Ökumenisches Heiligenlexikon

Hildegard von Bingen

1 Gedenktag katholisch: 17. September
nicht gebotener Gedenktag
gebotener Gedenktag im Erzbistum Berlin und im Bistum Limburg
Gedenktag III. Klasse      Im alten Messbuch entspricht die III. Klasse einem gebotenen Gedenktag. Grundsätzlich werden offiziell alle Klassen als „Feste” bezeichnet, da der Rang ja nicht durch das Wort „Fest”, sondern durch die Klasse gekennzeichnet wird.
Die Feste III. Klasse sind außerhalb der geprägten Zeiten (Advent, Weihnachtsoktav, Fastenzeit, Osteroktav) immer zu feiern, wenn sie nicht von einem Fest I. oder II. Klasse verdrängt werden. Innerhalb der geprägten Zeiten können sie in der Regel nur kommemoriert, aber nicht gefeiert werden.

1 Gedenktag evangelisch: 17. September

1 Gedenktag anglikanisch: 17. September

Name bedeutet: die kämpferisch Schützende (althochdt.)

Klostergründerin, Äbtissin in Bingen, Mystikerin
* um 1098 in Bermersheim, heute Bermersheim vor der Höhe bei Alzey in Rheinland-Pfalz
17. September 1179 auf dem Rupertsberg in Bingen in Rheinland-Pfalz


Hildegard wurde als zehnte Tochter des rheinfränkischen Edelfreien Hildebert von Bermersheim-Alzey und seiner Frau Mechthild geboren und in der Martinskirche in Bermersheim getauft.

Martinskirche in Bermersheim vor der Höhe
Martinskirche in Bermersheim vor der Höhe

Schon als kränkliches Kind hatte sie Visionen; sie behielt diese prophetische Gabe, vorauszusehen und Gegenwärtiges im Blick auf die Zukunft richtig zu deuten, ihr Leben lang. Hildegard wurde ab ihrem achten Lebensjahr - also ab 1106 - bei ihrer Verwandten Jutta von Sponheim in erzogen und lebte zunächst noch mit Jutta im Kloster in Spanheim / Sponheim, dann im neuen Kloster der Benediktiner auf dem Disibodenberg an der Nahe.

Reste der Kirche des Männer klosters Disibodenberg mit (links) dem Anbau für die Frauenklause
Reste der Kirche des Männerklosters Disibodenberg mit (links) dem Anbau für die Frauenklause

Aus dem Männerkloster Disibodenberg wuchs dann ein Doppelkloster. Auch hier war Hildegard immer wieder krank, kaum fähig zum Gehen, oft auch durch Sehbehinderungen eingeschränkt. Nach Juttas Tod 1136 wurde Hildegard deren Nachfolgerin als Priorin, entschied aber, 1147/1148 ihr eigenes Kloster über dem Grab von Rupert von Bingen zu gründen.

Hildegard zog 1151 mit 18 Schwestern in dieses heute nicht mehr vorhandene Kloster auf die Rupertsberg genannte Anhöhe bei Bingen und war die Äbtissin. Männer und Frauen aller Stände des Volkes suchten sie in ihrem Kloster auf oder baten schriftlich um ihren Rat; mit Kaiser Friedrich Barbarossa führte sie einen ausführlichen Briefwechsel. Da sie selbst nicht perfekt Lateinisch konnte, diktierte sie alle ihre Schriften. 1165 gründete sie das Tochterkloster Eibingen bei Rüdesheim.

Im Vorwort zu Scivias schrieb Hildegard:

Im Jahre 1141 der Menschwerdung Jesu Christi, als ich zweiundvierzig Jahre und sieben Monate alt war, sah ich ein überaus stark funkelndes Licht aus dem geöffneten Himmel kommen. Es durchströmte mein Gehirn, mein Herz und meine Brust ganz und gar, gleich einer Flamme, die jedoch nicht brennt, sondern erwärmt. Es erglühte mich so, wie die Sonne einen Gegenstand erwärmt, auf den sie ihre Strahlen ergießt. Und plötzlich hatte ich die Einsicht in den Sinn und die Auslegung des Psalters, des Evangeliums und der anderen Schriften des Alten und Neuen Testamentes.

