Nach der Teilmobilmachung in Russland sprechen sich Politikerinnen und Politiker aus Koalition und Opposition für die erleichterte Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in Deutschland aus. Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, sagte der Rheinischen Post: "Wer sich als Soldat an dem völkerrechtswidrigen und mörderischen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine nicht beteiligen möchte und deshalb aus Russland flieht, dem muss in Deutschland Asyl gewährt werden."

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte der Zeitung, er halte bereits die verschärften Strafen, die Menschen drohten, wenn sie sich der Einberufung widersetzen, als Asylgrund für ausreichend. Johann Wadephul (CDU) möchte humanitäre Visa jetzt großzügig und umfassend auslegen. "Das muss auch für Soldaten gelten, die sich offen gegen das Putin-Regime stellen", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Der Grünenaußenpolitiker Anton Hofreiter forderte, Deutschland müsse außerdem versuchen, russischen Oppositionellen eine sichere Anlaufstelle zu bieten. Es sei "besser, wenn sich Regimegegner aus dem Exil heraus für Veränderungen in ihrer Heimat einsetzen", als wenn sie jahrelang in russischen Gefängnissen säßen, sagte er der Rheinischen Post.

Deutschland nahm bereits Kriegsdienstverweigerer auf

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte zu einer Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt, von schweren Repressionen bedrohte Deserteure erhielten im Regelfall internationalen Schutz in Deutschland: "Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenstellt und deshalb in größte Gefahr begibt, kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen." Die Erteilung von Asyl sei jedoch eine Einzelfallentscheidung, in deren Rahmen auch eine Sicherheitsüberprüfung erfolge.

Das ist im Fall von mehreren Hundert Menschen bereits geschehen: Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar sei wegen Kriegsdienstverweigerung 274 russischen Staatsangehörigen und 164 Familienangehörigen eine Aufnahme in Deutschland ermöglicht worden, berichtete die Rheinische Post unter Berufung auf eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums.

Melnyk gönnt Russen kein "Dolce Vita im Westen"

Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, bewertet die Situation anders. Im Kurznachrichtendienst Twitter schrieb er: "Falscher Ansatz! Sorry. Junge Russen, die nicht in den Krieg ziehen wollen, müssen Putin und sein rassistisches Regime endlich stürzen, anstatt abzuhauen und im Westen Dolce Vita zu genießen."

Nach der vom Kreml verkündeten Einberufung von 300.000 Reservisten versuchen viele junge Männer, sich aus Russland abzusetzen. Es gab in mehreren Städten und Regionen des Landes Proteste gegen die Maßnahme, bei denen mehr als 1.400 Russinnen und Russen festgenommen wurden.