Leuten, die interessanterweise heute die grün-schwarze Regierung von Baden-Württemberg stellen, wollte Kubitschek nichts zu tun haben. Er rutschte nach rechts.

Nach dem Abitur verpflichtete er sich als Soldat und ging zu den Fernspähern, einer Elitetruppe, Aufklärungskräfte des Heeres. Bei der Bundeswehr fand er Gleichgesinnte. Genau wie im Studium, das er danach aufnahm. Germanistik, Geografie, Philosophie, Kubitschek wollte Lehrer werden. Doch er fiel auf. Er wurde Redakteur der rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit", engagierte sich in rechten Protesten gegen die Wehrmachtsausstellung. Er gründete den Antaios Verlag, das erste Buch ging um seine Zeit beim Militär, wo es Konflikte wegen seiner politischen Einstellung gegeben hatte; er wurde entlassen, die Entlassung wurde später wieder zurückgenommen. Am Ende ging er.

All das könnte unter den Enttäuschungen verbucht werden, die das Leben eben bereithält. Aber das ist nicht der Punkt. Die Rechte liebt die Ordnung und Kubitschek liebt den Staat, zumindest die Idee des Staats. Kubitschek hätte gern gedient. Und er kann es der Bundesrepublik nicht verzeihen, dass sie ihn nicht lässt.

"Wir sind Rebellen aus Enttäuschung", sagt er. "Wir werden von einem Staat zurückgestoßen, der seine guten Teile nicht würdigt. Daher kommt auch dieses eigenartige Doppelwort: konservativer Revolutionär. Auf der einen Seite sind wird dezidiert rückwärtsgewandt. Reaktionär. Aber wir müssen auf der anderen Seite revoltieren, weil das Konservativsein in diesem Land nur in die nützliche Idiotie führt. Man stützt etwas, das einen auslacht. Das will ich nicht mehr."

Früher einmal hatten rechte Konservative in der CDU einen Ansprechpartner. Es gab den sogenannten Stahlhelm-Flügel, die Nationalkonservativen, die zwar nicht eingebunden waren in die Regierungspolitik, denen die Partei aber Raum und Anerkennung gab. Die Affäre um den CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der 2004 wegen antisemitischer Äußerungen sein Mandat verloren hatte, wurde bei der radikalen Rechten als neue Grenzziehung wahrgenommen. Unter Angela Merkel rückte die Partei nach links. Der rechte Rand wurde freigegeben, die Verbindungen, die lange bestanden hatten, gekappt. Das ist die Lücke, in die die AfD nun gestoßen ist. Hohmann ist inzwischen auch Mitglied der AfD.

Die Verachtung für das deutsche Bürgertum ist Kubitschek übrigens geblieben. Es gebe Flüchtlinge in Schnellroda, eine deutsche Familie kümmere sich um sie, erzählt er. Es gebe aber auch vernachlässigte Kinder von Alteingesessenen. Für die habe sich die Flüchtlingshelferfamilie noch nie interessiert. Kubitschek sagt nichts über die Flüchtlinge, seine Abneigung gilt den Bürgern. "Wo kommt diese Fernstenliebe her? Ich verstehe das nicht." Im Grunde ist das die Erfolgsgeschichte der AfD in einem Absatz.

Kubitschek gehört zur Leitung der Bürgerinitiative "Einprozent", zusammen mit einigen anderen prominenten Rechten. Es ist eine Antiflüchtlingsinitiative - über die Homepage sollen sich Widerstandsgruppen vernetzen. "Einprozent" heißt sie, weil sie ein Prozent der Deutschen für sich gewinnen möchte. Nicht die Mehrheit der Gesellschaft, aus denen die linke Occupy-Bewegung ihre Parole "Wir sind die 99 Prozent" gemacht hatte. Nur ein Prozent. Eine Elite. Wer ein Prozent der Gesellschaft hinter sich versammelt, wird leicht zehn Prozent Sympathisanten zusammenbekommen. Damit lässt sich ein System stürzen.

Ku­bit­scheks Rit­ter­gut in Sach­sen-An­halt

Ku­bit­scheks Rit­ter­gut in Sach­sen-An­halt

Foto: Sven Doering / Agentur Focus / DER SPIEGEL

Will Kubitschek das?