Man nannte die wohl größte Mystikerin Deutschlands ehrfurchtsvoll Tischgenossin Gottes. Hildegard war Künstlerin und Wissenschaftlerin, Mystikerin und Ärztin, Dichterin und politisch engagiert, dennoch von zartem und gebrechlichem Wesen und dies in einer von Männern dominierten Welt. Ihre Regeln für eine gesunde Lebensführung klammerten auch die Sexualität nicht aus, ihre Gedanken zur Rolle der Frau waren mutig und richtungsweisend. Unter dem ständigen Druck der über sie kommenden Gesichte begann Hildegard 1141, ihre Visionen schriftlich festhalten zu lassen; dabei half ihr der Mönch Volmar, der sie schon bei ihrer Ausbildung im Kloster als Magister begleitet hatte. Sie wurde darin von Bernhard von Clairvaux unterstützt; er erreichte bei Papst Eugen III. die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Schriften, als dieser 1148 auf der SynodeSynode (altgriech. für „Zusammenkunft”) bezeichnet eine Versammlung in kirchlichen Angelegenheiten. In der alten Kirche wurden „Konzil” und „Synode” synonym gebraucht. In der römisch-katholischen Kirche sind Synoden Bischofsversammlungen zu bestimmten Themen, aber mit geringerem Rang als Konzile. In evangelischen Kirchen werden nur die altkirchlichen Versammlungen als Konzile, die neuzeitlichen Versammlungen als Synode bezeichnet. von Trier weilte, auf der Teile von Hildegards Scivias Wege (Gottes) verlesen wurden.

Kloster Rupertsberg bei Bingen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges
Kloster Rupertsberg bei Bingen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges
Kloster in Maulbronn
Kloster in Maulbronn

Hildegard predigte auch auf dem Marktplatz in Trier und öffentlich auf vier Reisen, sie beriet Kaiser Barbarossa in der Kaiserpfalz in Ingelheim am Rhein, ritt noch in hohem Alter ins 1138 gegründete Kloster der Zisterzienser nach Maulbronn und ins Kloster Zwiefalten, von innerem Licht beauftragt, ihre himmlische Belehrung mitzuteilen. Nach Aufstellung des dritten Gegenpapstes, Callistus III., durch Kaiser Barbarossa bezog Hildegard in einem Brief an ihn eindeutig Stellung, bekannte sich zu Papst Alexander III. und schrieb freimutig: Gib acht, dass der höchste König dich nicht zu Boden streckt!

Kirche St. Hildegard in Bingen, erbaut an der Stelle des früheren Klosterfriedhofes
Kirche St. Hildegard in Bingen, erbaut an der Stelle des früheren Klosterfriedhofes

Kraftvoll protestiert hat Hildegard auch gegen Bischöfe und Papst, wie Papst Benedikt XVI. 2006 in einem Fernsehinterview lobte: Sie hatte einen exkommunizierten Edelmann, der sich aber mit der Kirche wieder ausgesöhnt hatte, auf dem Friedhof des Klosters Rupertsberg bei Bingen in geweihter Erde begraben; an der Stelle dieses Friedhofes steht heute die 1880 bis 1882 erbaute Kirche St. Hildegard. Der Bischof von Mainz verlangte, dass er ausgegraben und auf den Schandacker geworfen werde. Hildegard aber schrieb ihm, dass sie seiner Aufforderung nicht nachkommen werde, denn die Gerechtigkeit stehe über dem Gehorsam. Darauf verhängte der Bischof das Interdikt, wonach keine Sakramente mehr gespendet werden dürfen, sodass ihr ganze Kloster von jeder sakramentalen Handlung ausgeschlossen war; Hildegard blieb dennoch bis zu ihrem Tod dem Grundsatz treu, denn es brannte in ihrer Brust eine Liebe, die keinen Menschen ausschloss, so Hildegards Biograf, der Mönch Gottfried Theoderich.

