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An der Universität von Oxford wird momentan ein aussichtsreicher Corona-Impfstoff entwickelt, dessen Wirksamkeit allerdings noch nicht klinisch belegt ist.

Der weltgrößte Impfstoffproduzent der Welt, das Serum Institute of India, produziert jedoch bereits 400 Millionen Dosen davon.

So will der indische Hersteller wertvolle Zeit sparen, um einen Impfstoff weltweit bereits ab September 2020 verteilen zu können  – eine riskante Wette.

Eine Impfstoffentwicklung ist ein langwieriger Prozess. Noch vor wenigen Jahren wurden dafür 15-20 Jahre veranschlagt. Nachdem ein möglicher Impfstoffkandidat gefunden ist, muss dieser zunächst an Tieren getestet werden. Dann folgen drei Phasen mit Tests an Menschen: In Phase I werden nur 10-30 Freiwillige geimpft, um die Verträglichkeit zu prüfen, in Phase II wird dann die richtige Dosierung gesucht und schließlich in Phase III die Zuverlässigkeit getestet.

Danach folgen politische Zulassungsprozesse und unter Umständen Langzeitstudien, die Jahre in Anspruch nehmen konnten. Dann erst beginnt die Produktion: Bei Impfstoffen, die millionenfach hergestellt werden sollen, kann das Monate oder gar Jahre dauern. Bei einem Impfstoff wie einem gegen Covid-19, von dem sogar Milliarden Dosen produziert werden müssten, um ihn weltweit zu verteilen, könnte selbst die Herstellung der benötigen Menge an Glasampullen zu einem Problem werden.

Doch diese alten Regeln gelten während der Corona-Krise nicht mehr. Wenngleich die Zahl der Neuinfektionen in Europa zurückgeht, haben sich doch weltweit am 4. Juni mehr Menschen als jemals zuvor an einem Tag mit dem Virus angesteckt. Die Zeit drängt; denn erst mit einem funktionierenden Impfstoff wird die Welt zur Normalität zurückkehren können.

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Am weitesten ist eine britische Kooperation mit der University of Oxford

Aktuell zählt die WHO 133 laufende Projekte zu einer Impfstoffentwicklung, davon mehrere in Deutschland. Am weitesten ist allerdings ein chinesisches Joint Venture, das US-Unternehmen Moderna und ein von der Universität Oxford entwickelter Impfstoff, der von dem britisch-schwedischen Unternehmen AstraZeneca produziert werden soll. Die britische Initiative ist die bisher einzige, die bereits in die Phase III eingetreten ist.

Außerdem konnten die Briten wichtige Unterstützer gewinnen: Die beiden öffentlich-privaten Organisation Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) und die Global Alliance for Vaccines and Immunisation (GAVI), an denen weltweit Staaten, die EU, UNICEF, die WHO, und verschiedene Stiftung und NGOS wie der Bill und Melinda Gates Foundation beteiligt sind.

Die beiden Organisationen haben zugesagt, das britische Projekt bei der Herstellung und Verteilung von 300 Millionen Dosen des Impfstoffs in UK und den USA zu unterstützen. Teil der Vereinbarung ist jedoch, dass ein möglicher Impfstoff nicht nur in den reichen westlichen Ländern, sondern weltweit gleichermaßen verfügbar sein soll.

Die Poonawallas werden als die „Impf-Könige Indiens“ bezeichnet

Hier kommt die indische Familie Poonawalla ins Spiel. Dr. Cyrus Poonawalla wird als Indiens „Impf-König“ bezeichnet. Sein Unternehmen, das Serum Institute of India („SII“), ist gemessen an den produzierten Impfdosen das größte der Welt. Wesentlich dabei geholfen die Rolle des Weltmarktführers einzunehmen, hat auch sein Sohn Adar Poonawalla, der 2001 in das Unternehmen des Vaters eintrat.

Mit ihnen beiden hat AstraZeneca bereits eine Vereinbarung darüber getroffen, dass SII noch vor Ende des Jahres 400 Millionen Dosen produzieren lässt. Weitere 600 Millionen sollen dann im kommenden Jahr folgen. Diese Charge soll speziell für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen produziert werden: Laut Adar Poonawalla will sein Unternehmen eine Dosis für 1000 Rupien (rund 11,50 Euro) bereitstellen.

