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Wahlprogramme im Vergleich Was die Steuerpläne der Parteien Ihnen bringen

So schläfrig der Wahlkampf daherkommt, so radikal unterscheiden sich die Parteien in der Steuer- und Finanzpolitik. Hier sehen Sie, wie sich die Programme nach Schätzung der ZEW-Ökonomen auf Ihr Konto auswirken würden - und wie auf den Staatshaushalt.
Gegensätze: Ampel-Spitzenkandidaten Christian Lindner (FDP), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD, v.l.)

Gegensätze: Ampel-Spitzenkandidaten Christian Lindner (FDP), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD, v.l.)

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CLEMENS BILAN / POOL / EPA

An der Mehrwertsteuer werde er auf keinen Fall drehen, versprach Olaf Scholz (63) im Fernseh-"Triell" am Sonntag. Der Finanzminister, der für die SPD Bundeskanzler werden will, verstand die Frage offenbar bezogen auf eine Erhöhung wie zuletzt 2007. Dass sich die Mehrwertsteuer auch wieder senken ließe, steht vor der Bundestagswahl nicht zur Debatte - obwohl genau das unter Scholz' Regie im vergangenen Jahr passiert ist, befristet für ein halbes Jahr. Zur Erinnerung: Die Mehrwertsteuer ist längst zur wichtigsten Steuerart in Deutschland aufgestiegen - und sie belastet maßgeblich die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, die Scholz und andere Spitzenpolitiker zu entlasten versprechen. Die Einkommensteuer hingegen, um die sich der Großteil des finanzpolitischen Wahlkampfs dreht, betrifft fast nur die obere Bevölkerungshälfte.

Immerhin zeigt sich der Anspruch der Sozialdemokraten, die laut Wahlprogramm "der Steuergerechtigkeit Geltung verschaffen" wollen, auch in einer Analyse  des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Demnach müsste die Mehrheit der Deutschen nach dem SPD-Programm ein paar hundert Euro weniger an den Staat abführen, in der Mitte der Gesellschaft auch vierstellige Beträge. An der Spitze der Einkommenspyramide hingegen, oberhalb von 150.000 Euro Jahreseinkommen pro Haushalt (brutto), würde es teurer. Dafür sorgt beispielsweise ein um 3 Prozentpunkte angehobener Reichensteuersatz, der ab 250.000 Euro für Singles (500.000 für Ehepaare) greift. Auch eine Vermögensteuer, deren Abschaffung 1997 Scholz als "Unfall" bezeichnet, steht erneut im Programm - alles aber mit Betonung auf "maßvoll". In keiner Einkommensgruppe fand das ZEW-Modell eine Bewegung um mehr als 5 Prozent.

Das gleiche gilt auch für das Programm der Unionsparteien CDU/CSU, wenn auch unter anderen Vorzeichen: Niemand zahlt drauf, die Entlastung steigt aber überproportional mit der Höhe des Einkommens. Spitzenkandidat Armin Laschet (60) erklärte im Triell, er finde eine stärkere Besteuerung der Reichen "grundfalsch". Die nach dem Willen seiner Partei zu senkende Unternehmensteuer, die verschobenen Einkommensteuertarife, der für alle abgeschaffte Solidaritätszuschlag und auch der gestiegene Kinderfreibetrag kämen überwiegend den Besser- und Hochverdienern zugute, wie Steuerexperte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärt. Er schätzte überschlagsweise sogar noch spürbar höhere Beträge als das ZEW-Modell.

Dass Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock (40) immer wieder das Problem Kinderarmut ansprach, passt auch zum Finanzprogramm ihrer Partei. Die Armutsrisikoquote würde dadurch laut ZEW um 26,5 Prozent gesenkt, sogar noch etwas stärker als bei der linken Konkurrenz. Ansonsten sind Grüne und SPD die beiden Parteien, deren Programme am ehesten miteinander vereinbar sind. Geringverdiener würden in der grünen Variante spürbarer ent- und Hochverdiener spürbarer belastet.

Doch hier geht es nur um Unterschiede von einigen Prozentpunkten. Pikant: Der ZEW-Schätzung zufolge hat die Wählergruppe der Grünen vom eigenen Programm finanziell am wenigsten Nutzen, im Schnitt 310 Euro plus im Jahr. Alle anderen Bundestagsparteien gönnen den tendenziell besserverdienenden Grünen-Wählern mehr, die FDP sogar 1814 Euro. Eine Portion Selbstlosigkeit gehört also zum Kreuz auf dem Stimmzettel dazu.