Ihr erstes, 1141 bis 1147 verfasstes visionäres Werk Liber Scivias Domini, Wisse die Wege Gottes, schrieb Hildegard zusammen mit Propst Volmar vom Kloster Disibodenberg, den sie symmista, Miteingeweihten, nannte. Das schwer verständliche Buch ist durchweg prophetisch und mahnend in der Art von Ezechiel und der Offenbarung des Johannes. Hildegard schlägt einen großen heilsgeschichtlichen Bogen von der Schöpfung der Welt und des Menschen über das Werden und Sein der Kirche bis zur Erlösung und Vollendung am Ende der Zeiten. Die ewige Geschichte von Gott und Mensch, von Abkehr und Hinwendung des Menschen zu seinem Schöpfer, wird in immer neuen Bildern anschaulich gemacht. Das ihr oft zugeschriebene Zitat Werde was du bist - Mensch, werde Mensch stammt zwar nicht von Hildegard, charakterisiert aber ihre Denkweise.

Hildegrad diktiert, Buchmalerei, Bild im Klostermuseum in Hirsau
Hildegrad diktiert, Buchmalerei, Bild im Klostermuseum in Hirsau

Die heilige Gottheit kann keiner je begreifen, nicht einmal berühren mit seinem Verstand, so hoch er ihn auch emporrecken mag. Gott ist höher als alles, schrieb sie knapp hundert Jahre, bevor Thomas von Aquin genau dies in unübertroffener Meisterschaft versuchte - bis auch er nach einer mystischen Erfahrung ein Jahr vor seinem Tod dieses Bemühen einstellte. Das Geheimnis des Geistes Gottes ist für Hildegard aber in der Schöpfung erfahrbar: Alles durchdringst Du, die Höhen, die Tiefen, jeglichen Abgrund. Das Obere begegnet dem Unteren, der Schöpfer in der Schöpfung, in jedem Menschen, jedem Tier, jeder Pflanze, jedem Stein lässt er sich lesen, Belebtes und Unbelebte klingen zusammen in einer großen Symphonia. Die Erde ist nicht die endgültige Heimat des Menschen, aber sie ist viel mehr als wertlose Hülle.

Das Grundübel des Menschen besteht für Hildegard darin, dass er - mit dem schwarzen Engel - immer nur Ich und Ich sagt und sich anmaßend selbst das Gesetz gibt, so als ob er sein eigener Gott sei. Die Lösung sei, sich selbst zu verlassen, die eigene Unordnung - dann erst den Leib - zu kurieren durch Reue: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel. Das heißt: gegen das himmlische Kunstwerk, das ich selbst bin. Der einzige, der wirklich den Namen Arzt verdiene, Christus, vermittelt die Einsicht und öffnet den Weg zum Vater.

Statue in der Pfarrkirche St. Hildegard und St. Johannes in Eibingen
Statue in der Pfarrkirche St. Hildegard und St. Johannes in Eibingen

Hildegard war auch als Dramaturgin, Dichterin und Komponistin, verfasste Texte und Melodien zu 77 Liedern und das Singspiel Ordo virtutum, Spiel der Kräfte, in dem sie den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse in 35 dramatischen Dialogen zur Darstellung bringt. Musik war für Hildegard eine besondere Gabe Gottes zur Unterstützung des Heilsweges des Menschen; das Prinzip der von Gott geschaffenen Ordnung zeigt sich auch in ihren musikalischen Werken. Theologisch brachte sie dieses Thema in ihrem zweiten großen Hauptwerk, dem Liber vitae meritorum, Buch des verdienstlichen Lebens, verfast 1158 bis 1163, noch einmal zur Sprache. Der Mensch, so Hildegards Grundanliegen, ist frei geschaffen und sein Leben lang in die Entscheidung gestellt, seiner in der Schöpfung grundgelegten Gottesebenbildlichkeit zu entsprechen; als Vorbild enthält das Buch eine malerische Lebensbeschreibung Christi.

