Die Praxis der EU bei der Finanzierung der Palästinenser wirft Fragen auf

Die EU ist die wichtigste Geldgeberin in den palästinensischen Autonomiegebieten. Laut dem israelischen Geheimdienst profitieren von den Hilfszahlungen auch Terroristen. Die Kommission in Brüssel dementiert das energisch.

Daniel Steinvorth, Brüssel
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Am 10. Mai 2021 brachen in Israel und im Gazastreifen die schwersten Auseinandersetzungen im Nahostkonflikt seit Jahren aus.

Am 10. Mai 2021 brachen in Israel und im Gazastreifen die schwersten Auseinandersetzungen im Nahostkonflikt seit Jahren aus.

Mohammed Saber / EPA

Die Vorwürfe sind happig. Millionen von Euro – angeblich ein achtstelliger Betrag – sollen von der EU und einigen ihrer Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren über NGO an die marxistische Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) geflossen sein. Das berichteten israelische Medien Anfang Mai.

Laut dem israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet ist es PFLP-nahen Organisationen wie dem Health Work Committee gelungen, die Geldgeber in Europa gezielt zu täuschen, indem Berichte über fiktive Projekte, aufgeblähte Rechnungen und gefälschte Lohnabrechnungen erstellt wurden. Verwendet worden seien die Zahlungen dann, um PFLP-Kämpfer zu rekrutieren, Waffen zu kaufen oder die Ideologie der Gruppe zu fördern. Die Befreiungsfront wird von der EU als terroristische Organisation eingestuft. An den jüngsten Kämpfen zwischen Israel und der islamistischen Hamas war sie auch beteiligt.

Humanitärer Deckmantel

Hat sich die EU blenden lassen? In einer Erklärung forderte das israelische Aussenministerium die europäischen Regierungen am 6. Mai auf, finanzielle Hilfen an Institutionen, die «unter dem Deckmantel humanitärer Organisationen» Gelder für die PFLP eintreiben, unverzüglich einzufrieren. Das Ministerium bestellte die Botschafter der betreffenden Länder ein. Vier Mitarbeiter des Health Work Committee, unter ihnen eine Frau mit spanischem Pass, die für das Fundraising in Europa verantwortlich war, wurden verhaftet.

Nur vier Tage später brachen in Israel und im Gazastreifen die schwersten Auseinandersetzungen im Nahostkonflikt seit Jahren aus, und einmal mehr mussten sich europäische Staaten den Vorwurf der indirekten Terrorfinanzierung gefallen lassen. Zu Recht?

Laut der EU-Kommission ist die Union die grösste Geldgeberin in den palästinensischen Gebieten. Rund 1,28 Milliarden Euro stellte sie im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik zwischen 2017 und 2020 für die Finanzierung der Autonomiebehörde, für die Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge und für wirtschaftliche Entwicklungsprojekte im Westjordanland, aber auch im Gazastreifen und in Ost-Jerusalem bereit. Zusammen mit den Direkthilfen aus den Mitgliedstaaten summierten sich die Zahlungen an die Palästinenser im selben Zeitraum auf 2,3 Milliarden Euro.

Dass der Verwaltungsapparat im Westjordanland ohne Brüssel nicht überlebensfähig wäre, ist kein Geheimnis. Über ein Programm namens Pegase (Mécanisme Palestino-européen de Gestion de l'Aide Socio-économique) finanziert die EU einen grossen Teil der Gehälter und Pensionen der Angestellten. Sie kommt aber auch für Spitalkosten und für Sozialhilfen auf, von denen Familien im Gazastreifen profitieren. Politisch zahlt sich dieser Einsatz jedoch weniger aus, wie die EU gerade erst wieder feststellen durfte: Im Nahostkonflikt spielt sie als vermittelnde Akteurin derzeit keine Rolle.

Schon seit langem beschuldigt Israel die Europäer, sich von Netzwerken mit Verbindung zu Terrorgruppen instrumentalisieren zu lassen. Sie wirft der EU auch vor, nichts gegen sogenannte «Märtyrerrenten» – also gegen grosszügige Zahlungen für die Familien von gestorbenen Attentätern – zu unternehmen, die einen finanziellen Anreiz für Terror schaffen. Die EU reagierte, indem sie Ende 2019 ihre Richtlinien verschärfte. Gelder erhalten sollten fortan nur noch NGO, die sicherstellten, dass ihre Mitarbeiter keine Organisation unterstützten, die auf der EU-Terrorliste stünden.

Hohe Kontrollstandards?

Eine Sprecherin der Kommission teilte gegenüber der NZZ mit, dass jeder Begünstigte von Fördermitteln streng überprüft werde: «Alle EU-Beiträge unterliegen hohen Kontrollstandards, die der Europäische Rechnungshof als robust bezeichnet hat.» Jeder Anschuldigung nach einem möglichen Missbrauch werde nachgegangen. Die EU stehe «an der Spitze der weltweiten Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung».

Eine direkte oder indirekte Unterstützung der Hamas oder einer anderen terroristischen Organisation weist die Kommission mit Nachdruck zurück. Noch im Mai 2020 liess der EU-Botschafter für die Palästinensergebiete, Sven Kühn von Burgsdorff, allerdings durchblicken, dass sich trotz der verschärften Regelung an der bisherigen Förderpraxis nichts ändern werde, wie israelische Medien irritiert berichteten.

Der Diplomat hatte offenbar den Dachverband palästinensischer NGO beschwichtigen wollen, der eine «Kampagne gegen die palästinensische Zivilgesellschaft» beklagt hatte. Vermutlich unfreiwillig suggerierte von Burgsdorff damit jedoch auch, dass die EU-Bestimmungen gegen den Terror weniger wasserdicht sind, als man es in Brüssel wahrhaben will.

Dem Brüssel-Korrespondenten Daniel Steinvorth auf Twitter folgen.