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Gotteslästerung in Pakistan Christin soll am Galgen sterben

Asia Bibi sitzt seit mehr als einem Jahr in einem pakistanischen Gefängnis: weil sie Mohammed mit Jesus verglich. Nun hat ein Gericht die 38-Jährige wegen Blasphemie zum Tode verurteilt. Die Frau soll gehängt werden.
Christliches Festival in Sheikhupura: In der Hierarchie ganz weit unten

Christliches Festival in Sheikhupura: In der Hierarchie ganz weit unten

Foto: Alexandre Meneghini/ AP

Ittanwali ist ein staubiges Dorf im Osten Pakistans, umgeben von saftiggrünen Feldern, mitten in der wohlhabenden Provinz Punjab. Rund 1500 Familien leben hier, die meisten Menschen arbeiten auf der Farm des muslimischen Landbesitzers Mohammed Idrees. Nur drei Familien sind Christen, jeder kennt sie hier im Ort, "die Ungläubigen" nennt man sie, aber man kommt miteinander aus.

Auch Asia Bibi, 38, ist Christin, auch sie arbeitet auf Idrees' Farm. Ihre Kolleginnen versuchen oft, Bibi davon zu überzeugen, zum Islam zu konvertieren. Fragen sie nach ihrer Religion, sind neugierig und wollen wissen, wie es ist, nicht muslimisch zu sein.

Ausschreitungen gegen Christen sind in Pakistan keine Seltenheit. Im August 2009 zündete ein Mob von Jugendlichen in der Stadt Gojra, nicht weit von Ittanwali, 40 Häuser und eine Kirche an. Acht Menschen - drei Männer, vier Frauen und ein Kind - verbrannten bei lebendigem Leib.

Die pakistanischen Christen sind in vielen Fällen Nachfahren von konvertierten Hindus, die im Kastensystem ganz unten standen. In Pakistan, in dem mehr als 96 Prozent der etwa 170 Millionen Einwohner Muslime sind, gibt es offiziell zwar kein Kastensystem, aber in der sozialen Hierarchie stehen die Christen immer noch ganz weit unten.

Ein Blasphemiegesetz, das die Todesstrafe bei Herabwürdigung des Islam, des Koran oder des Propheten Mohammed vorsieht, lädt geradezu zum Missbrauch ein, es dient oft als Vorwand für persönliche Rache und zur Diskriminierung Andersgläubiger.

Streit mit den Kolleginnen

Mitte Juni 2009 holt Asia Bibi Wasser aus einem Brunnen. Es ist ein heißer Tag, die Arbeit auf dem Feld ist anstrengend, die Frauen sind zu Streit aufgelegt. Als Bibi zurückkehrt, bedrängen die Kolleginnen sie, sich zum Islam zu bekennen. Andernfalls könnten sie das Wasser nicht trinken, denn es sei "unrein", weil es von einer Ungläubigen geholt worden sei. Es kommt zu einer hitzigen Diskussion. Soweit die Aussage von Bibi selbst.

Den Frauen zufolge verliert Bibi ein paar Sätze, die die Gruppe in Rage bringt - und Asia Bibi in Lebensgefahr.

Demnach sagt sie, Jesus Christus sei für die Sünden der Menschen am Kreuz gestorben. Was habe Mohammed für die Menschen getan? Jesus sei lebendig, Mohammed dagegen tot. "Unser Christus ist der wahre Prophet Gottes, nicht euer Mohammed", soll sie den Frauen gesagt haben. Asia Bibi bestreitet das. Sie sei von den Frauen wegen ihres Glaubens diskriminiert worden.

Es bleibt nicht bei Worten, die Frauen beginnen, Bibi zu schubsen und zu schlagen. Der Frau gelingt es, nach Hause zu fliehen, zu ihrem Mann und ihren Kindern.

Mullahs vor Ort machen Druck

Doch einige Tage später, am 19. Juni, steht eine Menschenmenge vor ihrer Tür, ein paar Männer zerren Bibi mit sich und sperren sie ein, sie haben von den aufgebrachten Frauen gehört, was Bibi gesagt haben soll. Der Männerrat beschließt, sie zu bestrafen. Über den Lautsprecher der Dorfmoschee verkünden sie, dass ihr Gesicht schwarz angemalt und sie auf einem Esel durch das Dorf geführt werden solle. Die Christen im Ort rufen die Polizei, die zwar die Strafaktion verhindert, Asia Bibi aber ins Gefängnis sperrt. "Zu ihrer eigenen Sicherheit", wie es zunächst heißt.