Ihr letztes, 1163 bis 1170 entstandenes Werk war das Liber divinorum operum, Buch der göttlichen Werke, eine Betrachtung der Natur im Licht des Glaubens, ein gewaltiges, den gesamten Kosmos betrachtendes Werk. Hildegard lässt die Welt als Kunstwerk Gottes aufstrahlen; der Mensch erscheint als Mikrokosmos, der in all seinen körperlichen und geistigen Gegebenheiten die Gesetzmäßigkeiten des gesamten (Makro-)Kosmos widerspiegelt. Alles ist aufeinander bezogen, wechselseitig miteinander verbunden und in Gott untrennbar vereint. O Mensch, ruft Hildegard aus, schau dir doch den Menschen richtig an: Der Mensch hat ja Himmel und Erde und die ganze übrige Kreatur schon in sich selber und ist doch eine ganze Gestalt.

Denkmal vor der Martinskirche in Bermersheim vor der Höhe
Denkmal vor der Martinskirche in Bermersheim vor der Höhe

Im Herzen des Universums steht für Hildegard der Mensch, das volle Werk des Schöpfers, denn nur der Mensch kann ihn erkennen; aber deshalb steht der Mensch auch vor der Entscheidung: steigt er empor, hebt er die Schöpfung mit sich empor; fällt er, reißt er die Schöpfung mit in den Abgrund. Immer haben wir den Geschmack des Paradiesapfels im Munde - die Lust der Empörung und Selbstzerstörung. Die Freiheit des Menschen führte zur Ursünde, aber Gott wollte freie Menschen: Mit der Macht deiner überaus herrlichen Kraft überwältigst du niemand. Hildegard empfand sehr stark die Auswirkungen des menschlichen Handelns auf die Schöpfung - im Guten wie im Bösen. Von Umweltaktivisten ist sie heute noch gar nicht richtig wahrgenommen.

Gottes liebende Umarmung aller Kreatur erhebt die Schöpfung über das bloß Natürliche hinaus und richtet sie zugleich - auf und zurecht. Wenn der Mensch seine Ichbezogenheit, sein Aufbegehren gegen Gott, beendet, erfährt er sich in freundschaftlicher Verbundenheit mit den anderen Geschöpfen, taucht die Urfreude in ihm auf: die Seligkeit, gewollt zu sein; Hildegard nennt das die fröhliche Wissenschaft: Jedes Geschöpf ist mit einem anderen verbunden, und jedes Wesen wird durch ein anders gehalten. Das anzustrebende Gott ähnlich Werden liegt im Zusammenspiel von Erkennen und Handeln, contemplatio und actio haben gleich gewichtig zu sein.

Der Gedanke der Einheit und Ganzheit ist auch der Schlüssel zu Hildegards natur- und heilkundlichen Schriften. Krankheit ist für sie ein Defizit oder Ungleichgewicht, Gesundheit dagegen das Gleichgewicht der Seele. In ihren Werken Causae et curae, Ursachen und Behandlung, und ihrer Physica, Naturkunde, wird deutlich, dass Heil und Heilung des kranken Menschen allein von der Hinwendung zum Glauben ausgehen kann, denn der Glaube allein bringt gute Werke und eine maßvolle Lebens-Ordnung hervor. In ihren über Jahrzehnte bis zu ihrem Tod geschriebenen Büchern Liber simplicis medicinae und Liber compositae medicinae hat Hildegard 280 Pflanzen und Bäume katalogisiert und nach ihrem Nutzen für Kranke aufgelistet. Der Rupertsberg wurde das Zentrum der Kranken, Hilfe- und Ratsuchenden des ganzen damaligen Rheingaus.

