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Deutschland Pädophilie-Vorwürfe

Grüner Büroleiter soll Kinder missbraucht haben

Politikredakteurin
Tom Koenigs ist entsetzt über die Vorwürfe, die gegen seinen Mitarbeiter erhoben werden Tom Koenigs ist entsetzt über die Vorwürfe, die gegen seinen Mitarbeiter erhoben werden
Tom Koenigs ist entsetzt über die Vorwürfe, die gegen seinen Mitarbeiter erhoben werden
Quelle: picture alliance / dpa
Schock für die Grünen: Jahrelang soll der 61-jährige Hans-Bernd K. sechs- bis zwölfjährige Kinder missbraucht haben. Er arbeitet als Büroleiter für den anerkannten Grünen-Politiker Tom Koenigs.

„Jede Menschenrechtsverletzung ist eine zu viel“, steht auf der Homepage von Tom Koenigs, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte. Und nun steht ausgerechnet Koenigs’ Büroleiter Hans-Bernd K., 61 Jahre, verheiratet, im Verdacht, jahrelang Kinder schwer missbraucht zu haben.

Die Staatsanwaltschaft Gießen erließ einen Haftbefehl. K. soll drei Mädchen und einen Jungen im Alter von sechs bis zwölf Jahren sexuell missbraucht haben – und zwar nach derzeitigem Stand der Ermittlungen in mehr als 160 Fällen. Zuvor soll er die Kinder mit Drogen gefügig gemacht haben, berichtet die „Bild“-Zeitung.

„Ich äußere mich nicht dazu, was unsere Angeklagten beruflich machen, auch wenn es für die Presse noch so interessant ist“, sagte die Gießener Oberstaatsanwältin Ute Sehlbach-Schellenberg der „Welt“. „Richtig ist, dass es mehrere Strafanzeigen gegeben hat gegen einen 61-jährigen Mann und wir Haftbefehl erlassen und Anklage erhoben haben.“

Missbrauchsfälle zwischen 2007 und 2010

Die Missbrauchsfälle sollen nach ersten Erkenntnisse von 2007 bis 2010 stattgefunden haben. K. ist noch am Mittwoch dem Ermittlungsrichter vorgeführt worden. „Der Haftbefehl wurde ihm verkündet, er befindet sich jetzt in Untersuchungshaft“, so Seelbach-Schellenberg. Der Angeklagte hat bislang keinerlei Angaben zu den Vorwürfen gemacht.

Nachbarn hatten in der vergangenen Woche beim Polizeipräsidium Mittelhessen Strafanzeige gestellt. Das Haus der Familie K. wurde daraufhin durchsucht, die Beamten untersuchten unter anderem den Computer des Mannes und stellten Beweismittel sicher. K. soll die Kinder vor den Übergriffen mit Marihuana gefügig gemacht haben. Bei der Durchsuchung stießen die Ermittler auch auf Reizwäsche in Kindergröße, wie die „Bild“-Zeitung berichtet. Außerdem sollen die Strafverfolger pornographisches Material sichergestellt haben.

Der Kreisverband der Grünen in Gießen entfernte K. bereits von seiner Homepage. K. ist stellvertretendes Mitglied des hessischen Grünen-Parteirats, sitzt für seine Partei im Kreistag und besetzt noch weitere ehrenamtliche kommunalpolitische Positionen.

„Von den Vorwürfen schockiert und völlig überrascht“

Tom Koenigs selbst äußert in einer Erklärung, ihn habe am Mittwoch vor einer Woche ein „anonymer Brief aus Gießen“ erreicht, in dem der Leiter seines dortigen Wahlkreisbüros des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen beschuldigt wurde. „Ich war von den Vorwürfen schockiert und völlig überrascht. Diesen anonymen Brief habe ich noch am selben Tag der Polizei in Berlin übergeben“, schreibt Koenigs in der Stellungnahme.

