Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 18 / 87

PARTEIEN Warm und ehrlich

Den westdeutschen Grünen ist schon nach drei Monaten einer ihrer Vorsitzenden abhanden gekommen. Eine wissenschaftliche Untersuchung enthüllt Diskreditierendes aus seiner Partei-Gruppierung.
aus DER SPIEGEL 27/1980

August Haußleiter, 75, einer von drei im März gewählten Bundesvorsitzenden, wich auf dem Dortmunder Parteitag der Grünen zwar keinen Zoll breit von der grünen, rot-braun getupften Parteifahne -- aber er trat, nach einem Kraftakt der Bescheidenheit, ins Glied zurück.

»Fehler« und »falsche Freunde« in seiner politischen Vergangenheit, so bereute Haußleiter vor der gerührt und stehend applaudierenden Versammlung, sollten künftig nicht länger die ökologische Sammlungsbewegung der Westdeutschen belasten.

Und damit die knapp tausend Abgesandten von Atomkraft-Gegnern, Bio-Bauern, Müsli-Essern, Wertkonservativen, Linksalternativen und Ex-Maoisten das persönliche Opfer des Parteiführers auch richtig einschätzten, ließ der Bundeshauptausschuß der Grünen eine 76seitige Dokumentation »zu den Angriffen auf August Haußleiter« kursieren -- zu weiten Teilen verfaßt von August Haußleiter.

Schon zur Bundesvorstandssitzung Anfang Mai hatten sich Öko-Kader aus Nordrhein-Westfalen gesorgt, die allzu bunte Polit-Karriere des quirligen Franken Haußleiter könnte womöglich der grünen Sache schaden. Ihre Forderung: Bevor nicht schlüssig widerlegt sei, daß er in der Frühzeit der Bonner Republik auch mit Ex-Nazis gekungelt habe, möge er doch »seine Ämter ruhen« lassen (Protokolltext).

Damals hatte Haußleiter an Rücktritt offenbar noch nicht gedacht und wortreich abgewiegelt: Viele Vorwürfe seien falsch und stammten teils aus CIA-, teils aus anderen trüben Quellen. Einziges Eingeständnis im kleinen Bonner Kreis, laut Protokoll: »Haußleiter bedauert rückblickend manche sprachliche Übersteigerung.«

Freilich: Die Informationsquellen über nicht nur verbale Kraftakte des ergrünten Nationalisten August Haußleiter sind so dunkel nicht. Richard Stöss, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, hat sich seit 1972 intensiv mit zwei politischen Splittergruppen beschäftigt, die Haußleiter dreißig Jahre lang anführte, bevor er zu den Grünen stieß. Eine Stöss-Untersuchung über die »Deutsche Gemeinschaft« und die »Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher« (AUD) erscheint Mitte nächsten Monats; Titel: »Vom Nationalismus zum Umweltschutz«.

( Richard Stöss: »Vom Nationalismus zum ) ( Umweltschutz. Die Deutsche ) ( Gemeinschaft/Aktionsgemeinschaft ) ( Unabhängiger Deutscher im ) ( Parteiensystem der Bundesrepublik ) ( Deutschland«. Westdeutscher Verlag, ) ( Wiesbaden; 382 Seiten; 46 Mark. )

Zum einen beleuchtet die materialreiche Schrift die nur wenig bekannte Zehntelprozent-Existenz einer vor allem in Süddeutschland beheimateten Kleinstpartei, die links wie rechts der etablierten Parteien unermüdlich Unzufriedene zusammenstoppelte. Immer siegesgewiß und unterwegs zur großen S.86 nationalen Sammlung, war sie deshalb folgerichtig schon auf den grünen Zug aufgesessen, ehe der überhaupt recht in Fahrt kam.

Bereits vor zwei Jahren meldete die AUD unverhohlen ihren Führungsanspruch unter den Lebensreformern an: Sie sehe sich »als die Vertreterin eines umfassenden ökologischen Gesamtkonzepts und fühlt sich deshalb für die Einigung der ökologischen Bewegung verantwortlich«.

Zum anderen gibt die Stöss-Studie aber auch Aufschluß über jene verschlungenen Wanderungswege, auf denen Heimattümelei, abgestandener Biologismus, deutschnationale Gemeinschafts- und Bewegungssehnsucht zu den neuen Ökologisten stießen.

Als sich beispielsweise unlängst die auflagenstarken Öko-Zeitschriften »Grüner Zweig« und »Humus« den Vorwurf des »Öko-Faschismus« zuzogen, weil dort Sippenkundler des Dritten Reichs ausführlich das großdeutsche Wort erhalten hatten, blaffte das Schwesterblatt »Kompost« streitbar zurück: Wenn »Braun durch die grünen Zweige« scheine, so sei es »das Braun der Äste, die ihnen bei Stürmen Halt verleihen«.