Kubitschek ist kein Politiker. Auch wenn er die Nähe von Politikern sucht und politisch denkt. Ihm geht es um Metapolitik. So nennen die Rechten den vorpolitischen Raum, die Sphäre, in der Begriffe geprägt werden, mit denen eine Gesellschaft sich beschreibt, ihre Wertvorstellungen bestimmt. "Zunächst einmal geht es mir um Meinungsfreiheit. Darum, unsere Positionen nicht nur auf unseren Plattformen zu sagen. Im nächsten Schritt sollte es dazu kommen, dass unser Paradigma das übermächtige Paradigma wird. Das ist die Ansage."

Und dann gibt die Rechte vor, was gedacht werden muss?

"Nein. Es ist einfach so: Wenn es zum Beispiel ein rechtsintellektuelles Feuilleton gäbe, dann hätte das linksliberale keine Chance und wäre nur ein Spleen, eine Spinnerei, ein Experiment. Wir sind näher an der Wirklichkeit."

Nun könnte man natürlich einwenden, dass in den vergangenen 50 Jahren eher das rechte Denken eine Spinnerei war. Das Experiment, das nie die Realitätsprobe aushalten musste. Und dass die Rechte keine wirklichen Antworten auf die Probleme der globalisierten, multikulturellen Welt hat. Nur andere Problembeschreibungen. Aber die Revolte gegen die herrschende Vernunft ist eben nie in der Beweispflicht, es besser zu können. Es reicht, das Bestehende abzulehnen.

Der Aufstieg der AfD hat einige Parallelen zum Aufstieg der Grünen, der vor allem darauf beruhte, große gesellschaftliche Themen zu einer Geschichte zusammenführen zu können: Umweltschutz, Frieden, den Kampf gegen die Atomkraft, die Frauenbewegung, Kapitalismuskritik. Themen, die vorher nicht notwendigerweise zusammengehörten, die aber zusammenpassten, weil die Gruppen und Bewegungen, die sie trugen, sie in dieser Partei zu grünen Themen machten. Mit den rot-grünen Koalitionen in Bund und Ländern fanden viele dieser Themen dann ihren Weg in die Regierungspolitik.

Die AfD hat die Kritik am Euro, an der Flüchtlingspolitik, die Abneigung gegen die sogenannte Political Correctness und das Gefühl vieler Deutscher, ihr Land zu verlieren. Auch Themen, die nicht zwangsläufig zusammengehören. Zusammengepackt können sie trotzdem noch weit tragen.

Aber der Aufstieg der Grünen war nicht nur eine große Erfolgsgeschichte, es war auch ein kurviger Weg. Ein deutscher Bildungsroman.

Die Milieus, die diese neue Partei trugen, mussten in die Bundesrepublik einwandern. Die linke Utopie, einen neuen Menschen schaffen zu können, blieb dabei auf der Strecke. Das war der Preis, der gezahlt wurde. Viele Aktivisten sind daran zerbrochen.

Doch dies ist der Weg, den die Geschichte der Bundesrepublik bislang gegangen ist und der immer in die Mitte geführt hat.

Jedes Milieu ist ihn gegangen, und das ist wohl auch einer der Gründe für die Stabilität dieses Landes. Die alten Nazis. Die Vertriebenen. Die 68er und die K-Gruppen, die aus der Studentenbewegung hervorgingen. Die Funktionseliten der DDR. Die Demokratie in diesem Land hat schon immer eine große Integrationskraft gehabt.

Ob die Neuen Rechten diesen Weg ebenfalls gehen werden, wird wohl davon abhängen, wie selbstbewusst die Mehrheitsgesellschaft ist - und was die Rechte bereit sein wird aufzugeben. Wer völkisch denkt, dürfte es in einer Einwanderungsgesellschaft schwer haben. Eine rechte Gesellschaftskritik, die bei einer Fortschrittsmüdigkeit ansetzt, die überall in der westlichen Welt herrscht, und diese mit dem Glauben an eine starke Identität verbindet, könnte dagegen für viele gesellschaftliche Lager anschlussfähig werden.

Es wäre aber naiv zu glauben, dass nur die etwas aufgeben müssen, die sich auf den Weg in die Institutionen machen. Die bundesrepublikanische Demokratie hatte schon immer eine gewisse Geschmeidigkeit: Wer zu ihr will, dem kommt sie entgegen.

Man kann sich die Rechte wegwünschen. Aber das ist magisches Denken. Sie ist da, sie wird bleiben. Man wird sie nicht einfach abstellen können.