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Alltag eines Dorfpfarrers "Burn-out ist in meinem Beruf ein großes Problem"

Für das letzte Abendmahl die Elternzeit unterbrechen, mehr verwalten als predigen: Ein junger Dorfpfarrer erzählt von den Herausforderungen seines Berufs - und warum die Kirche moderner werden muss.

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in vielen Berufen jede Menge Platz. In der Serie "Das anonyme Jobprotokoll" erzählen Menschen ganz subjektiv, was ihren Job prägt - ob Tierärztin, Staatsanwalt oder Betreuer im Jobcenter.

"Bevor ich selbst Pfarrer wurde, hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was das für Typen sind: ziemlich spießig, sehr gebildet und irgendwie weltfremd. Mein Schwiegervater - ich bin evangelisch - sagte damals: 'Wie willst du das machen? Du bist nicht alt und hast keinen Vollbart.' Inzwischen arbeite ich seit vier Jahren als Pfarrer und weiß, dass man beides nicht unbedingt sein muss. Alt und Vollbartträger.

Ich bin 33 Jahre alt, die Menschen hier auf dem Dorf sprechen mich trotzdem mit 'Herr Pfarrer' an. Die Erwartungen an den neuen Herrn Pfarrer waren hoch: Mein Vorgänger hatte sich für die Gemeinde aufgeopfert. Wäre er zum Arzt gegangen, hätte dieser sicher irgendeine Form von Erschöpfung festgestellt. Burn-out ist in meinem Beruf ein großes Problem. An diesem Vorbild muss ich mich messen lassen.

Meine Arbeit ist mir wichtig. Mein Privatleben aber auch. Der frühere Dorfpfarrer hat für eine Beerdigung seinen Urlaub abgebrochen. Das würde ich nicht tun. Ich möchte nicht erst im Ruhestand meine Ruhe haben - auch wenn mir das Neinsagen nicht leichtfällt.

Veralteter Anspruch an Pfarrersfamilie

Gleich zu Beginn meiner Amtszeit habe ich Elternzeit genommen, in diesem Beruf ein sehr ungewöhnlicher Schritt. Ich freute mich auf die Zeit mit meinen Kindern, ein Kollege sollte mich vertreten. Doch dann bat mich eine Familie um Hilfe, die ich schon zuvor begleitet hatte. Ein alter Herr lag im Sterben, die Angehörigen wünschten sich, dass ich ein letztes Mal vorbeikäme, um das Abendmahl mit ihm zu feiern. Ich stimmte zu, trotz Elternzeit.

Als der Mann wenig später starb, meldete sich die Familie erneut - ob ich nicht auch die Beerdigung leiten könne? Da habe ich abgelehnt und auf meine Vertretung verwiesen. Es fiel mir sehr schwer. Aber ich wusste, ich würde sonst nie wieder einem Gemeindemitglied einen Wunsch abschlagen können. Das haben einige wohl bis heute nicht verstanden.

Es gilt nach wie vor der Anspruch, dass sich die Pfarrersfamilie ganz in den Dienst der Kirche stellt. Darauf ist auch mein Gehalt ausgelegt: 4300 Euro brutto bekomme ich im Monat, genug, um uns zu ernähren.

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Das anonyme Jobprotokoll: So sieht der Alltag wirklich aus

Wir halten so ein Modell in Reinform für nicht mehr zeitgemäß, meine Frau und ich wollen eine möglichst gleichberechtigte Beziehung führen. Sie arbeitet als Grundschullehrerin. Morgens bringe ich die Kinder in den Kindergarten, sie holt die Kleinen später wieder ab. Früher war die Pfarrersfrau ganz selbstverständlich eine Art Assistentin ihres Mannes.

Belastet durch die Schweigepflicht

Die Trennung von Beruf und Privatleben ist auch in anderer Hinsicht wichtig: Wenn ein Gemeindemitglied mit mir im Vertrauen spricht, kann ich das nicht weitererzählen. Da gilt die Schweigepflicht. Mit meiner Frau rede ich dann nur über meine Emotionen - zum Beispiel darüber, dass ich traurig bin. Das ist manchmal sehr schwierig.

Ich glaube, in der Kirche muss sich einiges verändern, damit sie zukunftsfähig wird. Das bedeutet nicht, dass früher alles schlecht war oder falsch gehandhabt wurde - die Gesellschaft hat sich verändert, und wir müssen uns darauf einstellen.

Wir sollten zum Beispiel raus aus einer 'Kirchensprache', die keiner mehr versteht. Wer innerlich begeistert ist, muss nicht auf Sprachformeln zurückgreifen, sondern wird lieber nach frischen und lebendigen Worten suchen.

Kirche sollte zudem eine Gemeinschaft sein, in der sich Menschen mit ihren heutigen Fragen und Problemen ernst genommen fühlen. Nicht weil dadurch mehr Mitglieder gefunden werden könnten. Sondern weil Gott keinen Sinn hat, wenn er nichts mit meinen Fragen, Freuden und Problemen zu tun hat.

Die Predigt als Kunstwerk

Natürlich hat der Wandel auch Schattenseiten. Immer wieder treten Menschen aus der Kirche aus. Bei uns wurden deshalb zwei Gemeinden zusammengelegt, für die ich nun gemeinsam zuständig bin.

Ich trage die Verantwortung für elf Mitarbeiter, dabei habe ich nie BWL studiert. Insgesamt verbringe ich mehr Zeit mit Planung, Verwaltung und Organisation als mit meinen Predigten oder der Seelsorge. Das ist schade, finde ich.

Gerade mit den stillen Menschen, die nicht von sich aus zu mir kommen, würde ich gern häufiger das Gespräch suchen. Doch dafür fehlt oft die Zeit, und ich bekomme das Gefühl, dass ich meiner Aufgabe nicht gerecht werde.

Natürlich muss ich auch am Wochenende arbeiten. Der Sonntag ist für die Kirche der wichtigste Tag der Woche - Ausschlafen ist da nur selten drin. Aber das fällt mir nicht schwer. Wer sich für diesen Beruf entscheidet, weiß das. Mein erster Gottesdienst beginnt um 8.30 Uhr. Um zehn Uhr folgt der zweite in der Nachbargemeinde. Vor allem das Predigen gibt mir sehr viel. Eine gute Predigt ist wie ein Kunstwerk, über das Menschen noch lange nachdenken.

Einmal hat eine Einrichtung für Drogenabhängige in unserer Kirche ein Fest veranstaltet. Die Teilnehmer waren ein Jahr lang schon clean. Ich sollte zu dem Anlass ein paar Sätze sagen. Am Ende sprach ich ein Gebet. Eine Mitarbeiterin erzählte mir im Nachhinein, dass den Zuhörern die Gebetsworte noch lange nachgingen. Da wusste ich wieder, warum ich diesen Beruf so liebe."