Priorität Krieg: Russland gerät mit seinen gigantischen Militärausgaben in einen Teufelskreis

Das russische Parlament steht vor der definitiven Verabschiedung des Haushalts für 2024. Noch nie seit dem Ende der Sowjetunion war der Anteil der Verteidigungsausgaben so hoch. Das hat seine Tücken.

Markus Ackeret, Moskau 5 min
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Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu besucht eine Rüstungsfabrik in Nischni Nowgorod.

Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu besucht eine Rüstungsfabrik in Nischni Nowgorod.

Tass / Imago

Der russische Präsident Wladimir Putin lässt kaum eine Gelegenheit aus, zu betonen, dass Russland dem Sturm getrotzt habe, den die Sanktionen des Westens in den vergangenen zwanzig Monaten über die russische Wirtschaft gebracht hätten. Russland, so stellen er und seine zuständigen Minister es dar, befinde sich zwar in einer Transformationsphase. Aber diese sei sogar heilsam und biete ganz neue Möglichkeiten – in der Zusammenarbeit nach aussen und im Voranbringen der eigenen Fähigkeiten im Innern. Der Schock und seine Folgen gelten als überwunden.

Die Regierung demonstriert einen wirtschaftspolitischen Optimismus, der jedoch vom ewigen internen Rivalen, der Zentralbank, nicht unbedingt geteilt wird – und auch nicht von der Unternehmenswelt.

Ein Drittel für die Verteidigung

Vieles daran kristallisiert sich am Staatshaushalt für das kommende Jahr. Das Budget für 2024, das die Regierung dem Parlament vorgelegt hat und das dieser Tage verabschiedet wird, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Es ist von gigantischen Ausgaben und fast schon fahrlässig optimistisch eingeplanten Einnahmen geprägt. Vor allem aber macht es so deutlich wie nicht einmal die Reden des Präsidenten: Russlands Priorität zur Fortsetzung des Krieges gegen die Ukraine. Eine längerfristige Strategie aber fehlt – ja die Implikationen der Kriegswirtschaft bringen nach Ansicht von Experten Russland in einen Teufelskreis.

Russland will 2024 36,6 Billionen Rubel (352,5 Milliarden Franken) ausgeben, das sind 22 Prozent mehr als in diesem Jahr. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bilanz stehen geplante Einnahmen von 35 Billionen Rubel (343 Milliarden Franken), ein Plus von 29 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In der Budgetplanung für die darauffolgenden zwei Jahre sind die entsprechenden Zahlen nur geringfügig kleiner. Auf mindestens drei Jahre hinaus rechnet Finanzminister Anton Siluanow mit einem jährlichen Budgetdefizit von mindestens 1 Billion Rubel.

Russlands Militärausgaben erreichen 2024 einen Höchststand

Nationale Verteidigung, in Billionen Rubel

Ein knappes Drittel der Ausgaben für kommendes Jahr macht allein der Posten «nationale Verteidigung» aus: 10,8 Billionen Rubel (105,7 Milliarden Franken) fliessen in die Armee und deren Bedürfnisse, was vor allem der Rüstungsindustrie zugutekommen wird. Eine Aufschlüsselung, wo das Geld genau ausgegeben wird, ist nicht öffentlich. Das sind rund 70 Prozent mehr als 2023 und entspricht 6 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Erstmals seit dem Ende der Sowjetunion übersteigen damit die Rüstungsausgaben die Sozialausgaben, die ebenfalls leicht angehoben und auf 7,5 Billionen Rubel (73 Milliarden Franken) veranschlagt werden.

Optimismus bei den Einnahmen

Auch sie haben mit dem Krieg zu tun: Darin eingerechnet sind unter anderem die Kompensationszahlungen für die Angehörigen Gefallener und für Kriegsinvalide – eine Geldverteilmaschine, die bereits dazu geführt hat, dass in Russland statistisch gesehen erstmals seit Jahren das real verfügbare Einkommen zugenommen hat. Nominal gleich viel Geld wie bis anhin geht in die Bildung und die Gesundheit – angesichts der Inflation entspricht das aber eher einem Rückgang als einer Stagnation. Für Subventionen in der Wirtschaft und für staatliche Investitionen steht sogar nominal weniger zur Verfügung.

