Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 33 / 61

JOHANNES XXIII. Mit R

aus DER SPIEGEL 45/1958

Dieser Name ist Uns lieb, weil es der Unseres Vaters war. Er ist Uns teuer, weil es der Name der kleinen Pfarrkirche war, in der Wir Unsere Taufe erhielten. Es ist dies der Name, der in der langen Reihe der römischen Päpste am häufigsten angenommen wurde . . .«

Mit diesen Worten erläuterte am vergangenen Mittwoch das Oberhaupt der katholischen Christenheit seinen Entschluß, sich als regierender Papst Johannes* zu nennen. Als erster aller seit 642 Jahren gewählten legitimen Päpste hat sich der 76jährige Kardinal Angelo Giuseppe Roncalli diesen Namen gegeben, der bei seinen Vorgängern in früheren Jahrhunderten am häufigsten auftrat. Der nächsthäufige Name, Gregor, erscheint in der Kirchengeschichte 16mal.

Seit 1724 hatten sich die Päpste allerdings ausschließlich zwischen fünf Namen -Benedikt, Clemens, Pius, Leo und Gregor - entschieden. Roncalli aber gab sich wieder den Namen des »Jüngers, den Jesus liebhatte«. »In der Tat kennt man 22 Päpste mit dem Namen Johannes von unzweifelhafter Rechtmäßigkeit**«, erläuterte Johannes XXIII. »Fast alle von ihnen hatten ein kurzes Pontifikat. Wir haben es vorgezogen, die Bedeutungslosigkeit Unseres eigenen Namens durch diese höchste Folge römischer Päpste abschirmen zu lassen.«

Wirklich haben die Johannes-Päpste zusammen nur etwa 122 Jahre lang regiert: Wenn jeder der bisher 261 Päpste nur so lange den apostolischen Stuhl innegehabt hätte wie im Durchschnitt ein Johannes, würde die Kette der 261 Oberhäupter der katholischen Kirche nur bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts reichen.

Ganz so hervorragend, wie es nach der Formulierung des neugewählten Papstes scheinen könnte, ist die Kette der Namensvorläufer allerdings nicht. Manche hatten - verdient oder unverdient - ein dunkles Schicksal. Johannes VIII. wurde vergiftet und totgeschlagen (882), Johannes X. wurde im Gefängnis ermordet (928), ebenso Johannes XI. (935). Johannes XII., kaum 20jährig (955) zum Papst gemacht, wurde erschlagen (964). Johannes XIV. ist im Kerker verhungert (984), Johannes XVI., ein »Gegenpapst«, eingesperrt und geblendet worden (998); Johannes XXI. kam bei einem Deckeneinsturz ums Leben.

Zudem ist der Erzbischof und Patriarch Roncalli nicht der erste Papst, der den Namen Johannes XXIII. trägt: Ein früherer Papst Johannes XXIII. wurde 1415 auf dem Konzil zu Konstanz für abgesetzt erklärt.

Daß sich der neugewählte Papst dennoch den Namen Johannes zulegte, der die Erinnerung an dunklere Epochen der Kirchengeschichte provozieren mußte, ist in einigen italienischen Blättern mit respektvoller Verwunderung notiert worden. Ebenso hat zu Spekulationen Anlaß gegeben, daß der letzte legitime Namensvorfahr des neuen Papstes, Johannes XXII., im Exil von Avignon regieren mußte und seine persönliche Handlungsfreiheit an die französischen Könige verloren hatte. Ein anderer Anhaltspunkt der Kommentatoren, die aus dem Ergebnis der Papstwahl Rückschlüsse auf die geheimgehaltenen Vorgänge während des Konklaves ziehen möchten, ist das hohe Alter des neuen Pontifex maximus. »Johannes XXIII. wird als Übergangspapst angesehen«, schrieb das »Journal de Genève«, und »La Suisse« kommentierte: »Die Wahl Monsignor Roncallis im elften Wahlgang stellt - profan ausgedrückt - einen Kompromiß dar, zunächst hinsichtlich des Alters. Mit 76 Jahren hat der neue Papst menschlichem Ermessen nach keine Amtszeit wie Pius XII. (19 Jahre) zu erwarten.«

Ob diese Spekulationen nun die Absichten des Wahlgremiums richtig interpretieren oder nicht - sicher ist, daß die Mitglieder des Kardinals-Konklaves, aus dessen Mitte der neue Papst in der vergangenen Woche gewählt wurde, ein Durchschnittsalter von 73 Jahren hatten; das Durchschnittsalter der 17 italienischen Kardinäle betrug sogar 76 Jahre.

Tatsächlich aber hat der letzte Papst, der in so hohem Alter wie Roncalli sein Amt antrat - der damals 78jährige Clemens XII. - noch fast 10 Jahre regiert, von 1730 bis 1740. Die ihm folgenden 14 Päpste waren bei ihrer Wahl allerdings jünger. Während der letzten 500 Jahre hatten die 51 regierenden Päpste bei ihrer Wahl das Durchschnittsalter von 63 Jahren erreicht, nur 4 von ihnen waren älter als Johannes XXIII. heute.

