28.06.2012

Kölner Gerichtsurteil gegen Beschneidung: Und was ist mit Namensgebung, mit Taufe und mit Ohrloch-Stechen...?

(Fortsetzung)
Bischof Mussinghoff, in der Deutschen Bischofs-
konferenz für die Beziehungen zum Judentum zustän-
dig, nannte das Urteil „äußerst befremdlich“. Es sei nicht einsichtig, weshalb die Beschneidung dem Interesse des Kindes zuwiderlaufe; der Gegensatz zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem Wohl des Kindes sei von den Richtern konstruiert. Die Freiheit des Kin-
des, sich später für eine andere Religion zu entschei-
den, sei durch den Eingriff nicht eingeschränkt.


Da haben wir nun den Salat! Auf der einen Seite erklärte sogar das Bundesverfassungsgericht zum Erstaunen mancher Beobachter das betäubungslose Schächten von Tieren aus religiösen Gründen für erlaubt, und nun soll ein weltweit häufig praktizierter medizinischer Ein-
griff illegal sein, obwohl die Beschneidung seit Jahr-
tausenden zentraler Bestandteil des Judentums ist.
Kein Wunder also, wenn manche in diesem Urteil letzt-
lich das Verbot des gelebten Judentums in Deutschland sehen. Den Betroffenen bliebe dann nur der Weg ins Ausland oder in irgendein medizinisch bedenkliches Hinterzimmer. Nachvollziehbar also, wenn die Em-
pörung groß ist.

Mir scheint, die Richter haben hier nicht zu Ende ge-
dacht und wesentliche Gesichtspunkte übersehen.
Die Beschneidung wird z.B. in den USA bei etwa 70 % der Jungen praktiziert, auch bei Christen. Doch auch
in Europa ist die Maßnahme verbreiteter, als man an-
nehmen möchte. Zum Beispiel die Zeitschrift „Der Stern“ berichtete über medizinische Vorteile, und „Der Spiegel“ schilderte gerade bei der Oberschicht von einem regel-
rechten Trend, bis hin zum englischen Königshaus.

Die maßgebliche Frage ist jedoch die, ob der Ansatz des Gerichtes stichhaltig ist, hier würde durch die religiöse Be-
schneidung das Wohl des Kindes gefährdet, weil sein Körper „dauerhaft und irreparabel verändert“ werde. Folgt man diesem Argument, ergeben sich nämlich weitere Fragen: Wie ist das dann mit Eltern, die ihrem Kind in den ersten 
Lebensjahren, also vor seiner Mün-
digkeit, Ohrlöcher stechen lassen? Selbst seine Zu-
stimmung wäre irrelevant, da es die Folgen für sein weiteres Leben gar nicht übersehen kann.
Und wie ist es mit anderen Entscheidungen der Eltern für ihr Kind, z.B. bei einer riskanten Operation? Und was ist mit lebensprägenden Entscheidungen wie die Kinder-
taufe oder die Auswahl des Vornamens?
Man könnte sicher eine lange Liste aufstellen bis hin zur Auswahl der Schule oder der Wahl des Wohnortes, wo Eltern für ihr Kind folgenreiche Entscheidungen treffen.
Man kann es absehen: Wenn die Kölner Richter glau-
ben, das dieses Urteil langfristig für ganz Deutschland bindend wird, dann haben sie sich aber gewaltig geschnitten! 

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Protest Bischof Mussinghoff >> BITTE KLICKEN !
Josef Bordat: Judentum strafbar? >> BITTE KLICKEN !
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8 Kommentare:

Akatair hat gesagt…

Das Urteil ist nicht ernsthaft nachvollziehbar. Schon aus medizinischen Gründen ist eine Beschneidung von männlichen Babies sehr sinnvoll, weil dadurch zahlreichen zukünftigen Erkrankungen vorgebeugt wird. So sinnvoll, dass man erwägen sollte, sie generell zu empfehlen. Besonders auch, da die Phimose nicht gerade Seltenheitswert hat und die OP riskanter und schmerzhafter wird, je älter der Patient ist. Hier wurde wohl mehr in (anti-)religiösen Bahnen gedacht, statt medizinische Erwägungen zu berücksichtigen.

Und Ohrlöcherstechen ist tatsächlich auch eine Körperverletzung - wenn man es genaunimmt. Mir wurde das als kleines Mädchen auch halb aufgezwungen, es hat tagelang wehgetan und ich war noch Jahre zornig über die Sache.

Kurt Schmitt hat gesagt…

Der Flurschaden, den die Kölner Richter angerichtet haben, ist immens.
Jeder gläubige Jude muss doch entsetzt sein, dass er ausgerechnet in Deutschland nach den furchtbaren Erfahrungen der Nazi-Zeit schon wieder Angst haben muss. Einfach nur traurig, das Urteil!