Wandmalerei: Hildegard mit ihren Klöstern Rupertusberg (links) und Eibingen (rechts), an einem Haus neben der Kirche St. Martin in Bingen
Wandmalerei: Hildegard mit ihren Klöstern Rupertusberg (links) und Eibingen (rechts), an einem Haus neben der Kirche St. Martin in Bingen

Hildegards seelsorgliche Arbeit galt vor allem dem KlerusEin Kleriker ist in der orthodoxen, katholischen, anglikanischen und altkatholischen Kirche ein geweihter Amtsträger, der eine der drei Stufen des Weihesakraments - Diakon, Priester oder Bischof - empfangen hat. Im Unterschied zu den Klerikern bezeichnet man die anderen Gläubigen als Laien. Angehörige von Ordensgemeinschaften gelten, wenn sie nicht zu Priestern geweiht sind, als Laien und in der Orthodoxie als eigener geistlicher Stand. In den protestantischen Kirchen gibt es keine Unterscheidung von Klerus und Laien., der damals zu verweltlichen drohte. Alle, die ein Vorsteheramt zu verwalten hatten, warnte sie vor Härte und empfahl Barmherzigkeit und Maßhaltung. In Köln sprach sie öffentlich zum Klerus, die Predigt ist erhalten: Ihr seid eine Nacht, die Finsternis ausatmet, und wie ein Volk, das nicht arbeitet. Ihr liegt am Boden und seid kein Halt für die Kirche, sondern ihr flieht in die Höhle eurer Lust. Und wegen eures ekelhaften Reichtums und Geizes sowie anderer Eitelkeiten unterweist ihr eure Untergebenen nicht. Ihr solltet eine Feuersäule sein, den Menschen vorausziehen und sie aufrufen, gute Werke zu tun.

1632 wurde das Kloster Rupertusberg in Bingen zerstört, Hildegards Reliquien wurden nach Köln, später in ihr Kloster Eibingen - an der Stelle der heutigen Pfarrkirche - gebracht. In Bingen wurde im 19. Jahrhundert die Rochus-Kapelle oberhalb der Stadt der Ort der damals aufblühenden Verehrung. Ihre Nonnenkrone - eine textile Goldborte mit bestickten Amuletten - und Haarreliquien kamen in die Benediktinerabtei St. Matthias nach Trier, nach deren Auflösung 1802 1 schließlich in den Besitz einer französischen Adelsfamilie und 2000 ins Textilmuseum der Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern in der Schweiz.

Die Klosteranlage auf dem Disibodenberg kam 1259 an den Zisterzienserorden, wurde 1559 in der Reformation aufgehoben, kam in Privatbesitz und verfiel. 1842 bis 1844 fanden durch den Besitzer erste Ausgrabungen statt, 1985 bis 1990 die professionelle Erschließung der Ruinen; das Besitztum wurde 1989 in eine Stiftung eingebracht. Das Kloster Eibingen wurde 1803 säkularisiert, die Kirche Pfarrkirche; 1904 wurde oberhalb von Eibingen durch Benediktinerinnen erneut ein bis heute bestehendes, Hildegard geweihtes Kloster gegründet.

Am Disibodenberg wurde 1997 durch einen privaten Spender eine Disibod, Jutta von Sponheim und Hildegard von Bingen geweihte Kapelle errichtet.

Der katholische Liturgiewissenschaftler und Autor Theodor Schnitzler nannte Hildegard Deutschlands größte Frau. In neuerer Zeit hat Hildegard besonders mit ihren Vorstellungen von Naturheilkunde und Ernährung wieder große Beachtung gefunden.

Karlheinz Oswald: Statue, 2012, vor der Kirche St. Hildegard in Bingen
Karlheinz Oswald: Statue, 2012, vor der Kirche St. Hildegard in Bingen