Italienische Zeitungen, die sich dem Interesse ihrer Leser an rührenden Anekdoten verpflichtet fühlen, erinnern an eine Parallele zwischen dem neuen Papst und Pius X., den der am 9. Oktober 1958 gestorbene Pius XII. während seiner Amtszeit heilig gesprochen hat. Gleich Johannes XXIII. war auch Pius X. vor seiner Wahl Patriarch von Venedig, gleich Johannes XXIII. stammte auch Pius X. aus armem Hause. Er fuhr im Jahre 1903 per Eisenbahn ins Konklave, mit verbilligter Rückfahrkarte, die dann verfiel, weil Giuseppe Sarto zum Papst gewählt wurde und im Vatikan blieb.

Sarto war Sohn eines Briefträgers und einer Schneiderin, Roncallis Vater - der 96 Jahre alt wurde, zwei Jahre weniger alt als die Mutter - war Landarbeiter in einem Dorf, in dem noch jetzt drei Roncalli-Brüder leben (siehe »Personalien"). Freilich stammte auch der Exilpapst Johannes XXIII., den der neue Papst - wie eine deutsche Zeitung meinte - als »Zwillingsseele« empfindet, aus den ärmsten Schichten des Volkes: Er war Sohn eines Schusters.

Außer solchen vagen Parallelen gibt es allerdings handgreifliche Hinweise darauf, daß der neue Papst die aristokratische Tradition seines Vorgängers nicht fortzuführen gedenkt. Vor Jahren riet der damalige Erzbischof von Venedig Roncalli - vergebens - dem Papst Pius XII., vom geplanten Verbot der Arbeiterpriester abzusehen, einer Art Institution, mit der fortschrittlich gesonnene Kleriker dem Industrieproletariat in Frankreich beizukommen versuchten. Als Patriarch von Venedig erregte Roncalli Aufsehen, weil er bei einem Kongreß der italienischen Linkssozialisten den Parteileuten zubilligte, sie seien »sicherlich von dem Bemühen beseelt, zu einem System gegenseitiger Verständigung zu kommen, um die Lebensbedingungen und den sozialen Wohlstand zu verbessern«.

Johannes XXIII. könnte, so folgerte die italienische Linkspresse, ein »Papst der Entspannung« zwischen Ost und West werden. Um das Gleichgewicht der vatikanischen Politik zwischen den »Traditionalisten« und den »Fortschrittlichen« zu garantieren, wird der oft »linksstehend« charakterisierte neue Papst vermutlich, gleichsam als Gegenleistung für die Stimmen der »Traditionalisten«, wesentliche Positionen im Vatikan mit Würdenträgern dieser Richtung besetzen.

Er hat inzwischen wirklich den konservativen Pro-Staatssekretär Tardini als Leiter des vatikanischen Staatssekretariats bestätigt Außerdem erhob er den ebenfalls als Traditionalisten bekannten Sekretär des Konklave, Monsignor di Jorio, dadurch zum Kardinal, daß er ihm sofort nach dem Abschluß der Wahl sein eigenes Kardinalskäppchen aufsetzte. Im Heimatdorf des neuen Papstes wird inzwischen eine Sammlung veranstaltet, von deren Erlös dem neuen Papst eine Tiara gekauft werden soll.

Die Wahl Roncallis zum Oberhaupt der katholischen Kirche hat das ungeschriebene Gesetz nicht durchbrochen, demzufolge immer ein »zelante«, ein »Eifernder«, und ein »moderato«, ein »Gemäßigter«, einander abwechseln sollen. Auch solche Beobachter, die mystische Gesetzmäßigkeiten bei der Papstwahl entdecken möchten, sind nicht enttäuscht worden. Roncalli verfügt über das R, das angeblich jeder zweite Papst in seinem Familiennamen führen soll. .Der Familienname des verstorbenen Papstes Pius XII. war Pacelli. Pius XI. hieß Ratti, Benedikt XV. della Chiesa, Pius X. Sarto.

Sogar die dem irischen Erzbischof Malachias (gestorben 1148) zugeschriebenen - im 16. Jahrhundert gefälschten - Weissagungen über die Eigenschaften künftiger Päpste dürfen mit einiger Anstrengung für bestätigt gehalten werden. Laut Malachias sollte auf den »pastor angelicus« (Pius XII.) ein »pastor et nauta« (Hirte und Seemann) folgen. Kardinal Angelo Giuseppe Roncalli pflegte für seine Inspektionen in der Lagunendiözese Venedig ein Motorboot zu benutzen.

* Johannes von hebräisch Jochanan, »Gott ist gnädig«

** Eigentlich nur 20, da Johannes XVI. als »Gegenpapst« gilt und ein Papst Johannes XX. nie existiert hat.

Papst Johannes XXIII.

Dorfsammlung für die Tiara

Zur Ausgabe
Artikel 33 / 61

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.