„A Pio X reformatum“ – Sieht so ein Trojanisches Pferd aus?

„Die Skepsis, die teilweise wie aus der Pistole geschossen gegen die aus dem MR1970/2002 ĂŒbernommenen PrĂ€fationen formuliert worden ist, lĂ€sst sich vielleicht zerstreuen, wenn man bedenkt, dass es sich in diesen FĂ€llen nicht um Neuschöpfungen handelt, sondern um RĂŒckgewinnungen aus der vortridentinischen Quelle des Sacramentarium Gelasianum.“ Ein Beitrag von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 26. MĂ€rz 2020 um 10:57 Uhr
Alte Messe - Levitenamt

Mit der Bulle Divino Afflatu vom 1. November 1911 verfĂŒgte Pius X. seine weitreichende Reform des römischen Breviers und diejenige des Missale. Obwohl die Arbeiten an einer neuen Editio typica des Messbuchs im FrĂŒhjahr 1914 begannen, kam es durch den Ersten Weltkrieg, den Tod Pius‘ X., schließlich durch die Überlastung der vatikanischen Druckerei wegen der Herausgabe dreier verschiedener Ausgaben des damals völlig neuen Kodex des kanonischen Rechts von 1917 erst im Pontifikat Benedikts XV. zur Approbation und zum Erscheinen des von Pius X. reformierten tridentinischen Messbuchs. Benedikt XV. wĂ€hlte dafĂŒr seinen Namenstag, den 25. Juli 1920.

VorlĂ€ufigkeit der Reform Papa Sartos – zwei JubilĂ€en

Schon damals waren die Fachleute ĂŒberzeugt, dass mit dem MR1920 nur eine vorlĂ€ufige Reformstufe erreicht sein wĂŒrde und erwarteten in einigen Jahrzehnten die definitiven Editiones typicae von Brevier und Messbuch. Dass der Codex Rubricarum, der noch unter dem Pontifikat Pius‘ XII. erarbeitet worden war, von Johannes XXIII. als Abschluss der Reform von 1920 betrachtet wurde, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er das Motuproprio Rubricarum instructum, mit dem er den Codex Rubricarum approbierte, seinerseits auf den 25. Juli 1960 datiert hat.

Somit wird der 25. Juli 2020 sechzig Jahre Codex Rubricarum markieren und vor allem das 100. JubilÀum des von Pius X. erneuerten, tridentinischen Missale Romanum.

Zwei Dekrete der Glaubenskongregation: Neue Heilige im MR1962 und zusÀtzliche PrÀfationen zur Auswahl

Am gestrigen 25. MĂ€rz 2020 wurden nun zwei Dekrete der Glaubenskongregation veröffentlicht. Seit Auflösung der PĂ€pstlichen Kommission Ecclesia Dei sind deren ZustĂ€ndigkeit und Kompetenzen bekanntlich auf die Kongregation fĂŒr die Glaubenslehre ĂŒbergegangen. Die Dekrete ermöglichen zum einen die liturgische Feier von Seligen und Heiligen, die seit 1962 seliggesprochen oder kanonisiert worden sind und regeln, wie dies unter intakter Wahrung der alten Rubriken gegebenenfalls zu geschehen hat, zum andern fĂŒgen sie optional einige neue PrĂ€fationen hinzu.

TatsĂ€chlich neu im MR1962 sind eine EngelprĂ€fation (eine solche gab es bis dahin im tridentinischen Messbuch ĂŒberhaupt nicht), eine spezifische MĂ€rtyrerprĂ€fation, eine EigenprĂ€fation der Brautmesse sowie eine solche fĂŒr die Feste des heiligen Johannes Baptist. Von der SakramentsprĂ€fation, der PrĂ€fation zur Kirchweihe und ihrem Jahrestag und derjenigen von allen Heiligen und den heiligen Patronen, die schon 1963 pro aliquibus locis approbiert worden waren, stellt das Dekret lediglich fest und klar, dass sie nunmehr bei Feiern nach dem MR1962 weltweit verwendet werden dĂŒrfen.

Was ist mit der Praefatio propria der Adventszeit?

MerkwĂŒrdig ist hier, dass die in den 1960ger Jahren ebenfalls mancherorts konzedierte AdventsprĂ€fation unerwĂ€hnt bleibt. Diese PrĂ€fationen, einschließlich derjenigen fĂŒr den Advent, benutzt auch die Piusbruderschaft schon bislang. MerkwĂŒrdig ist das Fehlen der AdventsprĂ€fation in Quo magis und der zugehörigen ErlĂ€uterung aus zwei GrĂŒnden: Einerseits ist sie die nach Komposition und Aussage am meisten gelungene dieser PrĂ€fationen, andererseits schrieb schon 1920 bei der Publikation des Messbuchs Pius‘ X. Franz Brehm (1872-1937), Konsultor der Heiligen Ritenkongregation und liturgischer Redakteur des Verlages Friedrich Pustet in Regensburg, in seinem aus diesem Anlass erschienen Buche Die Neuerungen im Missale: „Nachdem bereits jetzt bei der interimistischen Reform des Missale zwei neue PrĂ€fationen eingefĂŒhrt wurden (gemeint ist eine eigene TotenprĂ€fation und die PrĂ€fation vom heiligen Joseph 1919, Anm. C. V. O.), so steht zu erwarten, daß seinerzeit bei der definitiven Reform die Zahl der PrĂ€fationen noch weiter vermehrt wird; die Aussicht dafĂŒr dĂŒrfte um so grĂ¶ĂŸer sein, je besser begrĂŒndet und je hĂ€ufiger diesbezĂŒgliche Gesuche und WĂŒnsche in Rom vorgebracht werden. (
) Ein (
) gewichtiger Grund spricht vor allem fĂŒr die spĂ€tere EinfĂŒhrung einer eigenen AdventsprĂ€fation. Wie nĂ€mlich die Quadragesimal- , die Passions- und die österliche Zeit je eine eigene PrĂ€fation haben, so wĂ€re es doch sehr entsprechend, daß auch die Adventszeit ihre eigene PrĂ€fation bekommt. Das Fehlen der AdventsprĂ€fation ist ein Mangel im harmonischen Ausbau der Liturgie, den sogar Laien empfinden“ (a. a. O., S. 239, kursiv hier und stets in Zitaten zur Hervorhebung, C.V.O.).

