Politik

Die Krim-Krise Als Putin die grünen Männchen rief

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(Foto: REUTERS)

Im März 2014 blickt die Welt gespannt auf die Krim. Nach dem Machtwechsel in Kiew übernimmt Russland die Kontrolle auf der Schwarzmeer-Halbinsel. Den Einsatz russischer Soldaten leugnet Putin - bis er es sich anders überlegt.

Am Abend des 21. Februar 2014 flüchtet Wiktor Janukowitsch aus Kiew. Der Präsident fliegt mit dem Hubschrauber zunächst nach Charkiw, am nächsten Tag geht es weiter nach Donezk und von dort in Richtung der Halbinsel Krim. Janukowitsch verschwindet von der Bildfläche. Doch auf der Krim geht es jetzt erst richtig los: Zwischen Ende Februar und Mitte März wird aus der ukrainischen eine russische Krim - unter Umständen, die bis heute dubios sind.

Nach dem Machtwechsel in Kiew kommt es in Simferopol zu Auseinandersetzungen zwischen antirussischen und moskautreuen Demonstranten. 35 Menschen werden verletzt, zwei sterben. Am 26. Februar ordnet Russland den Schutz seiner Flotte an, die auf der Krim stationiert ist. Für ein Manöver wird eine Kampfbomber-Flotte an die ukrainische Grenze verlegt. Regierungschef Dmitri Medwedew erklärt: "Es besteht eine reale Gefahr für unsere Interessen - sowie für das Leben und Gesundheit unserer Landsleute."

Am 27. Februar besetzen Bewaffnete mit grünen Uniformen ohne Hoheitszeichen das Krim-Regierungsgebäude in Simferopol. Die Gruppe der "grünen Männchen", die sich als "Selbstverteidiger" der russischsprachigen Bevölkerung bezeichnet, hisst eine russische Flagge auf dem Dach. In Sewastopol wird der Russe Alexander Tschalyi per Straßenabstimmung zum Bürgermeister gewählt. Er lässt an den Zugängen zur Stadt Wachpunkte errichten und ruft "alle Russen" zur Hilfe auf. Im besetzen Parlament verkündet eine Sprecherin die Absetzung der Regierung. "Durch die verfassungswidrige Machtübernahme in der Ukraine von radikalen Nationalisten und mit Unterstützung bewaffneter Banden sind Friede und Ruhe auf der Krim gefährdet", heißt es.

"Die Volkswehr musste die Abgeordneten einsammeln"

Soldaten ohne Hoheitszeichen: Putins "grüne Männchen" auf der Krim.

Soldaten ohne Hoheitszeichen: Putins "grüne Männchen" auf der Krim.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

  Die Krim-Bewohner sollen am 25. Mai per Volksbefragung über ihre Autonomie entscheiden. Ein solches Referendum widerspricht dem Völkerrecht. Laut der ukrainischen Verfassung kann jede Frage, die eine Änderung der Grenzen der Ukraine betrifft, ausschließlich in einem landesweiten Referendum beantwortet werden. Neuer Ministerpräsident ist Sergej Aksjonow, der bis vor kurzem noch Chef der prorussischen Splitterpartei "Russische Einheit" war. Wie die norwegische Zeitung "Aftenposten" später berichtet, war das Parlament mit nur 32 anwesenden Politikern gar nicht beschlussfähig. Igor Girkin, der Anführer der Besetzung, verrät später: "Die Volkswehr musste die Abgeordneten einsammeln, um sie in den Plenarsaal des Regionalparlaments reinzutreiben, damit sie die Gesetze verabschiedeten." Nur dank der massiven Präsenz der russischen Truppen sei das Ganze so reibungslos abgelaufen. Girkin erzählt auch, dass er schon am 21. Februar auf die Krim reiste. Die Übernahme war demnach möglicherweise lange geplant.

Geschichte der Krim

Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte die Krim zunächst zu Russland. Kremlchef Nikita Chruschtschow machte sie 1954 jedoch zu einem Teil der Ukraine. Nach der Auflösung der Sowjetunion verhinderte die Ukraine ein Referendum über die Unabhängigkeit der Krim. Als Zugeständnis erhielt die Halbinsel Autonomiestatus, blieb aber Teil der Ukraine. Ein Abkommen regelte die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte in der Hafenstadt Sewastopol. Auf der Krim leben zwei Millionen Menschen, knapp 60 Prozent sind ethnische Russen, 25 Prozent Ukrainer.

