Das ist über die Tat bekannt

Nach Angaben der Polizei hat ein Mann am Mittwochabend gegen 22 Uhr in der Hanauer Innenstadt das Feuer eröffnet. Er erschoss und verletzte zunächst in der Shisha-Bar "Midnight" am Heumarkt mehrere Menschen. Kurz darauf soll der Täter mit einem dunklen Auto geflüchtet sein. Am rund zwei Kilometer entfernten Kurt-Schumacher-Platz erschoss und verletzte er dann ebenfalls mehrere Menschen. Tatort war dort die Shisha-Bar "Arena Bar Café".

Alle neun Menschen, die an diesen beiden Orten getötet wurden, sind zwischen 21 und 44 Jahre alt. Unter ihnen sind deutsche und ausländische Staatsangehörige. Die Getöteten haben unter anderem türkische, bulgarische, bosnische sowie rumänische Migrationshintergründe.

Nachdem die Polizei das Fahrzeug des mutmaßlichen Täters identifiziert hatte, fand sie dessen Wohnung im Ortsteil Kesselstadt. Dort entdeckten die Beamten zwei weitere Tote – den mutmaßlichen Attentäter und seine 72 Jahre alte Mutter. Neben den Toten fand die Polizei eine Schusswaffe. Als die Polizei in die Wohnung kam, traf sie auch den Vater an, der unverletzt war.

Das genaue Geschehen am Tatabend in der Wohnung ist noch nicht geklärt. Die Ergebnisse der Obduktion sowie der Analyse von Schmauchspuren und Projektilen stehen noch aus.

Insgesamt sind elf Menschen gestorben. Sechs weitere Personen wurden verletzt, eine davon schwer.

Der Generalbundesanwalt hat am frühen Donnerstagmorgen die Ermittlungen an sich gezogen. Ziel seiner Ermittlungen ist es, mögliche Mitwisser oder Unterstützer zu finden. Generalbundesanwalt Peter Frank sprach in Bezug auf Veröffentlichungen des mutmaßlichen Täters von "wirren Gedanken", Verschwörungstheorien und einer "zutiefst rassistischen Gesinnung".

Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, sprach am Freitag auf Grundlage erster Einschätzungen von einer offensichtlich "schweren psychotischen Krankheit" des Täters. Der Bundesanwaltschaft lagen bis Freitag keine Erkenntnisse darüber vor, dass R. vor seiner Tat anderen Personen von seinem Vorhaben erzählt hatte.

Das wissen wir über den Täter

Der mutmaßliche Täter heißt Tobias R. und ist 43 Jahre alt, das erfuhr ZEIT ONLINE aus Sicherheitskreisen. Der Mann sei zuvor weder als Rechtsextremist bekannt gewesen noch polizeilich in Erscheinung getreten, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) im Wiesbadener Landtag. Er ist nach Informationen von ZEIT ONLINE auch bisher nicht im Nachrichtendienstlichen Informationssystem der Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern gespeichert, also noch nicht als Extremist aufgefallen.

Die Tatorte

Tobias R. war seit 2012 Mitglied in einem Schützenverein. "Er war total unauffällig", sagte der Präsident von SV Diana Bergen-Enkheim, Claus Schmidt. "Es gab nicht den geringsten Hinweis auf Rassismus oder Fremdenhass, nicht einmal einen schrägen Witz." Es gebe mehrere Vereinsmitglieder mit Migrationshintergrund, dies sei kein Problem gewesen. Tobias R. habe einige Jahre in München gelebt und gearbeitet und sei auch dort in einem Schützenverein gewesen. Im vergangenen Jahr sei R. zurückgekehrt. Er habe dann wieder regelmäßig beim SV Diana Bergen-Enkheim trainiert, etwa zwei- bis dreimal die Woche.  Laut Ermittlern verfügte R. über zwei Waffenbesitzkarten.

