Mann geht auf Straße im Waiapi-Reservat
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Überfall in Reservat

Spannungen in Amazonas-Gebiet steigen

Seit im Norden Brasiliens Dutzende bewaffnete Goldsucher in ein abgelegenes Reservat Indigener eingedrungen sind, steigt die Sorge vor möglichen gewaltsamen Zusammenstößen. Ein Mann wurde getötet, die Polizei nahm Mordermittlungen auf. Brasiliens Regierung will manche der streng geschützten Gebiete für eine kommerzielle Nutzung freigeben. Seither fühlen sich auch indigene Gruppen unter Druck.

Lokale Politiker und Anführer indigener Gruppen schlugen zuletzt Alarm: Dutzende Goldminenarbeiter seien am Samstag in das rund 600.000 Hektar große Waiapi-Reservat im Bundesstaat Amapa eingedrungen und hätten ein Dorf gekapert. Die dort ansässigen Menschen wurden in die Flucht geschlagen. Ein Anführer der indigenen Gemeinschaft sei getötet worden. Emyra Waiapi sei nahe dem Dorf Mariry in einem Fluss erstochen aufgefunden worden.

Ein Senator des Bundesstaats, Rodolfe Rodrigues, nannte die Situation „sehr ernst“. Er und viele andere hatten verzweifelte Hilferufe aus der Gegend über Soziale Netzwerke erhalten. Rodrigues, der Brasiliens Opposition angehört, sprach von rund 50 Minenarbeitern, die Maschinengewehre und andere Waffen hätten. „Das wäre das erste gewaltsame Eindringen seit 30 Jahren, seit der Abgrenzung der indigenen Reservate in Amapa“, so Rodrigues. Ein „Blutbad“ sei möglich, zitierte ihn die BBC. Die Bewohner könnten zurückkehren und ihre Territorium wieder beanspruchen.

Goldschürfen könnte legal werden

Auch Beth Pelaes, Bürgermeisterin einer benachbarten Gemeinde in Amapa, warnte, die Situation sei sehr angespannt. Die Waiapi seien sehr traditionell, Fremde würden sie nur selten dulden. Laut der Nationalen Stiftung der Indios (FUNAI) machten sich Bundespolizei und eine Spezialeinheit auf, um Untersuchungen vorzunehmen. Wegen des ermordeten Emyra Waiapi wurden inzwischen Ermittlungen aufgenommen.

Frauen und Kinder im Waiapi-Reservat
APA/AFP/Apu Gomes
Waiapis im Reservat: Sie leben weitgehend isoliert

Illegale Goldsuche im Amazonas-Gebiet nahm inzwischen „epidemische“ Ausmaße an, wie der britische „Guardian“ am Sonntag berichtete. Und die „Garimpeiros“, die Goldschürfer, hinterlassen in Wäldern und Gewässern schwere Quecksilberverschmutzungen. Seit der ultrarechte Präsident Jair Bolsonaro zu Jahresbeginn das Amt übernahm, stiegen die Spannungen im Amazonas-Gebiet. Bolsonaro plant, einige der streng geschützten Gebiete für kommerziellen Rohstoffabbau freizugeben. Derzeit wird ein Gesetz zur Legalisierung von Goldschürfstätten erarbeitet. Zudem plant die Regierung den Bau von Asphaltpisten durch bisher unberührten Urwald.

Nähe zu USA gesucht

Kureni Waiapi von dem betroffenen Volk machte laut „Guardian“ Bolsonaro auch für den aktuellen Konflikt in Amapa mitverantwortlich. Der Präsident habe zu Überfällen wie jenem auf Mariry ermutigt. „Der Präsident ist eine Bedrohung für die indigenen Völker Brasiliens“, so Kureni Waiapi. Auch der oppositionelle Senator Rodrigues sah die Verantwortung bei Bolsonaro. Seine wiederholten Versprechen, Bergbau in den geschützten Gebieten zu erlauben, hätten zu dem Überfall geführt. „Die Regierung von Jair Bolsonaro feuert diesen Konflikt an, ermutigt die ‚Garimpeiros‘ dazu einzudringen. Ihre Hände sind beschmutzt“, so Rodrigues.

Bolsonaro stellte wiederholt den Schutz der Gebiete infrage. Kürzlich verglich er Indigene mit „prähistorischen Menschen“. Am Samstag betonte er erneut den Rohstoffreichtum einiger Reservate. „Ich ersuche die ‚erste Welt‘, diese Gebiete in Partnerschaft zu erkunden und Mehrwert daraus zu schöpfen. Das ist der Grund für meine Annäherung an die USA. Das ist der Grund, wieso ich eine Vertrauensperson in der Botschaft in den USA brauche“, so Bolsonaro, der seinen Sohn Eduardo als Botschafter nominieren will.

Streit über Ausmaß der Abholzung

Der Präsident sorgte auch für Kritik, als er die Verwaltung der Reservate, die bis dahin die Organisation FUNAI innehatte, dem Landwirtschaftsministerium übergab. Umweltorganisationen und Wissenschaftler argumentieren, die Lockerung der Regenwaldpolitik sei eine große Gefahr für Regenwald und Indigene. Zudem kritisierte Bolsonaro das brasilianische Institut für Weltraumforschung (INPE), das den Regenwald per Satelliten überwacht, es lüge über das wahre Ausmaß der Abholzung.

Abgeholzter Regenwald im Norden Brasiliens
AP/Andre Penner
In Brasilien steigt die Sorge vor zunehmender Abholzung des Regenwalds

Tatsächlich gab es im Juni eine Steigerung von 60 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, wie die Zeitung „O Globo“ unter Berufung auf INPE berichtete. Insgesamt gingen im Juni 762 Quadratkilometer Urwald verloren. Für das gesamte erste Halbjahr werden Verluste von 2.300 Quadratkilometern kalkuliert – das ist der höchste Wert seit 2016. Die Abholzungszahlen steigen in der nun beginnenden Trockenzeit immer stark. Ein genaueres Bild über die Situation in den Amazonas-Wäldern dürfte zum Jahresende mit der Veröffentlichung der offiziellen Abholzungszahlen für Mitte 2018 bis Mitte 2019 erkennbar werden. Insgesamt wurde in den vergangenen Jahrzehnten schon rund ein Fünftel des Amazonas-Waldes vernichtet.

UNO kritisiert „Ermordung“

UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet hat die „Ermordung“ des indigenen Stammesführers verurteilt. Der Tod des Mannes vom Stamm der Waiapi sei ein „beunruhigendes Symptom“ für die zunehmenden Übergriffe in Gebieten indigener Völker durch Bergleute, Holzfäller und Landwirte, erklärte Bachelet am Montag.

Die Politik der Regierung Bolsonaros, zusätzliche Teile des Regenwalds für den Bergbau zu öffnen, werde „gewaltsamen Zwischenfällen, Einschüchterungen und Morden“ weiter Vorschub leisten. Bachelet rief die brasilianische Regierung dazu auf, die „Invasion der indigenen Gebiete zu stoppen“ und deren Rechte zu schützen.