Anonym hat gesagt…

@ Akatair: Die medizinischen Vorteile sind relativ gering. Und im Übrigen hat eine Beschneidung bei einwilligungsfähigen Jungen (ab 14 Jahren) die gleichen Vorteile, da diese ohnehin erst mit der Geschlechtsreife relevant werden. Experten raten von der routinemäßigen Beschneidung ohne medizinische Indikation ab, siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Zirkumzision
.
Und ja: Ohrlochstechen ist ebenfalls eine Körperverletzung. In den meisten (seriösen) Piercingstudios wird das bei Kindern auch nicht gemacht. Der Fall ist bisher gerichtlich nur noch nicht entschieden. Das kann sich aber schnell ändern, sobald ein kleines Kind mal ernsthafte medizinische Folgen erleidet. Dann ist die Staatsanwaltschaft evtl. auch zur Stelle.
.
Deutschland ist mit dieser Rechtsprechung Vorreiter, aber auch andere Länder rücken immer mehr von der Beschneidung ab. In Schweden ist sie bei Babys, die älter als 2 Monate sind, verboten.

Der Thuriferar hat gesagt…

zu "Anonym": Man wird immer Länder finden, die so oder gegenteilig entscheiden. In den USA z.B. sind drei Viertel aller Jungen beschnitten.
Staaten, die sich um die Vorhaut gesetzliche Sorgen machen, aber Hunderttausende von Kindern im Mutterleib töten lassen, sind mir wenig überzeugend.

Marina hat gesagt…

Man sieht hier religiöse Rituale als generell feindliche Akte gegen das arme Kind, das natürlicherweise Atheist geworden wäre, wenn nicht diese schlimmen Eltern ihre Religion aufzwingen würden. Diese Menschen müssen begreifen, dass ALLE Eltern ihren Kindern etwas “aufzwingen”, nämlich ihre Werte, und das ist Erziehung. Manche erziehen den Glauben an Gott, andere sagen einfach nur: “Sei kein Arschloch und hilf deinen Mitmenschen”. Manche vererben die Tradition von Sonntagsspaziergängen oder Weihnachts- und Neujahrsfeiern, andere auch noch den Gottesdienst. Alle Eltern geben ihren Kindern etwas weiter und das ist gut so. Solange sie später, wenn das Kind aus der Tradition ausbricht, auch verständnisvoll darauf reagieren, ist doch alles gut. Ich werde hier nicht mit Lesern diskutieren, die alle gläubigen Menschen für Religionsfanatiker halten, denn das ist einfach nicht wahr. Es ist genau so ein Wertekanon, wie es ihn in jeder anderen Familie gibt.
Und nein, ich bin nicht religiös aufgewachsen, meine Eltern haben mir nie von Gott erzählt, und ich wünschte sehr, sie hätten es getan, das hätte mir viel erspart und im Leben sehr geholfen. Also da habt ihr den umgekehrten Fall.

Harald M. hat gesagt…

Wo kommen wir hin, wenn Eltern keine unwiderruflichen Entscheidungen für ihre Kinder mehr treffen dürfen? Soll der Staat entscheiden, ob ein Kind in der Stadt aufwächst oder auf dem Land, ob es Klavier lernt oder in den Religionsunterricht geht, ob es mit oder ohne Fernsehen aufwächst? All diese Entscheidungen prägen und sind unwiderruflich, man kann sie aber nicht gut ins Erwachsenenalter verschieben, da lernt man nie mehr perfekt Geige. Auch die Beschneidung im Mannesalter ist, wie ich hörte, keine ganz so einfache Sache.

Anonym hat gesagt…

Grundsätzlich gelten die Elementar-Rechte des Menschen, bzw. die Regeln des Grundgesetzes. Hierzu einige Merksätze, die darauf gründen:

Selbst-Bestimmtheit geht irrealen, bloßen Ideen vor.
Die Beschneidung Unmündiger ist gesetzeswidrig.
Die Selbst-Bestimmtheit ist Urgrund des Rechts auf Unversehrtheit.
Der Anspruch auf Unversehrtheit wird durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt.

Art. 4 GG beseitigt nicht Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.
Anders ausgedrückt: Die Freiheit etwas glauben zu können erlaubt nicht jedes Handeln, denn: Zwischen Glauben und Handeln besteht ein grundsätzlicher Unterschied.

Auch der meist falsch gebrauchte Begriff "Toleranz" wirkt bei Beschneidung von Minderjährigen nicht, denn:
Gesetzesgemäßes Handeln kann nicht toleriert, sondern nur akzeptiert werden. Gesetzeswidriges Handeln kann weder toleriert, noch akzeptiert werden.

Bert Steffens Freier Philosoph Andernach

Der Thuriferar hat gesagt…

Meinen Sie, Herr Steffens, damit auch die Zigtausenden von Schwangerschaftsabbrüchen?

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