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Die Hagia Sophia in Istanbul.

© oto: Osman Orsal/dpa

Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee: Erdoğan, der Eroberer

Das oberste Verwaltungsgericht der Türkei hat entschieden, dass die Hagia Sophia vom Museum in eine Moschee umgewandelt wird. Ein Kommentar zu diesem Akt von hoher Symbolkraft.

Es war zu erwarten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat den von ihm regierten Staat so sehr nach seinem Bilde geformt, dass die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts, die seit längerem betriebene Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee zu gestatten, nicht verwundern kann.

Ebenso wenig die juristische Begründung mit einer Anordnung aus dem Jahr 1453 christlicher Zeitrechnung, als Konstantinopel von den Osmanen unter Mehmed II. erobert worden war, was dem Sultan den Beinamen „der Eroberer“ eintrug und der Staatskirche der Byzantiner die Umwandlung in eine Moschee.

Auslöschung des kemalistischen Erbes

In wenigen Tagen will Erdoğan die Ayasofya zum Gebet öffnen und damit einen der symbolträchtigsten Akte Mustafa Kemal Atatürks, des Gründers der modernen Türkei, rückgängig machen.

Denn das ist der eigentliche Beweggrund: die Auslöschung des kemalistischen Erbes mit der Trennung von Religion und Staat. Dafür stand die Hagia Sophia, nach Atatürks Willen 1934 zum Museum erklärt, für keine Religionsgemeinschaft mehr zu reklamieren. Den symbolischen Siegespreis von 1453 gab Atatürk frei und rückte ihn durch die Ernennung zum Museum in die Vergangenheit.

Es war eine weise Entscheidung; denn so wenig die Hagia Sophia, zum Zeitpunkt der Eroberung bereits 900 Jahre alt, als Moschee errichtet worden ist, so sehr wurde sie doch zum Bestandteil der osmanischen Architektur. Ja, sie ist geradezu der Gründungsbau der Architektur, in der sich der Glanz des Osmanischen Reiches verwirklichte.

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Denn an der schier unglaublichen Kuppel der Kirche Kaiser Justinians arbeiteten sich die osmanischen Baumeister ab – allen voran ihr bedeutendster, Sinan, der die herrlichsten Moscheebauten schuf, wie die 1557 vollendete Süleymaniye auf einem der Hügel Istanbuls. Ohne die Hagia Sophia wäre das nicht möglich gewesen. Und doch ist Sinans Baukunst kein Epigonentum, sondern schöpferische Weiterentwicklung des großen Vorbildes.

Hagia Sophia als Objekt von Wahltaktiken

Das ist der Maßstab – sogar bis heute. Denn auch Präsident Erdogan hat der Stadt eine Moschee hinzugefügt: die Çamlica-Moschee auf der asiatischen Seite Istanbuls. Ihr Bauplan ähnelt dem der Sophienkirche aus dem 6. Jahrhundert, samt Kuppel, und überhaupt ist sie die größte Moschee der Türkei. Auch das ist ein deutliches Signal, dass der Kemalismus vorbei ist, besiegt und revidiert.

Die Unesco, die der Hagia Sophia zum Weltkulturerbe erklärt hat, wird protestieren. Nur wird es nichts nützen, denn in der Türkei stehen Wahlen an. Einmal mehr will Erdoğan sein Wählerpotential mobilisieren, die in die Moderne Istanbuls geworfenen Zuwanderer aus Anatolien, die, wie so oft auf der Welt, Halt suchen bei Tradition und Religion.

Die Hagia Sophia als Objekt von Wahltaktiken zu benutzen, ist unwürdig. Aber sie wird’s überleben. Denn auch das gehört zu ihrer Geschichte: dass sie die Eroberung durch die Erzfeinde des Byzantinischen Kaiserreichs überstanden hat, im Kern unverändert. Und das schon 567 Jahre lang. Erdogans Populismus wird sie auch noch überstehen. Je mehr die Öffentlichkeit draufschaut, um so eher.

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