Der emeritierte Weihbischof Martin Gächter
Schweiz

Weihbischof Gächter über seinen einzigen Exorzismus: «Der Dämon schrie: Das brennt!»

Der emeritierte Weihbischof Martin Gächter (82) ist seit 30 Jahren im Befreiungsdienst des Bistums Basel tätig. Ein einziges Mal führte er einen Exorzismus durch. Dieser war «wie im Film». Auch der damalige Bischof Kurt Koch war bei einer Sitzung dabei.

Jacqueline Straub

Bezeichnen Sie sich als Exorzist oder Teufelsaustreiber?

Weihbischof Martin Gächter*: Weder noch. Ich jage auch nicht den Teufel. Das, was ich mache, nennen wir Befreiungsdienst. 

Weihbischof Martin Gächter im Januar 2021.
Weihbischof Martin Gächter im Januar 2021.

Was ist ein Befreiungsdienst?

Gächter: Beim Befreiungsdienst geht es vor allem ums Zuhören, Ernstnehmen und ums Helfen. Viele Menschen sind belastet, geplagt und verängstigt. Doch nicht jeder, der denkt, er sei vom Teufel besessen, ist es auch. Die wenigsten sind es.

Wie merkt man, ob jemand besessen ist?

Gächter: Ein Zeichen von Besessenheit ist, wenn die Person eine grosse Abneigung gegenüber Gott, den Glauben und der Kirche hat.

Dekoration vor dem Zimmer von Weihbischof Martin Gächter.
Dekoration vor dem Zimmer von Weihbischof Martin Gächter.

Wer kann Exorzist in der katholischen Kirche werden?

Gächter: Das muss ein Priester sein, der ein gutes theologisches und seelsorgerliches Verständnis hat. Er muss auch viel psychologisches Wissen besitzen. Er muss psychische Krankheiten erkennen können: Psychosen, Schizophrenie, Verfolgungswahn, Traumata. Diese müssen psychologisch gut behandelt werden. 

«Der Vatikan sagt deutlich, dass Exorzisten mit Psychiatern zusammenarbeiten müssen.»

Gibt es auch Unseriöse in Ihrer Branche?

Gächter: Ja, die gibt es. In manchen freikirchlichen Kreisen gibt es die Meinung, dass Psychiater nichts taugen. Das stimmt natürlich nicht. Der Vatikan sagt deutlich, dass Exorzisten mit Psychiatern zusammenarbeiten müssen. Im Befreiungsdienst kommt eine Gruppe von Priestern, Theologinnen, Psychologen zusammen. Wir tauschen uns auch unter den Diözesen regelmässig aus.

Bücher über Besessenheit und Exorzismus in Martin Gächters Bibliothek.
Bücher über Besessenheit und Exorzismus in Martin Gächters Bibliothek.

Wie oft haben Sie in den letzten 30 Jahren einen Exorzismus durchgeführt?

Gächter: Nur einmal. Eine Frau kam zu mir ins Bischöfliche Ordinariat und sagte, dass sie nachts immer aus dem Bett geschmissen wird. Mit einer Infrarotkamera konnte sie das beweisen. Als wir sprachen, waren wir in einem Zimmer mit Bildern unserer früheren Bischöfe. Es störte sie, dass alle ein Brustkreuz trugen. Es ist ein Zeichen für Diabolisches, wenn die Anwesenheit eines Kreuzes nicht ausgehalten werden kann. Wir gingen in ein anderes Zimmer. Dort war kein Kreuz, aber ein Bild der Mutter Gottes. Das war noch schlimmer für sie. Wir gingen dann in den Park, um weiter zu reden. Mir wurde klar: Sie ist wirklich besessen.

«Einmal war auch Bischof Kurt Koch dabei.»

Wie gingen Sie dann vor?

Gächter: Ich habe es Bischof Kurt Koch gemeldet und von ihm den Auftrag bekommen, dass ich zusammen mit zwei Bischofsvikaren einen Exorzismus beten soll. Wir hatten 15 Sitzungen mit der Frau. Es waren einmal auch zwei Psychiater anwesend. Sie haben uns bestätigt, dass keine Epilepsie oder eine psychische Erkrankung vorliegt. Denn sobald wir zu beten begannen, warf sich die sonst freundliche Frau zu Boden und tobte, bis wir mit dem Exorzismusgebet aufhörten. Dann war sie wieder normal und freundlich. Ein solch schneller Wandel gebe es bei psychischen Krankheiten nicht. Einmal war auch Bischof Kurt Koch dabei.

Roland Trauffer (links) und Kurt Koch 2005 in Liestal.
Roland Trauffer (links) und Kurt Koch 2005 in Liestal.