Tobias R. ist in Hanau in die Schule gegangen und hat 1996 an der Hohen Landesschule das Abitur gemacht. Das bestätigte eine Mitschülerin ZEIT ONLINE. Auch ein Jahrbuch der Schule von 1996 zeigt Tobias R.. Die Mitschülerin sagte, sie habe Tobias R. als clever, aber zurückhaltend erlebt. An Jahrgangstreffen habe er nach der Schulzeit nicht teilgenommen. Eine andere Person aus dem Umfeld von Tobias R. sagte ZEIT ONLINE, dieser sei als Schüler nicht als rechtsradikal aufgefallen. Als Jugendlicher hat Tobias R. in den 1980er Jahren für einige Jahre in der Jugend von Eintracht Frankfurt Fußball gespielt.  Das bestätigte eine Sprecherin des Vereins ZEIT ONLINE. Der Verein habe seither keinerlei Kontakt mehr zu Tobias R. gehabt.

Tobias R. schreibt in einem kurzen Lebenslauf über sich selbst, er habe nach dem Abitur zunächst Zivildienst und dann eine Banklehre in Frankfurt gemacht. Anschließend studierte er in Bayreuth Betriebswirtschaftslehre. Das hat die Universität Bayreuth ZEIT ONLINE bestätigt. Tobias R. beendete sein Studium 2007 mit einem Diplom.

Aus Sicherheitskreisen erfuhr ZEIT ONLINE, dass sich Tobias R. zwischen 2013 und 2018 zeitweise in München aufgehalten und dort gearbeitet hat.

Im Internet hatte Tobias R. ein Website eingerichtet und darauf ein 24 Seiten umfassendes Schreiben hinterlassen. Außerdem wurden auf der Website mehrere Videos veröffentlicht.

In seinem Schreiben "an das gesamte deutsche Volk" wird keine Tat angekündigt, das wirre Dokument enthält auch kein Bekenntnis zum Geschehen vom Mittwochabend. Tobias R. äußert Verschwörungstheorien und sieht sich seit seiner Kindheit von Geheimdiensten verfolgt.

Er schreibt ausführlich über seine angebliche Lebensgeschichte, offenbart eine rassistische Weltanschauung und Vernichtungsfantasien. So hätten "offenbar gewisse Personen aus meinem eigenen Land mit dazu beigetragen, dass wir nun Volksgruppen, Rassen oder Kulturen in unserer Mitte haben, die in jeglicher Hinsicht destruktiv sind". Eine "komplette Ausweisung dieser Menschen aus unserem Land" sei keine Lösung mehr, da "die Existenz gewisser Volksgruppen an sich ein grundsätzlicher Fehler" sei, heißt es in dem Dokument. Bestimmte Völker müssten "komplett vernichtet werden".

Am 14. Februar 2020, also wenige Tage vor der Tat, veröffentlichte Tobias R. zudem ein Video auf YouTube. Darin spricht er in fließendem Englisch von einer "persönlichen Botschaft an alle Amerikaner". Auch das Video enthält keine Hinweise auf eine bevorstehende Gewalttat und enthält Verschwörungstheorien. In einem zweiten Video auf Deutsch rechnet R. vor, dass "eine fünfstellige Zahl Deutscher durch Ausländer" getötet worden seien, "das ist vollkommen inakzeptabel". 

Der Generalbundesanwalt sagte am Freitag, die Bundesanwaltschaft habe schon im vergangenen November Kontakt mit dem mutmaßlichen Attentäter gehabt. Damals sei bei seiner Behörde eine Anzeige des Mannes eingegangen. Er habe darin Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation gestellt und darin zum Ausdruck gebracht, dass es eine übergreifende große Organisation gebe, die vieles beherrsche, "sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge dann abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern". In der Anzeige waren keine rechtsextremistischen oder rassistischen Ausführungen enthalten. Es wurde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Auch der Vater des mutmaßlichen Täters ist durch verschiedene Schreiben an Behörden aufgefallen, sagte der Generalbundesanwalt. Ermittler charakterisieren ihn als "querulantisch".