Urlaub im Katastrophengebiet

Wirbelstürme, Beben und Vulkanausbrüche - vor allem in Südostasien haben Naturkatastrophen in den letzten Jahren zu einem seltsamen Phänomen geführt: Die Orte der Zerstörung sind ein beliebtes Reiseziel für Touristen.

Als zu Weihnachten 2004 ein Tsunami die Küstengebiete mehrerer asiatischer Länder, darunter die Provinz Aceh in Indonesien, überschwemmt und etwa 230.000 Menschen sterben, verfolgt die ganze Welt die Katastrophe über die Medien. Auch ein Schlammvulkan nahe der Stadt Sidoarjo auf der Insel Java, der seit 2006 immer weiter einen Vorort versenkt, sorgt für mediale Aufmerksamkeit; ebenso wie ein Ausbruch des Vulkans Gunung Merapi 2010 nahe der Stadt Yogyakarta, bei dem 26 Dörfer von Lava, Schlamm und Asche zerstört werden.

Die rohe Kraft der Natur bekommt Indonesien immer wieder zu spüren, der Inselstaat liegt am sogenannten Pazifischen Feuerring, einer Region hoher vulkanischer Aktivität. Erdbeben gibt es immer wieder, auch die vielen Vulkane geben oft zumindest Rauchzeichen von der brodelnden Welt tief unter der Erde.

Schaulust auf Ruinen

Wenn so eine Katastrophe passiert, beginnen sehr bald die Notversorgung der Betroffenen und der Wiederaufbau. Was sich aber an den oben genannten Orten nach den nur wenige Jahre zurückliegenden Katastrophen auch entwickelt hat, ist eine Tourismusindustrie. Bei solchen „Desastertouren“ werden Touristen im Jeep durch die Regionen der Vewüstung gefahren. „Sightseeing“ heißt in diesem Fall, sich zerstörte Gegenstände und Bauwerke anzusehen, oder auch mondlandschaftsartige Gebiete, unter denen Ortschaften begraben liegen. Danach können die Touristen an kleinen Ständen essen und bunte Souvenirs kaufen.

Anak Krakatau, eine Vulkaninsel in der Meerenge zwischen den indonesischen Inseln Sumatra und Java

APA/AFP/FERDI AWED

Der Anak Krakatau in der Meeresstraße zwischen Java und Sumatra ist ein beliebtes Reiseziel

Es wird also zur Schau gestellt, was die Welt für einen Moment und die lokale Bevölkerung nachhaltig geschockt hat. Eine etwas überraschende Art des Katastrophentourismus, wie die Sozialanthropologin Gabriele Weichart von der Universität Wien erklärt. Denn das Phänomen, das man auch als „dark tourism“, also finsteren Tourismus, kennt, wurde bisher eher mit menschengemachten Tragödien in Verbindung gebracht – wie den Konzentrationslagern, den Killing Fields in Kambodscha oder Kriegsschauplätzen überall auf der Welt.

Geld und Schmerz

Die Anreize einer solchen Tourismusindustrie sind für die Bewohner einerseits wirtschaftlich, sagt Weichart, aber nicht nur. Sie beobachtet in Indonesien, dass es auch darum geht, „Leid zu teilen oder zur Schau zu stellen. Es gibt in Indonesien einen anderen Umgang mit dem, was wir hier als persönliche Katastrophen ansehen, und sagen, das sollte man nicht herzeigen und andere sollten auch nicht hingehen und schauen.“

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 23.1., 12:00 Uhr.

Es passe gut zur eher gemeinschaftlichen Kultur Indonesiens, dass man auch das Leiden zum Gemeinschaftlichen machen will, meint die Sozialanthropologin. Für einige komme das Sprechen mit den Besuchern einer Therapie nahe, zumindest habe sie während der Gespräche mit den Menschen dort diesen Eindruck bekommen. So habe ihr ein Betreiber eines Ruinenmuseums, der täglich Besucher durch sein von Asche und Lava zerstörtes früheres Zuhause führt, erzählt, dass es anfangs Überwindung gekostet habe, immer wieder von diesen furchtbaren Tagen zu erzählen. Aber es wurde mit der Zeit leichter: “Er hat selbst gemeint, dass es eigentlich so eine Art Verarbeitung ist und dass er es eben nicht versteckt“. Und die vielen indonesischen Besucher hätten eben auch wenig Berührungsängste gehabt, sich der Beschreibung seiner Erlebnisse auszusetzen.

Zwischen Anteilnahme und Spaß

Auf diese Art der Naturkatastrophen gedenken zu können, sei auch ein Vorteil, sagt Weichart: Wenn die Bevölkerung solche Ereignisse in Erinnerung behalte und das Wissen weitergebe, wie es dazu gekommen sei, habe nicht jede Generation das Gefühl, etwas noch nie Dagewesenem und Unüberwindbarem gegenüberzustehen.

Zerstörtes Fischerboot nach einem Tsunami

Sonny TUMBELAKA / AFP

Nach dem Tsunami: Die indonesische Ortschaft Teluk im Dezember 2018

Über die Ursachen des sich gerade jetzt entwickelnden Naturkatastrophentourismus kann Weichart nur spekulieren: Vielleicht hat es mit der medialen Aufbereitung zu tun. Möglicherweise liege es auch daran, dass es in Indonesien mittlerweile eine größere Mittelklasse gibt, die ihr Land bereisen möchte - und sich die Möglichkeit einer solchen zwischen Anteilnahme und Unterhaltung liegenden Industrie erst bietet.

Suche nach Nervenkitzel

Katastrophentourismus gebe es auch anderswo, erzählt Gabriele Weichart: Auch nach Hurrikan Katrina in den USA hätten sich Schaulustige dorthin aufgemacht. Und man beobachte heute einen Trend zum Gefahrentourismus, zum Beispiel in aktive Kriegsgebiete. Immer mehr Menschen suchen offenbar Wege, für einige Stunden oder Tage ihr Sicherheitsgefühl gegen Nervenkitzel einzutauschen.

Naturobjekte, die das Sicherheitsgefühl erschüttern, gibt es in Indonesien jedenfalls zuhauf. Anziehungspunkte sind etwa der Krakatau-Vulkan bzw. der nachwachsende Anak Krakatau (Kind des Krakatau) in der Meeresstraße zwischen Java und Sumatra. Die Explosion des Vulkans 1883 zerstörte die frühere vulkanische Insel und veränderte durch die ausgestoßene Aschewolke auch das Weltklima für einige Jahre.

Der Anak Krakatau war auch Auslöser für den jüngsten Tsunami 2018, wiederum zu Weihnachten, bei dem mehrere hundert Menschen getötet und viele Siedlungen zerstört wurden. Das Ereignis war von solcher Kraft, dass sich auch die Form des Vulkans deutlich veränderte. Die indonesische Regierung hat die Warnstufe in Folge erhöht. Was aber nur bedeutet, dass man sich fernhalten soll – gegen den Vulkan etwas zu tun, steht weiterhin außerhalb der technologischen Möglichkeiten der Menschheit.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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