Buchtipp

Wenn Gott beleidigt wird

Wo Götter sind, da ist auch Blasphemie: Der Geschichte der Gotteslästerung folgt der deutsche Historiker Gerd Schwerhoff mit seinem Buch „Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie“ quer durch die Kulturen und Religionen.

Es ist schon das zweite der Zehn Gebote: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht“, heißt es in Ex 20,7. Was ist Blasphemie, und wie haben sich ihre Absichten und Adressaten im Lauf der Zeit gewandelt? Eingangs macht der Autor anhand drastischer Beispiele klar: Gotteslästerung ist kein bedeutungsloses Relikt aus gottesfürchtigeren Epochen, sondern ein brisantes Thema unserer Zeit.

Protestveranstaltung in Kaschmir gegen Karikaturen der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“ am 23. Jänner 2015
APA/AFP/Rouf Bhat
Proteste in Kaschmir gegen Karikaturen der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“ am 23. Jänner 2015

Wer nicht gleich an den Terroranschlag auf das französische Satireblatt „Charlie Hebdo“ im Jahr 2015 denkt, bei dem zwölf Menschen von Islamisten ermordet wurden, hat vielleicht noch die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung „Jyllandsposten“ im Gedächtnis, denen Fatwas und Morddrohungen folgten – ältere Semester erinnern sich an Salman Rushdie und die Aufregung, die seine „Satanischen Verse“ Ende der 80er Jahre in der islamischen Welt verursachten.

Starke Emotionen und Gewalt

Aber warum erzeugt die Beleidigung oder auch bloße Erwähnung übernatürlicher Wesen derart starke Emotionen und nicht selten Gewalt? Zunächst einmal lasse sich die Schmähung als „Verletzung definieren, die Personen durch Worte, Gesten oder andere symbolische Akte zugefügt wird“, so der Autor. Ursprünglich bedeutete „blasphemia“ so viel wie „Schlechtes reden“ – der Begriff sei lange Zeit keineswegs nur auf die Lästerung Gottes zugespitzt gewesen, so Schwerhoff.

Auch lassen sich unterschiedliche Formen der Gotteslästerung feststellen. So sei in früheren Jahrhunderten „die Gegenwart Gottes für die meisten Menschen eine sehr greifbare Realität“ gewesen – das quasi „vermenschlichte“ Bild Gottes oder der Götter erkläre, dass die Verhöhnung durchaus als persönlich aufgefasst worden sei: Gott selbst wurde beleidigt.

„Anschlag auf den sozialen Frieden“

Schwerhoff: „Als im Zuge der Aufklärung die Vorstellung einer Ehrverletzung Gottes obsolet wurde, musste das Delikt der Blasphemie neu bestimmt werden. ‚Religionsbeschimpfung‘ wurde nun als Angriff auf die Fundamente von Staat und Gesellschaft, als Anschlag auf den sozialen Frieden oder schlicht als Verletzung religiöser Gefühle verstanden.“

Gerd Schwerhoff: Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie
S Fischer Verlag

Buchhinweis

Gerd Schwerhoff: Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie. S. Fischer, 528 Seiten, 29,90 Euro.

Das Buch beginnt in chronologischer Reihenfolge in der Antike. Das Alte Testament fackelt nicht lang mit Gotteslästerung: „Wer seinem Gott flucht, der soll seine Schuld tragen“, heißt es hier – und das bedeutet die Steinigung (Lev 24,10–16).

Kein Merkmal des Monotheismus

Die Herabwürdigung von Gottheiten ist aber kein besonderes Merkmal des Monotheismus: Beleidigte Göttinnen und Götter finden sich in der klassischen Mythologie zuhauf. So beschreibt unter anderem die Ilias zahlreiche Fälle grausam bestrafter Lästerer. Etwa drohte dem Griechen Aias die Steinigung, nachdem er die Königstochter Kassandra vor dem Kultbild der Pallas Athene vergewaltigt hatte – wohlgemerkt nicht wegen der Tat selbst, sondern wegen der Schändung des Heiligtums.

Doch eine wirkliche Bedeutung habe die Blasphemie erst im Mittelalter bekommen, schreibt Schwerhoff: Etwa ab 1200 sei sie in kirchlichen und weltlichen Gesetzestexten unter Strafe gestellt worden. Als „Zungensünde“ schaffte es die Gotteslästerung in die Lasterkataloge.

