Politik

Zahl der Bedürftigen steigt Tafel-Chef: "Altersarmut wird uns überrollen"

An fast 1000 Orten in Deutschland geben die Tafeln Nahrungsmittel an Menschen weiter, denen wenig fürs Leben bleibt. Die Zahl der Menschen, die auf die Arbeit der Wohltätigkeitsorganisation angewiesen sind, nimmt stetig zu - vor allem unter Senioren und Kindern.

Schaut man sich die Zahlen an, fragt man sich, wie die Gesellschaft vor 1993 funktionierte, als in Berlin die erste deutsche Tafel gegründet wurde. Die Zahlen jedenfalls sprechen für sich: 947 Tafeln in Deutschland mit rund 3000 Ausgabestellen unterstützen 1,65 Millionen Menschen, so der Dachverband, die Tafel Deutschland e.V., auf seiner Jahrespressekonferenz. Mit ihren gut 60.000 ehrenamtlichen Helfern gehören die Tafeln zu den größten sozialen Bewegungen der heutigen Zeit.

Und die Nachfrage wächst. Zu den Kunden zählen Hartz-IV-Empfänger, Alleinerziehende, Rentner, Kinder und Studenten. Jeder, der den Euro zweimal umdrehen muss und als bedürftig gilt, ist willkommen. Und die Zahl der Bedürftigen steigt offenbar. Die Tafeln beklagen den hohen Anteil der Kinder (30 Prozent) und Rentner (26 Prozent). Vor allem die Zahl der Senioren sei im vergangenen Jahr um 20 Prozent auf insgesamt 430.000 Menschen sprunghaft gestiegen. Welcher Herkunft die Bedürftigen waren, schlüsselt die Tafel nicht gesondert auf.

Der Vorsitzende der Tafel Deutschland, Jochen Brühl, bezeichnet die Entwicklung als alarmierend. "Altersarmut wird uns in den kommenden Jahren mit einer Wucht überrollen, wie man es heute nur vom Klimawandel kennt." Brühl fordert von der Politik tiefgreifende Reformen und ressortübergreifende Ziele zur Bekämpfung der Armut.

Logistische Grenzen

Völlig inakzeptabel sei der Anstieg von Kindern und Jugendlichen bei den Tafeln. Die Ausgabestellen verzeichneten eine Zunahme von fast 50.000 jungen Menschen, die, wie Brühl formuliert, "systematisch vernachlässigt werden". Die Bildungssysteme des Landes zählten zu den undurchlässigsten aller OECD-Staaten. "Wer als Kind arm ist, hat kaum Chancen, sich aus dem Armutskreislauf zu befreien", sagt Brühl.

Außer auf die Hilfe für Bedürftige sind die Tafeln stolz darauf, Lebensmittel zu retten. Ihre Grundidee ist es schließlich, überschüssige, aber noch genießbare Ware etwa von Bäckern und Supermärkten einzusammeln und kostenlos oder gegen einen geringen Betrag auszugeben. Allein im vergangenen Jahr seien es 265.000 Tonnen Lebensmittel gewesen, pro Minute rund 500 Kilogramm.

Dabei sind den Helfern allein aus logistischen Gründen Grenzen gesetzt. "Mit einem Lastwagen voller Tiefkühlpizzen können wir nichts anfangen", sagt Tafel-Geschäftsführerin Evelin Schulz, es fehle nicht zuletzt an Kühlkapazitäten. Auch deshalb mutet der Retter-Effekt der Tafeln, absolut betrachtet, eher bescheiden an: 18 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland nach Angaben der Tafeln jedes Jahr vernichtet.

Quelle: ntv.de

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