cybersecurity_conferencejpgMichel Spingler/AP

Lyudmila Savchuk enthüllte 2014 zum ersten Mal die Geschichte der Desinformationskampagne der russischen Regierung. Der russischen Journalistin und Mutter von zwei Kindern fiel damals auf, wie stark lokale Aktivisten der Opposition in ihrer Heimatstadt Sankt Petersburg von Social-Media-Nutzern angegriffen wurden. Die Häufigkeit der Angriffe war ungewöhnlich hoch — so etwas hatte sie noch nie zuvor gesehen.

Die Beiträge waren alle zu ähnlich. Die verbalen Angriffe zu koordiniert. Als Savchuk später davon erfuhr, dass die Organisation, die hinter der Kampagne steckte — die Internet Research Agency oder IRA — Autoren einstellte, entschied sie sich dafür, einzusteigen.

„Ich wollte natürlich da rein, um zu sehen, wie es funktioniert“, sagt Savchuk. „Aber das Wichtigste war, zu sehen, ob es einen Weg gibt, es zu stoppen.“ Sie wurde als Bloggerin eingestellt und sollte sich bei Savushkina 55 melden, einem unscheinbaren vierstöckigen Bürogebäude am Stadtrand. 

Eine Gruppe hatte die Aufgabe, visuelle Memes, sogenannte „Demotivatoren“, zu schaffen

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Savchuk war fassungslos, als sie, in der Fabrik angelangt, Hunderte von meist jüngeren Russen sah, die als bezahlte Trolle in wechselnden Schichten arbeiteten. Sie erkundete die Hallen, wenn es ihr möglich war — denn Kameras waren überall — und entdeckte so die vielen verschiedenen „Abteilungen“ der IRA. Dort gab es zum einen die „News Division“, die „Social Media-Keimzelle“ und eine Gruppe, die sich der Produktion visueller Memes widmete, die als „Demotivatoren“ bekannt sind.

Trotz der Arbeitsteilung war der Inhalt bemerkenswert einheitlich. Die USA, die EU, die proeuropäische Regierung der Ukraine und die russische Opposition waren regelmäßig Ziel von Hetze. Und dann gab es noch den russischen Präsidenten Wladimir Putin — scheinbar war kein Erfolg unter seiner Herrschaft zu klein, um diesen in Tweets, Memes oder Posts zu zelebrieren. „Jeder Arbeiter hat jeden Tag und jede Nacht eine Quote zu erfüllen gehabt“, so Savchuk. „Weil die Fabrik rund um die Uhr läuft. Sie hört nie auf. Nicht für eine Sekunde.“

Irgendwann musste sie pro-Kreml Aussagen über einen „Wahrsagungsblog“ verbreiten

putin.JPGSputnik/Reuters

Gelegentlich führte die Arbeit ins Absurde: Irgendwann musste sich Savchuk als Wahrsagerin „Cantadora“ ausgeben. Auf ihrem eigenen Blog mischten sich dann Astrologie und Kristallwahrsagungen mit pro-Kreml-Gesprächsinhalten. Eine ihrer „Vorhersagen“ war Wladimir Putins Sieg bei den zukünftigen Präsidentschaftswahlen 2018 in Russland. Diese Art von subtilem Trolling zeigt laut Savchuk, wie sehr die IRA bestrebt war, selbst die unpolitischen Randgruppen des wachsenden russischen Online-Publikums zu erreichen.

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Insgesamt verbrachte sie nur zweieinhalb Monate bei der IRA, bevor sie in einer Lokalzeitung über die Trollfabrik an die Öffentlichkeit ging.

Der Leiter der Fabrik wurde unter US-Sanktionen gestellt , weil er versucht hatte, sich in die US-Wahlen einzumischen

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Evgeny Prigozhin.JPG
Reuters

Ihre Schlussfolgerung: Die Trollfarm war ein Kreml-Projekt, das von einem dubiosen lokalen Gastronomen namens Jewgeni Prigoschin geleitet wurde.

Dieser wird wegen seiner engen Beziehungen zum russischen Präsidenten oft „Putins Chefkoch“ genannt und wurde 2018 unter US-Sanktionen gestellt, nachdem ihn US-amerikanische Beamte der koordinierten Einmischung in die US-Wahlen bezichtigten.