Eine verpasste Chance: WeihnachtsprÀfation als Option an Fronleichnam

Schon damals argumentierte Brehm auch zugunsten einer eigenen SakramentsprĂ€fation: „Es hĂ€tte dann jede der 6 privilegierten Oktaven der primĂ€ren Feste des Herrn eine eigene PrĂ€fation“ (a. a. O., S. 240). Die SakramentsprĂ€fation gibt es mittlerweile lĂ€ngst, und mit dem gestrigen Dekret Quo magis kann sie unzweifelhaft weltweit verwendet werden, indes ist das Argument Brehms fĂŒr eine eigene EucharistieprĂ€fation hinfĂ€llig, besitzt doch das Fronleichnamsfest auf dem Stand von 1962 leider keine Oktav mehr.

Wenn dem schon so ist und wahrscheinlich bis auf weiteres so bleiben dĂŒrfte, hĂ€tte man seitens der Glaubenskongregation die Gelegenheit ergreifen können, fĂŒr das Fronleichnamsfest und in Votivmessen vom allerheiligsten Altarsakrament wenigstens als Option auch wieder die Verwendung der WeihnachtsprĂ€fation zu gestatten, mit der theologisch hochstehend und dogmatisch sinnreich vormals so treffend auf den Konnex zwischen Inkarnation und Eucharistie hingewiesen wurde.

Entwarnung fĂŒr Skeptiker: Alles kann beim Alten bleiben!

Alle gestern veröffentlichten Bestimmungen bleiben optional. Die Entwicklungslinie wurde hier bewusst bis 1920 und Pius X. weiter zurĂŒckverfolgt, um die Akzeptanz der gestrigen Dekrete, besonders der zusĂ€tzlichen PrĂ€fationen, prinzipiell zu erhöhen. Die Skepsis, die teilweise wie aus der Pistole geschossen gegen die aus dem MR1970/2002 ĂŒbernommenen PrĂ€fationen formuliert worden ist, lĂ€sst sich vielleicht zerstreuen, wenn man bedenkt, dass es sich in diesen FĂ€llen nicht um Neuschöpfungen handelt, sondern um RĂŒckgewinnungen aus der vortridentinischen Quelle des Sacramentarium Gelasianum. Da, wo es formale Abweichungen gab, nĂ€mlich im Ausklang der Schlussformel der PrĂ€fation, wurde sie jeweils den im MR1962 bereits vorkommenden Varianten una voce dicentes und sine fine dicentes (scherzhaft in mĂ€nnliche und weibliche PrĂ€fation unterschieden) angeglichen.

Entweder ohnehin Normalfall oder immerhin schon hundertjÀhrige Anregung

Beide Schritte, neu hinzukommende Heilige und eine moderat vermehrte Auswahl an PrĂ€fationen, wurden 2007 von Benedikt XVI. im Begleitschreiben zu Summorum Pontificum in Aussicht gestellt. Dass Selig- und Heiligsprechungen nach einer Editio typica weitergehen und die Betreffenden dann auch liturgisch berĂŒcksichtigt werden können, ist eine SelbstverstĂ€ndlichkeit, und im Prinzip war es die eigentliche Absonderlichkeit, dass dies in Feiern nach dem MR1962 (und unter Verwendung des Breviers von 1962) bisher nicht möglich war, doch wir sehen vor allem, dass man schon 1920 weitere PrĂ€fationen gewĂŒnscht hat und davon ausging, dass diese bei einer definitiven Reform kommen wĂŒrden.

Von den jetzt tatsĂ€chlich neu hinzukommenden PrĂ€fationen gilt zumal, was Brehm schon 1920 in seinem 452 Seiten starken Buch (so umfangreich und zahlreich waren die damaligen Neuerungen!) weiter ausfĂŒhrt und was hier als Schlusswort stehen soll: Es „hindert doch nichts, durch Zutaten, die nicht einmal eigentlich neu sind, den herrlichen Bau der Liturgie noch schöner und ebenmĂ€ĂŸiger zu gestalten. Die EinfĂŒhrung einiger, weniger PrĂ€fationen kann umso weniger ernste Schwierigkeiten bieten, wenn man bedenkt, daß der römische Ritus, wie die Ă€ltesten Sakramentarien beweisen, im Laufe der Zeit hunderte von PrĂ€fationen zĂ€hlte, z. B. nach dem Leoninischen Sakramentar 267, nach dem Gelasianischen 56. Ja, es wĂ€re die HinzufĂŒgung dieser wenigen PrĂ€fationen ein gemĂ€ĂŸigtes ZurĂŒckgehen auf die frĂŒheren BrĂ€uche, das um so leichter zu bewerkstelligen wĂ€re, als man nicht nötig hĂ€tte, erst ganz neue Formularien zu schaffen, sondern aus den bereits vorhandenen nur die schönsten und passendsten auszuwĂ€hlen brauchte“ (a. a. O., S. 240f.).

Foto: Alte Messe – Levitenamt – Bildquelle: Domvikar Georg Schwager (Privatarchiv)

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