Christliche Gruppen bitten die Justizbehörden, den Fall nicht weiter zu verfolgen. Sie ahnen, dass es böse ausgehen könnte für Asia Bibi. Seit 1986 bis heute sind immerhin schon knapp 1000 Menschen wegen Blasphemie angeklagt worden, alleine 125 Christen im vergangenen Jahr; Dutzende Verurteilte sitzen bereits in Todeszellen. Bibi habe keineswegs den Islam beleidigen wollen. Doch die Polizisten erklären nur, es gebe da "einen gewissen Druck" seitens der Mullahs vor Ort, den Fall zur Anklage zu bringen. Sie hätten also keine andere Wahl.

Einen Monat später, am 14. Oktober, kommt es in Sheikhupura, einer Stadt vor den Toren der Millionenmetropole Lahore, zu einer ersten Anhörung vor Gericht. Erstmals seit vier Wochen sieht Asia Bibi ihren Mann Ashiq Masih, 50, wieder und ihre fünf Kinder, für 15 Minuten.

"Ich danke Gott, dass die Gefängnismitarbeiter gut mit mir umgehen"

Nach Angaben ihrer Familie kommt es zu herzzerreißenden Szenen, die Mädchen klammern sich an ihre Mutter, sie wollen wissen, warum sie so lange verschwunden sei. Asia sagt ihrem Mann, es gehe ihr gut, er solle sich keine Sorgen machen. "Ich danke Gott, dass die Gefängnismitarbeiter gut mit mir umgehen." Sie vermisse aber ihre Familie, ihre Töchter. "Bitte sorgt dafür, dass ich bald aus der Haft entlassen werde", sagt sie dem Vertreter einer christlichen Organisation, den sie ebenfalls vor der ersten Gerichtsverhandlung sieht.

Aus der Freilassung wird nichts. Fast eineinhalb Jahre muss Bibi im Gefängnis verbringen. Es kommt zu mehreren Anhörungen, immer wieder wird eine Entscheidung verschoben. Obwohl weltweit christliche Organisationen gegen die Verhaftung Asia Bibis protestieren, macht der Fall kaum Schlagzeilen.

Am Montag verkündet das Gericht in Sheikhupura ein vernichtendes Urteil: Asia Bibi wird wegen Blasphemie zum Tode verurteilt, sie soll am Galgen sterben. Zuvor muss sie zweieinhalb Jahresgehälter, umgerechnet 850 Euro, Strafe zahlen.

"Es ist ein obszönes Gesetz"

Erstmals in der Geschichte Pakistans erhält eine Christin die Todesstrafe wegen angeblicher Gotteslästerung. Doch die pakistanische Presse schweigt das Thema tot. "Pakistan hat jetzt eine Linie überschritten", sagt Andy Dipper von der in England ansässigen Organisation Release International, die in aller Welt die Interessen verfolgter Christen vertritt.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erklärt, das Blasphemiegesetz sei unvereinbar mit der pakistanischen Verfassung, sie fordert deshalb die Abschaffung dieser Regelungen. "Es ist ein obszönes Gesetz", sagt HRW-Vertreter Ali Hasan Dayan der britischen Zeitung "The Telegraph". Das Gesetz habe in Wahrheit mit Religion nichts zu tun, sondern werde als Instrument genutzt, andere Dinge zu verfolgen. Die Katholische Liga, eine US-Organisation, fordert die Vereinten Nationen auf, gegen Blasphemiegesetze in aller Welt vorzugehen.

Der für den Minderheitenschutz zuständige Minister in Pakistan, Shahbaz Bhatti, selbst ein Christ, war am Donnerstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Kürzlich sagte er SPIEGEL ONLINE, er arbeite daran, dass ein Missbrauch des Blasphemiegesetzes gestoppt werde. Eine Abschaffung sei derzeit jedoch politisch nicht durchsetzbar.

Asia Bibi will nach Angaben ihrer Familie gegen das Urteil vorgehen. Ihr Mann Ashiq Masih hat noch Hoffnung, dass die ganze Angelegenheit glimpflich für die Familie ausgeht. "Allerdings habe ich meinen Töchtern nichts von dem Urteil erzählt", sagt er. Er bringe es nicht über sein Herz. "Sie haben mich oft gefragt, ob es Neuigkeiten gebe, aber mir fehlt der Mut, ihnen zu sagen, dass die Richter ihre Mutter zum Tode verurteilt haben für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hat."