Auf der Krim nimm die Annexion ihren Lauf. Die Partei von Russlands Präsident Wladimir Putin bringt am 28. Februar einen Gesetzesentwurf in die Duma ein. Ein Landesteil soll sich Russland künftig anschließen können, wenn dies in einem Referendum beschlossen wird. 50 bewaffnete Uniformierte besetzen derweil den Flughafen von Simferopol. Sie fahren Geländewagen mit russischen Fahnen und tragen das orange-schwarze Georgsband zur Erinnerung an den sowjetischen Sieg im Zweiten Weltkrieg. Am Abend wird der Luftraum über Simferopol gesperrt. Ukrainische Behörden berichten über die Landung von russischen Militärmaschinen und rund 2000 Soldaten.

Am 1. März berichtet die Agentur Interfax, Krim-Premier Aksjonow habe Russland offiziell um Beistand gebeten. Damit greift die russische Militärdoktrin, die einen Einsatz der Streitkräfte im Ausland zum Schutz eigener Bürger erlaubt. Noch am selben Tag machen Präsident Putin und der russische Föderationsrat den Weg frei für einen Militäreinsatz in der Ukraine. Der russische Politiker Alexej Puschkow schreibt bei Twitter: "Falls der Volkswille im Kosovo und in Kiew eine Quelle von Macht und Selbstbestimmung ist - dann kann niemand dies der Mehrheit der Menschen auf der Krim verwehren." Dieses Argument wird man später auch von Putin hören.

"Russland erwägt keinen Anschluss"

Am 4. März meldet sich Putin erstmals ausführlich zu Wort. Die Uniformierten auf der Krim seien keine russischen Soldaten, sondern "örtliche Selbstverteidigungskräfte", sagt er. Und: "Russland erwägt keinen Anschluss der Krim." Die prorussische Krim-Führung hat die Volksabstimmung inzwischen zum zweiten Mal vorgezogen, nun auf den 16. März. Berichte über besetzte ukrainische Kasernen, Einschüchterungen und Übergriffe nehmen zu. Die ukrainischen Fernsehkanäle sind abgeschaltet. Einen Wahlkampf gibt es nicht, keine Partei wirbt offen für einen Verbleib in der Ukraine. Valentina Matwijenko, die Chefin des Russischen Föderationsrats, verspricht den Krim-Bürgern dieselben Rechte wie russische Staatsangehörige sie haben: gleiche Löhne, Renten und gleichen Anspruch auf Sozialleistungen.

Die prorussische Führung räumt derweil ein, dass 11.000 Selbstverteidigungskräfte auf der Krim im Einsatz sind. Das Ergebnis der Abstimmung scheint festzustehen. Das Krim-Parlament erklärt die Krim schon einige Tage vor dem Referendum für unabhängig. "Wir werden ein Teil Russlands - da wisst ihr, wie ihr abzustimmen habt", ruft Parlamentschef Wladimir Konstantinow am 9. März bei einer Demonstration. Es sind jene Tage, in denen auch in ostukrainischen Städten erstmals Forderungen nach Referenden ertönen.

Am 15. März unternimmt die Oberste Rada der Ukraine einen letzten verzweifelten Anlauf. Sie erklärt das Krim-Parlament für aufgelöst, um das Referendum zu verhindern. Aber Kiew hat längst die Kontrolle verloren. Das Referendum findet statt. Als Wahlbeobachter hat die Krim-Regierung Politiker von Rechtsaußenparteien aus Bulgarien, Frankreich und Belgien eingeladen sowie Linke aus Deutschland. Am Abend steht das Ergebnis fest: Rund 97 Prozent sollen für einen Anschluss votiert haben. Auf den Straßen feiern Tausende und rufen "Dimiu w Rossiju", nach Hause nach Russland.

Der Westen spricht von Wahlmanipulation und verkündet neue Sanktionen gegen Russland. Aber EU und USA können die Annexion nicht mehr aufhalten. Am 17. März bittet die Krim-Führung Moskau um Anschluss, Russland erkennt die Wahl an. 24 Stunden später beschreitet Putin feierlich den Georgssaal im Großen Kremlpalast. "Ich bin mir sicher, dass die Deutschen uns unterstützen werden bei der Wiedervereinigung", sagt er in seiner Rede. Nach der Unterzeichnung des Anschlussvertrags schüttelt er den Krim-Politikern Aksjonow und Konstantinow die Hände. Glückliche Gesichter. Die Operation Krim ist abgeschlossen.

Quelle: ntv.de

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