Zum Gesamtbild gehören zudem die 3,5 Billionen Rubel, die in den nichtmilitärischen Sicherheitsapparat fliessen, und die rund 660 Milliarden Rubel (6,5 Milliarden Franken), die für Wohnbau und Infrastruktur in den besetzten Gebieten in der Ostukraine ausgegeben werden sollen. Weitere Geldmittel für die annektierten Territorien sind nicht extra ausgewiesen, weil sie in den anderen Budgetposten bereits enthalten sind, etwa bei den Sozialausgaben.

Siluanow verhehlt nicht, dass dieses Budget ganz auf die Bedürfnisse des Krieges ausgerichtet und sehr eng kalkuliert ist. Es ist aber höchst fraglich, ob die hohen Einnahmen, mit denen die Regierung im nächsten Jahr rechnet, überhaupt erzielt werden können. Das liegt einerseits an den optimistischen Wachstumsprognosen, die von der Zentralbank nicht geteilt werden und leicht ins Wanken geraten könnten. Dann würden auch die berechneten Steuereinnahmen zurückgehen. Anderseits ist die Regierung offenbar davon überzeugt, dass der Erdölpreis-Deckel von derzeit 60 Dollar, den die westlichen Staaten beschlossen haben, ohnehin nicht funktionieren wird. Sie rechnet mit einem Erdölpreis von 71,3 Dollar und einem Rubelkurs von 90,1 zum Dollar. In dieser Rechnung kommt dem schwachen Rubel die Rolle zu, die Einnahmen zu erhöhen.

Kriegswirtschaft als Falle

Angesichts der westlichen Sanktionen und möglicher unvorhergesehener Auswirkungen auf den Erdölpreis halten es Experten für unrealistisch, die budgetierten Einnahmen zu erzielen. Klar ist schon jetzt, dass die Regierung an allen Ecken und Enden versucht, die Wirtschaft über Steuern und Abgaben so weit wie möglich auszupressen. Ein Beispiel dafür sind die neu eingeführten Exportzölle, die mit dem Rubel-Wechselkurs korrelieren und je nach Branche zwischen 4 und 10 Prozent des Exportwertes ausmachen. Sie wurden zwar zur Stützung des Rubelkurses und nur vorübergehend eingeführt, könnten aber auch verstetigt werden. Seit Monaten steht zudem die Frage nach Steuererhöhungen für Unternehmen im Raum.

All diese Massnahmen zur Erhöhung der Einnahmen drohen aber zugleich die Wirtschaft zu bremsen – und das angestrebte Ziel damit zu gefährden. Auch die schwierige Lage am Arbeitsmarkt – die offiziell gemeldete Arbeitslosigkeit ist so tief wie noch nie, es fehlen Fachkräfte – drosselt das Wachstumspotenzial. Zugleich führt, wie die Zentralbank-Chefin Elwira Nabiullina immer wieder betont, die Ausgabenfreudigkeit zur Ankurbelung der Inflation und zwingt damit die Notenbank zur Beibehaltung der restriktiven Geld- und Kreditpolitik. Über diese stöhnen wiederum viele Unternehmer und Konsumenten, weil sie ihren Handlungsspielraum einschränkt.

Für die Ökonomin Alexandra Prokopenko und den auf Militärfragen spezialisierten Politologen Pawel Lusin begibt sich Russland mit dem Primat des Krieges in der Wirtschaftspolitik in eine Falle, wie sie auf dem Online-Portal Carnegie Politika schreiben. Die enormen Ausgaben für Rüstung und Armeebudget liessen sich nur zum Preis einer Verarmung der Bevölkerung erkaufen. Hinzu komme, dass das Geld in eine Rüstungswirtschaft fliesse, die seit Jahren hochdefizitär und ineffizient sei. Zwar wird in den wieder zum Leben erweckten Rüstungsbetrieben nun rund um die Uhr gearbeitet, was auch zum Aufschwung der umliegenden Regionen und der Zulieferer führt. Aber umso stärker treibt das die übrige Wirtschaft in den Teufelskreis.

Würde der Krieg gestoppt und wäre die Produktion im Akkord plötzlich nicht mehr nötig, fiele nach Meinung der beiden Autoren die russische Wirtschaft in eine Schockstarre. Insofern ist das Budget für die nächsten Jahre ein weiterer Beleg dafür, wie sehr Putin sein eigenes Schicksal und das seines Landes an die Fortsetzung des Krieges gegen die Ukraine – und in russischer Lesart: gegen den Westen – geknüpft hat.