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MfS-Lexikon

Zersetzung

Methode der verdeckten Bekämpfung von Personen und Personengruppen, die vom MfS als "feindlich-negativ" angesehen wurden. Ziel der Zersetzung war laut der hier einschlägigen Richtlinie zur Bearbeitung Operativer Vorgänge von 1976, gegnerische Kräfte zu zersplittern, zu lähmen, zu desorganisieren und sie untereinander und von der Umwelt zu isolieren. "Feindliche" Handlungen sollten so vorbeugend verhindert, eingeschränkt oder unterbunden werden.

[handschriftliche Ergänzung: 1.6 siehe S. 4] 2.1.Der IMB "Horst Hoffmann" wird [anonymisiert] in einem vertraulichen Gespräch "von Mann zu Mann" das ihm zur Kenntnis gelangte angebliche außereheliche Verhältnis von [anonymisiert] und [anonymisiert] mitteilen. Hiermit soll das gestörte Vertrauensverhältnis zwischen beiden Ehepartnern, das durch das von [anonymisiert] entdeckte außereheliche Verhältnis seiner Frau zu [anonymisiert] entstanden ist, weiter erschüttert werden. V.: Ltn Kappis T.: September/Oktober 83

Ziele der Zersetzung waren zumeist staatsunabhängige Friedens-,Ökologie- und Menschenrechtsgruppen, Ausreiseantragsteller, aktive Christen sowie Personen und Organisationen im Operationsgebiet, die das MfS der politischen Untergrundtätigkeit gegen die DDR verdächtigte.

Gegen einzelne Personen gerichtete Maßnahmen der Zersetzung waren gemäß Richtlinie 1/76 etwa die "systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben" oder die "systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens".

In Gruppierungen versuchte das MfS Misstrauen, Neid, Rivalitäten und gegenseitige Verdächtigung zu erzeugen und sie im Zusammenwirken mit anderen Staatsorganen durch Arbeitsplatzbindungen, Berufsverbote, Einberufungen zum Wehrdienst oder Zwangsausbürgerungen zu paralysieren. Die Zersetzung entfaltete ihre Wirksamkeit häufig durch den kombinierten Einsatz unterschiedlicher Maßnahmen in einer längerwährenden Aktion.

Die von Jürgen Fuchs als "leiser Terror" bezeichnete Zersetzung galt laut Richtlinie als "relativ selbständige Art des Abschlusses Operativer Vorgänge" und diente somit als Ersatz für Strafverfolgungsmaßnahmen, die in der Honecker-Ära insbesondere bei der Bekämpfung von Oppositionellen aus Gründen der internationalen Reputation häufig politisch nicht mehr opportun waren.

Vor der Umsetzung von Maßnahmen der Zersetzung waren entsprechende Pläne detailliert auszuarbeiten, die vom Leiter der jeweiligen HA, selbständigen Abteilung oder BV oder im Falle von Organisationen, Gruppen oder herausgehobenen Persönlichkeiten vom Minister oder seinem zuständigen Stellvertreter bestätigt werden mussten.

Thomas Auerbach, Ilko-Sascha Kowalczuk