Kanonisation: Schon Papst Gregor IX. leitete um 1235 ein Heiligsprechungsverfahren ein, das aber nie zu Ende geführt wurde, weil das Bistum Mainz immer wieder Widerstand leistete; es ging dabei um die damals noch nicht endgültig geklärte Frage, ob der Bischof oder nur der Papst für die Kanonisation zuständig ist. Ein letztes ordentliches Kanonisationsverfahrens unter Papst Innozenz IV. führte auch noch 1244 deshalb zu keinem Ergebnis. Dennoch wurde sie 1584 ins Martyrologium Romanum aufgenommen; allerdings wurde auch oft darauf verwiesen, dass Hildegard nie eine offizielle Heiligsprechung zuteil wurde.
1979 leitete die AG Katholischer Frauenverbände und –gruppen eine neue Initaive ein. Die Deutsche Bischofskonferenz stellte in Rom den Antrag, Hildegard als Kirchenlehrerin anzuerkennen. Voraussetzung dafür ist aber eine offizielle Heiligsprechung, deshalb wurde wieder eine Prüfung eingeleitet. Am 10. Mai 2012 hat Papst Benedikt XVI. schließlich angeordnet, dass Hildegard ohne förmliches Verfahren in den Heiligenkalender aufgenommen wird; dies ist aber keine Heiligsprechung im üblichen Sinn, denn dazu braucht es einen liturgischen Akt in einem Gottesdienst; Benedikt XVI. hat also eigentlich nur angeordnet, was seit 1584 gilt.
Am 7. Oktober 2012 wurde Hildegard von Papst Benedikt XVI. zur Kirchenlehrerin erhoben. Am 25. Januar 2021 wurde ihr Gedenktag in der gesamten katholischen Kirche vom nicht gebotenen Gedenktag zum Fest erhöht.
Patronin der Esperantisten, Sprachforscher und Naturwissenschaftler

1 Erst 1922 wurde die Benediktinerabtei St. Matthias wieder begründet.


Worte der Heiligen

Der Mensch darf nicht erforschen, was er nicht wissen soll: Doch wie du die Gottheit nicht mit sterblichen Augen zu erblicken vermagst, so kannst du auch ihre Geheimnisse nur insoweit, als sie es dir ermöglicht, mit dem menschlichen Verstand erfassen. Du aber wendest dich mit deinem schwankenden Herzen da- und dorthin. Wie daher Wasser von der Hitze eines brennenden Ofens verzehrt wird, so wird dein Geist von der Unruhe deines törichten Herzens erstickt. Du begehrst nämlich zu wissen, was dem in Sünden aus menschlichem Samen empfangenen Fleisch zu wissen verwehrt ist. Hebe doch deinen Finger und berühre die Wolken. Was nun? Doch das kann nicht geschehen. So auch nicht, dass du erkundest, was du nicht wissen sollst. Kann doch auch die Saat das Feld nicht begreifen, weil es ihr an Verstand und Einsicht fehlt und sie nicht weiß, was sie darstellt und was ihr Samen bewirkt, obwohl sie die Felder mit nützlicher Frucht umsäumt. Auch Mücken und Ameisen oder anderes kleines Getier wollen nicht über andere ihresgleichen herrschen oder Kraft und Bedeutung des Löwen oder anderer größerer Tiere verstehen und begreifen. So kannst auch du nicht erkennen, was im Wissen Gottes beschlossen ist.
Was hast du getan oder wo warst du, als Himmel und Erde erschaffen wurden? Der dies erschaffen hat, brauchte deine Hilfe nicht. So auch jetzt nicht. Wozu erforschst du Gottes Gericht? Wenn dich die heilsame Flut von oben benetzt, zeige mir, wie du auf dem Acker deiner Seele arbeitest und wie du ihn pflegst. Wenn mir nun diese Anstrengung gefällt, gebe ich dir vorzüglichste Frucht. Nach deiner Mühe bemisst sich deine Frucht und der Verdienst. Gebe ich etwa Erdenfrüchte ohne Anstrengung? So handle ich auch an dir, o Mensch, nicht ohne Schweiß, den ich dir abverlange. Durch mich besitzt du nämlich die Kraft, mit der du dich mühen kannst.
Übe dich also fleißig bei der Arbeit und du gewinnst daraus Frucht. Und wenn du Frucht bringst, erlangst du dafür Lohn. Doch was nun? Viele suchen mich mit hingabebereitem, reinem und einfältigem Herzen, finden mich und halten mich fest.


