Papst Franziskus hat ein Problem: die italienischen Katholiken. In der Heimat des Vatikans fühlen sich die Gläubigen zunehmend von der harten Linie des Innenministers Matteo Salvini angezogen. Franziskus und Salvini vertreten beim Thema Einwanderung radikal unterschiedliche Herangehensweisen. Während der Papst die Länder der Welt dazu aufforderte, sich um die Benachteiligten zu kümmern, hat Salvini seine Politik der geschlossenen Grenzen zum Wahlkampfthema gemacht.
Für Franziskus ist das ein Anlass zur Sorge, denn Salvini scheint bei dem Disput die Nase vorn zu haben – sogar bei den katholischen Wählern. Seit der argentinische Papst den Apostolischen Stuhl im Jahr 2013 bestiegen hat, hat er sich – ganz im Sinne der kirchlichen Tradition – für eine Willkommenskultur gegenüber Migranten eingesetzt. Als Zeichen des Protests gegen die „Gleichgültigkeit der Welt“ gegenüber den Schiffbrüchigen wusch er inhaftierten Asylsuchenden die Füße und besuchte Lampedusa – eine kleine sizilianischen Insel vor der Küste Libyens, auf der viele ankommen, die in Europa Schutz suchen.
2015, auf dem Höhepunkt der europäischen Migrationskrise, wandte sich Franziskus in einer viel beachteten Rede an die Katholiken des Kontinents und forderte sie auf, ihre Türen für die zu öffnen, die dem „Tod durch Hunger und Krieg“ zu entkommen suchten. „Möge jede Gemeinde, jede religiöse Gemeinschaft, jedes Kloster, jeder Ort, an dem sich Gläubige zum Gebet versammeln, angefangen bei meiner Diözese in Rom, eine Familie aufnehmen“, forderte er.
In letzter Zeit jedoch wird immer deutlicher, dass nicht alle in seiner Herde dem Aufruf folgen. „Momentan gibt es deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen einem erheblichen Teil der Katholiken und den Vertretern der kirchlichen Hierarchie“, stellt Luca Comodo fest, Leiter des Meinungsforschungsinstituts Ipsos. Am deutlichsten wird dieser Unterschied in den Umfragen, besonders wenn sie sich auf Salvini beziehen. Der italienische Innenminister hat, seit er seiner Lega-Partei bei der Wahl im März den dritten Platz sicherte, keine Gelegenheit ausgelassen, sich als Vorkämpfer gegen eine liberale Migrationspolitik zu präsentieren.
Privaten Rettungsschiffen mit Migranten an Bord verweigerte er, in italienischen Häfen anzulegen, und den Einwanderern im Land warf er vor, unverhältnismäßig viele Verbrechen zu begehen – und das, obwohl die Presse über einen Anstieg rassistischer Gewalt berichtete. Salvinis Haltung brachte ihm den Vorwurf des Rassismus ein, doch sie verschaffte ihm auch einen kometenhaften Aufstieg in den Umfragen. Seit März ist die Unterstützung für seine Partei von 17 Prozent auf etwa 30 Prozent gestiegen. Allein die Fünf-Sterne-Bewegung, die Partner der Lega in Italiens Regierungskoalition ist, verzeichnet ähnliche Werte.
„Die Migranten sind zum Symbol für Italiens Problem mit der Globalisierung geworden“, erläutert Comodo. „Sie müssen als Sündenböcke herhalten. Darum steht das Thema im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion, obwohl inzwischen weniger Migranten ankommen.“ Folgten die italienischen Katholiken dem Beispiel von Franziskus, müssten sie Abstand von Salvini nehmen. Stattdessen streben sie, wie der Rest des Landes, in seine Richtung. Bei den Katholiken, die wenigstens einmal in der Woche die Messe besuchen, also etwa einem Drittel der Italiener, hat sich die Unterstützung für Salvini verdoppelt. Einer Umfrage von Ipsos zufolge stieg sie von 15,7 Prozent im März auf 31,8 Prozent im Juli.