Daß unterm grünen Panier tatsächlich leicht eine Volksgemeinschafts-Renaissance heranwachsen könnte, wissen nicht nur linke Bannerträger wie Rudolf Bahro. Denn vor dem jugendlichen Massengefühl gemeinsamer Bedrohung durchs gespaltene Atom, gleich ob im Kraftwerk oder im Kriege, verblassen herkömmliche Parteiungen wie rechts und links, soziale Unterschiede wie oben und unten.

Schon ist unschwer zu beobachten, wie junge Konservative, Nationalrevolutionäre mit ihrem »Los von Wallstreet, los von Moskau« sich in der Einheitsfront der Umweltschützer mit den Resten der ehemaligen Mao-KPD verbrüdern, die ihre Parolen vom notwendigen Kampf gegen die »imperialistischen Supermächte in Ost und West« inzwischen auch gern durch die grüne Blume sprechen.

So geht es auch für August Haußleiter überhaupt nicht mehr »um rechts oder links«, sondern um »Basisdemokratie« und »Harmonie«.

Vom harmonischen Großen und Ganzen hat Haußleiter zeit seines Lebens geraunt und geschwärmt. So schreckte vor 1933 den Schriftleiter für »Vermischtes« im nationalistischen »Fränkischen Kurier« die »dunkle Rumpelkammer der Demokratie«, beglückte ihn eine »klare und autoritative Führung des Staates«; so schrieb August Haußleiter gegen literarische »Zersetzung«, für »fruchtbare erdgebundene Dichtung«.

Später durfte »A. H.« (Haußleiter-Kürzel) in seiner Heimatstadt Nürnberg erleben und bedichten, wie auf NSDAP-Parteitagen »die Liebe ... warm und ehrlich und unmittelbar S.87 Adolf Hitler entgegenschlug«. Und schließlich konnte er die Überwindung des »Systems von Weimar« und von Versailles feiern -- und den Erlaß des NS-Schriftleitergesetzes dazu, das im Oktober 1933 als »eine Ordnung«, die endlich Schluß mache mit der »Unterhöhlung aller lebendigen Volkskräfte«, Juden vom Journalismus ausschloß.

Nachdem er Krach mit einem Kollegen, dem fränkischen Gauleiter und »Stürmer«-Herausgeber Julius Streicher, bekommen hatte, meldete sich Haußleiter 1942 von der »mittleren Ostfront« in der Heimat: mit Nachrichten von der »Zucht der deutschen Wehrmacht« und der »entfesselten Bestialität der Bolschewiken«.

Als der Krieg aus war, empfand sich Haußleiter allerdings, wie er jüngst bekräftigte, als »ausgewiesenen Widerstandskämpfer«, und alsbald gehörte er zur CSU. Der »Ochsensepp« Josef Müller war damals sein Freund.

Als dann aber dessen monarchistisch gesonnener Widersacher Alois Hundhammer immer deutlicher die CSU-Linie bestimmte, sah Haußleiter die deutsche Einheit in Gefahr und stieg aus. Am 4. Dezember 1949 gründete er mit -- gleich ihm -- »sozial Enterbten« beim Münchner Bärenwirt die »Deutsche Gemeinschaft«.

Mit von der Partie unter schwarzer Geusenflagge und rotweißem Eichenblatt waren der heutige Sudetendeutschen-Sprecher Walter Becher, der später nach Zwischenstationen im »Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten« (BHE) sowie in der Gesamtdeutschen Partei bei der CSU anheuerte, und die Naturheilkunde-Ärztin Renate Malluche, die seit 1963 mit Haußleiter verheiratet und inzwischen bayrische Schatzmeisterin der Grünen ist.

Als Ziel galt der »Deutschen Gemeinschaft« (DG) nichts Geringeres als eine »deutsche Erneuerungsbewegung«. Ihre Zielgruppen: Vertriebene, Kriegsbeschädigte und überhaupt jeder, der sich als Deutscher zu »seiner eigenen Art« (DG-Manifest von 1951) bekannte. Ihre selbstgewählten Gegner: »die Klerikalen, die Liberalen und die Marxisten«.

Allerdings sah sich die DG, deren ideologische Tradition in konservativen Zirkeln der Weimarer Republik wurzelte, von Anfang an einer doppelten Konkurrenz gegenüber: dem ausschließlich partikularen Flüchtlingsinteressen verpflichteten BHE und der vor allem in Norddeutschland aktiven, offen nazistisch argumentierenden »Sozialistischen Reichspartei« (SRP).