Lästern konnte die Zunge kosten

Schaut man sich diese Strafen an, fällt es schwer zu begreifen, dass sich überhaupt jemand dazu verstieg: Diese reichten – je nach Stand – von geistlichen Strafen (Stehen vor der Kirchentür während des Hochamts) über Geldbußen bis hin zu Landverlust und schaurigen körperlichen Strafen wie dem Durchbohren der Lippen mit einem heißen Eisen und dem Abschneiden der Zunge. Die Stadt Wien übrigens habe sich als „Pionierin“ in Sachen Zungeabschneiden hervorgetan, weiß der Historiker zu berichten.

Beliebt waren offenbar auch blasphemische Schwüre: Wer es etwa wagte, auf „Gottes Gestank“ oder „Gottes Mähre“ einen Eid abzulegen, beleidigte damit den Herrn beziehungsweise die Jungfrau Maria und wurde laut einer kirchlichen Verordnung im deutschsprachigen Raum mit hohen Geldbußen belegt. Wer nicht zahlen konnte, fasste eben eine Prügel- oder andere Körperstrafe aus.

Todesstrafe für „tätliche“ Blasphemie

In der Neuzeit wurde unter anderem „tätliche“ Blasphemie mit dem Tod bestraft. Schwerhoff nennt als Beispiele die Taten einiger Wiener Frauen im 17. Jahrhundert, die eine geweihte Hostie zerschnitten oder zerstoßen oder ein Kruzifix zerschlagen hatten. Alle drei wurden hingerichtet – dies sei aus „Überdrüssigkeit ihres Lebens“ geschehen, heißt es in einer Chronik. Der Autor hält das für plausibel, denn Suizid galt als viel schwerere Sünde.

In jüngster Zeit entstanden Blasphemiedebatten oft im Kunstbereich: So sorgten etwa Martin Scorseses Darstellung eines mit Maria Magdalena verheirateten Jesus im Film „The Last Temptation of Christ“ sowie Madonnas „Like a Prayer“-Video, das einen schwarzen Christus zeigte, Ende der 1980er Jahre für Skandale.

Gotteslästerung im 21. Jahrhundert

Noch im 21. Jahrhundert kann Gotteslästerung das Leben oder die Freiheit kosten. Die pakistanische Christin Asia Bibi saß, bevor sie 2019 freikam, jahrelang in der Todeszelle, weil sie den Koran beleidigt haben soll – viele andere Menschen haben weniger Glück. Aber „Gesetze gegen Gotteslästerung und Repressionen gegen Gotteslästerer sind nicht auf muslimische Länder beschränkt“, erinnert Schwerhoff und führt als Beispiel Indien an: Ein aus der britischen Kolonialzeit übernommener Artikel zum Schutz religiöser Gefühle werde von Hindu-Nationalisten gegen Muslime und Christen instrumentalisiert.

T-Shirts werben für die Abschaffung des Blasphemiegesetztes in Irland, 2018
Reuters/Clodagh Kilcoyne
Irland entfernte 2018 das Gotteslästerungsverbot aus der Verfassung

Aber auch im Westen hatte und hat die Kriminalisierung der Blasphemie einen langen Atem: 2012 wurden die Mitglieder der Frauenpunkband Pussy Riot wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“ während einer Performance in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche zu Freiheitsstrafen verurteilt. Im Jahr 2021 wurde der italienische Torwart und frühere Fußballweltmeister Gianluigi Buffon für ein Spiel gesperrt – er hatte gegen eine Geldbuße Einspruch erhoben, die wegen blasphemischer Aussagen gegen ihn verhängt worden war.

„Blasphemie-Paragraf“ in Österreich

Erst 2018 strich etwa das katholische Irland nach einer Abstimmung das Gotteslästerungsverbot aus der Verfassung. In Österreich hingegen ist der „Blasphemie-Paragraf 188“ geltendes Recht. Hier heißt es unter „Herabwürdigung religiöser Lehren“: „Wer öffentlich eine Person oder eine Sache, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft bildet, oder eine Glaubenslehre, einen gesetzlich zulässigen Brauch oder eine gesetzlich zulässige Einrichtung einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft unter Umständen herabwürdigt oder verspottet, unter denen sein Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.“

Verurteilungen nach diesem Straftatbestand sind hierzulande allerdings sehr selten geworden.