Demut und Liebe stehen an der Spitze der Wertehierarchie: Die Demut bewirkte nämlich die Geburt des Gottessohnes aus der Jungfrau. Nicht in unersättlicher Umarmung, nicht in leiblicher Schönheit, nicht in irdischem Reichtum, in goldenem Schmuck oder in weltlicher Ehre erwies sich die Demut. Sondern der Sohn Gottes lag in der Krippe, weil seine Mutter eine arme Frau war. Seufzt und weint auch die Demut immer, sie macht allen Lastern ein Ende, das ist ihre Aufgabe. Wer immer also den Teufel besiegen will, schütze und bewaffne sich mit der Demut; denn Luzifer flieht sie vor allem und verbirgt sich vor ihr wie eine Schlange in der Höhle; wo sie ihn aber erwischt, zerreißt sie ihn schnell wie einen morschen Faden. Die Liebe ergriff den einzigen Sohn Gottes im Schoß des himmlischen Vaters und legte ihn in den Schoß der irdischen Mutter, denn sie verachtete weder Sünder noch Zöllner, sondern erstrebte die Erlösung aller. Deshalb entlockt sie auch oft den Augen der Gläubigen einen Tränenquell und erweicht ihre Hartherzigkeit.
Dadurch erstrahlen Demut und Liebe mehr als die anderen Tugenden. Denn Demut und Liebe sind wie Seele und Leib, die zusammen mehr Gewalt besitzen als die übrigen Kräfte der Seele und die Glieder des Leibes. Wie ist das zu erklären? Die Demut ist gleichsam die Seele und die Liebe wie der Leib; sie können nicht voneinander getrennt werden, sondern arbeiten zusammen, wie auch Seele und Leib verbunden bleiben und miteinander wirken, solange der Mensch im Körper lebt. Und wie die verschiedenen Glieder des Leibes gemäß ihrer Kraft von Seele und Leib abhängig sind, so leisten auch die übrigen Tugendkräfte ihren gerechten Beitrag zugunsten der Demut und Liebe. Deshalb, ihr Menschen, bemüht euch zur Ehre Gottes und zu euerm Heil um Demut und Liebe. So ausgerüstet werdet ihr die Nachstellungen des Teufels nicht zu fürchten brauchen, sondern unvergängliches Leben besitzen.

Quelle: Hildegard von Bingen: Scivias, hrsg. von W. Storch. Augsburg 1990, S. 529, 36f

Zitate von Hildegard von Bingen:

Wie würde Gott als der Ewige bekannt, wenn kein Glanz von ihm ausginge? Denn es gibt kein Geschöpf, das nicht irgendeinen Strahl hätte, sei es das Grün oder der Samen, die Blüten oder die Schönheit.
Die ganze Welt schuf Gott. Und er ließ zu, dass auch der Mensch sich seine Welt baue. Denn die Menschen wirken und gestalten und befehlen. Sie schaffen an den Geschöpfen und bilden an diesem Vorbild auch anderes nach ihrem Willen, ohne ihm jedoch einen Geist geben zu können.
Gott hält Suche nach dir, weil er von jeher darauf bedacht ist, das verirrte Schaf zurückzuführen.
Wenn du willens bist, zu Gott zu eilen, wird er dir helfen.
Du hast in dir den Himmel und die Erde.
Die Augen sind die Fenster der Seele.
Die Seele ist die grünende Kraft im Leibe, sie wirkt mittels des Leibes und der Leib mittels der Seele. Das ist der ganze Bestand des Menschen.
Der Mensch weiß wohl um das Gute, auch wenn er es nicht tut.
Wir müssen auf die Stimme unserer Seele hören, wenn wir gesunden wollen!
Der Mensch weiß wohl um das Gute, auch wenn er es nicht tut.
Jede Krankheit ist heilbar – aber nicht jeder Patient.
In der Musik hat Gott den Menschen die Erinnerung an das verlorenen Paradies hinterlassen.
Nur der Teufel kennt keine Musik.
Gib dem Menschen einen Hund und seine Seele wird gesund.

