Balzli direkt
Team Drosten oder Team Streeck? Für den Ökonomen Mathias Binswanger ist auch das am Ende: eine Frage des Glaubens. Quelle: Getty Images, imago-images

Führen uns die Empiriker in die Sackgasse?

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Selbst bei Corona gibt es für jede Weltanschauung eine passende Studie. Das vergiftet den Diskurs – und erschwert ein konsistentes Krisenmanagement.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wie Winston Churchill die Coronakrise beurteilen würde, weiß keiner. Aber in einem Punkt hätte er sich bestätigt gefühlt. Der britische Kriegspremier glaubte nur an „Statistiken, die er selbst gefälscht hat“. Bis heute wird munter frisiert. Kaum eine Studie existiert, die nicht von einer anderen widerlegt wird – obwohl beide oft auf den gleichen Rohdaten beruhen. Nicht selten sind die Ergebnisse deckungsgleich mit der Weltanschauung der Autoren.

Es sind diese Zusammenhänge, die Menschen die Orientierung rauben. Denn glauben oder wissen, das ist hier die Frage. Sie sorgt auch bei Politikern für die fatalen Zweifel, die ein konsistentes Regieren mit einheitlichen Maßnahmen ziemlich schwierig macht. Alle spüren, dass die empirische Forschung als Entscheidungsgrundlage versagt, weil sie eine Objektivität nur vorgaukelt. Der Ökonom Mathias Binswanger umschrieb es in einem Interview mit der WirtschaftsWoche: „Die Rohdaten müssen zuerst statistisch aufbereitet und zurechtgestutzt werden. Durch eine ‚geeignete‘ Auswahl der Daten und des Zeitraums und eine ‚geeignete‘ Manipulation der Daten, durch die Auswahl ‚geeigneter‘ statistischer Verfahren und auch durch die Nichtpublikation von Resultaten, die der eigenen Position widersprechen, lassen sich dann postulierte Zusammenhänge je nach Interesse der Forscher bestätigen oder falsifizieren.“

Anders gesagt: Aus ähnlichen Zutaten machen verschiedene Köche völlig verschiedene Gerichte – so wie Charité-Forscher Christian Drosten und Hendrik Streeck von der Universität Bonn. Die Coronapandemie hat laut Binswanger zu „zwei Schulen“ geführt.

Die Erkenntnis ist nicht neu, aber in dieser Klarheit erschreckend. In Binswangers eigener Disziplin geht es gar noch schlimmer zu. Mehrere Studien zeigen, dass die Aussagen von Ökonomen stark mit den Interessen ihres Herkunftslandes korrelieren. Wer aus einem hoch verschuldeten Land stammt, liest aus den Daten heraus, wie nützlich EZB-Anleihekäufe und Gemeinschaftshaftung sind, wer aus dem haftenden Land kommt, gelangt zum gegenteiligen Ergebnis – obwohl die Ausgangsdaten die gleichen sind.

Die empirische Forschung braucht eine neue Moral und diversere Teams. Je mehr Menschen aus verschiedenen Ländern und Denkschulen beteiligt sind, umso kleiner der Einfluss persönlicher Präferenzen. Dass das Statistikzitat von Churchill stammt, sollte man übrigens nur glauben, wenn es einem nutzt.

Mehr zum Thema: Drosten oder Streeck? Für den Ökonomen Mathias Binswanger ist auch das am Ende: eine Frage des Glaubens. Ein kleines Gespräch über die Illusion empirischer Eindeutigkeit.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%