Noch bevor sich die lokale Enthüllungsstory zu einem ausgewachsenen internationalen Skandal entwickelte, wandte sich Savchuk dem Aktivismus zu. Sie hielt Vorträge über Desinformation und versuchte, Teilnehmer der Trollfarm aufzudecken. „Ich habe mich wie jeder Journalist verhalten“, sagt sie. „Erst dann ging ich weiter. Mir wurde klar, dass ein Artikel nicht genug ist.“

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Sie verklagte die IRA sogar vor einem russischen Gericht im Jahr 2015 — und gewann einen symbolischen Sieg über die Trollfarm wegen des Bruchs des Arbeitsgesetzes. Laut Ivan Pavlov, einem russischen Menschenrechtsanwalt, der Savchuk in dem Fall vertreten hat, brachte das Gerichtsurteil die Tätigkeiten der Internet Research Agency an das globale Tageslicht. „Ich kann Vergleiche mit Al Capone ziehen. Die US-Regierung konnte ihn nicht für seine Verbrechen als Gangster erwischen, aber wegen Steuerhinterziehung“, erzählte Pavlov dem US-amerikanischen Non-Profit-Netzwerk „Public Radio International“ (PRI).

Unterdessen veröffentlichte Savchuk weiterhin ihre Gedanken über die Bekämpfung von Desinformationen in ihrem wichtigsten Medium: ihrem Facebook-Feed. Bis er gesperrt wurde.

Alle möglichen Gründe der Kontosperrung sind enttäuschend

Nachdem sie letzten November von einer Desinformationskonferenz in Washington, D.C., nach Hause zurückkehrte, fand Savchuk ihr Facebook-Konto unerklärlicherweise gesperrt vor. Wiederholte Versuche, ihr Konto wiederherzustellen und ihre Identität mit ihrem Reisepass zu beweisen, blieben erfolglos. Mitte Februar dann war ihr Profil wieder erreichbar. Warum das überhaupt passiert ist, ist immer noch ein Rätsel. Facebook hat nicht auf Fragen von PRI über Savchuks Facebook-Zugang geantwortet.

Savchuk geht davon aus, dass IRA-Trolle die Plattform mit Beschwerden über ihr Konto überflutet haben könnten. Ihre Probleme mit Facebook begannen erst, nachdem sie offen über Bedrohungen sprach, die sie von Menschen erhalten hatte, die in irgendeiner Weise mit Jewgeni Prigoschin zu tun haben.

Die Erklärung ist nicht weit hergeholt. Im vergangenen Oktober veröffentlichte die unabhängige russische Zeitung „Novaya Gazeta“ eine Untersuchung, in der behauptet wurde, dass Personen, die mit Prigoschin verbunden sind, hinter Angriffen auf Oppositionelle und Blogger stehen. Eine andere Erklärung wäre, dass Savchuks Profil im Zuge einer Facebook-Kampagne, mit dem Hintergrund, gefälschte russische Troll-Konten zu entfernen, gelöscht wurde. Facebook hatte diese Maßnahme inmitten einer verstärkten Kontrolle des Kongresses nach der Wahl 2016 angekündigt. Dabei könnten einige westliche Medien Savchuk fälschlicherweise als „ehemaligen Troll“ identifiziert haben.

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Savchuk fühlt sich durch die Erfahrung ausgebrannt. Sie sagt, dass sie dachte, ihre Arbeit gegen die IRA würde Facebook helfen, zu verstehen, wie die Plattform ausgenutzt werden kann. „Nachdem Facebook mich blockiert hat“, sagt sie, „konnte ich das nicht mehr tun.“

Savchuk ist nicht mehr überzeugt, den Kampf zu gewinnen

Der Stress und die Online-Isolierung haben ihren Tribut gefordert. Savchuk verheimlicht nicht, dass sie einen Zusammenbruch hatte, nachdem sie die Tätigkeiten der IRA aufgedeckt hatte. Und obwohl sie den Kampf gegen die Desinformation nicht bereut, ist die heute 37-Jährige nicht mehr davon überzeugt, dass sie ihn gewinnen kann.

Zwar wurde Jewgeni Prigoschin im vergangenen Jahr vom Ermittlungsteam des US-Sonderermittler Robert Mueller angeklagt, dennoch geht es „Putins Chefkoch“ gut, stellt Savchuk fest. Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung deutet darauf hin, dass Prigozhins Medienimperium und die Regierungsverträge exponentiell gewachsen sind, seit das Tun der IRA in das Licht Öffentlichkeit gerückt ist. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Aufmerksamkeit der USA, läuft es gut für Jewgeni Prigoschin.

Den Originalartikel gibt es auf PRI’s The World. Copyright 2019. Ihr könnt PRI’s The World auf Twitter folgen.

Aus dem Englischen übersetzt von jg.