Wo fand der Exorzismus statt?

Gächter: In einem Zimmer im Ordinariat. Aber wir mussten zuvor immer das Kreuz entfernen.

«Beschütze die Person vor dem Bösen.» 

Was wird beim Exorzismus gebetet?

Gächter: Wir begannen mit einem Vater Unser und einem Ave Maria. Es gibt auch ein vom Vatikan herausgegebenes Buch für den Exorzismus auf Latein oder Französisch. Manche Gebete sprechen den bösen Geist direkt an: «Weiche von der Person.» Und es gibt Gebete, die an Gott gerichtet sind: «Beschütze die Person vor dem Bösen.» 

Emeritierter Weihbischof Martin Gächter, im Hintergrund das Ordinariat in Solothurn.
Emeritierter Weihbischof Martin Gächter, im Hintergrund das Ordinariat in Solothurn.

Wie lief der Exorzismus ab?

Gächter: Ein Exorzismus hat keine fixe Formel wie bei der Taufe oder der heiligen Wandlung. Wir haben beim Exorzismus meistens frei gebetet. Die Frau warf sich jeweils sofort auf den Boden und hat getobt und uns beschimpft. Ihr Körper hat sich gewunden wie im Film «Der Exorzismus». Ihr Gesicht hat grässliche Fratzen gezogen. Sie war nicht wieder zu erkennen. Auch ihre Stimme war völlig anders, sehr tief, diabolisch und brüllend. Es war furchtbar. In fremden Sprachen hat sie aber nicht gesprochen. Wir haben sie mit dem Kreuz und Weihwasser gesegnet. Sie schrie laut: «Uh, das brennt.» Es war, als ob der Teufel aus ihr heraus sprechen würde. 

«Der Dämon schrie: Das brennt!»

Könnte es nicht gewesen sein, dass die Frau psychisch erkrankt war?

Gächter: Wir haben uns immer gefragt, ob sie krank ist. Ich habe deshalb etwas ausprobiert: Wenn ich sie mit Weihwasser bespritzte, schrie der Dämon: «Das brennt!». Dann habe ich normales Leitungswasser genommen. Es gab keine Reaktion. Da begriff ich, dass das Weihwasser mehr ist als eine Erinnerung an die Taufe: Es bewirkt etwas. Ich verstehe jetzt die Aussage, dass der Teufel das Weihwasser fürchtet.

Weihbischof Martin Gächter mit Papst Franziskus
Weihbischof Martin Gächter mit Papst Franziskus

Hatten Sie keine Angst?

Gächter: Nein. Wir drei haben uns von Gott geschützt gefühlt. 

«Wir haben von Sitzung zu Sitzung gespürt, dass weniger Dämonen da waren.»

Wie lange ging der Exorzismus?

Gächter: Bei uns etwa eine Stunde. Danach war die Frau wieder ruhig und freundlich und sagte uns, dass sie nicht mitbekommen habe, wie sie geschrien und getobt hat. Sie habe nur aus der Ferne Stimmen wahrgenommen. Wir haben von Sitzung zu Sitzung gespürt, dass weniger Dämonen da waren – denn das Fluchen hat abgenommen. 

Equipment für einen Exorzismus: Weihwasser, Exorzismus-Buch und eine Stola.
Equipment für einen Exorzismus: Weihwasser, Exorzismus-Buch und eine Stola.

Wann wussten Sie, dass sie befreit ist?

Gächter: Wir haben gebetet, sie lag am Boden und tobte – doch plötzlich öffnete sie ihre Augen. Sie fragte uns mit ihrer sanften Stimme, was wir machen würden. Wir antworteten: «Wir beten für Sie». Dann nahm sie das Kreuz, umarmte und küsste es. Da wussten wir, dass sie befreit ist.

«Ich bete – auch am Telefon – ein Befreiungsgebet.»

Wie oft melden sich Menschen bei Ihnen, weil sie denken, dass sie besessen sind?

Gächter: Ich bekomme jedes Jahr etwa 40 Anfragen. Meistens spreche ich dann eine halbe Stunde mit den geplagten Menschen und kann ihnen dann sagen, dass sie nicht besessen sind. Darauf bete ich – auch am Telefon – ein Befreiungsgebet. Viele kommen aus Kroatien, Italien oder aus afrikanischen Ländern. 

Während der Corona-Pandemie ist die Nachfrage nach Exorzismen in Italien gestiegen. Wie erklären Sie sich das?

Gächter: In Ländern wie Italien ist der Glaube an böse Geister und an die Gefahr durch Verwünschungen durch Mitmenschen in der Kultur noch fest verankert. Bei uns gibt es mehr Zweifel gegenüber Besessenheit und Exorzismus. 