Quelle: https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=1749_Hildegard+von+Bingen

zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn,
für die Katholische SonntagsZeitung

Hildegard von Bingen: O Feuer des Geistes

Stadlers Vollständiges Heiligenlexikon

Catholic Encyclopedia

Dekret zur Heiligsprechung Hildegards von Bingen

Literatur über Hildegard.

Eine eindrucksvolle Biografie verfasste Christine Büchner über (Link mit Vergütung) Hildegard von Bingen.

Biografien von bekannten Biologen stellt Markus Hari auf seiner Website vor, darunter die der Hildegard.

Über das neue Hildegard geweihte Kloster in Eibingen und über seine Gründerin informiert die Webseite der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard auch in Englisch und Französisch.

Schriften von Hildegard und ihre Lebensgeschichte gibt es online zu lesen in den Documenta Catholica Omnia.

Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon

Die Ruinen der Klosteranlage auf dem Disibodenberg sind jederzeit zugänglich vom unterhalb gelegenen Infozentrum aus; dafür wird ein Eintritt von 5 € erbeten / erhoben. Das Infozentrum ist von Ostern bis Oktober samstags von 12 Uhr bis 18 Uhr, sonn- und feiertags von 11 Uhr bis 17 Uhr geöffnet, er ist in den 5 € enthalten. (2021)
An der Stelle des ehemaligen Klosters Rupertusberg in Bingen betreibt der Verein Rupertsberger Hildegardgesellschaft das Rupertsberger Gewölbe als Ort der Begegnung mit Hildegard und ihrem Werk. Es ist im Frühjahr und Sommer an Sonn- und Feiertagen von 14 Uhr bis 17 Uhr zur Besichtigung geöffnet.
Die Kirche St. Hildegard in Bingen ist täglich von 10 Uhr bis 16 Uhr geöffnet. (2021)
Die Rochus-Kapelle auf dem Rochus-Berg bei Bingen ist samstags und sonntags von 14 Uhr bis 17 Uhr geöffnet, dabei finden ehrenamtliche Führungen statt. (2022)





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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 31.08.2023

Quellen:
• Vera Schauber, Hanns Michael Schindler: Heilige und Patrone im Jahreslauf. Pattloch, München 2001
• Hiltgard L. Keller: Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten. Reclam, Ditzingen 1984
• https://www.newadvent.org/cathen/07351a.htm - abgerufen am 22.12.2022
• Roland Hill: Gottes fleine Feder. Stuttgarter Zeitung, 15. August 1998
• Angela Oster: Prophetin der Ganzheit. Evangelische Kommentare 7/1998
• Ildefons Herwegen: Geleitwort zu Scivias - Wisse die Wege. Otto Müller Verlag, Salzburg 1955
• Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Die Erde ist von Gott geküßt. Evang. Kommentare 11/1998
• http://www.anette-huesmann.de/2012/05/11/hildegard-von-bingen-keine-echte-heilige nicht mehr erreichbar
• http://www.eibingen.de/pfarrei/pressemitteilungen/Heiligsprechung%20Hildegard%20von%20Bingen.pdf nicht mehr erreichbar
• Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von Michael Buchberger. Hrsg. von Walter Kasper, 3., völlig neu bearb. Aufl., Bd. 5. Herder, Freiburg im Breisgau 1996
• Gotthold Hasenhüttl: Versöhnung statt Spaltung. Deutsches Pfarrerblatt 10/2013
• Raphael Wild, E-Mail vom 17. September 2015
• https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2020-02/schweiz-deutschland-hildegard-von-bingen-geschichte-kirche-orden.html - abgerufen am 22.12.2022
• https://www.rupertsberger-hildegardgesellschaft.de/der-rupertsberg-2/der-rupertsberg - abgerufen am 22.12.2022
• David Hüser: Basilika St. Martin, 2. Aufl. Basilikagemeinde St. Martin zu Bingen 2015

korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.


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