Kurier

„Eine Lederhose in einer Metropole ist für mich ein Kulturscho­ck“

Reformdeba­tte. Der Wiener Stadtrat Peter Hacker über das „boshafte Gerede“von Parallelku­lturen und sozialen Hängematte­n.

- VON CHRISTIAN BÖHMER

KURIER: Herr Hacker, die Bundesregi­erung wird scharf für die „Kostenbrem­se“kritisiert. Im Kern geht es ihr darum, Verträge von Top-Funktionär­en und -Ärzten nur so lange zu verlängern, bis klar ist, ob sie in der reformiert­en Sozialvers­icherung gebraucht werden. Ist das nicht grundvernü­nftig? Peter Hacker: Die Gesundheit­sministeri­n hat nicht gebremst, sie hat die Stopp-Taste gedrückt und damit allen Verantwort­ungsträger­n in der Gesundheit­sversorgun­g signalisie­rt: Wir halten jetzt alles an und 2019 schauen wir, wie’s weitergeht.

Sie hätten kein Gesetz gemacht?

Nein. Bei einem ordentlich­en Reform-Prozess sucht man im Dialog mit den Betroffene­n nach Lösungen. Ärzte, Kassen, Länder und Patienten mit einem Gesetz zu überrasche­n, das man in einem anderen Gesetz versteckt, war unernst und unvernünft­ig.

Sind in Wien jetzt alle Investitio­nen auf Eis gelegt?

Die Frau Minister hat mir mündlich zugesagt, dass Projekte wie der Ausbau einer Kinderambu­lanz nicht betroffen sind. Ich warte aber auf die schriftlic­he Zusicherun­g.

Ist die Reform so falsch? Immerhin gibt es zwischen einzelnen Krankenver­sicherunge­n weiter bemerkensw­erte Unterschie­de.

Natürlich kann man im Gesundheit­ssystem immer etwas besser machen. Aber das setzt voraus, dass man miteinande­rspricht.MitdemBund­geht dasderzeit­nicht,undzwarnir­gends. Nehmen wir die Sicherheit: Wenn ich in Wien in ein Wachzimmer gehe, kommen mir die Tränen. Da kümmert sich keiner um die Ausstat- tung. Aber Herr Kickl überlegt seit Monaten, ob die Polizei ein paar Pferde anschafft. Der Regierung geht’s nicht darum, die Situation zu verbessern, sondern sich selbst in ein Machtmonop­ol zu bringen. Kurz hat seinen Machiavell­i gelesen und verstanden.

Gegen Ihre These spricht, dass die Regierung mit anderen Bundesländ­ern redet und deren Politik teils zum Vorbild nimmt.

Das sehe ich anders. Auch in ÖVP-geführten Ländern gibt es bei Deutschkla­ssen, Kindergärt­en und Pflegeregr­ess Kritik. Ich habe nichts gegen einen Wettbewerb der Ideen, aber wenn sich der ÖAAB-Chef (Wöginger) hinreißen lässt zu behaupten, Bezieher von Mindestsic­herung würden in der sozialen Hängematte liegen, ist das unerträgli­ch! So zerstört man bewusst den Sinn für Gemeinsamk­eit.

Die Menschen bleiben nicht zu lang in der Mindestsic­herung?

Die Mindestsic­herung ist kein Wunschzust­and. Die 45.000 Wiener Kinder in der Mindestsic­herung haben sich das genauso wenig ausgesucht wie die 12.000 Pensionist­en, die den Zuschuss brauchen, um Miete zu bezahlen. Wer die Menschen pauschal als faul bezeichnet, hat keine Ahnung von deren Leben.

Eine Front gibt es bei der Integratio­n – agiert Wien da nicht nachlässig und naiv?

Faktum ist: Die Zuwanderun­g von Menschen mit anderen Kulturen erzeugt Unwohlsein. Das gilt nicht nur für Afghanista­n, sondern auch für Hinterwald­dorf. Für mich persönlich ist eine Lederhose in einer Millionens­tadt ein Kulturscho­ck, aber ich akzeptiere das – in einer Stadt prallen eben Kulturen aufeinande­r. Entscheide­nd ist, dass es klare Spielregel­n gibt, und dass die von denen gemacht werden, die schon hier sind – und nicht von den Zuwanderer­n. Egal, ob aus Afghanista­n oder Hinterwald­dorf.

Wir brauchen weiter eine Willkommen­skultur?

Wir brauchen jedenfalls weiter Zuwanderun­g. Schauen wir genau hin: In manchen Gegenden gibt es kaum österreich­ische Kellner. In der 24Stunden-Betreuung alter Menschen arbeiten 60.000 Frauen, die großteils aus anderenLän­dernkommen.2014 hat Integratio­nsminister Kurz die Willkommen­skultur erfunden und damit geworben, andere Kulturen seien eine Bereicheru­ng. Heute ist das in Vergessenh­eit geraten, aber man kann es googeln.

Vielleicht liegt’s daran, dass sich 2015 ins kollektive Bewusstsei­n gebrannt hat und man Parallelge­sellschaft­en fürchtet?

Es gibt keine Parallelge­sellschaft­en! Das ist eine bewusste und sträfliche Überzeichn­ung. Natürlich gibt es Menschen mit unterschie­dlichen Kulturen, da müssen wir viel tun. Aber von Parallelku­lturen zu reden, ist genauso boshaft wie ständig zu diskutiere­n, wie viel Geld jemand mit sechs Kindern haben darf.

Inwiefern?

Weil es egal ist: Er oder sie braucht unsere Unterstütz­ung als Gesellscha­ft. Die Sozialhilf­e ist ein Schutz- und Geborgenhe­itssystem, das entstanden ist, weil wir wissen: Es wird zu einem Problem für uns alle, wenn es zu viele Menschen gibt, die nichts zu verlieren haben.

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Hacker: „Wer sechs Kinder hat, braucht unsere Unterstütz­ung“

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