Meinungsstück zu #allesdichtmachen: Darum ist Liefers' Kritik so wichtig!

Quelle: Radio Bremen
Von: RALF SCHULER

„Verzweifeln Sie ruhig, aber zweifeln Sie nicht!“, sagt Jan Josef Liefers (56) am Ende seines Videos und trifft damit einen Ton, der weit über das satirisch gemeinte Anzweifeln von Corona-Politik und -Maßnahmen hinausklingt.

Es ist ein Ton, den wohl nicht jeder hört. Ein Ton der aus Tagen und Erinnerungsfetzen vor 1989 herüberweht. Ein Ton, der mich sofort erreicht und mir in Liefers Vortrag mit seinem mokant-überlegenen Lächeln auch Schauer über den Rücken jagt.

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Liefers und mich trennt nur ein Lebensjahr, und vielleicht braucht es ja diese biografischen Wurzeln, um bei der Danksagung zu Beginn seines Videos bitter lächeln zu müssen.

Es ist diese Art, Redebeiträge zunächst mit einer devoten Geste der Danksagung einzuleiten, die sich zu DDR-Zeiten in Mitgliederversammlungen, Übertragungen aus der Volkskammer oder anderen Begegnungen mit der Partei- und Staatsführung tief ins Unterbewusste eingebrannt hat.

Es ist das geduckte Aufzeigen von unten, an das man versuchte, vorsichtig eingeleitet, „konstruktive“ (!) Kritik an die Obrigkeit heranzutragen, ohne sich verdächtig zu machen, Abweichler, Quertreiber (die -denker kamen erst später) oder gar Konterrevolutionär zu sein.

Autor Ralf Schuler 1990

Autor Ralf Schuler 1990

Foto: privat

Und ich zucke noch immer ein wenig, wenn ich heute als Reporter etwa auf Parteiforen oder in Fraktionssitzungen unter freiheitlichen Bedingungen bei manchen Mandatsträgern auf den gleichen Reflex stoße: „Ich möchte der Bundeskanzlerin zunächst einmal danken, dass …“

Deshalb trifft auch das Video von Liefers so genau den Punkt:

Es ist der Zweifel, der den Unterschied zu damals macht. Zweifel ist heute zulässig, geradezu erwünscht und im Grunde auch die Triebkraft freiheitlicher Gesellschaften, durch Infragestellung des Vorgefundenen vorwärtszukommen. Nur in der Corona-Politik soll dieser systemrelevante Zweifel an Daten, Statistiken oder Schlüssigkeit von Maßnahmen nicht mehr zulässig sein und wird zumindest von vielen unter Verdacht gestellt, die Pandemie-Bekämpfung zu behindern, Corona zu leugnen oder gar rechtsextrem zu sein.

Mit bitterer IroniePromi-Aufstand gegen Merkels Corona-Politik

Quelle: BILD

Dass sich Liefers für ein völlig legales und legitimes Video öffentlich bis in die Talk-Sendung „3 nach 9“ hinein rechtfertigen und erklären muss, bringt wieder jenen Ton zum Klingen, der an Zeiten erinnert, in denen man sich vor der Mitgliederversammlung für verweigerten Armeedienst oder Fehlen bei der „Kampfdemonstrationen unserer Werktätigen“ rechtfertigen musste.

Damit es keine Missverständnisse gibt: Niemand setzt das repressive DDR-Regime gleich mit der deutschen Gegenwart, aber es verstört, wenn unter freiheitlichen Bedingungen ähnliche Reflexe aufkommen. Dass jetzt reihenweise Schauspieler ihre Videos zurückziehen, sollte in einer liberalen westlichen Demokratie, in der Kritik jederzeit möglich, aber nicht vernichtend sein sollte, eigentlich nicht vorkommen.

Vielleicht sind es am Ende dann doch wirklich die biografischen Vorprägungen, die sensibler machen für Mechanismen des Konformitätsdrucks, die heute nicht mehr von einem repressiven Staatsapparat, dafür aber immer öfter von einer polit-medialen Gruppendynamik ausgehen. Oder ist zur Corona-Politik nur Ja oder Ja-Sagen möglich? Ist Corona der neue „Klassenfeind“, dessen Bekämpfung alles unterzuordnen ist und bei der Wahl der Mittel alles erlaubt ist?

Jan Josef Liefers hat bei der großen Demonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz vor Hunderttausenden gesprochen, und es ist gut, dass er sich auch heute trotzig zu Wort meldet. Er dürfte sich auch noch an all die anderen „Massendemonstrationen unserer Werktätigen“ vor dem November 1989 erinnern, bei denen Kinderchöre Kampflieder sangen aus blechern schmetternden Lautsprechern. „Drum links-2-3, drum links-2-3, wo dein Platz, Genosse ist / reih‘ dich ein in die Arbeiter-Einheitsfront, / weil du auch ein Arbeiter bist …“

Nicht diese Bilder wiederholen sich, aber sie hinterlassen einen lebenslangen Unwillen, sich einzureihen, mitzumarschieren oder die eigene Meinung vorsichtshalber zurückzuhalten. Die Ost-Vita hinterlässt (bei manchen zumindest) ein anderes Sensorium, wenn in den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenzen mit der Kanzlerin im Kasernenton geschnarrt wird, nicht zwingend notwendige Reisen „sind zu unterlassen“.

Wenn der SPD-Politiker Garrelt Duin (53) wegen Liefers missliebiger Meinung seine Verträge mit der ARD infrage stellt, erinnert sich die Generation Liefers an den Rauswurf renitenter Schriftsteller aus dem Schriftstellerverband der DDR, einem faktischen Berufsverbot.

Wenn Polizisten in voller Montur und untergehakten Daumen Ausgehsperren oder die Maskenpflicht an der Hamburger Alster kontrollieren, raunt uns der VoPo (Volkspolizist) in der Erinnerung leise „Können Sie sich ausweisen, Bürger?!“ ins Ohr.

Corona setzt Demokratie nicht außer Kraft, Erinnerung allerdings auch nicht. Ich bin froh, dass es Leute wie Jan Josef Liefers gibt, die das Renommee ihrer grandiosen Schauspielkunst nicht nur dann öffentlich und gesellschaftspolitisch nutzen, wenn es Applaus von allen Seiten gibt.

Wir mögen mitunter verzweifeln, aber dass es sich lohnt mutig zu sein, daran sollten wir in der Tat nicht zweifeln.

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