«Die Menschen gehen zu Ärztinnen, Psychiatern, Heilern, Gurus und zu den Seelsorgenden.»

Sind Sie die erste Anlaufstelle?

Gächter: Viele waren bereits schon bei einem Psychiater. Doch es ist einfacher zu sagen, dass ich wahrscheinlich vom Teufel besessen bin, als sich einzugestehen, dass ich psychisch krank bin. Die Erfahrung zeigt, dass geplagte Menschen überall eine Befreiung suchen. Sie gehen zu Ärztinnen, Psychiatern, Heilern, Gurus und zu den Seelsorgenden.

Schule Lucas Cranachs d. Ä., Die Auferstehung Christi und der Triumph des Auferstandenen über Tod und Teufel, 1537, Kunstmuseum Basel, Inv. 180.
Schule Lucas Cranachs d. Ä., Die Auferstehung Christi und der Triumph des Auferstandenen über Tod und Teufel, 1537, Kunstmuseum Basel, Inv. 180.

Sind manche enttäuscht, wenn Sie ihnen sagen, dass sie nicht vom Teufel besessen sind, sondern einen Psychiater oder eine Psychiaterin brauchen?

Gächter: Das ist schon möglich. Viele denken, dass man schnell mal zum Priester geht, der soll dann einen Exorzismus machen und dann wird alles wieder gut. So läuft das aber nicht. Sie müssen einsehen, dass sie an grossen Störungen leiden, an deren Heilung sie mithelfen müssen. Wer eine psychische Krankheiten hat und auf Medikamente angewiesen ist, sollte diese keinesfalls absetzen. Bei allen Beschwerden helfen aber auch das Gebet, das Gottvertrauen und die Geduld.

«Den Teufel sieht man nicht. Er ist etwas Geistiges.»

Glauben Sie an den Teufel?

Gächter: An den Teufel muss man nicht glauben, den kann man feststellen. 

Wie?

Gächter: Den Teufel sieht man nicht. Er ist etwas Geistiges. Er ist einer, der das Gute schlecht und das Böse anziehend machen will. Mit Recht wird er in der Bibel Versucher oder «Diabolus», also «Verdreher» genannt. Solche Verdrehungen kann man jeden Tag – auch in den Medien – feststellen.

Der Teufel am oberen Eingang zur  Schöllenen-Schlucht
Der Teufel am oberen Eingang zur Schöllenen-Schlucht

Haben Sie Angst vor dem Teufel?

Gächter: Nein. 

«Wir beten im Vaterunser: Erlöse uns vom Bösen.»

Glauben Sie, dass Dämonen uns befallen können?

Gächter: Keiner ist gefeit davon. Jesus ermahnt uns, wachsam zu bleiben und jeden Tag im Vater Unser auch andächtig «erlöse uns vom Bösen» zu beten.

Weihbischof Martin Gächter mit Franziskus-Hosenträgern.
Weihbischof Martin Gächter mit Franziskus-Hosenträgern.

Wenn Gott allmächtig ist, dann kann es doch keinen Teufel geben. 

Gächter: Gott ist allmächtig. Aber er hat auch allen Geschöpfen viel Freiheit gegeben. Von der biblischen Lehre her sind Dämonen gefallene Engel. Gott respektiert auch ihre Freiheit. 

«Ich habe meine Mutter nicht schlafen lassen.»

Wurde für Sie schon ein Befreiungsgebet gebetet?

Gächter: Als drei- oder vierjähriger Bub war ich nachts sehr aktiv und habe meine Mutter nicht schlafen lassen. Sie hat mich zum Kapuzinerkloster nach Dornach gebracht. Der Pater hat einen Segen über mich gebetet. Darauf soll ich in der Nacht ruhiger geworden sein.

Der Teufel führt Jesus in Versuchung.
Der Teufel führt Jesus in Versuchung.

Ist das Bedürfnis nach Befreiungsgebeten gross?

Gächter: Ja, sehr. Ich motiviere die Menschen, Gott mehr zu vertrauen. Ich spreche ihnen gut zu: Gott ist stärker als Krankheit, Teufel oder Dämonen. Beim Befreiungsgebet geht es nicht immer darum, den Teufel auszutreiben, sondern etwas, was verkehrt ist, wieder in die richtige Bahn zu lenken. Ein Gebet ist immer gut, daher bete ich jeden Tag für die belasteten Menschen – davon gibt es enorm viele.

* Martin Gächter (82) ist emeritierter Weihbischof des Bistums Basel. Seit 30 Jahren ist er im Befreiungsdienst tätig.


Der emeritierte Weihbischof Martin Gächter | © Jacqueline Straub
25. April 2022 | 14:34
Lesezeit: ca. 6 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!