Gegen beide Mitbewerber konnte sich die DG, von lokalen Erfolgen in Bayern abgesehen, im rechten Wählerlager nie recht durchsetzen -- und das, obwohl Haußleiter alle demagogischen Register zog. Mal wetterte er gegen die »Rebellion« des 20. Juli 1944, mal lobte er überschwenglich die SS-Männer als besonders gute Europäer. Und ohne die erste Strophe des Deutschlandliedes ging in jenen Tagen kaum eine DG-Veranstaltung zu Ende.

Nach vergeblichen Einigungsgesprächen mit dem BHE suchte Haußleiter die DG-Basis abermals zu verbreitern, als die SRP im Oktober 1952 verboten wurde. Das Plädoyer des Münchner SRP-Vertrauensmannes und Rechtsanwalts Rudolf Aschenauer, die DG möge sich als SRP-Auffangbecken und als »antikommunistische Plattform der nationalen Kräfte« zur Verfügung stellen, hatte bei Haußleiter verfangen.

Doch was immer der emsige Parteichef zur Ausdehnung seines Erweckungsvereins auch schrieb und tat, mit welchen anderen Rechtsgruppen er sein Fähnlein auch immer zu koppeln suchte -- er blieb der »Mister 0,1-Prozent« der westdeutschen Parteienlandschaft. Denn gerade so viel -27 308 Stimmen -- errang die DG etwa bei der Bundestagswahl 1961.

Ein neues Firmenschild, das der »Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher«, vermochte der Haußleiter-Partei von 1965 an ebenso wenig aufzuhelfen wie ein vollmundiges »Programm für Deutschland«. Immerhin ebneten einige Forderungen darin, so die nach einem »modernen Sozialismus«, Haußleiter den Weg, es mit der AUD auch einmal linksherum zu versuchen.

Prompt bot er sie der aufkommenden Apo als »Partei der rebellischen Jugend« an, und einige anthroposophische Apo-Gruppen schlossen mit der AUD ein Bündnis -- kurzfristig. Haußleiter sah, so Richard Stöss, »die Apo richtig als Ausdruck einer Systemkrise, aber er mißverstand ihr Wesen, und er unterschätzte die Integrationskraft des politischen Systems der Bundesrepublik«.

Doch einmal links angekommen, erklärte Haußleiter seine Mittelstandspartei mit rund tausend Mitgliedern auch dort kurzerhand zur Avantgarde, die sogar Karl Marx auf die Sprünge half. »Das Bewußtsein hat sich geändert«, verkündete Haußleiter Anfang der siebziger Jahre, »nun muß sich das Sein verändern.«

Den Weg wies Renate Haußleiter-Malluche: Durch »Lebensschutz« und ein konsequentes »Vorwärts zur Natur« würden sich endlich »wieder organische Gemeinschaften anstelle formloser Massen« bilden.

Bislang sind Haußleiter und seine AUD mit dem Anschluß an Naturschutz und Bürgerinitiativen ganz gut gefahren. Ihre Einschmelzung in die Grünen hat den AUD-Kadern erstmals wieder Wahlergebnisse vor dem Komma beschert. Und als gut organisierte Kraft im Grünen-Spektrum überwiegt ihr Einfluß, mindestens im Süden, mittlerweile bei weitem ihre Mitgliederzahl.

In Bayern und Baden-Württemberg kommt die Mehrheit in den Landesvorständen der Grünen aus der Haußleiter-Partei. Und die Partei-Wochenzeitung »Die Grünen« hat sich der organisationserfahrene Haußleiter sogleich gesichert: Sie erscheint als Schwesterblatt des AUD-Organs »Die Unabhängigen«.

Nach Einschätzung von Stöss könnte sich »die Ideologie der DG/AUD« durchaus als Mittlerin »zwischen den divergierenden Positionen des rechten und des linken Flügels erweisen« und somit »als Scharnier« wirken.

Der Dortmunder Parteitag der Grünen hat diese These ein wenig bestätigt, jedenfalls personell. Denn der nachgewählte Parteivorsitzende Dieter Burgmann, einer von dreien, teilt mit Haußleiter die geographische und politische Abkunft: gebürtig aus Nürnberg, hervorgegangen aus der AUD.

S.85Richard Stöss: »Vom Nationalismus zum Umweltschutz. Die DeutscheGemeinschaft/Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher imParteiensystem der Bundesrepublik Deutschland«. WestdeutscherVerlag, Wiesbaden; 382 Seiten; 46 Mark.*Auf dem Wahlparteitag der Grünen in Dortmund.*

Zur Ausgabe
Artikel 18 / 87

Mehr lesen über