Am vergangenen Freitag seien dann sein Gießener Wahlkreisbüro und das Privathaus seines Mitarbeiters durchsucht worden. „Gestern Abend ist er, wie mir seine Familie mitteilte, auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Gießen festgenommen worden“, sagt Koenigs. „Zu den Vorwürfen selbst kann ich nichts sagen. Die Ermittlungen liegen in der Hand der Staatsanwaltschaft und der Polizei, die ich bei ihrer Ermittlungsarbeit unterstütze.“

Erschüttert wie Koenigs zeigte sich auch die neue Fraktionsführung der Grünen. „Kindesmissbrauch ist ein unfassbares und furchtbares Verbrechen, das mit aller Härte des Gesetzes geahndet werden muss. Wir sind alle sehr erschüttert“, sagte die neu gewählte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Sie sei aber sehr froh, dass Koenigs nach Erhalt eines anonymen Briefes mit entsprechenden Vorwürfen gegen seinen Mitarbeiter am 2. Oktober schnell und „sehr konsequent“ gehandelt und die Behörden eingeschaltet habe.

„Ganz eklige“ Geschichte

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Göring-Eckardt unterstrich, dass der Fall von Hans-Bernd K. von der Debatte um die Rolle pädophiler Strömungen in den Gründungsjahren der Grünen zu trennen sei. „Hier kann sich niemand auf die Diskussionen bei den Grünen in den 80er-Jahren beziehen. Das sind zwei Dinge, die zu trennen sind.“

Die Grünen hätten sich aber vorgenommen, zur Aufarbeitung auch „nach innen“ zu gucken. Fraktionschef Anton Hofreiter sprach von einem „widerwärtigen Verbrechen“. Diese „ganz eklige“ Geschichte solle aber nicht mit „schrecklichen Debatten“ bei den Grünen aus der Anfangszeit der Partei vermengt werden.

„Einen Zusammenhang zwischen den einstigen Pädophiliedebatten bei den Grünen und der nun festgenommenen Person können wir nach jetzigem Forschungsstand nicht ausmachen“, bestätigt Politologe Stephan Klecha, der mit Franz Walter in Göttingen die Pädophilie-Debatte der 80er-Jahre bei den Grünen untersucht.

Brisanter Zeitpunkt für die Partei

Dennoch erreicht der Skandal die Partei zu einem brisanten Zeitpunkt. Die Grünen hatten im Mai Walter damit beauftragt, die Verstrickungen der Partei mit pädophilen Aktivisten zu erforschen. Das Thema schlug im Wahlkampf hohe Wellen, als sich die ersten Opfer meldeten, die in den 80er-Jahren in einer Lebensgemeinschaft am Niederrhein von einem Mitglied des NRW-Landesvorstandes der Grünen über mehrere Jahre missbraucht worden waren.

Später wurde bekannt, dass Spitzenkandidat Jürgen Trittin 1981 das Kommunalwahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) signiert hatte. Darin fand sich auch die Forderung nach einer strafrechtlichen Freistellung von Sex zwischen Kindern und Erwachsenen, sofern er ohne Anwendung und Androhung von Gewalt zustande komme.

Der Bundesvorstand der Grünen hatte in der vergangenen Woche beschlossen, einen eigenen Arbeitskreis einzusetzen, der sich mit der Aufarbeitung der Pädophilievorwürfe beschäftigen und auch als Anlaufstelle für Opfer dienen soll. Dies hatte etwa die ehemalige Fraktionschefin Renate Künast zuvor strikt abgelehnt: „Wir sind nicht der Ort der Täter.“

Mut haben, mit den Opfern zu sprechen

Eines der Opfer hatte daraufhin der „Welt“ ein Interview gegeben. „Die Aussage von Frau Künast verschlägt mir die Sprache“, sagte der 48-jährige Lektor unter dem Pseudonym Anselm Rörig. „Vielleicht sollte irgendjemand von den Grünen mal den Mut haben, mit einem der Opfer von damals zu sprechen. Dann käme solcher Zynismus wahrscheinlich nicht mehr so leicht über die Lippen.“

Rörig forderte daraufhin einen Runden Tisch zur Aufklärung und einen Entschädigungsfonds. „Zum einen gab es ja die Kinder, die das Ziel sexueller Übergriffe waren. Darüber hinaus waren da auch junge Menschen, für die Sex mit Kindern zur Normalität zählte und die daraufhin auch selber zu Tätern wurden. Hier ist ein enormer Schaden bei Opfern und Tätern entstanden. Und dieser Schaden ist entstanden, weil Sex mit Kindern damals in grünen und links-alternativen Kreisen akzeptiert war und als ein Merkmal der sexuellen Befreiung propagiert wurde.“

Mitarbeit: Claudia Kade

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