Die Popularität des Pontifex hingegen fiel einer aktuellen Umfrage zufolge von 88 Prozent im Jahr 2013, als er gewählt wurde, auf jetzt 71 Prozent. Einer der Hauptgründe dafür sei das Migrationsthema, erklärt Ilvo Diamanti, der für die Umfrage verantwortlich zeichnet. „Die Atmosphäre hat sich verschlechtert, und das geht auch an den Katholiken nicht spurlos vorbei“, sagt Oliviero Forti, der bei der Caritas Italien für Einwanderungspolitik zuständig ist. „Viele Katholiken nehmen den Heiligen Vater nicht mehr als geistlichen Führer wahr. Ihm wird im Gegenteil sogar in manchen Fällen vorgeworfen, dass er zu weit von den Problemen, mit denen sich die Menschen konfrontiert sehen, entfernt ist.“
Als Salvini im Juni einem Schiff mit Einwanderern das Anlegen in einem italienischen Hafen untersagte, brachte Franziskus über Twitter seine Solidarität mit den Passagieren zum Ausdruck. Daraufhin wurde er von allen Seiten attackiert, und man fragte: „Warum nimmst du sie nicht bei dir im Vatikan auf?“
Der katholischen Wohltätigkeitsorganisation Caritas wurde zudem vorgeworfen, mit den Einwanderern im Land Geld zu verdienen. Die Popularität von Salvini stelle für den Vatikan eine direkte Bedrohung dar, erklärte Alberto Melloni, ein prominenter Geschichtswissenschaftler der katholischen Kirche, neulich in einem Interview.
„Das Problem ist, dass es Salvini nicht einfach nur auf die katholischen Wählerstimmen abgesehen hat“, sagte er. „Manchmal hat man fast schon den Eindruck, er will ihre Seelen.“ Wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, den der italienische Innenminister bewundert, gibt Salvini sich größte Mühe, sich als Retter der, wie er es nennt, „christlichen Demokratie“ darzustellen. Bei seiner letzten Kundgebung vor der Wahl im März schwor er auf die Bibel „seinem Volk, den 60 Millionen Italienern, treu zu dienen“, und hielt dabei einen Rosenkranz in der Hand. Außerdem brachte die Lega einen Gesetzesentwurf auf den Weg, der italienische Behörden dazu verpflichten soll, ein Kruzifix aufzuhängen.
Das Ergebnis war ein Schisma, wenn auch keines der italienischen Kirche, aber zumindest eines der katholischen Wählerschaft – eine Trennung zwischen denen, die gegenüber Migranten eine Willkommenshaltung einnahmen, und denen, die die Grenzen geschlossen halten wollten. „Die Spaltung wird immer offensichtlicher“, sagt Comodo. Einige linksgerichtete Katholiken erwägen bereits die Gründung einer neuen politischen Partei, gemeinsam mit Gruppierungen, die ähnliche Ansichten vertreten.
Und als im Juni das Thema Migration wieder die Schlagzeilen des Landes bestimmte, präsentierte das katholische wöchentliche Familienmagazin „Famiglia Cristiana“ ein Titelbild mit dem Führer der Lega und einer Überschrift, die auf die Worte Jesu anspielte: „Vade Retro Salvini“ (Weiche von mir, Salvini). Der italienischen Zeitung „Il Corriere della Sera“ zufolge hielten die italienischen Bischöfe die Überschrift für „kontraproduktiv“, da sie die „Feindschaft gegenüber der katholische Kirche anheizt und die Katholiken noch weiter spaltet“.
Franziskus scheint seine Botschaft zwischenzeitlich abgemildert zu haben. An Bord des päpstlichen Flugzeugs erneuerte der Papst gegenüber Journalisten seinen Aufruf an die Länder der Welt, Migranten aufzunehmen. Diese Mal jedoch mit einer Einschränkung: „Jedes Land muss dies mit Klugheit regeln und so viele Flüchtlinge aufzunehmen, wie es integrieren, weiterbilden und in Arbeit bringen kann“, sagte er.