Enttäuschte deutsche Fußballspieler nach dem Ausscheiden bei der Fußball-WM
AP/Matthias Schrader
FIFA WM 2022

Deutschland nach Aus in Schockstarre

Vier Jahre nach dem historischen Vorrunden-Aus bei der WM in Russland hat die deutsche Nationalmannschaft in Katar das nächste Desaster erlebt. Ein 4:2 im letzten Gruppenspiel gegen Costa Rica reichte der DFB-Auswahl am Donnerstag nicht für den Einzug in die K.-o.-Runde, da Japan im Parallelspiel mit einem 2:1-Sieg über Spanien überraschte. Während die Mannschaft in Schockstarre zurückblieb, werden erste Rufe nach Konsequenzen laut.

Nicht erst in Katar hat die deutsche Mannschaft viel von ihrem Ruf als unbezwingbares Team, das Spiele notfalls auch bis zur letzten Minute noch herumreißen konnte, eingebüßt. WM-Vorrunden-Aus 2018, EM-Achtelfinal-Aus 2021, WM-Vorrunden-Aus 2022 – die so stolze Fußballnation, dekoriert mit vier WM- und drei EM-Titeln, hat das Gütesiegel Turniermannschaft endgültig verloren. Auch der deutsche Bundestrainer Hansi Flick konnte das Potenzial des 26-köpfigen WM-Kaders nicht heben.

Der 57-Jährige fand im Turnier nach dem Fehlstart gegen Japan nie seine Wunschelf, besonders das Festhalten an Altstar Thomas Müller wirkte fatal. Flick lieferte zahlreiche Angriffspunkte. Auf Flick und DFB-Direktor Oliver Bierhoff – die Verantwortlichen im sportlichen Bereich – richtet sich jetzt der Fokus. Flick wolle das ausgerufene und weit verfehlte Ziel Titelgewinn sowie die klar verpasste Rückkehr in die Weltspitze „sehr, sehr schnell“ aufarbeiten. „Ich bin immer einer, der sehr kritisch ist, und das wird auch in die Analyse mit einfließen“, sagte er. Die werde sehr zeitnah erfolgen.

Desaster für Deutschland

Vier Jahre nach dem historischen Vorrunden-Aus bei der WM in Russland hat die deutsche Nationalmannschaft in Katar das nächste Desaster erlebt. Ein 4:2 im letzten Gruppenspiel gegen Costa Rica reichte der DFB-Auswahl am Donnerstag nicht für den Einzug in die K.-o.-Runde.

Spieler sparen nicht mit Selbstkritik

Sowohl Flick als auch Bierhoff schlossen persönliche Konsequenzen aus. Beide hatten noch im Schockzustand des nächsten Desasters deutlich gemacht, dass sie ihre Arbeit fortsetzen wollen, die Heim-EM 2024 ihr nächstes Ziel sein soll. „Mir macht es Spaß. Wir haben eine gute Mannschaft“, sagte Flick. Auch Bierhoff gab sich betont kämpferisch. „Ich habe ein sehr gutes Gefühl für mich“, sagte der 54-Jährige. Dass aber auch er infrage gestellt wird, war ihm als erfahrenem Spieler in der Nacht zum Freitag natürlich sehr wohl bewusst. „Leider habe ich keine Argumente mit drei schlechten Turnieren, die ich dagegenhalten könnte“, sagte er.

Im Stadion war nach dem Schlusspfiff bei den Spielern immer wieder das Wort „Wut“ zu hören, aber auch Selbstanklagen. „Wir sind selber schuld“, sagte Serge Gnabry, dessen 1:0 am Ende eines surreal anmutenden Abends ebenso wertlos war wie die Treffer der eingewechselten Kai Havertz (zwei) und Niclas Füllkrug. „Wir müssen uns an die eigene Nase packen, dass wir gegen Japan verlieren, gegen Spanien (1:1, Anm.) war auch mehr drin. Natürlich ist es bitter, aber im Fußball kann alles passieren. Deshalb haben wir in der Halbzeit gesagt, dass wir es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Dass es so läuft, es könnte auch ein Horrorfilm sein.“

Enttäuschung beim deutschen Bundestrainer Hans Dieter Flick
IMAGO/Sven Simon
Bundestrainer Flick muss nach dem WM-Aus ebenso wie DFB-Direktor Bierhoff mit heftigem Gegenwind rechnen

Flick wusste, was nun auf das Team und ihn zukommen wird, nicht nur medial. „Wir haben alle einen sehr großen Teil dazu beigetragen, dass wir nach Hause fahren“, sagte der Bundestrainer, der wie Bierhoff beim DFB noch eine Vertragslaufzeit bis 2024 hat. In der Nacht wurde nicht nur auf dem Rückweg ins Teamquartier intensiv geredet. DFB-Präsident Bernd Neuendorf kündigte für die kommende Woche eine Krisensitzung mit Flick, Bierhoff und DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke an. „Meine Erwartung an die sportliche Leitung ist, dass sie zu diesem Treffen eine erste Analyse vornimmt, eine sportliche Analyse dieses Turniers, dass sie aber auch Perspektiven entwickelt für die Zeit nach dem Turnier mit Blick auf die Europameisterschaft im eigenen Land“, sagte Neuendorf am Freitag vor der Heimreise.

Mannschaft steht Umbruch bevor

Ein einfaches „Weiter so“ wie 2018 mit dem damaligen Bundestrainer Joachim Löw und Bierhoff an der Spitze kann sich der Verband mit Blick auf die Heim-EM kaum leisten. Auch über die Spieler muss intensiv diskutiert werden. Bayern-Torjäger Müller war kurz nach dem Spiel am nächsten an einer Rücktrittserklärung. „Falls das mein letztes Spiel für Deutschland gewesen sein sollte, dann möchte ich ein paar Worte an alle Fans richten“, sagte der 33-Jährige. „Es war ein enormer Genuss. Liebe Leute, vielen Dank. Wir haben unglaubliche Momente miteinander gehabt.“ Müller möchte aber erst noch mit seiner Frau reden, ebenso mit Flick.

Der deutsche Fußballspieler Thomas Müller
Reuters/Annegret Hilse
Für Thomas Müller könnte das WM-Spiel gegen Costa Rica der letzte Auftritt im DFB-Dress gewesen sein

Kapitän Manuel Neuer möchte, „soweit ich eingeladen werde und meine Leistung zeige“, weitermachen, betonte der 36-Jährige. Am tiefsten getroffen schien Joshua Kimmich, der Anführer der Generation 1995/96, der tief in seine verwundete Seele blicken ließ. „Wir fahren wieder nach Hause. Dementsprechend habe ich ein bisschen Angst davor, echt in ein Loch zu fallen“, sagte der 27-Jährige mit feuchten Augen: „Für mich ist es echt, würde ich sagen, der schwierigste Tag meiner Karriere. Ich bin 2016 dazugekommen, davor war Deutschland immer im Halbfinale. Dann kommt man dazu und scheidet zweimal in der Vorrunde aus, im letzten Jahr im Achtelfinale. Das ist nichts, wofür man stehen möchte.“