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Ein Recht auf Gotteslästerung?

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Auch im 21. Jahrhundert ist Europa noch nicht so säkular, wie es angemessen wäre.


Als kürzlich der britische Schauspieler Terry Jones starb, berühmt durch Filme wie "Ritter der Kokosnuss", haben wohl viele Fans der Komiker-Gruppe "Monty Python", zu der er gehörte, wieder einmal die 1979 gedrehte Jesus-Satire "Das Leben des Brian" angesehen. Das Werk ist ebenso gotteslästerlich wie mit dunkelschwarzem Brit-Humor durchtränkt: Am Höhepunkt singt Jesus am Kreuz, fröhlich vor sich hin swingend, "Always look on the bright side of life".

Wer diesen Film heute betrachtet, der kommt zum Schluss: Dergleichen könnte 2020 nicht mehr gedreht werden. Es fände keinen Produzenten, keine Finanziers, keinen Vertrieb und keine Kinos. Wenn heute in den USA unbewiesener Verdächtigungen gegen Woody Allen wegen dessen Filme nicht mehr im Kino gezeigt werden, kann man sich vorstellen, welche Reaktionen ein derart blasphemisches Machwerk heute auslösen würde.

Noch weniger will man sich freilich vorstellen, welche Folgen es hätte, würde ein derartiger Film nicht Jesus, sondern den Gründer einer anderen monotheistischen Religion zum Gegenstand haben. Wer die letzten zehn Jahre nicht völlig medienabstinent gelebt hat, kann sich das lebhaft ausmalen.

Dafür, dass wir das Jahr 2020 schreiben und vermeinen, in säkularen Gesellschaften zu leben, ist das ein wenig befriedigender Befund. Wie hilflos die westeuropäischen Gesellschaften diesem Problem nach wie vor gegenüberstehen, zeigte jüngst der "Fall Mila" in Frankreich. Die 16-Jährige hatte ein Video gepostet, in dem sie erklärt: "Ich hasse die Religion und den Koran, er ist voller Hass (. . .) Eure Religion ist scheiße", nachdem sie ein muslimischer Mann als "dreckige Lesbe" beschimpft hatte.

Nun ist Milas Einlassung gewiss vulgär, keine Frage. Nur: Dass sie seither so massiv mit dem Umbringen, dem Vergewaltigt-werden und anderen Nettigkeiten bedroht wurde, dass sie Schule und Wohnung aufgeben musste und nun im Untergrund lebt, das belegt, welches gewaltige Problem hier vorliegt; und nicht nur in Frankreich. Der Generaldelegierte des französischen Islamrates, Abdallah Zekri, beschrieb das Problem, wenn auch unfreiwillig: Er sagte, Mila habe "Wind gesät" und müsse deshalb "mit Sturm rechnen". Dass sie die Religion beleidigt habe, bedeute, dass sie auch die Folgen tragen müsse. Genau das ist der Kern des Problems. Die Vorstellung, dass das Beleidigen irgendeiner Religion, ganz egal welcher, im Jahre 2020 für einen Menschen lebensbedrohliche Konsequenzen haben kann, ist nicht hinzunehmen.

Dass in ganz Europa Feministinnen, linke Politikerinnen und Politiker und fast all jene, die sich als fortschrittlich und emanzipatorisch empfinden in der Causa Mila angestrengt wegschauten, ist auch nicht wirklich ein Ruhmesblatt für dieses Milieu. Die einzigen richtigen Worte fand hingegen Frankreichs Präsident Macron: "Wir haben das Recht auf Gotteslästerung", sagte er knapp und präzise. Jetzt brauchen wir halt nur noch jemanden, der dieses Recht in ganz Europa, auch da, wo wie in Österreich oder Deutschland Blasphemie-Paragraphen existieren, auch durchsetzbar und lebbar macht: "Always look on the bright side of life!"