Selbstbeherrschung kann unglücklich machen

Selbstbeherrschung macht nicht jeden glücklicher, so das Fazit einer neuen Studie. Menschen, die eher „aus dem Bauch heraus“ entscheiden, empfinden hohe Selbstbeherrschung als nicht authentisch und entscheiden sich bewusst dagegen.

Obst statt Süßigkeiten essen, die Stiege statt den Lift benutzen, arbeiten und lernen statt in der Sonne liegen: Selbstbeherrschung und Disziplin werden als zentrale Erfolgsfaktoren angesehen, um langfristige Ziele wie weniger Körpergewicht, mehr Fitness oder auch die nächste Sprosse auf der Karriereleiter zu erreichen. Aber fühlen wir uns wirklich immer besser und stärker, wenn wir Versuchungen widerstehen?

Dieser Frage ging WU-Forscher Michail Kokkoris vom Institut für Marketing und KonsumentInnenforschung gemeinsam mit Erik Hoelzl von der Universität Köln und Carlos Alos-Ferrer, Universität Zürich, nach. Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass Selbstkontrolle nicht immer zu mehr Zufriedenheit mit einer Entscheidung führt. Viel eher kommt es dabei darauf an, was eine Person als legitime Grundlage für ihre Entscheidungen sieht. Die Studie wurde nun im „Journal of Personality and Social Psychology“ publiziert.

Rational vs. intuitiv

In insgesamt elf Studien mit rund 3.000 Teilnehmern untersuchten die Studienautoren, ob der Persönlichkeitstyp von Menschen eine entscheidende Rolle in der Empfindung von Selbstkontrolle spielt. Zum Beispiel mussten sich in einer der experimentellen Studien Studierende, die auf Diät waren, in einem Labor zwischen Schokolade und Karotten entscheiden und wurden anschließend zu ihren Gefühlen befragt.

Die sogenannte „Laienrationalität“ beschreibt dabei die Tendenz eines Menschen, seine Entscheidungen primär auf Basis rationaler Begründungen zu treffen anstatt auf Gefühlen. Die Ergebnisse der Studie zeigten: Menschen mit niedriger Laienrationalität, d.h. die eher intuitiv und gefühlsorientiert als rational Entscheidungen treffen, empfinden Selbstbeherrschung bzw. das Widerstehen von Versuchungen weniger befriedigend als rationale Entscheider.

Persönliche Präferenz

„Menschen, die sich bei Entscheidungen eher auf ihr Gefühl verlassen, empfinden sich selbst beim Verzichten weniger authentisch. Sie haben das Gefühl, ihre Bedürfnisse und ihr Verlangen zu unterdrücken und sich damit selbst zu betrügen. Paradoxerweise bedeutet demnach für sie der Verlust der Selbstbeherrschung gleichzeitig Selbstfindung. Umkehrt sehen Menschen mit hoher Laienrationalität Selbstbeherrschung als Rezept zum Glücklichsein“, erklärt Kokkoris.

Der Studie zufolge ist Selbstbeherrschung nicht nur als Fähigkeit zu sehen, sondern auch als bewusste Entscheidung und Präferenz einer Person. „Aus unserer Studie lässt sich schließen, dass wir möglicherweise nicht einfach die Kontrolle über uns verlieren und zum Beispiel Schokolade essen, sondern, dass wir uns bewusst gegen die Selbstkontrolle entscheiden, um uns selbst treu zu bleiben“, so Kokkoris. „Es bleibt unbestritten, dass Selbstkontrolle ein wichtiger Pfeiler unserer Gesellschaft ist, dennoch blieb in der Forschung bisher völlig unberücksichtigt, dass Selbstkontrolle nicht ausschließlich als positiv empfunden wird.“

science.ORF.at/APA

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