ZEIT ONLINE: Herr Ullrich, bisher führten die Liste der teuersten Kunstwerke immer Arbeiten zeitgenössischer oder moderner Künstler an, wie Picasso oder Francis Bacon. Nun wurde das Bild Salvator mundi, das Leonardo da Vinci zugeschrieben wird und um 1500 entstanden sein soll, bei Christie's versteigert – für 450 Millionen Dollar. Damit ist es das teuerste Kunstwerk aller Zeiten. Wie kam es dazu?

Wolfgang Ullrich: Das hat sicher etwas damit zu tun, dass dieses Bild bei einer Auktion für Nachkriegs- und Gegenwartskunst versteigert wurde. Sehr auffällig ist: Ein Werk, das 500 Jahre alt ist, wird zwischen Warhols und Basquiats, zwischen Werken von zum Teil noch lebenden Künstlern wie Frank Stella versteigert. Damit kommt es automatisch zu einer Art Verfremdungseffekt, weil man diesen Leonardo nicht mehr so sehr als kunsthistorisches Werk wahrnimmt, sondern als zeitgenössisches.

ZEIT ONLINE: Mit welcher Begründung ordnet Christie's das Werk als zeitgenössisch ein?

Ullrich: Da gibt es keine wirkliche Begründung, außer die, dass bei Auktionen für zeitgenössische Kunst am ehesten die Käufer unterwegs sind, die sehr viel Geld übrighaben. Es geht darum, einen neuen Typ Käufer anzusprechen. Jemanden, der nicht unbedingt ein kunsthistorischer Kenner ist, sondern Kunst kauft, um einen Distinktionsgewinn zu erzielen. 

ZEIT ONLINE: Warum eignet sich gerade dieses Werk, um sich von anderen Käufern positiv abzugrenzen? Immerhin bezweifeln viele Experten die Urheberschaft Leonardos. Das Gemälde ist außerdem stark beschädigt.

"Es geht um das Spektakel"

Ullrich: Gerade dadurch entsteht ein Effekt, den es sonst bei zeitgenössischer Kunst gibt, wenn sie besonders trashig oder banal ist: Es erscheint umso unverständlicher, warum jemand so viel Geld dafür ausgibt. Bei der Mona Lisa könnte man das noch irgendwie nachvollziehen – sie ist das Werk der abendländischen Kunstgeschichte. Für Gemälde mit einer unsicheren Geschichte hingegen so viel Geld auszugeben, das hat etwas Skandalöses, Obszönes, Rätselhaftes. Vieles auf dem Markt für zeitgenössische Kunst spielt mit diesen Effekten, und das wird jetzt zum ersten Mal auf ein Werk der klassischen Kunst übertragen. Ich glaube, dass das bei einem makellosen Leonardo nicht so gut funktioniert hätte.

ZEIT ONLINE: Bedeutet dieses Ereignis, dass die klassische Kunst mehr in den Fokus des Kunstmarktes rückt?

Ullrich: Vielleicht wiederholt sich das noch ein paar Mal. Ich glaube aber nicht, dass es die große Trendwende ist. Bei diesem Rekord geht es weder um die Kunst noch um die Geldanlage. Sondern darum, dass jemand durch eine irrationale Geldausgabe maximale Aufmerksamkeit erzielen will. Hier geht es um das Spektakel. Indem er sich auf eine aggressiv-obszöne Weise seines Vermögens entledigt, vollzieht der Käufer eine Machtgeste und demonstriert all denen, die weniger oder gar kein Geld haben, seine Überlegenheit.

ZEIT ONLINE: Was passiert jetzt mit dem Kunstwerk?

Ullrich: Ich denke, wir werden bald erfahren, wer der Käufer ist und was er mit dem Werk vorhat: Ob er es an ein Museum gibt oder für sich behält. Beides scheint mir möglich zu sein. 

ZEIT ONLINE: Oder wird es vielleicht bald schon wieder weiterverkauft, zu einem noch höheren Preis? 

Ullrich: Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Preis zu toppen ist – wenn das Gemälde wieder auf den Markt käme, würde seine umstrittene Herkunft bei der Preisbildung eine viel größere Rolle spielen. Ich denke, das Geld ist verbrannt.