Die Liberalen setzen wieder voll auf ihren Markenkern als Steuersenkungspartei. Eine ganze Reihe von Steuerarten versprechen sie gleich komplett abzuschaffen. Für eine Ampelkoalition, über die viel spekuliert wird, müsste sich entweder die FDP von ihren Versprechen verabschieden, oder die anderen Partner von ihren Programmen. Wer mehr als 80.000 Euro brutto im Jahr verdient, würde mit dem FDP-Programm am meisten gewinnen. Das entspricht etwa den reichsten 5 Prozent.

Ähnlich sieht die Verteilungskurve der AfD aus - mit dem Unterschied, dass für die meisten Bürger praktisch gar keine Entlastung drin ist, für die Reichsten aber fast auf FDP-Niveau. Die Rechtspartei steht einer Regierungsbeteiligung fern, in ihrem Wahlprogramm spart sie an konkreten finanzpolitischen Vorschlägen, nennt aber "das Steuerreformkonzept des ehemaligen Verfassungsrichters Kirchhoff" als "gutes Beispiel". Der Jurist Paul Kirchhof hatte im Wahlkampf 2005 als Wunschfinanzminister einer nicht erreichten schwarz-gelben Koalition vorgeschlagen, das progressive Einkommensteuersystem durch einen Stufentarif zu ersetzen. Die AfD will außerdem Grund-, Gewerbe- und Erbschaftsteuer abschaffen. Die Effekte zeigen sich an der Spitze. Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit misst, würde nach der ZEW-Schätzung durch das AfD-Programm um 3,8 Prozent steigen, noch etwas stärker als bei der FDP.

Am anderen Ende des Spektrums steht die Linke, die in vielen Programmpunkten ähnlich klingt wie SPD oder Grüne, aber eine ganz andere Dimension der Umverteilung von oben nach unten anstrebt. Für alle Bürger unterhalb der FDP-Schwelle von 80.000 Euro Haushaltsbruttoeinkommen verspricht die Linkspartei die größte Entlastung. Besonders kräftig auswirken würde sich, dass die ersten 14.400 Euro Einkommen steuerfrei blieben. Aktuell geplant ist für 2022 ein Grundfreibetrag von 9984 Euro. Bezahlen sollen die Entlastung der Mehrheit nach dem Willen der Linken allerdings die Bezieher sechsstelliger oder höherer Einkommen mit erheblich steigenden Steuern. Für Einkommensmillionäre fordern sie einen Spitzensteuersatz von 75 Prozent, außerdem eine 5-prozentige Vermögensteuer. Deutschland würde skandinavische Verhältnisse erreichen, weil der Gini-Index laut ZEW um satte 14,8 Prozent sänke. Allerdings ist auch dieses Programm fern einer realistischen Chance.

Hier sind die Schätzungen noch einmal zum direkten Vergleich im Überblick:

Für die Wahlentscheidung dürfte neben dem eigenen Konto auch noch eine Rolle spielen, wie sich die Staatsfinanzen durch die Pläne entwickeln. Auch hier zeigt sich eine klare Lagerbildung in Links und Rechts mit unterschiedlich ausgeprägten Extremen. Den ZEW-Forschern zufolge würde das Programm der Linkspartei die Staatskassen trotz der üppigen Steuersenkung um fast 37 Milliarden Euro füllen. Am wenigsten am Status quo ändern, aber noch ein moderates Plus einbringen würden die rot-grünen Pläne. Die Versprechen von CDU, AfD und FDP hingegen summieren sich auf teils gewaltige Haushaltsdefizite, im Fall der Liberalen 87,6 Milliarden Euro. Da die FDP zugleich auch eine schnelle Rückkehr zur schwarzen Null verlangt, müssten also wohl die Ausgaben entsprechend drastisch gesenkt werden.

Alle Bundestagsparteien mit Ausnahme der AfD halten für die kommenden Jahre massiv steigende Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz für notwendig. Woher soll das Geld kommen? SPD, Grüne und Linke schließen mit ihren Steuerplänen nur einen Teil der Lücke. Grüne und Linke setzen daher mit unterschiedlicher Betonung darauf, die Schuldenbremse zu lockern oder abzuschaffen. SPD-Kandidat Scholz hingegen betont als Finanzminister seine Treue zum bisher eingeschlagenen Weg - was wohl auch bedeutet, dass nicht gar so viele Investitionen drin sein werden. CDU/CSU hoffen, dass eine entlastete Wirtschaft wachsen und so auch dem Staat die nötigen Einnahmen wieder zurückbringen werde. Die FDP, deren Pläne offensichtlich kaum Spielraum für staatliche Investitionen lassen, setzt darauf, dass die nötigen Mittel stattdessen aus privaten Quellen kommen.

ak