Der Grundsatz seines Unternehmens sei, alle Impfungen zu erschwinglichen Preisen anzubieten, erklärt er weiter. Mit den günstigen Impfstoffen können die Märkte der Entwicklungsländer bedient werden, die sich die teureren westlichen Alternativen nicht leisten könne. Doch freilich ist die Entscheidung den Impfstoff günstig anzubieten keine rein altruistische. Zwar sind die Poonawallas auch für ihre karitative Tätigkeit in Indien bekannt, doch die Margen ihrer Impfstoffe sind offenbar dennoch groß genug um Dr. Cyrus Poonawalla zum viertreichsten Inder und zum 100. reichsten Menschen der Welt zu machen.

Der CEO des Indian Serum Institutes Adar Poonawalla.
Der CEO des Indian Serum Institutes Adar Poonawalla.
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Von dem noch nicht getesteten Impfstoff werden schon seit April 400 Millionen Dosen produziert

Doch obwohl die Tests in Oxford noch nicht abgeschlossen sind, hat die Produktion in Indien bereits im Mai begonnen. Aus Sicht der Poonawallas ist diese waghalsig scheinende, millionenfache Vorproduktion eines ungetesteten Impfstoffes eine simple ökonomische Wette: Ist der Impfstoffkandidat doch nicht der richtige, hätte das Unternehmen die Produktionskosten die Poonawalla mit rund drei bis vier Millionen Euro beziffert — in den Sand gesetzt.

Allerdings, erklärt Adar Poonawalla, trage sein Unternehmen dieses Risiko nicht alleine, sondern: „die Regierung sei froh einen Teil der Investitionen zu übernehmen und das Risiko mit uns zu teilen.“ Genaue Zahlen hat er zwar nicht genannt, doch die indische Regierung dürfte ein großes Interesse daran haben einen eigenen Impfstoff zu produzieren — zumal laut Poonawalla die Regierung entscheiden wird, wo der Impfstoff eingesetzt werden soll: Indien ist aktuell das Land mit den fünft meisten Infektionen weltweit, Tendenz stark steigend.

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Erweist sich der Impfstoff dagegen tatsächlich als wirksam, hat das Unternehmen einen monatelangen Vorsprung vor der Konkurrenz und hätte gute Aussichten, einen großen Teil der Weltnachfrage alleine zu bedienen — selbst, wenn SII den Impfstoff wie angekündigt nicht patentieren lassen würde. Außerdem könnte es auf einen Schlag 400.000.000 Dosen für je 11,45 Euro verkaufen. Das sollte mehr als genug sein, um die Kosten für die Vorproduktion wieder auszugleichen.

Diese Strategie fahren die Ponawallas übrigens nicht zum ersten Mal. Der in Deutschland ursprünglich für Tuberkulose entwickelte Impfstoff VPM1002 könnte sich ebenfalls als wirksam gegen SARS-CoV-2 erweisen. Doch auch hierfür sind die Tests noch nicht abgeschlossen: Sie befinden sich erst in Phase II, doch eine Vorproduktion von VPM1002 wird von SII ebenfalls schon erwogen.

Adar Poonawalla beschreibt sich selbst als risikofreudig, besonders wenn es um Impfungen geht

Die entscheidende Frage ist also, wie wahrscheinlich es ist, dass die Tests in Oxford positiv ausfallen. Adar Poonawalla sagt dazu: „Aus meiner Sicht stehen die Chancen gut, weil die Forscher aus Oxford auch mit der Impfung gegen Ebola erfolgreich waren.“ In einem anderen Interview beschreibt er sich selbst als risikofreudig, besonders wenn es um Investitionen in Bereiche geht, mit denen er sich auskennt — und mit Impfungen dürfte er sich bestens auskennen.

Doch mit dieser Einschätzung ist er nicht alleine. Weltweit sind die bei CEPI und GAVI organisierten Impf-Experten offenbar optimistisch, was das Projekt aus Oxford angeht: Die beiden Organisationen werden insgesamt 750 Millionen Dollar für die Entwicklung des noch nicht getesteten Impfstoffs bereitstellen — mehr als 200 mal so viel wie das gesamte Risikokapital des SII.

Doch abseits aller wirtschaftlichen Kalkulation ist die Vorproduktion fraglos im Interesse aller Menschen. Die Tests könnten bis September oder Oktober 2020 abgeschlossen sein. Sollten sie positiv ausfallen, müssten „wir eben nicht erst noch weitere sechs Monate warten, bis genügend von dem Impfstoff hergestellt werden kann“, erklärt Poonawalla. Dann könnten schon im Oktober die ersten Impfungen für Risikogruppen weltweit bereitstehen.

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